"Kleine Kinder sind große Lehrer - Das Genie der frühen Jahre" - Marco Wehr

Als Blogger, die regelmäßig Rezensionen zu Büchern über Kinder schreiben, erhalten wir den einen oder anderen Newsletter mit den Neuerscheinungen der Verlage zu diesem Thema. In dem vom Beltz-Verlag stolperte ich über ein Buch, das sehr interessant klang: Kleine Kinder sind große Lehrer: Das Genie der frühen Jahre.
 
"Der Philosoph, Physiker und Tänzer, Dr. Marco Wehr, beobachtet Kinder beim Lernen und macht eine erstaunliche Feststellung: Ihre Lernstrategien und die der großen Meister sind dieselben. In seinem Buch zeigt er, wie Eltern und Lehrer dieses wertvolle Wissen in ihrem Alltag mit Kindern nutzen und selbst einen neuen Zugang zum Lernen finden".
 
Ein Philosoph (!), Physiker (!) und Tänzer (!) schreibt ein Buch über das kindliche Lernen? Wir haben uns in diesem Artikel ja recht ausführlich mit dem kindlichen Lernen auseinander gesetzt und daher machte mich das Buch schon sehr neugierig. Der Beltz-Verlag schickte uns freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zu - das ihr wie (fast) immer gewinnen könnt - mehr dazu am Ende unserer Rezension. 

 

Das Buch

 
Das Buch ist mit 155 Seiten relativ kompakt und in 17 übersichtliche, kurzweilige Kapitel unterteilt. In den ersten Kapiteln geht es um die Frage, wie Kinder erfolgreich lernen. Dabei stehen weniger die aktuell diskutierten pädagogischen Konzepte im Vordergrund, sondern vielmehr die Feststellung, dass das Bedürfnis zu Lernen evolutionär in uns verankert ist. Uns ist es in der Regel gar nicht bewusst, wie hoch komplex und kompliziert die menschliche Entwicklung ist. Stattdessen erscheint uns die kindliche Entwicklung im Vergleich zu anderen Tieren extrem langsam:
"Das Kind beginnt ungelenk über den Boden zu robben und unbeholfen zu greifen. Es schmeißt alles um, was nicht niet- und nagelfest ist. Irgendwann torkelt es durch die Gegend, steckt bevorzugt verbotene Dinge in den Mund, während es zu einer buddhistischen Meditationsübung werden kann, das Kind mit Essbarem zu füttern. Und alles wird von permanentem Geschrei, Gesabber und Gebrabbel begleitet." (S. 12)
Warum Kinder scheinbar so umständlich lernen, versucht der Autor anhand eines Vergleichs mit Meeresschnecken, Katzen und Schimpansen zu erklären. Während Meeresschnecken nur über einfache Nervenknoten verfügen, die ihnen erlauben, simple Sachverhalte vorherzusagen, sind Katzen schon in der Lage, gemachte Erfahrungen differenziert abzuspeichern und wieder aufzurufen. Schimpansen hingegen sind so weit entwickelt, dass sie ihre Erfahrungen sogar durch rudimentäre Kommunikation weiter geben können und somit Wissen vermittelt werden kann, ohne dass etwas selbst erlebt worden sein muss. Menschen hingegen haben komplexe Informations- und Kommunikationsstrukturen - Kinder lernen daher auch viel, das sie nicht selbst erleben.
 
Wie komplex die kindliche Entwicklung tatsächlich ist, das wird dem Leser mit der Frage vor Augen geführt, was denn komplizierter sei - gegen Garry Kasparow im Schach zu siegen oder im Dunklen einen Hosenknopf zu öffnen. Mittlerweile hat Kasparow keine Chance mehr gegen hochentwickelte Computer. Einen Roboter, der in der Lage ist, einen Knopf zu öffnen, wird es hingegen noch lange nicht geben. Fähigkeiten, die uns selbstverständlich erscheinen, sind das Ergebnis hochkomplexer motorischer oder kognitiver Prozesse - diese zu erlernen ist extrem aufwändig. In den ersten drei bis vier Lebensjahren eignen sich Kinder also eine Vielfalt sensomotorischer Meisterleistungen an. 
 
Dabei werden sie maßgeblich vom Umfeld geprägt. Eskimo-Kinder lernen alles, das für ihre Lebensbedingungen erforderlich ist - ebenso wie Kinder in afrikanischen Wüstenstämmen. Kinder lernen dabei hauptsächlich durch Imitation - und das im Grunde ganz allein, wenn der Input altersgerecht erfolgt. Für einige Fähigkeiten gibt es sensible Fenster - Kinder mit denen bis zum Alter von 3 Jahren nicht gesprochen wurde, schaffen es nicht mehr, sich diese Fähigkeit vollständig anzueignen. Das sollte jedoch nicht als Rechtfertigung für einen Frühförderwahn gelten. Vielmehr sind Kinder so konzipiert, dass sie sich alle notwendigen Fertigkeiten von allein aneignen - wenn man sie denn lässt.

Für erfolgreiches Lernen sind vor allem "die 4 Z" notwendig: Zeit, Zuneigung, Zuwendung und Zutrauen. Wesentlich für die Entwicklung ist, dass Kinder ihren Bewegungsdrang ungestört ausleben können. Übertriebene Fürsorge und ständige Bemutterung beeinflussen die Motorik nachhaltig. Daher ist es wichtig, Kindern viel zuzutrauen und sie viel allein machen zu lassen.

Wichtig ist außerdem, sie immer wieder zu ermutigen - Misserfolge sind beim Lernen vorprogrammiert. Nur durch ständige Wiederholung und dem Erleben, was nicht geht, wird gelernt, wie etwas am besten geht. Werden Misserfolge ständig und bedauernd kommentiert, verliert sich die kindliche Unbekümmertheit. Ständige Wiederholungen sind - so langweilig sie uns Erwachsenen erscheinen - essentiell für das Lernen.

