Wie man Schreibabys helfen kann

Beruhigungsmethoden für Schreikinder, bedürfnisstarke Babys und für abendliches Schreien bei Neugeborenen


Ich habe in unserem Artikel über das abendliches Schreien beschrieben, wie man Babys, die in den ersten drei Monaten vor allem in den Abendstunden untröstlich weinen, beruhigen kann. Es gibt aber Babys, die schreien nicht nur abends, sondern fast pausenlos und das wochenlang und auch über den dritten Monat hinaus. Sie schlafen kaum und sind generell unzufrieden.

"Übermächtig und allgegenwärtig, war das Gefühl des eigenen Versagens."

"Die ersten Monate waren Horror. Mein Kind lebt nur noch, weil ich immer daran gedacht habe, du kannst es nicht mehr rückgängig machen, wenn du jetzt was machst. Und dann musst du ohne ihn leben. "

"Ehrlich gesagt fiel es mir unglaublich schwer ihn anzunehmen. Immer wenn ich ihn sah war er am schreien. Aus dem anfänglichen Mitleid und der Hilflosigkeit würde irgendwann Verzweiflung und auch Wut. Ich fragte mich, warum dieses Kind mich so hasst."

"Ich stand kurz davor meine Familie zu verlassen, weil ich mich als einzige Versagerin gefühlt habe und mein Sohn die Chance auf eine andere Mutter erhalten sollte." 

Neugeborenes schreit
 
Diese Sätze haben Mütter von Schreibabys geschrieben. Mütter, die die ersten Monate im Leben ihrer Kinder erschöpft, verzweifelt und hilflos waren, weil ihre Kinder nicht mehr aufhörten zu schreien. Ich wollte schon lange endlich mal alle Informationen zum Thema Schreikinder zusammenfassen und über Ursachen und mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation schreiben - einen solchen Artikel hätte ich mir damals am allermeisten mit meinem ersten Neugeborenen gewünscht.

Der Artikel ist mittlerweile sooo lang geworden, dass ich für die ungeduldigen Leser eine Übersicht über seine Struktur geben möchte. Du kannst so ggf. direkt zu dem Punkt springen, der für Dich am interessantesten ist. In Bezug auf die Schreiursachen empfehle ich aber, möglichst alles durchzulesen - denn manche Ursachen hast Du vielleicht noch gar nicht in Erwägung gezogen - und am Ende ist es vielleicht genau diese, die Dein Kind so unglücklich macht :-).

          Meine eigenen Erfahrungen
          Ist Schreien wirklich "normal"?
          Gründe für das Schreien und Maßnahmen, die helfen können 
                 Mythos Blähungen/Dreimonatskoliken
                 Überreizung - Übermüdung - Regulationsstörung
                 Hunger bei Stillkindern
                 Probleme mit der Feinfühligkeit, die Angst vor dem Verwöhnen und fehlendes Bauchgefühl
                 Körperliche Ursachen
                        KISS-Syndrom und Blockaden
                        Mittelohrentzündung
                        Blasenentzündung
                        Milcheiweißallergie
                        Gastroösophagealer Reflux 
                        Verstopfung
                        Leistenbruch
                        Hodentorsion
                        Darmverschluss
          Wie soll man das Schreien denn ertragen?
          Schreiambulanzen - der Retter in der Not?
          Es gibt ein Leben nach dem Schreien! 

Meine eigenen Erfahrungen mit einem Schreibaby 


Meine Tochter war ein sehr unruhiges und unzufriedenes Baby und die ersten Schreistunden in der dritten Lebenswoche überforderten mich komplett. In meinem Umfeld gab es nicht viele Babys und die, die es gab, schienen pflegeleicht und fröhlich zu sein. Da war nie die Rede davon, dass Babys auch mal stundenlang schreien und einen an den Rand der Verzweiflung treiben können. Eltern reden nicht gerne darüber - wer gesteht gerne ein, dass er in den Abendstunden verzweifelt und hilflos ist und sein heiß ersehntes Baby kaum beruhigen kann?

Also war ich vollkommen ahnungslos, als das Schreien begann. Ab dem späten Nachmittag wurde mein Kind zunehmend unruhiger. Es begann beim Stillen zu Clustern, also in kurzen Abständen immer und immer wieder an die Brust zu wollen, um dann meist nur sehr kurz zu trinken. Und dann begann sie zu schreien - man konnte quasi die Uhr danach stellen. Von 19 bis 22 Uhr herrschte bei uns Ausnahmezustand. Nichts - rein gar nichts schien das Kind zu beruhigen. Da sie immer wieder an die Brust wollte, dachte ich, sie wäre nicht satt geworden, weil nicht genug Milch da sei. Ich begann hektisch zu pumpen, wurde selbst immer unruhiger, was sie mit noch schrillerem Schreien quittierte. Endlose vier Wochen quälten wir uns durch jeden Abend und wurden immer verzweifelter. Zudem auch tagsüber zunehmend mehr geschrien wurde. Andere Mütter fuhren friedlich schlafende Babys in ihren Kinderwagen durch die Gegend - ich traute mich nicht mal raus wegen des Schreiens. 

Durch einen wirklich glücklichen Zufall las ich damals um die sechste Lebenswoche herum mein allererstes "Erziehungs"-Buch "Das glücklichste Baby der Welt" von Dr. Harvey Karp. Erst durch dieses Buch kam ich überhaupt auf den Gedanken, dass mein Kind vor Müdigkeit schreien könnte. Eigentlich war ich bis dahin davon ausgegangen, dass müde Kinder einfach schlafen (darüber kann ich heute immer noch - sehr müde! - lächeln).
 
Karp beschreibt in seinem Buch eine Methode zur Beruhigung von Babys, die auf einer Art Reflex beruht - ich werde später noch näher darauf eingehen. Mit dieser Methode schaffte ich es, dass mein völlig übermüdetes Kind endlich schneller in den Schlaf fand - das reduzierte zumindest das abendliche Geschrei sofort und nachhaltig - und es hat mich wirklich gerettet. Denn allmählich begann ich schon zu verstehen, warum Menschen ihre Babys im Affekt töten :-(. 

Ist Schreien wirklich "normal"? 


Das (vermeintlich) "normale" abendliche Schreien ist relativ weit verbreitet - fast alle Babys auf der Welt zeigen dieses Verhalten in verschieden starker Ausprägung. Europäische Babys schreien vergleichsweise viel - in Afrika oder Asien wird deutlich kürzer geschrien. Die Schreidauer nimmt üblicherweise bis zur 6. Lebenswoche stetig auf bis zu 2,5 Stunden pro Tag  zu, ab der 7. Lebenswoche wird das Schreien dann wieder kontinuierlich weniger. Nach etwa 12 bis 14 Lebenswochen ist die Phase bei den meisten Kindern vorbei, nur wenige sind bis zu einem Alter von 6 bis 12 Monaten weiterhin unruhig. 

Schreidauer von Babys

Ein Baby wird medizinisch als "Schreibaby" klassifiziert, wenn folgende Kriterien erfüllt sind (auch "3-er-Regel" genannt):
  • es schreit mehr als 3 Wochen 
  • an mindestens 3 Tagen in der Woche 
  • mehr als 3 Stunden.
Wichtigstes Kriterium ist allerdings der Erschöpfungszustand der Eltern. Auch wenn das Kind weniger als nach der 3-er-Regel schreit, kann Hilfe und Unterstützung notwendig sein, wenn Eltern am Ende ihrer Kräftre sind!   

"Und dann habe ich mir vorgestellt, wie es wäre wenn sie nicht geboren wäre. Stellenweise hätte ich alles gerne wieder rückgängig gemacht. Ich konnte die Anfangszeit nicht genießen und auch keine richtige Beziehung aufbauen. Ich fühlte mich machtlos und überfordert und manchmal hätte ich sie am liebsten gegen die Wand geworfen. Wenn ich jemanden gesagt habe sie schreit viel, dann kam jedes Mal der Satz, Babys schreien eben".

"Babys schreien eben nun mal viel" - solche oder ähnliche Sätze kennt jede Schreikind-Mutter und sie sind ebenso sinnlos wie grausam. Implizieren sie doch ein "Stell dich doch nicht so an, das ist doch alles ganz normal". Nein - ist es eben nicht! Dass ein gewisses Schreiverhalten relativ viele Babys zeigen, heißt durchaus nicht, dass es auch "normal" ist. Schreien ist nämlich kein biologisch sinnvolles Verhalten. Es kostet schließlich Unmengen an Energie - diese bräuchte der kleine Körper eigentlich viel dringender zum Wachsen. Gerade in den ersten Wochen und Monaten wächst ein Kind so schnell, dass eigentlich jede einzelne Kalorie benötigt wird und nicht freiwillig vergeudet werden darf.
 
