"Warum unsere Kinder ein Glück sind: So gelingt Erziehung heute" - Wolfgang Bergmann

Neulich war ich in der Bücherei und lieh mir "Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden" von Michael Winterhoff aus - dieses Buch hatte ja vor einiger Zeit ziemlichen Wirbel ausgelöst. Die Kurzbeschreibung auf Amazon liest sich wie folgt:
"Kleinkinder außer Rand und Band, Zehnjährige, die Eltern und Lehrern keinen Respekt entgegenbringen: Unter dem Deckmantel eines »partnerschaftlichen« Umgangs werden Kinder überfordert, erhalten weder Struktur noch Orientierung und entwickeln sich deshalb zu kleinen Tyrannen. Nur wenn unsere Kinder wieder wie Kinder behandelt werden, können sie lebensfähig und glücklich werden. Ein Buch für alle, die wollen, dass unsere Gesellschaft ihre Kinder lieben kann …"
Um das zu übersetzen: Winterhoff ist der Ansicht, Kinder müssen wieder diszipliniert werden - sie werden viel zu sehr gleichberechtigt behandelt. Um sie gesellschaftstauglich zu erziehen, muss die Autorität der Eltern wieder anerkannt werden und Gehorsam im Vordergrund bei der Erziehung stehen. So ungefähr las sich das Buch auch. Ich lese wirklich gerne und viel - aber dieses Buch habe ich damals nach wenigen Seiten weg gelegt und nicht wieder in die Hand genommen.

Wolfgang Bergmanns Buch "Warum unsere Kinder ein Glück sind" ist quasi das "Gegenbuch" zum Winterhoff-Buch. Er erklärt, warum das Buch so erfolgreich ist: weil die grundsätzlichen Beobachtungen, die Winterhoff beschreibt, durchaus zutreffen und den Menschen Sorge bereiten. Es ist jedoch keine Kunst, die Realität zu beschreiben - nur leider sind die gezogenen Schlüsse doch sehr irrwitzig. Leider beschränkt sich Wolfgang Bergmann in seinem Buch stark darauf zu erklären, dass Winterhoffs Gehorsamspädagogik nicht geeignet ist, Kinder liebevoll zu erziehen. 



Das Buch besteht aus 3 Teilen:

I. Das Leben mit Kindern macht Spaß - das hatten wir beinahe vergessen
II. Wie sich die Familie verändert hat und warum viele Kinder verwöhnt sind - ein Blick auf die Ursachen
III. Wie Kinder keine Tyrannen werden - mit Freude und Gelassenheit wirkungsvoll erziehen.

Teil I


Zu Beginn des Buches wird sehr umfangreich auf das Winterhoffsche Werk eingegangen und einzelne Zitate genauer betrachtet (im Grunde eher auseinander genommen) und die Thesen des "Gehorsamspädagogen" Bernhard Bueb zusammengefasst (und für schlecht befunden).

Teil II


Im zweiten Teil wird zunächst auf die Rolle der Familie und ihre Stellung in der heutigen Zeit eingegangen. Winterhoff stellt fest, dass das Konstrukt Familie heute eine kleine geschlossene Einheit ist, die verteidigt wird durch Verkapselung.

Teil III


Teil 3 ist der Hauptteil des Buches, den man recht einfach zusammenfassen kann: Sei gelassen und freu Dich an Deinem Kind. Der Untertitel des Buches verspricht "So gelingt Erziehung heute" - wirklich konkrete Tipps für die Praxis sucht man jedoch vergebens. Im Kern sagt Bergmann: "Liebe Dein Kind und es wird sich alles finden". Aus eigener Erfahrung muss ich jedoch feststellen: Ich liebe mein Kind heiß und innig - doch es findet sich leider nicht alles von selbst - es ergeben sich immer wieder Situationen, wo schlicht Erziehungsarbeit erforderlich ist.