Übung macht den Meister - das größte Talent nutzt nichts, wenn nicht auch immer und immer wieder geübt wird. Auch Ausnahmetalenten (Einstein, Mozart) fällt nicht alles einfach wie von selbst zu - hinter den größten Erfolgsgeschichten steckt auch immer jede Menge Ehrgeiz, Hartnäckigkeit und Fleiß. Im Grunde erweitern erfolgreiche Erwachsene ihre Fähigkeiten auf die gleiche Art und Weise, wie kleine Kinder.

Kinder lernen, indem sie ständig Dinge tun, die sie noch nicht können - nur so entwickeln sie sich. Und diese Entwicklung fordert und fördert das Gehirn - bei Erwachsenen ebenso, wie bei Kindern. Diese Lernstrategie ist besonders erfolgreich, erfordert aber eine große Misslingenskompetenz und vor allem eine hohe Motivation. Diese Dinge werden im heutigen Schulsystem nicht berücksichtigt - es wird eine geringe Fehlerquote angestrebt, um den Prozess zu optimieren und die Motivation der Schüler wird durch starre Lehrpläne und unflexible Lehrer nicht gefördert. Außerdem fehlt den Lehrern Begeisterungsfähigkeit so dass Schulen meist reine Wissens-Eintrichterungsanstalten sind.

Deutschland vergleicht sich durch PISA, versucht mehr und mehr ideale Nachwuchskräfte für die Wirtschaft regelrecht am Fließband zu produzieren. Die Frage, was unsere Kinder wirklich brauchen und vor allem wollen, gerät immer mehr in den Hintergrund.
 

Meine Meinung zum Buch


Das Buch ist ein recht kurzweiliger Blick auf das Lernen, darauf wie und warum es bei Kleinkindern so effizient funktioniert. Durch die lockere Schreibweise schafft es der Autor, die Aufmerksamkeit zu fesseln und interessant zu unterhalten. Er schweift gelegentlich zu persönlichen Anekdoten ab, die aber thematisch gut passen.

Wie immer bei solchen Themen, kann ich in Bezug auf das Meiste nur immer wieder zustimmend nicken. Es bleibt das Gefühl der Frustration, der Ohnmacht und der Hilflosigkeit. Leider werden auch in diesem Buch keine schnell realisierbaren Lösungen geboten, so dass ich nichts anderes tun kann, als innig zu hoffen, dass mein Kind in der von mir favorisierten Schule angenommen wird. Wissen macht manchmal traurig.

Wer das Buch käuflich erwerben will, unterstützt uns ganz nebenbei, wenn er es über diesen Link tut.

 © Danielle

Kindergarten und Krippe - Wenn Probleme auftreten


Eingewöhnung und Zuschreibung negativer Motive - Teil 1


Zwei Kinde vor einer KitaWenn man sein Kind in die Fremdbetreuung gibt, ist es klar, dass man in vielen Fällen auch Abstriche machen muss, was die eigene Erziehungsphilosophie angeht. Die meisten von uns versuchen, ihre Kinder möglichst bedürfnisorientiert aufwachsen zu lassen, was in einer Kleinfamilie meist kein Problem darstellt. Dass das in einer Gruppe mit 15 bis 20 Kindern und zwei Erzieher/innen so nicht möglich ist, ist verständlich. Trotzdem gibt es manchmal Situationen, in denen man als Elternteil denkt: "Hätte das nicht auch in der Kita irgendwie anders gelöst werden können? Muss mein Kind das so aushalten? Oder sollte ich als Elternteil ein entschiedenes Veto einlegen?"

In Bezug auf die Fremdbetreuung allgemein haben wir uns bereits mit der Frage auseinandergesetzt, ob diese unseren Kindern schadet oder unglücklich macht. In der jetzigen Artikel-Serie möchte ich speziell auf Situationen, zu denen ich immer wieder im Zusammenhang mit Kindergarten und Krippe befragt werde, eingehen und abwägen, was davon von Eltern und Kindern "ertragen" werden muss, und was nicht.

Dabei geht es mir nicht, darum, die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher schlecht zu machen oder gegen Fremdbetreuung zu sprechen. Ich weiß, dass die Mehrzahl der Erzieher/innen in den Krippen und Kitas tagtäglich sehr gute Arbeit leistet! Es gibt aber eben auch ein paar wenige schwarze Schafe, oder solche, die es zwar gut meinen, aber nicht auf dem neusten Stand der Wissenschaft stehen. Ich möchte einfach aus meiner professionellen pädagogischen Sicht aufzeigen, was in der Fremdbetreuung einfach nicht anders geht und was Kindern nicht zugemutet werden muss, weil es auch mit 20 Kindern in einem Raum andere Wege gibt. 


Die Eingewöhnung 


Ich finde es bedenklich, dass immer noch nicht alle Erzieher/innen wissen, wofür die "Eingewöhnung" eigentlich gedacht ist. Zugegeben, das Wort verwirrt ja auch ein bisschen. Es suggeriert, dass sich das Kind an den Kindergarten, den Gruppenraum und die Erzieherin oder den Erzieher "gewöhnen" soll. So antworteten 9 von 10 von mir befragten Erzieher/innen auf meine Frage auch tatsächlich, dass die Eingewöhnungszeit dafür da ist, dass das Kind die Abläufe der Gruppe und die anderen Kinder kennen lernt, so dass es sich dort wohl fühlt.

Diese Antwort ist natürlich nicht gänzlich falsch, doch sie lässt den wichtigsten Punkt außen vor: Die Eingewöhnungszeit soll dem Kind die Möglichkeit geben, sich unter angenehmen Bedingungen und ohne Stress an eine neue Bezugsperson (die Erzieherin / den Erzieher) zu binden. Es geht primär um sichere Bindung! Denn nur, wenn das Kind eine bedeutungsvolle Liebesbeziehung zu seiner Erzieherin / seinem Erzieher aufbaut, kann es ohne nennenswerten inneren Stress den Tag ohne seine primären Bindungspersonen verbringen, seine Umwelt erkunden und lernen. Der bekannte Raum und die anderen Kinder geben dabei zusätzlichen Halt, ersetzen aber nicht die Beziehung zur Erzieherin / zum Erzieher.