Schreien lockt in der Natur außerdem Fressfeinde an - kein Tierbaby schreit laut, wenn Mama nicht in der Nähe ist - im Gegenteil, da wird ruhig im Nest gesessen und leise gewartet. Erst wenn die Eltern in Sichtweite sind, werden Bedürfnisse zaghaft piepsend geltend gemacht. Schreit ein Tier, ist es wirklich in Not. Und auch für Babys ist Schreien das absolut letzte Notsignal, das sie senden können. Seine Bedürfnisse zeigt ein Baby im Durchschnitt etwa 31 Minuten lang mehr oder weniger deutlich und leise durch sein Verhalten. Erst wenn leises Schmatzen oder müdes Gähnen nicht dazu geführt haben, dass Mama oder Papa sich kümmern, dann greift es zum letzten Mittel. Und dann aber auch soooOO laut, dass es verlässlich gehört wird.
 
Schreien ist also ein Notsignal - und genau deshalb hat es eine ganz besondere Wirkung auf uns Erwachsene. Das hat die Natur so eingerichtet, damit das Überleben der Nachkommen gesichert ist. Forschungen bei den Massai haben gezeigt, dass die Babys die besten Überlebenschancen haben, die am lautesten schreien (vgl. Renz-Polster, S. 153). Das Bedürfnis, sich sofort um schreiende Babys zu kümmern, ist biologisch tief in uns verankert. Steht irgendwo ein einsames Baby in seinem Kinderwagen und schreit, würden innerhalb kürzester Zeit fast alle Erwachsenen in Hörweite herbei eilen oder sich zumindest vergewissern, dass es jemand anderes tut. Genau deswegen fühlt man sich so furchtbar, wenn man es eben nicht schafft, sein Kind zu beruhigen. Man gewöhnt sich nie ans Schreien, weil es immer und immer wieder Stress in uns auslöst - das ist eine sinnvolle evolutionäre Strategie.

Man kann also ganz klar sagen: Schreien ist NICHT normal - kein Baby schreit einfach so. Es hat immer einen Grund und den gilt es herauszufinden. Leider wird es trotzdem immer wieder Schreikinder geben, bei denen man den Grund nicht oder erst später findet. Eine liebe Bekannte von mir hatte ein Kind, bei dem rein gar nichts gegen das Schreien half. Später stellte sich heraus, dass es an Langerhanszell-Histiozytose leidet und daher Schmerzen hatte, die sehr wahrscheinlich die Ursache für das Schreien waren. Bei der Mehrzahl der Kinder hat das exzessive Schreien jedoch Gründe, die durch verschiedene Maßnahmen behebbar sind.  

Der häufige Rat, einfach abzuwarten, ist ein nett gemeinter, aber schlechter. Ja - normalerweise wird das Schreien nach 12 bis 14 Wochen auch von allein deutlich weniger, aber das heißt nicht, dass man bis dahin einfach tatenlos daneben sitzen muss.  

Gründe für das Schreien und Maßnahmen, die helfen können 


Die Gründe warum Babys normalerweise schreien sind vielfältig - die häufigsten Ursachen sind Hunger, Überreizung, Müdigkeit, Langeweile, Kontaktbedürfnis, volle Windeln, usw. Das Schreien hat auch einen anderen Zweck - das Baby kommuniziert damit. Verstehen wir seine Signale nicht richtig, ist das Schreien für das Baby die Möglichkeit zu signalisieren: "Nein, das wollte ich nicht". Und dann schreit es oft so lange, bis wir endlich herausbekommen, was es denn nun wirklich will.  

Das exzessive Schreien hingegen ist meist von einem ganz bestimmten Grund verursacht - das schwierige ist, herauszufinden, welcher das sein könnte. Ich möchte im Folgenden näher auf die Gründe eingehen, die in Betracht kommen könnten. Zunächst jedoch zu einem Mythos, der sich leider noch immer hartnäckig hält: 

Mythos Blähungen/Dreimonatskoliken 


In Bezug auf das Schreiverhalten fällt recht schnell der Begriff "Drei-Monats-Koliken". Immer wieder hört und liest man, dass das Schreien auf schmerzhafte Blähungen zurück zu führen ist, welche durch einen unreifen Darm verursacht werden. Mittlerweile ist diese Ansicht eigentlich widerlegt, sie hält sich jedoch recht hartnäckig im Internet und auch bei Kinderärzten.

Ja - Babys Darm muss sich tatsächlich erst umstellen. Dabei kommt es häufig mal zu kleineren und größeren Flatulenzen und auch mal zu einem schrillen Schreien und Verkrampfen, wenn sich die Winde nicht ohne weiteres lösen. Die Annahme, dass diese Blähungen die Ursache des abendlichen Schreiens sind, beruht darauf, dass Kinder beim Schreien häufig pupsen. In der Regel ist das jedoch das Pupsen nicht die Ursache des Schreiens, sondern seine Auswirkung - beim heftigen Schreien schlucken die Babys jede Menge Luft, die eben auch wieder raus muss.

Gegen Blähungen als Ursache für das Schreien sprechen außerdem:
  • das Auftreten zu einem festen Zeitpunkt (Beschwerden wegen Blähungen würden sich - wie die Mahlzeiten - gleichmäßig über den Tag verteilen) 
  • dass auch nach dem Entweichen der Winde weiter geschrien wird (eigentlich müsste vorübergehend Linderung verspürt werden) 
  • die Kinder lassen sich in der Regel durch bestimmte Maßnahmen, die nichts mit den Blähungen zu tun haben, beruhigen.
Blähungen quälen unsere Kinder - aber man kann getrost davon ausgehen, dass sie nicht die hauptsächliche Ursache des Schreiens sind.  

Überreizung - Übermüdung - Regulationsstörung 


Die mit Abstand häufigsten Gründe für das "normale" abendliche Schreien und vor allem das exzessive Schreien sind Überreizung und Übermüdung. Wenn man genauer darüber nachdenkt, versteht man, dass die ersten Lebenswochen eine riesige Herausforderung für das Baby sind. Durch die Geburt, wird das Kind aus seiner gleichwarmen, behaglichen Dunkelheit, in der es durch Mamas Schritte stets sanft gewiegt wurde, herausgerissen in eine kalte, helle Welt, in der es ständig unruhig ist und die Geräusche nicht mehr gedämpft gleichartig und regelmäßig, sondern schrill und unberechenbar sind. Das ist eine riesige Umstellung und überfordert die meisten Kinder massiv. 
 
Baby schläft

Alles, was ein Kind in den ersten Wochen will, sind weiterhin gleichmäßige Bewegungen, Wärme, schlafen, kuscheln, saugen und trinken. Stattdessen wird es ständig an- und ausgezogen, herumgefahren, bestaunt, berührt, bedrängt - fremde Gesichter, fremde Gerüche, Hektik, Lärm. Selbst wenn man nur mit dem Kinderwagen durch den Wald fährt, ist das für ein Neugeborenes Aufregung pur. Alle Eindrücke müssen sortiert und verarbeitet werden - das ist Schwerstarbeit! Um das überhaupt bewerkstelligen zu können, schlafen Neugeborene quasi ständig. Das schützt sie vor Überreizung. Nimmt die Flut an Eindrücken jedoch kein Ende, schaffen es viele Kinder nicht mehr einzuschlafen. Gegen die Überflutung mit Sinneseindrücken wehrt sich das überlastete Gehirn und das Baby schreit. Und schreit. Und schreit. Und kann so natürlich erst recht nicht einschlafen - ein Teufelskreis, der sich dann mehr und mehr zuspitzt. Am Abend sind die meisten Babys so überfordert, dass sie gar nicht mehr aufhören können zu schreien.

Die Vielfalt der möglichen Schreigründe führt dazu, dass wir dazu neigen, eine ganze Palette an Beruhigungsversuchen durchzuprobieren. In kurzer Folge spulen wir dann das Beruhigungsprogramm ab. Hunger? Flasche oder Brust! Nicht? Windel voll? Nachsehen. Langeweile? Rumschauen lassen, bespaßen, betüddeln. Doch müde? Hinlegen. Will nicht schlafen? Offenbar nicht müde. Hm. Wiegen. Oder doch Hunger? So ein Schreien kann doch nur Hunger sein! Anlegen/Flasche geben. Wie - will nicht? Hm...

Die meisten Eltern machen den gleichen Fehler, wie ich: Sie denken, dass müde Kinder einfach schlafen. Und das tun die meisten Neugeborenen in den ersten zwei Wochen ja tatsächlich. Es gibt Kinder, die schaffen es auch in den darauf folgenden Wochen vollkommen unproblematisch, den Schalter umzulegen und zu schlafen, wenn sie müde sind oder Überreizung droht. Aber ganz, ganz vielen Kindern fällt es ab der dritten Lebenswoche plötzlich wahnsinnig schwer, in den Schlaf zu finden. Schreikindern ganz besonders. Und wir denken dann: Na wenn es nicht schläft, wird Müdigkeit kaum die Ursache für das Schreien sein.