Als Beispiel für gelassene Erziehung wird das Thema Schlürfen angeführt. Der Vorschlag lautet: Die ganze Familie schlürft ebenso laut, wie das Kind, dem man das Verhalten aberziehen möchte. Dadurch erkennt es, wie schlecht sein Verhalten sei und würde das künftig unterlassen. Ich habe das noch nicht ausprobiert (falls ich es je tue, werde ich es dann hier ergänzen), kann mir aber schwerlich vorstellen, dass es funktioniert. Alternativ kann man das Schlürfen auf Band aufnehmen und dem Kind dann vorspielen. Vorzugsweise vor allen anderen - die sich natürlich darüber amüsieren. Beschämung als Erziehungsmittel? Das wäre nicht unbedingt meine erste Wahl.

Ein weiterer Fall: Ein Baby im Restaurant schmeißt aus seinem Hochstuhl ständig etwas runter - Bergmann schlägt vor, dem Baby Taschentücher zu reichen, die es einzeln runter wirft (macht ja auch erheblich weniger Krach). Ob meine Kinder nach 10 Taschentüchern tatsächlich die Lust verloren hätten, den Krach machenden Löffel wieder werfen zu wollen? Ob sie als Baby differenzieren können, dass Taschentücher runter werfen okay, Löffel runter werfen aber nicht in Ordnung ist?

Ein anderes Beispiel: Das "Haben-wollen". Bergmann erklärt, dass das Leben eine Wunderwelt ist, die es für Kinder zu entdecken gilt. So weit richtig. Vorzugsweise sollte man daher den meisten Wünschen nachkommen, so weit machbar. Wenn man aber ein "Nein" durchsetzen will, dann soll man das nicht mit Strenge machen - wie genau, bleibt jedoch offen.

Sein Ansatz für Schimpfworte: Sagt das Kind "blöde Mama", dann soll man sich auf Augenhöhe des Kindes begeben und gefasst ohne Strenge sagen: "Ich habe Dich so lieb und Du redest so mit mir". Das im Bedarfsfalle wiederholen. Dabei wird dann der Zeigefinger mit genutzt - er wird bei der Kernaussage "So lieb habe ich Dich!" gehoben.

In seinem Buch schlägt Bergmann vor, die Kinder im eigenen Leben zu zentrieren. Sie bummeln und du hast es eilig? Das ist dein Problem - betrachte doch mal Dein Kind. Spielt es nicht herrlich? Ist es nicht ein Genuss? Erlaubt Dein Vorhaben es nicht, zu warten und am Spiel teilzuhaben? Wenn man sich fragt, was wirklich wichtig ist, wird man feststellen, dass es nicht das ist, was man vorhat. Daher: setze Dich zu Deinem Kind und genieße es. An sich schöne und pathetische Ausführungen - nur ist es in der Regel leider nicht so, dass man ohne weiteres seine Vorhaben verschieben kann. Ein Kind, das mit mir nicht einkaufen gehen will, hat keine Lust. Wenn ich mich zu ihm setze und sein Spiel begleite, dann will es eine Stunde später wahrscheinlich immer noch nicht einkaufen. Ich muss aber einkaufen - so oder so. Mag sein, dass das Vorhaben im Hinblick auf das Spiel des Kindes im Weltgefüge vollkommen uninteressant ist - erforderlich bleibt es dennoch.

Bergmann vertritt die Ansicht: "Liebe einfach, entspann Dich etwas, dann wird alles gut". Das ist ein eher ungewöhnlicher Ansatz  - die Lektüre des Buches hat mich jedoch eher verwirrt, als davon überzeugt. Nachdem ich aber Alfie Kohn "Liebe und Eigenständigkeit" gelesen habe, ist mir klarer geworden, worum es Bergmann geht - dennoch ist es eines der Bücher, die mich am wenigsten zum Nachdenken anregten oder mir tatsächlich hilfreiche Impulse gaben.

© Danielle

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