Der Aufbau einer Bindung benötigt Zeit, deshalb hat sich in der Eingewöhnung in guten Kitas das "Berliner Modell" bzw. das Münchener Modell nach Beller als Standard durchgesetzt. Diese Konzepte erstrecken sich über mindestens vier Wochen, in denen die Mutter oder der Vater anfangs im Gruppenraum (passiv) zugegen ist und sich dann nach und nach für immer längere währende Momente verabschiedet. Das Berliner Modell ist bei der Ablösungsphase nicht starr, d. h. der Zeitpunkt, an dem das Elternteil zum ersten Mal geht, wird individuell auf das Kind abgestimmt. Lässt das Kind sich nicht beruhigen, wird die Mutter/der Vater/die Co-Mutter angerufen. Erst, wenn das Kind sich sicher genug bei seiner Bezugserzieherin fühlt, werden Mittagsessen, Windel wechseln und Mittagschlaf eingeführt, da für alle diese Situation eine stabile Vertrauensbasis nötig sind, damit das Kind sich nicht in seiner Integrität verletzt fühlt. Erinnert euch, wie unangenehm es war, als ihr in den Wehen lagt und ständig neue, unbekannte Hebammen und Ärzte in eurer Zimmer kamen und euch in eurem intimsten, verletzlichsten Moment anschauten - so geht es euren Kindern beim Wickeln und auch beim Einschlafen!

Sollte euer Kind jedoch schon drei Jahre alt sein und euch aktiv aus dem Gruppenraum schicken mit den Worten: "Du kannst gehen, Mama. Das hier ist ein Kindergarten, kein Mamagarten!", dann wäre es natürlich Blödsinn, die Eingewöhnung künstlich in die Länge zu ziehen. Eine gute Kita (und gute Erzieherinnen) richten sich demnach in ihrem Eingewöhnungstempo nach dem Kind. Mögliche Vorkommnisse bei der Eingewöhnung in die Kita sind: 

Die Kita gewöhnt nicht nach dem Berliner Modell ein 


Das ist dann akzeptabel, wenn die Eingewöhnung trotzdem bindungs- und kindorientiert vonstatten geht. Das bedeutet konkret, dass das Kind die Erzieherin / den Erzieher mindestens eine Woche lang im Beisein einer Bindungsperson (Mutter / Vater / Co-Mutter / Oma / Opa...) kennenlernt und in seinem eigenen Tempo auf die Erzieherin / den Erzieher zugehen darf. Das bedeutet auch, dass - je nach Kind natürlich - die ersten Trennungsversuche nur kurz sind und die Bindungsperson sofort gerufen wird, sollte sich das Kind nicht beruhigen.

Kind spielt im KindergartenEs ist normal, wenn das Kind zunächst weint, wenn die Mutter oder der Vater geht. Es ist normalerweise ein Zeichen guter Bindung zu ihr / ihm. Doch es muss sich unbedingt von seiner Erzieherin / seinem Erzieher beruhigen lassen - nur dann hat es bereits eine Bindung zu ihr / ihm aufgebaut. Nicht akzeptabel dagegen ist, wenn die Trennungen nach einem starr vorgegebenen Zeitplan durchgeführt werden, egal, wie sich das Kind dabei fühlt.

Nicht akzeptabel ist auch, wenn ein Kind die gesamte Zeit der Trennung durchweint oder apathisch in einer Ecke sitzt und die Mutter / der Vater / die Co-Mutter nicht informiert wird. Total unprofessionell ist, dieser Mutter dann hinterher zu sagen, dem Kind wäre es in der (durchgeweinten) Zeit gut gegangen. Letzteres wäre ein Punkt für mich, die Kita zu wechseln. Auch ohne Berliner Modell sollte die Eingewöhnungszeit großzügig geplant sein. Ich halte z. B. zwei Wochen für zu kurz, es sei denn, das Kind ist mindestens drei Jahre und gibt selbst zu verstehen, dass die Mutter / der Vater gehen soll oder das Kind kennt die Erzieherin / den Erzieher schon länger aus einem anderen Kontext. Eine gute Kita zuckt übrigens nicht mit der Wimper, wenn die Eingewöhnungszeit länger als vier Wochen dauert - oft kommt ja z. B. eine Erkrankung des Kindes dazwischen. 

Die Kita macht keine Eingewöhnungszeit 


Das ist nur dann akzeptabel, wenn es um Kinder geht, die über drei Jahre alt sind und nur, wenn sie selbst entscheiden, ohne Mutter / Vater / Co-Mutter gehen zu wollen. Ist das nicht der Fall und euer Kind braucht euch, um sich sicher zu fühlen, die Kita ist aber nicht flexibel genug, sich darauf einzustellen, wäre das für mich ein Grund, diese Kita nicht in Betracht zu ziehen.

Ein Kind mit Bindungsperson spielt so, dass es im Laufe des Tages immer wieder zu seinem sicheren Hafen zurückkehrt, sich eine Streicheleinheit oder ein Lächeln abholt, und dann wieder loszieht, um Neues zu entdecken. Manchmal reicht auch ein Blick von weiter weg, ob die Bindungsperson da ist und guckt. Ein Kind, dass keine Bindungsperson hat, "schwimmt" den ganzen Tag unsicher umher und erlebt innerlich großen Stress, der es krank machen kann. Kinder ohne Bindungspersonen können ihr natürliches Explorationsverhalten nicht zeigen, d. h. sie untersuchen nicht den Raum und den Garten und sie spielen nicht im Flow. Es ist die ganze Zeit - wenn auch nicht immer augenscheinlich - auf der Suche nach einem sicheren Hafen.
 

Die Erzieherin sagt, Tränen gehören zur Eingewöhnung 


Ja und Nein. Es kann sein, dass ein Kind bei der Trennung von der Mutter/vom Vater weint. Das ist erst einmal kein schlechtes Zeichen per se, es gilt sogar als Zeichen für eine gute Bindung. Trotzdem sind Tränen nicht zwingend nötig. Es gibt solche und solche Kinder: manche weinen schneller, manche weinen kaum. Es ist durchaus möglich, die Eingewöhnung so sanft vorzunehmen, dass das Kind dabei nicht weinen muss .