Warum fällt vielen Neugeborenen das Einschlafen eigentlich so schwer? Weil dieser Schritt für sie eine gefährliche Trennung bedeutet - schlafend können Sie schließlich nicht sicher stellen, dass sie weiterhin ausreichend beschützt werden. Das macht ihnen Angst und sie wehren sich mit aller Macht dagegen. Sie benötigen daher beim Einschlafen regelrecht aktive Unterstützung. Bei solchen Babys ist dann oft die Rede von "Regulationsstörungen" - das trifft es aber nur halb. Ja - diese Kinder haben Schwierigkeiten sich allein zu regulieren, aber es ist keine "Störung" (auch wenn das Schreien uns "stört"), sondern ein relativ verbreitetes Verhalten.

Im Grunde hilft diesen Babys nur eins: Sofortiger Schlaf! Und das regelmäßig und ausreichend. Und Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruhe.

Ich habe bei uns zu Hause eine Ecke eingerichtet, in die ich mich immer zurück zog, wenn meine Tochter unruhig war. Ich hatte dort einen Schaukelstuhl und einen Pezziball (es half immer nur eins von beiden) und dunkelte das Zimmer ab. Ich habe sie einfach gehalten und ruhig geschaukelt, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie einschlafen kann. Später hat allein das Hinsetzen in unserer Ruheecke schon beruhigend gewirkt, da sie die Umgebung gut kannte.

Es fällt vielen Eltern anfangs schwer zu erkennen, wann ein Baby müde ist. Denn das interessierte Fixieren eines Gegenstandes wird als Neugier wahrgenommen - dabei versucht das Kind durch den starren Blick eher, andere Reize auszublenden. An folgenden Zeichen erkennst Du, dass Dein Baby müde wird: 
  • Quengeligkeit,
  • Gähnen,
  • Saugen an der Hand, obwohl es satt ist,
  • Grimassenschneiden,
  • Stirnrunzeln,
  • Daumenlutschen,
  • weniger Bewegungen,
  • ruckartige Bewegungen,
  • geballte Fäuste,
  • starrer Blick und
  • steife Glieder.

Leider übersieht man solche Frühanzeichen anfangs oft und das Einschlafen wird schnell unmöglich, weil das Kind nur noch überreizt schreit. In diesen Fällen, gibt es eine gute Möglichkeit, das Baby dennoch zum Schlafen zu bringen. Sie ist im eingangs erwähnten Buch "Das glücklichste Baby der Welt" von Dr. Harvey Karp beschrieben. Es geht darum, mittels verschiedener Maßnahmen die Umgebung im Mutterleib nachzuahmen. Das Kind wird dabei fest eingewickelt (gepuckt), leicht (!) im Sekundentakt schüttelnd bewegt (um das Schaukeln im Mutterleib beim Laufen zu simulieren) und hört dabei ein weißes Rauschen - entweder durch ein selbst gemachtes relativ lautes "Shhhhhhh" oder durch einen Fön/eine Dunstabzugshaube/einen Staubsauger. Das Kind wird dabei seitlich gelagert und saugt an einem Schnuller/elterlichen Finger/Daumen. Die Beruhigungsmethode mit den "5 S" habe ich in unserem Blog bereits ausführlicher beschrieben und kann jeder Schreibaby-Mutter nur ans Herz legen, sie unbedingt auszuprobieren Sie hilft Kindern, die übermüdet und überreizt sind, eigentlich immer zuverlässig beim Einschlafen.

Mein zweites Kind schlief in den ersten Monaten tagsüber übrigens nur so ein - in einer Federwiege, gepuckt, den Raum verdunkelt und zwei Meter daneben der Staubsauger:

gepucktes Baby in einer Federwiege

Schreibabys sind besonders schnell überreizt. Zur Vermeidung einer Reizüberflutung sind sie in den ersten Wochen tagsüber generell in einem Tragetuch am allerbesten aufgehoben - hier herrschen (fast) die gleichen Bedingungen, wie im Mutterleib: Wärme, Nähe, Mamas Herzschlag und das herrliche Geschaukeltwerden. Und man kann das Baby jederzeit von äußeren Reizen (wie der neugierigen Kundin im Supermarkt) abschirmen. Fast alle Kinder beruhigen sich wie von Zauberhand, wenn sie im Tuch sind und auch das Einschlafen fällt dort sehr viel leichter, als im kalten, stillen Kinderbett. Es gibt im Grunde nichts artgerechteres, als Babys den ganzen Tag herum zu tragen - das sind sie schließlich seit Jahrtausenden gewöhnt. Ihnen macht vielmehr die Umstellung in den letzten paar hundert Jahren zu schaffen. Jetzt sollen sie plötzlich alleine in Kinderbetten in eigenen Kinderzimmern schlafen - dagegen wehren sie sich mit vermehrtem Schreien. Sie wollen dauerhaft bei Mama sein - immerzu.

Auch wenn das anstrengend ist - die verminderte Schreidauer durch das Tragen im Tuch wird Dir gut tun. So nah wirst Du nie wieder bei Deinem Kind sein - versuch es zu genießen, so gut es geht. Die Zeit wird vorbei gehen - versprochen! Experimente zeigten übrigens, dass Kinder, die häufig am Körper getragen werden, bis zu 43 % weniger schreien (vgl. Renz-Polster, S. 157). Auch wenn die Tücher zunächst recht teuer erscheinen - wegen ihres sehr hohen Wiederverkaufswertes ist es in jedem Falle eine lohnende Investition.

Viele schlecht einschlafende Babys neigen dazu, dann auch noch ständig wieder aufzuwachen. Die meisten Schreikindeltern berichten, dass ihre Kinder tagsüber kaum schlafen - wenn, dann allenfalls in kurzen Blöcken von 30 bis 40 Minuten. Diesen Teufelskreis muss man unbedingt unterbrechen! Schreikinder brauchen dringend mehr und regelmäßigen (Tief)Schlaf. Häufig helfen feste Rituale und Strukturen dabei. Während man die Kinder, die sich gut selbst regulieren können, am besten schlafen lässt, wann sie wollen, ist ein fester Schlafplan für Schreikinder besser geeignet. 
Es gibt übrigens auch technische Hilfsmittel, die das Einschlafen erleichtern und auch das ständige Aufwachen vermeiden: "Rüttelplatten" wie der Robopax, Federwiegen (Schlummerli, Swing2sleep oder Nonomo), Brio Bed Rocker die das Babybett hin und her wiegen oder Rockit oder das Lolaloo, welche den Kinderwagen oder das Bett sanft schaukeln lässt, ohne dass man selbst tätig werden muss. Zu diesen kann man bedenkenlos greifen - irgendwann werden auch Schreikinder ganz sicher in der Lage sein, ohne Hilfe einzuschlafen.
 
Die radikale Reduzierung von Reizen bringt bei den meisten eine massive Besserung des Schreiens. Zwar ist es nicht so schön, wenn man in den ersten Wochen quasi ans Haus gefesselt ist, aber auch diese Zeit wird vorüber gehen. Wir haben meist gar keine Vorstellung davon, wie wenig Reize ausreichen, um ein Kind zu überfordern. Allein ein Einkaufsbummel ist für das Kind ein enormer Stress - diese Reize zu verarbeiten ist unglaublich anstrengend. Nimm Dir Zeit, lass die Welt Welt sein - diese drei Monate gehören Dir und Deinem Kind. Ja - Du hast ein anstrengendes Exemplar erwischt, aber Du wirst diese Herausforderung meistern. Am Ende des Artikels kannst Du lesen, wie sich die Schreikinder entwickelt haben - das gibt hoffentlich Mut! 

Hunger bei Stillkindern 


Schreit ein Baby, dann ist eine der ersten Vermutungen eigentlich immer, dass es Hunger haben könnte. Mütter, die Flaschennahrung füttern, wissen, wie viel ihr Kind getrunken hat. Bei stillenden Müttern ist es etwas schwieriger, da man die getrunkenen Mengen nicht kennt und nicht weiß, wie viel Milch die Brust produziert.

An anderer Stelle habe ich ausführlich darüber geschrieben, wie man erkennt, ob ein Baby genügend Muttermilch bekommt. Ich hatte mich beim ersten Kind nämlich darauf verlassen, dass das Stillen vollkommen unkompliziert werden würde. Mein Kind wurde geboren und schrie die ersten 48 Stunden im Krankenhaus quasi durch. Sie lag Stunden an der Brust und nuckelte, daher kam ich gar nicht auf die Idee, dass sie Hunger haben könne. 

Schließlich ist so ein Babymagen ja anfangs noch so klein - da reicht doch das Kolostrum vollkommen aus. Tja - meinem Kind nicht. Es kam nicht genug und sie litt an Hunger. Auch die Hebammen meinten, dass das aber eigentlich nicht sein könne. Da sie aber schrie und schrie, rang ich mich durch, Glukose-Lösung zufüttern zu lassen und plötzlich war das Kind zufrieden und glücklich.