Eine solche Pauschalisierung ("Tränen gehören dazu") finde ich einen Tick unprofessionell, aber nicht Besorgnis erregend. Inakzeptabel wäre es jedoch, wenn die Erzieherin / der Erzieher diesen Satz so meint, dass es egal ist, ob das Kind weint, es wird sich schon irgendwann - von allein - beruhigen. Eine solche Missachtung der Signale des Kindes zeugt von erheblicher Gefühlskälte und ist keine gute Voraussetzung, den Job kindgerecht zu machen. Das würde mich persönlich komplett abschrecken.

Kind weint bitterlich

Die Erzieherin sagt, ich kann mich nicht von meinem Kind lösen, deshalb läuft die Eingewöhnung nicht gut 


Tja - kannst du dich denn von deinem Kind lösen? Oder bereitet es dir morgens Bauchschmerzen, es dort zu lassen? Hast du ein ungutes Gefühl? Vertraust du der Erzieherin / dem Erzieher nicht? Es kann immer sein, dass dir dein Herz etwas anderes sagt, als dein Verstand. Wichtig ist, dir selbst zuzuhören. Spürt dein Herz, dass deinem Kind die Kita (noch) nicht gut tut und du deshalb so zögerlich bist, es dort zu lassen? Bist du selbst diejenige / derjenige, die / der gern noch mehr Exklusivzeit mit dem kleinen Erdenbürger verbringen möchte? Ganz egal - hör auf deinen Instinkt. Du bist die Mutter / der Vater deines Kindes, niemand sonst kann es so gut einschätzen, wie du. Diese ersten, engen Jahre kommen nicht wieder. Genieße sie, solange du das willst.

Wenn du aber sagst "Ich will wirklich, dass mein Kind in die Kita geht und ich sehe auch, dass es die Kita mag. Die Eingewöhnung läuft trotzdem suboptimal", dann kann es sein, dass der o. g. Satz der Erzieherin / des Erziehers eine frustrierte Rechtfertigung für den Fakt darstellt, dass sie bzw. er es nicht schafft, eine Beziehung zu deinem Kind herzustellen. Einige (wenige) Erzieher/innen stehen dem Prinzip des Attachment Parenting eher skeptisch gegenüber, weil die enge Bindung zwischen Eltern und Kind ihnen die Arbeit zunächst einmal schwer macht.

Das ist gut verständlich: Die meisten schlecht gebundenen Kinder weinen beim Abgeben nicht, sie scheinen von Außen zufrieden zu sein, sitzen im Raum und beschäftigen sich selbst. Lange Zeit war das ja das Traumbild eines selbständigen "deutschen" Kindes - eines, das klaglos alles hinnimmt und sich gut an neue Situationen anpassen kann ohne durch störendes Verhalten aufzufallen. Diese Zeiten sind nun Gott sei Dank vorbei. Trotzdem verbleibt in einigen Köpfen eben der Wunsch, einen leichteren Zugang zum Kind zu haben. Ist das Kind gut an die Eltern gebunden, muss die Erzieherin / der Erzieher schon sehr viel feinfühliges Verhalten aufbringen, um zur Vertrauensperson zu werden. Das dauert und kostet viel Aufmerksamkeit - bei den oftmals schlechten Arbeitsbedingungen der Erzieher/innen fehlt es einigen dann vielleicht an Kraft, beides aufzubringen.

Nun müsst ihr selbst abwägen - ist euch die Kita, die Erzieher und das Konzept weiterhin sympathisch? Dann grenzt euch freundlich, aber bestimmt von dieser Anschuldigung ab: "Es ist mir wichtig, dass mein Kind in die Kita geht - es liegt also nicht daran, dass ich mich schlecht lösen kann. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam einen Weg finden, um X die Eingewöhnung zu erleichtern. Ich vertraue dabei deinem professionellen Know-How. Du wirst sicher einen Zugang zu meinem Kind finden und ich unterstütze dich gern dabei. Wichtig ist mir aber, dass wir dabei X Tempo gehen und nicht immerzu mit einem Auge auf einen starren Zeitplan schielen, der vielleicht bei anderen Kindern funktioniert. Kinder sind einfach unterschiedlich in ihren Bedürfnissen." Damit habt ihr freundlich die Fronten geklärt. Bleibt zu hoffen, dass die Erzieherin / der Erzieher auf euren Wunsch eingeht. 

Nach der Eingewöhnung wechseln ständig die Erzieher/innen 


Euer Kind ist eingewöhnt und glücklich, doch plötzlich kündigen mehrere Erzieher/innen oder werden krank? Eine solche Situation kann gerade in den erkältungsintensiven Monaten vorkommen, doch ist es wichtig, wie eure Kita darauf reagiert. Es ist ungünstig, wenn ein gerade eingewöhntes Kind nun plötzlich jeden Tag von einer anderen Erzieherin/  einem anderen Erzieher betreut wird. Für Kinder, die schon länger in der Einrichtung sind und die die Vertretungen halbwegs kennen, ist ein solcher Zustand unschön, aber okay. Nicht jedoch für Kinder, die gerade erst dort angekommen sind. So flexibel sind Kinder nicht, dass sie sich nun in Windeseile auf viele verschiedene Betreuungspersonen einlassen können. Eine gute Kita schafft es, auch in einer solchen Krisensituation eine konstante Betreuungsperson für die Kinder zu stellen. Allerdings sind sich nicht alle Einrichtungen da ihrer Verantwortung bewusst. Tatsächlich wollte mir die Leitung einer großen Kita im kinderreichsten Bezirk Berlins weiß machen, es wäre in der heutigen Zeit ja gerade auch für die Kleinsten wichtig, zu lernen, flexibel zu sein. Damit könne man nicht früh genug anfangen und wechselnde Betreuungspersonen würden doch einen guten Übungsraum bieten. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Eine solche Verdrehung der Tatsachen und Missachtung der Bedürfnisse der Kinder, um einen kitainternen Missstand zu überdecken, ist absolut unprofessionell. Wäre das an der Kita meiner Kinder passiert, hätte ich alle Räder in Bewegung gesetzt, um sie für eine Zeit aus der Kita zu nehmen und hinterher neu einzugewöhnen. Ich weiß, dass das nicht allen Eltern möglich ist, weil die meisten von uns arbeiten müssen - sicherlich gehen Kinder auch aus solchen unschönen Betreuungssituationen unbeschadet hervor. Aber ihr inneres Stresslevel ist in der Zeit schon stark erhöht und mir wäre es wichtig, das so es irgend geht, zu vermeiden. 

Zuschreibung negativer Motive 


Wir alle kennen diese Unkenrufe aus dem Alltag mit unseren Kindern - irgendjemand prophezeit uns ganz sicher, dass unser Kind uns "irgendwann auf der Nase herumtanzen wird", es zum "Tyrann heranwächst", uns absichtlich "um den Finger wickelt" und "manipuliert". Diese Sicht aufs Kind stammt noch aus der Zeit der Schwarzen Pädagogik und hält sich seitdem verdammt hartnäckig im kollektiven Gedächtnis. Kein Wunder also, dass auch Erzieher/innen nicht davor gefeit sind, unseren Kindern in bestimmten Situationen negative Motive für ihre Handlungen zu unterstellen. Mögliche Aussagen der Erzieher/innen sind: 

Die Erzieherin sagt, mein Kind ist aggressiv und muss zum Kinderpsychologen 


Diese Aussage kommt leider immer öfter im Kindergartenalltag vor, was eine erschreckende Tendenz darstellt. Nicht der Fakt, dass kleine Kinder aggressiv sind - das waren sie schon immer - sondern, dass dieses normale Verhalten so massiv pathologisiert wird. Sollte also euer Kind jünger als drei Jahre alt sein und hauen oder beißen, dann muss er nicht zum Kinderpsychologen, sondern die Erzieherinnen/ der Erzieher haben die Aufgabe, ihm zu zeigen, wie man angemessen Kontakt zu anderen aufnehmen kann oder gesellschaftskonform zu verstehen gibt, dass man ein bestimmtes Spielzeug nicht abgeben will. Machen eure Erzieher also solch eine Aussage, dann weist sie freundlich darauf hin, dass dieses Verhalten zwar unschön, aber normal ist. Die allermeisten Erzieher/innen wissen das aber und sind professionell genug, auf das Beißen pädagogisch wertvoll zu reagieren.

Ist euer Kind um die vier Jahre alt und beißt und haut im Kindergarten und die Erzieherin / der Erzieher spricht auch darauf an, ist das eine etwas andere Sache. Es ist zwar immer noch so, dass die Impulskontrolle in diesem Alter noch lange nicht ausgereift ist, so dass es im Affekt durchaus noch dazu kommen kann, dass es andere haut. Es ist jedoch oft so, dass ältere Kindergartenkinder durch aggressives Verhalten auf ihre eigene Not hinweisen. Ich meine damit nicht, dass sie zuhause geschlagen werden (wobei das natürlich auch sein kann), sondern dass sie sich in einer Beziehungskrise mit ihren Eltern befinden. Dabei fangen sie zunächst einmal an, ihre Wut darüber, von den Eltern gegängelt und nicht wertgeschätzt zu werden, an den Eltern auslassen, diese also hauen, kneifen oder bespucken. 

aggresives KindVerstehen die Eltern nicht, was das Kind damit sagen will und reagieren nicht mit Verständnis und Zuwendung, wird es anfangen, auch im Kindergarten zu hauen oder zu kneifen etc.  Die Aussage hinter diesem aggressiven Verhalten ist: "Gibt es hier jemanden, der mir zuhören möchte? Mir geht es nicht gut!" Auch solch ein Kind braucht noch keinen Kinderpsychologen. Es braucht eine feinfühlige Erzieherin oder Erzieher, die/der ihm zuhört, seinen Seelenschmerz erkundet und euch als Eltern freundlich darauf aufmerksam macht, dass euer Kind euch gerade dringend braucht. Das ist die Aufgabe einer guten Erzieherin / eines guten Erziehers - nicht die Weiterleitung des "Störenfrieds" an einen vermeintlichen Experten.

Ist euer Kind allerdings fünf Jahre alt und schart im Kindergarten eine Gruppe von anderen Kindern um sich, um zwei- und dreijährige Mädchen im Garten heimlich zu drangsalieren, indem er ihnen einen Legostein an den After drückt oder die Scheide mit Kugelschreiber anmalt, während seine "Freunde" das sich windende Mädchen festhalten - dann hat die Erzieherin Recht: Euer Kind gehört zum Kinderpsychologen. 

Die Erzieherin sagt, mein Kind macht das nur, um Aufmerksamkeit zu erheischen 


Hach ja, seufz... Das berühmte Aufmerksamkeit-Erheischen, das natürlich nur gemacht wird ... tja, wofür eigentlich? Warum zeigt ein Kind Verhalten, das Aufmerksamkeit generiert? Doch eigentlich immer nur dann, wenn es darauf hinweisen möchte, dass es ihm nicht gut geht.  Und sollte es deswegen mit Nichtbeachtung o. ä. gestraft werden? Es sucht doch dann einfach nur jemanden, der ihm zuhört, der es versteht. Jemand, der hinter das Verhalten schaut, den Grund erkennt und diesen beseitigt. Mehr als alles andere erwarte ich von einer guten Erzieherin / einem guten Erzieher, dass sie / er in diesem Moment für mein Kind da ist. Dass sie / er ihm eine Stütze ist und das ausgleicht, was ihm in seiner Familie vielleicht gerade fehlt.

Vater tröstet KindAls wir nach der Geburt unseres Sohnes in der großen Entthronungs-Krise festsaßen und es beim Zubettgehen abends immer Kampf gab, da zeigte die Bezugserzieherin meines Fräulein Chaos ihre wahre Größe: Sie war für mein Kind da. Sie kuschelte. Sie kuschelte und kuschelte. Sie ließ sie auf ihrem Schoß sitzen, sie nahm sie an die Hand, um für die Freiarbeit eine Aufgabe auszusuchen (normalerweise machen das die Kinder selbständig). Sie las ihr vor. Sie hörte ihr zu. Ich bin ihr so unendlich dankbar für diese Liebesbeweise, denn sie hielten meine Tochter über Wasser bis ich endlich verstanden hatte, was sie von mir brauchte.