Für genau zwei Wochen, denn dann begann das abendliche Schreien. Bei mir war aber schon die mentale Verknüpfung hergestellt: Schreien=Hunger - also war ich der Meinung, meine Milch würde nicht reichen. Ich pumpte, ich massierte, ich trank Stilltee, sie brüllte, ich weinte... Ich haderte mit mir und hörte von allen Seiten, dass ich immer weiter anlegen, aber nicht zufüttern sollte. Nachdem beim Milch pumpen kaum etwas heraus kam, rang ich mich soooo schweren Herzens (ich hatte solche Angst um die gute Stillbeziehung, die ich mir von Herzen wünschte) doch durch, mal eine Pre-Milch anzubieten, einfach weil ich das Geschrei kaum noch ertrug. Sie verweigerte sie. Nun - so konnte ich dann wenigstens Hunger als Ursache ausschließen und musste weiter nach der Ursachen forschen - der ich ja dann näher kam. 

Gelegentlich denken Mütter, dass ihre Milch nicht ausreicht, wenn die Babys wenige Tage und Wochen nach der Geburt zum Teil ununterbrochen für 2 bis 3 Stunden an der Brust trinken. Sie scheinen dann nicht wirklich satt und zufrieden zu sein, schlummern ständig ein und wachen dann wegen Hungers wieder auf. Dieses Trinkverhalten ist ganz normal - man nennt es "Clusterfeeding". Das Clusterfeeding tritt vor allem in den ersten Tagen nach der Geburt und während der Wachstums- bzw. Entwicklungssprünge auf.
 
schreiendes Baby

Häufiges An- und Abdocken fördert die Ausschüttung des Hormones Prolaktin, welches die Milchproduktion anregt. Die volle Wirkung entfaltet sich erst 8 bis 16 Stunden später - mit den abendlichen Stillmarathons regt das Baby also die Langzeitproduktion der Milch an und sorgt für reichlich Nachschub am nächsten Tag. Daher sollte dieser komplexe Vorgang nicht durch Zufüttern gestört werden - Clusterfeeding ist notwendig, um die Produktionsmenge der Milch zu regulieren. Es heißt keinesfalls, dass das Baby zu wenig Milch bekommt! Man sollte einfach darauf vertrauen, dass das, was gerade geschieht wichtig und notwendig ist und keinesfalls bedeutet, dass die Milch nicht ausreicht. Selbst wenn die Milch vorübergehend zu wenig sein sollte - das häufige Saugen des Babys wird die Produktion anregen.

Häufig verzweifeln Mütter beim Gebrauch von Milchpumpen - auch ich habe es sehr selten geschafft, nennenswerte Mengen abzupumpen. Ursache dafür ist meist jedoch kein Milchmangel, sondern dass die Pumpe es nicht geschafft hat, den Milchspendereflex auszulösen - ohne fließt die Milch nur tröpfchenweise. Dazu kommt: Das Baby ist effektiver, als jede Pumpe - aus vermeintlich leer gepumpten Brüsten saugen Babys noch jede Menge Milch.

Anzeichen, dass die Nahrung nicht ausreichend sein könnte sind:
  • das Kind nimmt wenig, unregelmäßig oder gar nicht zu, 
  • die Augen sind eingesunken, 
  • die Schleimhäute sind trocken, 
  • Hautfalten bleiben stehen 
  • das Baby ballt die Fäuste
  • es ist dauerhaft unzufrieden,
  • es schläft sehr viel,
  • es wirkt apathisch, bewegt sich wenig, 
  • seltener Stuhlgang, 
  • der Haut fehlt Spannung, sie ist blass und 
  • der Urin ist nicht blass oder leicht gelb sondern dunkelgelb bis orange und riecht stark.
Ein mit ziemlicher Sicherheit sattes Baby erkennt man daran, dass bis zur 6. Lebenswoche etwa 3 Mal täglich Stuhlgang und 4-6 nasse Windeln hat. Wenn man unsicher ist, was "nass" bedeutet, kann man die leere und die volle Windel wiegen - es sollten ungefähr 300 ml Urin pro Tag ausgeschieden werden. Alarmierdend ist es immer, wenn sehr kleine Babys über Stunden trockene Windeln haben oder wenn sie ohne Tränen weinen.

Probleme mit der Feinfühligkeit, die Angst vor dem Verwöhnen und fehlendes Bauchgefühl 


Bindung und Feinfühligkeit 


Für Babys ist es überlebenswichtig, eine enge Bindung zu ihrer Mutter (oder einer anderen primären Bezugsperson) herzustellen. Bindung kann man sich als ein emotionales Band vorstellen, das Mutter und Kind miteinander verbindet. Laut John Bowlby, dem Begründer der Bindungstheorie, werden alle Babys dieser Welt mit der Bereitschaft geboren, sich eine Bindungsperson zu suchen. Denn nur, wenn es dem Kind gelingt, einen Menschen davon zu überzeugen, sich um sein Wohlergehen zu kümmern, kann es überleben. Das Aussenden von Bindungssignalen war und ist eine bedeutende Überlebensstrategie für unsere Kinder (vgl. Brisch, 2010: 12, 21f).
 
Mutter und Baby lachen sich an

Die primäre Bindungsperson (meist die Mutter) ist in der Regel diejenige Person, die sich am verlässlichsten und am feinfühligsten um die grundlegenden Bedürfnisse kümmert. "Feinfühlig" bedeutet, die Signale des Babys richtig zu entschlüsseln und unverzüglich darauf einzugehen. Nicht nur Hunger, Müdigkeit, Schmerz und eine volle Windel werden von dem kleinen Menschlein zur Sprache gebracht, vielmehr geht es auch um Körperkontakt, Wärme und Schutz. 
 
Eltern von Neugeborenen müssen zunächst durch Versuch und Irrtum herausfinden, was das Schreien zu bedeuten hat. In einem Wechselspiel zwischen Eltern und Kind lernen beide Seiten, die Signale zu entschlüsseln. Schon nach kurzer Zeit gelingt es den meisten Eltern, anhand der Stimmlage des Weinens zu erkennen, ob das Baby müde oder hungrig ist, ob es sich langweilt oder es frustriert ist. Je besser diese Decodierung klappt, desto stärker wird das Band der Bindung zwischen Eltern und Kind (vgl. ebd., 2010: 23f).

Gelingt es den Eltern jedoch nicht, das Baby zu verstehen und feinfühlig auf seine Bedürfnisse einzugehen, reagiert es mit vermehrtem Weinen. Diese Frustration können Eltern nicht bekämpfen - ihnen ist nicht wirklich klar, warum das Baby (in ihren Augen) so hysterisch reagiert. Das Kind wiederum spürt die Unsicherheit und das verängstigt es. Man erlebt es immer wieder - auch meine 5-Jährige reagiert umso nerviger, je gestresster ich bin. Das schaukelt sich manchmal bis zur Eskalation. Bei Babys kann das exzessive Schreien diese Eskalation von Unsicherheit und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden, sein. 

Es gibt eine Vielzahl an Promlemen psychischer Natur, die ein exzessives Schreiverhalten auslösen können. Schwelende Konflikte zwischen den Eltern, mit deren Eltern oder psychische Erkrankung der Mutter können ursächlich sein. Auch eine traumatische Geburt kann sich auswirken. Den Aufbau einer Bindung erschweren außerdem eine durch Sorgen belastete Schwangerschaft mit (Todes)Angst um das Kind oder lange Krankenhausaufenthalte. Während dieser Zeit schüttet die werdende Mutter vermehrt Cortisol aus (Stresshormon), was Regulationsstörungen begünstigt. Nach der Geburt sind frühe Trennungen von Mutter und Kind (durch Erkrankung des Babys oder der Mutter oder einer Frühgeburt) oft Ursache für vermehrtes Schreien. Wenn das bei Euch die Ursache sein könnte, kann ich die Bücher "Keine Angst vor Babytränen" und "Emotionelle Erste Hilfe" von Thomas Harms empfehlen!
 

Angst vor dem Verwöhnen 


Ein ganz spezielles Problem in unserer Gesellschaft ist die Angst vor dem Verwöhnen. Sie ist weit verbreitet und führt zu einer unterschwelligen Unsicherheit bei den Eltern, die ihnen oft nicht bewusst ist. Dabei kümmern sich die Eltern zunächst uneingeschränkt hingebungsvoll um ihr Neugeborenes - fragen sich aber nach und nach insgeheim manchmal, ob es wirklich gut ist, alle Bedürfnisse tatsächlich sofort zu erfüllen.

Snowqueen hat in ihrer Artikelreihe "Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern" sehr ausführlich darüber geschrieben, warum so viele von uns immer noch fürchten, dass wir unser Baby "verwöhnen" könnten. Wir haben Angst, dass sie sich an das Tragen gewöhnen, an das Auf-dem-Arm-Einschlafen, an das Mit-uns-im-Bett-Schlafen - wir fürchten, dass sie nie wieder etwas anderes wollen. Wir haben Angst, dass unsere Kinder zu Tyrannen werden, wenn wir ständig beim ersten Mucks sofort reagieren, dass sie sich angewöhnen im Mittelpunkt zu stehen und wir uns am Ende anhören müssen "was für verwöhnte Gören!"