Das ist ja das Schöne daran, dass Erzieherinnen und Erzieher zu Bindungspersonen werden - sie können, wenn es sein muss, ein Elternteil kurzfristig ersetzen. Sie können Fehler, die Eltern machen, zum größten Teil ausgleichen. Sie können sogar, wenn sie wirklich gut sind und die Eltern sehr mit sich selbst beschäftigt, ein Kind so in einer emotional festen Spur halten, dass es trotz Missbrauch oder Missachtung durch seine Eltern zu einem psychisch halbwegs gesunden Menschen heranwächst. Diese wichtige Position, die sie im Leben eines Kindes einnehmen, bringt aber eben auch eine große Verantwortung mit sich.

Eine Erzieherin/ein Erzieher, die/der sich nicht bewusst ist, dass aufmerksamkeitserscheischendes Verhalten zunächst immer ein Hilfeschrei ist, kann viel kaputt machen, wenn sie/er meint, dieses Verhalten müsse durch Strafen abgestellt werden. Eine Betreuungsperson, die nicht richtig hinhört, die nicht richtig hinsieht, eine, die nur die äußere Schale des Kindes betrachtet und nicht ins Herz schaut, hat in dem Beruf eigentlich nichts verloren.  Wenn mir eine Erzieherin / ein Erzieher also sagt, mein Kind tue etwas nur, um Aufmerksamkeit zu erheischen, klingeln bei mir die Alarmglocken - und bei euch sollten sie das auch. Seht genau hin, wählt genau aus: Euer Kind verdient eine Erzieherin / einen Erzieher, die / der es liebt oder zumindest mag. Emotionale Kälte und die Zuschreibung negativer Motive für bestimmtes Verhalten sind nicht okay. Solche Erzieher/innen sind aber in der Minderheit - die meisten von ihnen leisten großartige Arbeit, die bei weitem nicht genug von der Gesellschaft gewürdigt wird! 

Die Erzieherin sagt, mein Kind macht das nur, um seinen Kopf durchzusetzen 


Als meine Kinder eingewöhnt wurden, war ich einmal Zeugin einer Situation, die ich sehr traurig fand. Ein kleiner Junge saß nach dem Mittagschlaf vor seinem Bettzeug und weinte. Er sollte es selbstständig ins Bettenfach legen. Aus irgend einem Grund konnte er gerade nicht, deshalb schluchzte er herzerweichend. Nicht gekünstelt, sondern wirklich echte, dicke Tränen. Ich hatte Mitleid, doch die Erzieherin stoppte mich mit den Worten: "Hilf ihm ja nicht, er kann das allein, er will nur seinen Kopf durchsetzen!" Ich antwortete erstaunt: "Ich bin mir sicher, dass er das normalerweise kann, deshalb frage ich mich, was der Sinn dahinter ist, ihm jetzt in diesem Augenblick Hilfe zu verweigern? Ganz offensichtlich schafft er es gerade nicht allein und ich fände es freundlich, wenn wir ihm helfen würden".

Die Angst hinter dem Satz "Das Kind will nur seinen Kopf durchsetzen" ist ganz offensichtlich die vor dem kleinen Tyrannen, der nicht darauf hört, was die Erwachsenen sagen. Ich kann gut nachvollziehen, dass es für Erzieher sehr anstrengend und nervenaufreibend ist, Kinder in der Gruppe zu haben, die permanent das genaue Gegenteil von dem machen, was sie eigentlich tun sollen. Deshalb halte ich einen gewissen Grad von Zwang innerhalb der Kita-Regeln für nicht vermeidbar.

Eine meiner Töchter - Fräulein Ordnung - z. B. musste schon ein paar Mal im Kita-Garten auf der Bank sitzen, weil sie sich geweigert hatte, ihre Schuhe anzuziehen. Sobald sie sich ihre Schuhe angezogen hatte, durfte sie spielen gehen. Ich weiß, dass ich das zuhause hätte anders regeln können und ich kann mir auch den Grund für ihre Verweigerungshaltung denken, aber ich mache der Erzieherin keinen Vorwurf, das so gelöst zu haben. Kinder in der Kita müssen leider bis zu einem gewissen Grad "funktionieren", sonst hakt es im Gefüge. Wichtig ist mir aber, dass solche Situationen von den Erzieher/innen mit einem freundlichen, oder wenigsten neutralen, die Aktion dem Ablöseprozess der Autonomiephase zuordnenden Blick betrachtet wird und nicht gedanklich das Wort "Tyrann" auf die Stirn des betreffenden Kindes gestempelt wird.

Eine gute Erzieherin, ein guter Erzieher weist   "schlechtes" Verhalten freundlich, aber bestimmt in die Schranken, ohne die Integrität der Kinder zu verletzen und kann erkennen, ob etwas aus echter Not heraus verweigert wird, oder weil der Hafer gerade sticht 

Die Erzieherin sagt, das Kind tanzt mir auf der Nase herum 


Kind macht lange NaseDas ist schlichtweg unprofessionell. Das mag sie insgeheim denken, aber aussprechen sollte sie es nicht. Es spricht nichts dagegen, dass Erzieher Tipps zur Erziehung geben, wenn ihr sie fragt, alles andere überschreitet jedoch eine Grenze.

Eine freundliche, aber bestimmte Ansage von euch hilft in diesem Fall weiter: "Es berührt mich, dass du dir Sorgen um mich und mein Kind macht. Das zeigt, das wir dir wichtig sind und dass es dir am Herzen liegt, dass es X später mal wegen seines Verhaltens nicht so schwer hat. Ich höre, dass du das Gefühl hast, er tanzt mir auf der Nase herum. Lass mich dir versichern, dass ich weiß, was ich tue. Ich habe das selbe Ziel wie du für X und ich bin mir ganz sicher, es auf meine Art und Weise zu erreichen. Es mag noch eine Weile dauern und es wird nicht immer einfach sein, aber wir werden da ankommen. Ganz bestimmt wirst du dich weiterhin sorgen, weil dir meine Art der Erziehung fremd ist, doch ich möchte dich bitten, das nicht mehr laut zu äußern. Lass mich meinen Weg gehen". 