Wahrscheinlich kennt jede frischgebackene Mutter diese Unkenrufe - sie sind in der älteren Generation sehr beliebt. Auch meine Mutter prophezeite mehr als einmal: "Ihr werden schon sehen, was ihr davon habt! Die Kinder werden ja total verzogen!" Sie bezog sich dabei auf das Herumtragen und das Stillen nach Bedarf. Heute weiß ich, dass sie mein Umgang mit meinen Kindern ganz einfach als Kritik an ihrer eigenen Erziehung betrachtet. Ich mache schließlich alles anders - das müsse ja zwangsläufig dazu führen, dass die Kinder nicht so wohl geraten können, wie ich es bin - schließlich wurde ich ja (nach ihrem Empfinden) sehr gut erzogen. Für sie ist es einfach schwer zu verstehen, dass sich die Erkenntnisse wandeln und vieles, was damals empfohlen wurde (Schmelzflocken, schreien lassen, Töpfchentraining) heute als schädlich betrachtet wird. Es anders als sie zu machen ampfand sie als Herabwürdigung ihrer Kompetenz - also wurde die Zukunft in düsteren Farben gemalt. Aber - mittlerweile ist meine Mutter relativ kleinlaut geworden. Ziemlich erstaunt musste sie feststellen, dass meine Kinder trotz meiner seltsamen Erziehung ganz "artig" seien. Sie sind nicht "artig" - sie sind kooperativ, aber den Unterschied erkennt sie nicht :-).

Unsere Umgebung macht es uns jedenfalls nicht leicht - da kennt immer jemand jemanden, der jemanden kennt, wo das Kind noch mit 7 Jahren im Familienbett schläft oder das Kind total verzogen ist, weil es zu sehr "verwöhnt" wurde weil Mama ja immer sofort springt. Und solche Worte - gerade von unseren Eltern oder Großeltern - lösen in uns Ängste aus, häufig auch ganz unbewusst.

Also denken wir viel zu häufig und vor allem viel zu früh darüber nach, ob es wirklich richtig ist, ein Kind immer sofort hochzunehmen. Es ständig zu tragen und es beim Einschlafen zu begleiten. Manchmal warten wir deshalb kurz, weil wir denken: "Ach, das Baby muss auch mal lernen zu warten!" Dann schreit es umso bitterlicher, weil es sich plötzlich im Stich gelassen fühlt und überhaupt nicht versteht, warum wir zögern. Es fürchtet um den Verlust der Feinfühligkeit und damit des bisher geknüpften Bandes, das es dringend zum Überleben braucht. Unsere kurze Verunsicherung, unser Zögern, unser Versuch, dem Kind ein Mindestmaß an Geduld beizubringen, richtet manchmal großen Schaden an, weil es dem Urvertrauen schaden kann. Erst recht sollten wir ein kleines Baby niemals allein weinen lassen. Ganz wichtig ist mir dabei die Betonung des "allein" - denn eine Schreibabymutter schrieb mir:

"Ich dachte ich, mach was falsch, zumal ich die Aussage, man solle sein Kind nicht schreien lassen, irgendwie falsch interpretiert habe als: "Du darfst nicht zulassen, dass dein Kind schreit!" Das setzte mich beim ersten Kind enorm unter Druck und ich dachte, ich mache alles falsch. Bis ich mal endlich verstanden habe, dass nicht ich dafür sorge, dass mein Kind schreit, sondern dass meine Aufgabe ist, es beim schreien zu begleiten und da zu sein. Und bei uns gab es ja das Mittel gegen das schreien: Körperliche Nähe. Aber auch das fiel mir zunächst schwer zu akzeptieren, das mein Großer nur mit körperlicher Nähe zufrieden war. Ich hatte auch Angst, dass ich ihn jetzt IMMER NUR herumtragen muss, was ja auch unbegründet war, denn Babys werden ja älter und entwickeln sich."
  
Wir müssen immer daran denken: Noch vor 500 Jahren lag die Kindersterblichkeit bei 50 % - da überlebten nur diejenigen, die am meisten Aufmerksamkeit forderten und eng an die Eltern gebunden waren. Dieses Verhalten hat die Evolution noch nicht beseitigt - obwohl unsere Kinder mittlerweile sicher aufwachsen, benehmen sie sich noch immer wie kleine Steinzeitmenschen.

Durch das für uns vermeintlich sinnlose Schreien, fühlen wir uns gestresst, dadurch fühlt sich das Baby gestresst - und das darauf folgende vermehrte Schreien führt dazu, dass wir denken: "Offensichtlich ist es wirklich falsch, immer sofort zu reagieren - schau, das Baby wird immer fordernder, obwohl ich ihm doch immer alles gebe!" Also scheint das manchmal der falsche Weg zu sein.

Dabei hat das Kind schlicht Angst, weil auf seine Bedürfnisse nicht mehr immer sofort reagiert wird. Es braucht die Eltern - sie sind überlebensnotwendig! Umso mehr wird es schreien, wenn versucht wird, das Kind auch mal warten zu lassen. Häufig wird dann Vorsatz unterstellt: "Schau, der weiß ganz genau, dass ich ihn hoch nehme, wenn er schreit - das macht er mit Absicht!" Nein! Kinder in diesem Alter sind noch gar nicht in der Lage etwas absichtlich zu machen - vorsätzliche Handlungen sind in den ersten Monaten absolut unmöglich. Es ist reine Angst und der Wunsch nach Nähe, der das Kind schreien lässt. Wird das Bedürfnis nur mit innerer Zerrissenheit erfüllt, spürt das Kind das und wird seine Bemühungen verstärken, die Bindung zu stärken, indem es immer mehr Nähe einfordert. So wird es schnell zum Schreibaby.

Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Ein Baby kann NIEMALS verwöhnt werden. Ein Baby braucht Nähe, Zuwendung und Liebe - ohne jede Einschränkung im ersten Lebensjahr. Die wirkliche Erziehung beginnt viel später. Die Ängste vorm Verwöhnen sind in diesem Alter vollkommen unberechtigt!  

Das Problem mit dem Bauchgefühl 


Was sehr vielen Eltern zu schaffen macht ist auch das Bauchgefühl. Wird man das erste Mal Mutter, denkt man sich meist ganz optimistisch: "Ich werde das Kind schon schaukeln. Mein Bauchgefühl reicht doch völlig aus - ich werde ganz instinktiv spüren, was mein Kind braucht. Das hat die Natur schließlich so eingerichtet!"

Neugeborenes schläft

Das ging mir auch so - umso tiefer saß der Schock, dass ich genau gar nichts spürte. Mütter von Schreikindern beschreiben es so: 

"Ich habe mich bei meinem ersten Kind wie eine vollkommene Versagerin gefühlt. Bisher hatte ich, bis auf das Schwangerwerden und -bleiben das meiste in meinem Leben recht souverän gewuppt und war mir vorher auch sicher, dass ich das Mamasein mit links schaffe und dann das." 

"Ich fühlte mich wie eine Versagerin, so unfähig und machtlos trotz unzähliger Versuche meine Babys nicht beruhigen zu können. Ich wünschte mir nichts mehr, als dass sie einfach mal aufwachten, ohne sofort loszubrüllen und einschliefen ohne stundenlanges Schreien."

"Ich bedauerte mein Kind darum, dass ausgerechnet ICH seine Mutter bin, die es ja scheinbar nicht zufrieden stellen kann. Ich habe darüber nachgedacht, wer sich besser um sie kümmern könnte..." 

Ich glaube durchaus, dass es eine gewisse mütterliche Intuition gibt - nichts ist verlässlicher, als das Gefühl einer Mutter "es stimme etwas nicht" mit ihrem Kind. Ich glaube auch, dass es einen Mutterinstinkt gibt, der uns über uns hinaus wachsen lässt, wenn es um den Schutz unserer Kinder geht. 

Ich glaube aber mittlerweile nicht mehr, dass es ein natürliches Bauchgefühl gibt. Wenn es das gäbe, müsste eigentlich jeder darüber verfügen - das ist aber nicht der Fall. Dieses vermeintliche Bauchgefühl setzt sich viel mehr ganz maßgeblich aus unterbewussten Einflüssen und Erfahrungen zusammen, daher haben viele Mütter das Gefühl, automatisch zu wissen, was zu tun ist und halten es für einen naturgegebenen Instinkt. Doch das funktioniert leider nur einfach und problemlos, wenn man eine entsprechend liebevolle Kindheit hatte und viele positive Erfahrungen sammeln konnte. Waren die eigenen Eltern nicht sehr feinfühlig und hat man wenig Umgang mit Babys, ist das "Bauchgefühl" u. U. eher sehr schwach ausgeprägt und wir fühlen uns schnell hilflos und als Versager. 

Was kann ich tun? 


Wenn Du Dich in diesem Abschnitt wieder erkennst, dann mach Dir zu allererst bewusst: Dein Baby ist vollkommen in Ordnung. Du hast nichts falsch gemacht, denn sein Verhalten basiert auf evolutionärer Prägung. Durch das Schreien will es sich an Dich binden und sein Überleben sicher stellen. Es ist nicht Dein Versagen, dass es weint, es ist ein Kommunikationsproblem! Du hast es nicht besser gewusst und Du kannst es anders machen. Wenn Dein Baby deswegen so viel weint, dann kannst Du lernen, es besser zu verstehen.