Vor den Kindern über die Kinder reden 


Im Kitaalltag trifft man die Erzieher/innen meist zwischen Tür und Angel. Morgens beim Abgeben, nachmittags beim Abholen - es bleiben oft nur wenige Minuten Zeit, um Informationen auszutauschen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es oft dazu kommt, dass Eltern und Erzieher sich über ein Kind unterhalten, das genau daneben steht. Meist sind das leider negative oder schambehaftete Begebenheiten, die so nicht über den Kopf des Kindes hinweg diskutiert werden sollten.

Kinder hören genau hin - wenn sie immer wieder hören, dass wir negativ über sie reden, verfestigt sich in ihnen ein schlechtes Bild von sich selbst. Sie nehmen diese "Rolle" für sich an. Ich habe in meiner Sonderausbildung für den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern gelernt, dass wir als Erwachsene dieses "Über-das Kind-Reden" eigentlich nur dafür nutzen dürfen, positve Dinge zu sagen. Dabei ist es wichtig, dass dieses positive Reden nicht gestellt oder geschauspielert ist - das würden die Kinder merken. Wenn ihr also an dem Tag nichts Positives zu sagen habt, dann sagt am besten nichts. Werden aber echte Errungenschaften von Erwachsenem zu Erwachsenem weitergegeben und das Kind hört das (heimlich) mit, dann wächst sein Selbstbewusstsein.

Stellt euch vor, ihr seid im Büro und euer Chef kommt und sagt: "Deine letzte Aufgabe hast du wirklich sehr gut gemacht. Ich schätze Mitarbeiter, wie dich!", dann wärt ihr sicherlich glücklich, aber nicht vollends überzeugt, ob das jetzt ein echtes Lob war, oder einfach eine freundliche Geste, stimmts? Nun stellt euch vor, ihr würdet an einem Raum vorbeigehen und zufällig hören, wie eurer Chef zu einer Kollegin sagt: "[Dein Name] hat ihre/seine letzte Aufgabe wirklich sehr gut erledigt. Ich schätze solche Mitarbeiter wie sie/ihn wirklich" - dieses indirekte Lob hätte für euch viel mehr Wert und Wahrheitsgehalt, als das direkte. Ihr hättet vermutlich Bauchkribbeln und würdet innerlich ein Stück wachsen. So geht es euren Kindern, wenn sie vermeintlich heimlich überhören, wie ihr euch über ihre positiven Eigenschaften unterhaltet.

Wenn ihr euch nun vorstellt, wie ihr euch fühlen würdet, wenn ihr zufällig überhören würdet, dass der Chef zu jemandem sagt: "[Dein Name] hat schon wieder einen Fehler gemacht. Andauernd muss ich ihre/seine Arbeit nachprüfen, damit nichts Falsches rausgeht.", dann wisst ihr jetzt, wie es eurem Kind geht, wenn es dabeisteht, während die Erzieherin / der Erzieher mit euch diskutiert, dass es schon wieder eingepullert, gehauen, geärgert oder nicht aufgegessen hat.

Das Über-ein-Kind-im-Beisein-des-Kindes-Reden ist natürlich kein Grund, die Kita zu wechseln. Aber ihr könntet eure Erzieherin  /euren Erzieher, falls sie / er es macht, darauf hinweisen, dass ihr das nicht möchtet. Wenn sie / er euch etwas Wichtiges zu erzählen hat, kann das Kind ja noch mal kurz in die Puppenecke gehen oder mit dem Roller eine Runde im Garten drehen.

In Teil 2 der Serie wird es um Strafen und Konsequenzen und über das berühmte "Wenn... Dann..." im Kita-Alltag gehen.

© Snowqueen

Trocken werden - warum Töpfchentraining unnötig ist

Wie kann man sein Kind beim Sauberwerden unterstützen?


Baby auf dem TöpfchenKürzlich bekam ein eine nette E-Mail mit der Bitte, mich doch bitte mal des Themas "Trockenwerden" anzunehmen. Um ehrlich zu sein - ich habe zwar leichthin gesagt: "Klar, das mache ich mal..." aber nun sitze ich vor diesem Artikel und habe nicht die geringste Ahnung, wie er am Ende aussehen wird. Über dieses Thema habe ich mir ehrlich gesagt noch so gar keine vertieften Gedanken gemacht. Das, was ich gelesen hatte war, dass das Sauberwerden ein Entwicklungsschritt ist, der nicht zu beschleunigen ist. Daher wollte ich meinen Kindern alle Zeit der Welt lassen und darauf warten, dass sie von sich aus keine Windel mehr möchten.

Bei meiner Tochter bekam ich damals von der Kita im Alter von etwa 2,5 Jahren den Hinweis, dass sie so weit sein könnte und man daher gerne die Windel weg lassen würde. Das hätte ich persönlich nun nicht unbedingt so erkannt aber ich dachte mir: "Na macht einfach mal". Ich wusste, dass sie garantiert nicht unter Druck gesetzt werden würde und als ich mein Kind fragte, ob sie gerne möchte, bejahte sie das dann auch.

Also nahm ich eine Woche lang nasse Wäsche mit heim und dann war es das. Nachts ließ ich sie noch mit Windel schlafen, stellte aber sehr schnell fest, dass diese am Morgen stets trocken war. Alles war so gelaufen, wie ich mir das immer gewünscht hatte - ohne Stress, ohne Druck und von einem Tag auf den anderen. Es war so unspektakulär, dass ich die genauen Umstände irgendwie schon völlig vergessen habe. Auch an Unfälle kann ich mich kaum erinnern - seitdem die Windel weg war, hat sie in 2,5 Jahren vielleicht insgesamt zwanzig mal eingepullert. Meist geschah das dann zwei bis drei mal hintereinander. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Blase gewachsen war und sich deswegen die Verbindung Blase-Hirn neu programmieren muss. Seitdem sie etwa fünf Jahre alt ist, gab es keinerlei Unfälle mehr.