Wenn Du das Gefühl hast, dass Eure Kommunikation beeinträchtigt ist, dann beschäftige Dich intensiv mit den Anzeichen für Müdigkeit, Hunger, Langeweile und anderen Gemütszuständen. Notiere Dir, wie sich Dein Baby verhält, was Du getan hast, was geholfen hat. Sei aufmerksam, sprich viel mit Deinem Kind - es versteht schon mehr, als Du vermutest. Und es wird Deine Bemühungen honorieren. Da diese Probleme gar nicht so selten ist, gibt es Seminare, die man ggf. besuchen kann - geeignet sind bspw. SAFE-Elternkurse. Es gibt auch ein Buch zu dem Programm, das wirklich sehr gut ist: SAFE - Sichere Ausbildung für Eltern. 

Schmeiß etwaige Bedenken - und vor allem die Angst vor dem Verwöhnen - über Bord und sieh Dein Kind als das, was es ist: Ein vollkommen hilfloses Wesen, dass mit allen Mitteln versucht, Deine Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen. Dieser Prozess dauert nur wenige Monate - bald wird Dein Kind losziehen und die Welt entdecken und auch mal fünf Minuten ohne Dich sein können - so wie die nächsten hoffentlich 90 Jahre auch. Bis dahin gib ihm alle Nähe die Du geben kannst. Sprich mit Deinem Kind, herze es, knuddel es, sieh es immer und immer wieder an. Wenn Du seine Bedürfnisse ohne jeden Zweifel sofort erfüllst, wird es seine Sicherheit wieder gewinnen und sein Schreien hoffentlich weniger werden. Denk immer dran: Man kann einen Säugling NIEMALS verwöhnen! 

Körperliche Ursachen 


Es gibt eine Reihe von körperlichen Ursachen, die Schreien verursachen können. Die meisten sind so prägnant, dass sie schnell gefunden und behandelt werden können. Manchmal sind die Verläufe aber auch sehr unspezifisch, so dass bspw. ein Leistenbruch ohne weiteres für längere Zeit übersehen werden könnte. 

"Ich hab mir sehr viele Sorgen um sie gemacht, hatte einfach das Gefühl, dass sie kein glückliches Baby ist. Sie hat sich in alles total reingesteigert. Vom Kinderarzt habe ich mich damals nicht ernstgenommen gefühlt. "

 Leider nehmen einen Kinderärzte manchmal nicht wirklich für voll und erklären, dass die "Dreimonatskoliken" eben ausgesessen werden können. Wenn Du das Gefühl hast, Dein Kind leidet wirklich unter körperlichen Schmerzen, solltest Du Dir in solchen Fällen eine Zweitmeinung einholen.  

Wenn das Kind eher gleichmäßig über den Tag verteilt schreit, auch in der eigentlichen Ruhephase nachts (etwa 23 bis 4 Uhr), immer wieder schreit und das Schreien sehr schrill und verzweifelt ist, spricht das für Schmerzen. Ebenso, wenn es sich nicht durch die oben beschriebene Methode von Karp beruhigen lässt. Im Zweifel: geh in ein Krankenhaus und verlang eine umfassende Diagnostik.

Ich habe auch der Vollständigkeit halber einige Krankheiten aufgeführt, die vor allem plötzliches Schreien verursachen können, bei dem die Kinder kaum zu beruhigen sind. In diesen Fällen spüren die Eltern instinktiv, dass es den Kindern sehr schlecht geht und fahren normalerweise sofort in eine Klinik. Es gibt aber auch einige Ursachen, die bereiten permanent Unwohlsein und fallen daher nicht sofort und manchmal auch gar nicht auf. 

KISS-Syndrom und Blockaden 


KISS ist die Abkürzung für Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung und bezeichnet eine Fehlstellung im Bereich der oberen Halswirbelsäule. Diese wird in der Regel durch traumatische Geburten und eine lange Verweildauer im Geburtskanal verursacht. Das Syndrom ist hochumstritten - schulmedizinisch ist es nicht anerkannt, da es nicht nachweisbar ist und auch Studien zur Wirksamkeit der Heilmethoden nicht existieren. Alternativmediziner behandeln das KISS-Syndrom mittels manueller Therapie. Auch andere "Blockaden" können dazu führen, dass Kinder vermehr schreien. 

Folgende Symptome können auf ein KISS-Syndrom hinweisen (Quelle: Kiss-kid.de) 

  • Schiefhaltung des Kopfes bis zur Zwangshaltung 
  • Kopfhalteschwäche und/oder ausgeprägte Kopfrückbeuge 
  • Asymmetrie der Bewegungen von Armen und Beinen 
  • einseitig oder mittig abgeplatteter Hinterkopf 
  • einseitige Haltung des Rumpfes 
  • Reifungsprobleme der Hüftgelenke, oft einseitig 
  • Fehlstellung der Füßchen, bis hin zum Sichelfuß 
  • Schlafstörungen, Schreien im Schlaf 
  • Dreimonats-Koliken (Blähungen) und "Schreikind - Schreibaby" 
  • haarloser Kiss-Fleck am Hinterkopf (symmetrisch oder asymmetrisch) 
  • "Haare-Raufen", hohe Tastempfindlichkeit des Nackens 
  • Einseitige Schlafhaltung des Kindes 
  • Schädelasymmetrie, im Gesicht und/oder am Hinterkopf (seitlich abgeplatteter Hinterkopf) 
  • Gesäßfaltenasymmetrie 
  • ein kleineres Auge, das oft auch etwas tiefer zu liegen scheint 
  • Schlafhaltung wie ein nach hinten durchgebogenes "C", 
  • massives Durchstrecken nach hinten z.B. auf dem Arm oder im Bettchen 
  • Kind kann nur an einer Seite gut gestillt werden, da es nicht entspannt liegen kann; es überstreckt sich und schluckt viel Luft 
  • "Head banging", d. h. es schlägt den Kopf z.B. gegen die Gitter des Bettchens 
  • stereotype Kopfbewegungen vor dem Einschlafen 
  • Drehen sich nur über eine Seite (Lieblingsseite) 
  • Übermäßiges Sabbern, Probleme beim Schlucken 
  • Schreien beim Autofahren und im Kinderwagen 
  • Sabbern, Schluckschwierigkeiten, häufiges Erbrechen.
 
In der Medizin heißt es: "Wer heilt, hat Recht" - und ich kenne ganz viele Erfahrungsberichte, wo eine osteopathische Behandlung aus Schreikindern bei der ersten Sitzung schon glückliche Babys machte. Manchmal waren mehrere Sitzungen erforderlich um die Schreidauer deutlich zu reduzieren, bei anderen Kindern hat es rein gar nicht geholfen. So oder so - bei einem Schreikind ist die Vorstellung bei einem Osteopathen wirklich zu empfehlen - viel hat man dabei nicht zu verlieren (außer ein paar Euro).

Mein Sohn wollte in den ersten Wochen nie getragen werden, immer wenn ich ihn hoch nahm, weinte er bitterlich. Ich fand das sehr seltsam, eben weil ich wusste, dass es normalerweise ein Grundbedürfnis von Babys ist, getragen zu werden. Eine Osteopathin stellte eine Blockade in der Schulter fest, behandelte diese und ich (eigentlich eher ausschließlich der Schulmedizin zugewandt) muss sagen, dass mein Kind wirklich wie verwandelt war - die Behandlung hat bei ihm definitiv etwas bewirkt.

Eine Liste spezieller KISS-Ärzte findet ihr hier - die Kosten für eine Erstuntersuchung liegen bei etwa 40 - 80 EUR, das sagt man Euch aber genauer am Telefon.  

Mittelohrentzündung 


Ohrenschmerzen ist so ziemlich das gemeinste, was man haben kann - entsprechend schmerzhaft ist es auch für unsere Babys. Leider können sie uns nicht gezielt mitteilen, wo es denn weh tut. Nur dass - und das machen sie durch ausdauerndes Schreien. Ursache dafür kann auch eine Mittelohrentzündung sein. Normalerweise erkennt man eine solche an Unruhe, Weinen und Fieber. Viele Babys reiben sich die Ohren, so dass diese gerötet sind.

Gegen die Schmerzen hilft Paracetamol (im ersten halben Jahr kein Ibuprofen!), ansonsten sollte man unbedingt einen Arzt ins Ohr schauen lassen, wenn man eine Mittelohrentzündung vermutet. Hat das Baby kein Fieber - was durchaus vorkommen kann - ist die Entzündung nur dadurch zu erkennen. U. U. muss ein Antibiotikum gegeben werden. 

Harnwegsinfektion/Blasenentzündung 


Eine Blasenentzündung ist noch etwas gemeiner, als eine Mittelohrentzündung - und sie ist noch schwieriger zu erkennen. Meist haben die Kinder Fieber und keine sonstigen Symptome. Sie schreien womöglich beim Wasserlassen - was wir wegen der Windel ja dann nicht merken und daher keinen direkten Zusammenhang erkennen. Hellhörig sollte man werden, wenn regelmäßig kurz schrill aufgeschrien wird. Der Urin riecht dann auch manchmal ungewöhnlich. Gelegentlich kommen auch Erbrechen, starke Müdigkeit, Gereiztheit und Gelbsucht hinzu. Die Babys trinken schlecht und nehmen wenig zu. Ist die Erkrankung weiter fortgeschritten, kann man ggf. Blut in der Windel finden. Fieber ist bei Neugeborenen und in den ersten Monaten sehr ungewöhnlich - ab 38 °C sollte man daher immer einen Arzt konsultieren.

Die Diagnose erfolgt durch eine Urinprobe, die Behandlung durch ein Antibiotikum. 

Milcheiweiß-Unverträglichkeit 


Bei einer Milcheiweißallergie reagiert der Körper auf die Proteine der Kuhmilch in der Säuglingsnahrung oder der Muttermilch. Man erkennt eine Unverträglichkeit nicht so einfach, da die Symptome vielfältig sein können. Häufig treten dabei Erbrechen und Durchfälle, die mit Blut durchsetzt sein können, auf. Häufig kommt es zu einer mangelnden Gewichtszunahme. Es können Hautausschläge wie Ekzeme und Rötungen mit Juckreiz auftreten. Auch die Atemwege sind gelegentlich betroffen. Bei meinen Recherchen zu diesem Artikel bin ich über die Aussage gestolpert, dass bei etwa einem Drittel (!) aller Schreibabys eine Milcheiweißunverträglichkeit oder ein Laktasemangel vorliegt. 

Bei einer Milcheiweiß-Unverträglichkeit schreit das Baby viel - vor allem nach den Mahlzeiten. Meist trinken die Kinder auch ungern, weil sie instinktiv spüren, dass die Milch ihnen Unwohlsein verursacht. Das Kind muss in diesem Fall spezielle Babynahrung, die keine Kuhmilchproteine enthält, bekommen (bspw. Neocate). Auch in der Muttermilch sind Kuhmilch-Proteine enthalten, wenn die Mutter diese verzehrt, weswegen auch Stillkinder mit einer Unverträglichkeit reagieren können. Hier schafft der konsequente Verzicht der Mutter auf Milchprodukte rasche Linderung.

Wenn Du den Verdacht hast, dass Dein Kind an einer Unverträglichkeit leidet, dann bringt eine Ausschlussdiät meist Klarheit - Flaschenmütter wechseln auf eine milchfreie Spezialnahrung (bitte mit dem Arzt absprechen) und beobachten die Symptome, Stillmütter verzichten konsequent auf Milchprodukte. 

Gastroösophagealer Reflux  


Ein gar nicht so seltener und häufig nicht erkannter Grund für exzessives Schreien ist der gastroösophagealen Reflux (auch GERD) genannt. Dabei fließt die gefütterte Milch vom Magen zurück in die Speiseröhre, weil der Schließmuskel noch nicht ausgereift ist. Das untere Ende der Speiseröhre entzündet sich und verursacht Schmerzen - das Baby schreit vor allem nach den Mahlzeiten. Es spuckt außerdem verstärkt oder erbricht schwallartig. Das Spucken kann aber auch fehlen, was die Diagnostik erheblich erschwert. Weitere Symptome sind Husten (vor allem nachts) und krampfartiges Zurückbeugen des Kopfes oder Oberkörpers nach dem Füttern (Überstrecken). Häufig nehmen Kinder auch eher zögerlich zu.

Man diagnostiziert die Refluxkrankheit unter anderem mit der 24-Stunden-pH-Metrie. Dabei wird der Säuregehalt (pH-Wert) der unteren Speiseröhre 24 Stunden lang ständig durch Sensoren gemessen, um den Rückfluss von Mageninhalt nachzuweisen.

Die Krankheit verwächst sich in der Regel selbst durch die Reifung der Muskulatur des Magenpförtners. Bis dahin kann man säurehemmende Medikamente geben und die Milch andicken (bspw. mit Nestargel). In schweren Fällen kann eine Operation erforderlich sein. 

Verstopfung 


Ein neugeborenes Baby sollte in den ersten Lebensmonaten etwa 3 Mal am Tag Stuhlgang haben. Bei gestillten Kindern kommt es in der Regel nicht zu Verstopfungen, bei Flaschenkindern kann dies jedoch vorkommen. Der Stuhl kann deutlich schwerer abgesetzt werden, das Kind quält sich ganz offensichtlich damit.

Ist die Verstopfung ein dauerhaftes Problem, sollte die Milchsorte gewechselt werden. Kommen nur zeitweise Verstopfungen vor, kann man erwägen, der Flaschenmilch etwas mehr Wasser, als auf der Packung beschrieben, beizufügen (Achtung - umgedreht darf man nie mehr Milchpulver als vorgesehen verwenden!). Das Abführen erleichtern Zäpfchen und Miniklistiere - bitte unbedingt mit dem Arzt vorher besprechen. 
 
Baby sitzt auf Sofa und weint

Leistenbruch 


Beim Leistenbruch handelt es sich um eine Ausstülpung der Bauchfells im Leistenkanal, das den Bauchraum auskleidet. Diese Ausstülpung kann auch Darmteile enthalten und ist in diesen Fällen äußerst schmerzhaft, wohingegen sie sonst auch unbemerkt und schmerzlos sein kann. Vor allem Jungen leiden darunter und werden manchmal schon damit geboren. Man erkennt einen Leistenbruch in Einzelfällen recht schwierig. Am offensichtlichsten ist eine Schwellung in der Leistengegend, die manchmal bis in den Hoden- oder Schamlippenbereich reicht. Diese Schwellung kann auch vorübergehend wieder verschwinden und später erneut auftauchen. Sie sollte nie bewegt ("zurückgestopft") werden, da Organe eingeklemmt werden können. Wenn sich die Geschwulst hart anfühlt oder violett aussieht, sollte man unbedingt sofort zum Arzt gehen. Kinder mit Leistenbrüchen sind unruhig, schreien viel und es kann zu Erbrechen kommen. 

Abhilfe schafft in den meisten Fällen leider nur eine Operation. 

Hodentorsion 


Eine Hodentorsion ist extrem schmerzhaft und sehr schwer zu erkennen. Der Hoden dreht sich dabei um seinen Stiel - das ist der Teil, der den Hodensack mit dem Bauch verbindet. Dadurch werden die Blutgefäße abgeklemmt und es kommt zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff. Der Hoden ist geschwollen, steht ggf. ab und ist an der verdrehten Seite gerötet.

Eine Torsion kann schon nach wenigen Stunden bleibende Schäden verursachen und muss behandelt werden. Dies ist - ja nach Befund - manuell oder operativ möglich. 

Darmverschluss 


Ist der Darm von seinem Inhalt nicht mehr durchgängig passierbar, spricht man von einem Darmverschluss. Bei Kindern ist eine plötzlich auftretende Einstülpung die häufigste Ursache. Die Symptome sind starke Bauchschmerzen, bei denen sich die Kinder zusammenkrümmen. Zuerst wird der Mageninhalt erbrochen, dann Galle und später enthält das Erbrochene dann Darminhalt. Kalter Schweiß, blasse Gesichtsfarbe und wellenartiges Auftreten der Beschwerden sind typisch. Zwischendurch kann das Kind auch vollkommen beschwerdefrei sein. Der Bauch wirkt aufgebläht, da der Darminhalt aufgestaut wird. Manchmal erleidet das Kind einen Schock wegen der Schmerzen. Ein absolutes Spätsymptom ist ein himbeergeleeartiger Schleim, der aus dem After austritt.

Dem Kind geht es normalerweise so schlecht, dass man in jedem Falle in ein Krankenhaus fährt.  

Schreiambulanzen - der Retter in der Not? 


Schreiambulanzen findet man mittlerweile fast flächendeckend in Deutschland. Grundsätzlich finde ich eine solche Institution extrem wichtig - Eltern von Schreikindern fühlen sich häufig sehr hilflos und haben so eine Anlaufstelle, wo man sie (hoffentlich) ernst nimmt. Leider arbeiten diese Schreiambulanzen sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt richtig gute, die sich intensiv mit Kind und Eltern auseinander setzen, sie beobachten und hilfreiche Tipps geben. Häufig hilft es Eltern ja schon, ihr Herz auszuschütten, dass ihnen jemand zuhört und vor allem ernst nimmt (was leider auch viele Kinderärzte nicht tun).

Mitarbeiter einer guten Schreiambulanz nehmen sich Zeit, beobachten die Interaktion von Mutter und Kind und unterstützen ggf. bei der Erstellung eines festen Tagesplanes, um die Überreizung/Übermüdung zu minimieren.

Leider gibt es auch Schreiambulanzen, in denen das "Problem Schreikind" mit Abwandlungen der Ferber-Methode gelöst werden soll. Dabei wird das Kind ins Bett gelegt, alleine gelassen und erst nach einem festen Minutenplan wieder zum Kind gekommen. Diese Methode ist höchst umstritten - warum man Kinder niemals alleine schreien lassen sollte, darüber habe ich im Artikel Schreien lassen ausführlich geschrieben.

Bevor ihr mit einer Schreiambulanz in Kontakt tretet, beschäftigt Euch mit dem Ferbern, damit ihr es als solches erkennt. Rät man Euch dazu, lehnt es ab - es ist es niemals wert, eine arme Kinderseele so zu quälen. 

Wie soll man das Schreien denn ertragen? 


Manchmal hilft leider keine der beschriebenen Maßnahmen und man findet nicht heraus, wo das Problem liegt. So bitter das ist, aber dann bleibt einem nichts anderes übrig, als es irgendwie zu überleben.

"Mit 6 Wochen schrie sie auch tagsüber viele Stunden. Sie hatte Koliken und dass das Ganze mit 12 Wochen besser werden soll, tröstete mich übrigens gar nicht! Für mich war es, als würde jemand sagen, in 12 Jahren ist alles gut. Ein paar Wochen können sooo lang sein. Ich war übermüdet, gereizt, psychisch sehr labil". 

Auch wenn es während des Schreiens so schwer fällt zu realisieren - es ist tatsächlich so, dass es vorbei gehen wird, das sollte man sich immer und immer wieder bewusst machen. Man muss mit den Kräften haushalten - schreit das Kind 3 Stunden lang, dann ist es wenig sinnvoll, wenn beide Eltern zusammen versuchen, das Kind zu beruhigen. Es ist für beide kraftsparender, wenn "Schichten" übernommen werden. Auch, weil dann immer ein Ende abzusehen ist. Während Mama von 18 bis 19 Uhr beim Kind ist, kann Papa das Haus verlassen. Die Aussicht, das Kind um 19 Uhr in jedem Falle abgeben zu können, lässt das Geschrei besser ertragen. So kann man sich abwechseln, bis das Baby endlich schläft.

Hier noch ein paar Tipps von unserer Leserin Simone:

"Nun ja und ungewöhnliche Situationen, erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Ich habe mir ein Wutkissen angeschafft! Es ist relativ groß und relativ fest. Immer dann, wenn ich Wut gegenüber meinem Sohn verspürt habe, habe ich mir das Kissen geschnappt und darauf eingeschlagen, bis zur völligen Erschöpfung. Man glaubt kaum wie gut man darüber seine Emotionen abbauen kann.

Dann habe ich, wenn mein Mann mit den Kindern aus dem Haus war, richtig harte Musik aufgelegt. Ich hab Sie aufgedreht und eine halbe Stunde mir die Seele aus dem Leib getanzt und gesungen. Ich habe mir Ohropax zugelegt. Ich konnte meinen Sohn trotzdem schreien hören, es war aber etwas gedämmt!

Ich habe mir Ruheinseln verschafft. Das ist ja auch so eine Sache! Keiner will so ein Baby betreuen. Alle haben Angst. Ich habe dann trotzdem meine Mutter dazu verdonnert! Diese 1 Stunde würde Sie das schon schaffen! Mein Mann nahm den kleinen nach der Arbeit dann auch, so kam ich dann am Tag auf ca. 1 ½ -2 Stunden!"

Das ist ein sehr wichtiger Tipp - man braucht unbedingt Ruheinseln. Ein Schreibaby ist kein Grund, sich zu schämen, sondern ein Grund, sich Hilfe zu holen. Am besten eigenen sich Freundinnen, die selbst Kinder haben - die können bestenfalls nachempfinden, wie man sich in dieser Zeit fühlt. Auch Organisationen wie Wellcome können unterstützen. Jede Stunde, die jemand anderes Dein schreiende Baby betreut ist dabei wichtig und hilft Dir, Kraft zu schöpfen.

Auch sehr wichtig ist, seine Wut in den Griff zu bekommen. Stundenlanges Schreien macht aggressiv - das habe ich selbst erlebt. Ich war so erschrocken über diese Gefühle - ich habe mein Kind sekunden- manchmal auch minutenlang gehasst. Es fiel mir aus Überforderung anfangs wahnsinnig schwer, eine Bindung aufzubauen. Auch andere Mütter von Schreibabys berichten:

"Zunehmend stieg die Wut und die Aggression gegen mein eigenes Kind. Man hat alles durch. Angefangen von Sab Simplex Tropfen über Fenchel-Kümmel-Anis-Tee, Bauchmassagen, Kirschkernkissen, Fahrrad fahren mit den Füßchen, Tragen, Fliegergriff, Schuckeln, die 5-S von Karp, Kiwa fahren bis die Beine gefühlt, abfallen, wenig Reize, Osteopathen, Kinderarzt, Krankenhaus, bis hin zur Schrei-Ambulanz. Und es hilft einfach nichts!" 

Snowqueen hat einen Artikel über die elterliche Wut geschrieben - dort findet man auch ein paar Strategien zur Wutbewältigung. Wichtig ist, seine Grenze zu kennen. Wenn man nicht mehr kann, weil man absolut am Ende ist, dann muss man für ein paar Sekunden oder Minuten verschnaufen, bis man sich wieder im Griff hat. Das sind die einzigen Momente, in denen Babys einfach mal alleine schreien müssen.

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch einen Artikel der Seite Geburtskanal verlinken: Tränenreiche Babyzeit - Warum weinen Babys mehr als Eltern erwarten? Über die Problematik der schreienden Babys. Ich habe des Öfteren gelesen, dass dieser einigen Eltern weiter geholfen hat. Es wird die Methode des "Haltgebens" beschrieben, bei der das Schreien einfach als Gefühlsäußerung angenommen und nicht versucht wird, es abzustellen. Man soll also das Kind sich seinen Kummer von der Seele schreien lassen und hält es dabei fest.  

Die Autorin geht davon aus, dass unsere Babys nicht getröstet, sondern angehört werden wollen. Daher sollte ihnen einfach nur zugehört werden. Grundsätzlich spricht nichts gegen die Methode, sie ist sicher einen Versuch wert, wenn die 5-S von Karp bspw. nicht funktionieren sollten. Ich habe zwar ein Problem mit der Annahme, dass das Schreien eine Art "Erzählen" ist - denn das wäre evolutionär nicht sinnvoll - aber die Methode ist unschädlich, weil elterliche Nähe gegeben wird. Daher ist sie durchaus einen Versuch wert.

Ich möchte auch gerne anbieten, dass man mich bei Verzweiflung oder Fragen wegen der Schreiproblematik jederzeit eine E-Mail schreiben kann. Es gibt außerdem ein Forum speziell für die Problematik von Schreikindern - bei www.forum.vonanfang.de findet ihre kompetente Hilfe.  

Es gibt ein Leben nach dem Schreien! 


"Mit einem Jahr war der Spuk vorbei. Alles war gut. Ich habe ein besonders aufgewecktes, lautstarkes, temperamentvolles, wenig schlaf-orientiertes, neugieriges, empfindsames (auch sehr empfindliches) liebes, aktives (nicht hyperaktives), willensstarkes Kind, das nie pflegeleicht war, eine starke Trotzphase hatte und das Freiheiten braucht, um die Welt zu entdecken. Aber es sind alle Kinder anders und es ist ihr Temperament, das kann man nicht ändern. Und eigentlich ist es nicht mal so schlecht, sie ist wirklich sehr aufgeweckt und ich bin stolz auf sie."

"Heute habe ich das Gefühl, dass uns nichts mehr was anhaben kann, wir haben das Schlimmste überstanden und sind gestärkt und gelassen daran gewachsen."

"Mit 14 Wochen zeigte sich dann schnell Besserung und ich begann, das Muttersein zu genießen. Meine Depression verflog mit jedem Tag."

Mutter mit Baby im Herbstlaub
 
"Heute, 1 ½ Jahre später ist unser Sohn ein kleiner Sonnenschein. Ich hätte mir das nicht träumen lassen, dass er mal so entspannt sein kann. Im übrigen, habe ich nie an der Liebe zu meinem Sohn gezweifelt Ich möchte die Zeit nicht zurück, sie war nicht schön. Möchte aber unseren Sohn nicht missen! Und ich bin heute um eine Erkenntnis reicher. Andere hätten es auch nicht besser gekonnt, was ich aber lange Zeit dachte!"

"Meine Kleine ist inzwischen die zauberhafteste Maus, die man sich vorstellen kann. Sie ist extrem sensibel, reagiert sehr empfindlich auf Geräusche, beobachtet unheimlich intensiv, kann sich schlecht abgrenzen/Reize ausblenden, braucht sehr viel Körperkontakt. Ich sehe darin im Nachhinein die Gründe für das viele Schreien - hohe Sensibilität, verbunden mit der Unfähigkeit Reize auszublenden und dadurch totale Übermüdung und die Unmöglichkeit einzuschlafen."

Sehr bewegt haben mich die Erfahrungsberichte in den Kommentaren - vielen Dank dafür! 

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo das Kind nicht mehr schreit. Bei manchen nach 3 Monaten, bei anderen nach einem Jahr, einige wenige Kinder schreien auch noch länger - aber die Intensität nimmt dabei immer ab.

© Danielle