Mein Sohn ist jetzt gerade drei Jahre alt geworden und trägt fröhlich seine Windel. Zwar geht er (zumindest in der Kita) regelmäßig zur Toilette - etwas produziert hat er dort jedoch noch nie. Auf die Frage, ob die Windel voll ist, kriege ich nie eine ehrliche Antwort - selbst wenn er zum Himmel stinkt, versichert er mir sehr glaubhaft "Ich hab gar nicht eingekackert!" Vor drei Monaten wurde aus meinem Krippenkind ein Kitakind - im neuen Raum gab es keinen Wickeltisch mehr. Nun ist mein Sohn zwar einer der jüngsten in der Gruppe, aber ich fragte schon etwas erstaunt, ob denn schon soooo viele sauber seien. Die Erzieherin meinte etwas verlegen: "Ja, eigentlich alle - ihr Sohn ist der letzte". Oh - das war dann doch erst mal eine Überraschung. Die Erzieherin tröstete mich jedoch mit: "Aber er hat auch gerade sooo viel mit Sprechenlernen zu tun, der ist einfach noch nicht so weit". Zwei, drei Monate später hieß es dann: "Hm - da tut sich rein gar nichts. Da hätten wir jetzt mehr erwartet".

Das ist dann der Punkt, wo man anfängt, doch etwas zu grübeln. Ehrlich gesagt - ich hasse das! Man weiß es doch besser - warum lässt man sich dennoch verunsichern? Sich Gedanken zu machen heißt, dem Kind nicht zu vertrauen. Ihm ja im Grunde zu unterstellen, dass es eigentlich könnte und nur nicht will. Dabei hatte ich im letzten Sommer die Windel schon gelegentlich weggelassen, wenn er nackt durch den Garten lief. Und das hat mir eindrucksvoll demonstriert, dass er überhaupt nicht merkt, wann er muss. Er blieb dann immer völlig erschrocken stehen und staunte total über das lustige Flüsslein, das sich da zwischen seine Füße schlängelte.

Neulich beobachtete er seine Schwester beim Toilettengang und als es plätscherte, lief er hin, drückte sie und rief begeistert: "Du hast in die Toilette gepullert!" Gestern erzählte er freudestrahlend, dass er in der Kita bescheid gesagt hat, dass die Windel voll war! Das hat mir bewusst gemacht, dass er sich ganz sicher nicht verweigert oder zu faul ist, sondern es schlicht einfach noch nicht kann. Offenbar ist Bescheidsagen oder in die Toilette pullern in seinen Augen eine riesige Leistung, auf die man stolz sein kann. Wenn er dann soweit ist, dann wird er ganz sicher auch gehen (wollen). Meine Entspannung in Bezug auf das Sauberwerden ist nach den Recherchen zu diesem Artikel mittlerweile wieder vollständig zurückgekehrt.


Sauberwerden - Wissenschaft und Geschichte


Die Studienlage zum Thema "Sauberwerden" ist nicht sehr umfangreich. Die heutige Empfehlung für gelassenes Abwarten basiert auf den Zürcher Longitudinalstudien, an denen der Schweizer Kinderarzt Remo Largo maßgeblich  beteiligt war. Seit 1954 wurden dabei mehr als 700 Kinder beim Erwachsenwerden begleitet und während ihrer Entwicklung genau beobachtet. Dazu muss jedoch angemerkt werden, dass zu dieser Zeit die Begleitung von Kindern nicht sehr bedürfnisorientiert war. Die Zahlen beziehen sich also auf Kinder, bei denen wahrscheinlich Signale, die ein früheres Sauberwerden ermöglicht hätten, nicht gesehen wurden. Sie sind aber interessant, für Eltern, die sich - wie ich - nicht allzu viel Gedanken um das Sauberwerden gemacht haben und nun an dem Punkt stehen, dass sie sich sorgen, weil der Prozess scheinbar zu lange dauert.

Zu Beginn dieser Untersuchungen in den 50er-Jahren wurde das Töpfchentraining üblicherweise bereits im ersten (!) Lebensjahr begonnen - im ersten Lebenshalbjahr wurden schon 32 % der Kinder über einen Topf oder eine WC-Schüssel gehalten. Mit 9 Monaten war das schon bei 64 % der Kinder der Fall und um den ersten Geburtstag wurden 90 % der Kinder "getopft". Dieses Vorgehen änderte sich in den 70er- und 80er-Jahren grundlegend - zum einen wurde der allgemeine Erziehungsstil kindorientierter, zum anderen hielt die Waschmaschine Einzug in deutsche Haushalte und erleichterte das Windeln waschen enorm, was nachhaltig den Druck aus der Thematik nahm.

Nachdem dann die Wegwerfwindeln auf den Markt kamen, entspannte sich die Erwartungshaltung an die Kinder zusätzlich - es wurde nun durchschnittlich etwa 14 Monate später als vorher mit der Sauberkeitserziehung begonnen. Dennoch wurden und werden Kinder weiterhin ganz genauso schnell trocken, wie vorher. Die Longitudinalstudien belegen, dass die Kinder genauso schnell trocken wurden, wie vorher - nämlich durchschnittlich mit etwa 28 Monaten.

Diese Ergebnisse belegen, dass es sich beim Sauberwerden um einen Reifungsprozess handelt. Wir können ihn entgegen dem Willen unserer Kinder ebenso wenig beschleunigen, wie das Laufen oder Sprechen lernen. Es gibt einige Dinge, die diese Prozesse durchaus unterstützen, bspw. indem wir aufmerksam ihre Signale erkennen und sie begleiten, aber kein Kind läuft, spricht oder benutzt den Topf wirklich schneller, weil man es mit ihm übt oder trainiert.

Wie heißt es so schön? Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.


Wann werden Kinder trocken?


Schon Neugeborene können signalisieren, wann sie mal müssen. Daher ist es grundsätzlich möglich, Babys "windelfrei" aufwachsen zu lassen. Wird auf diese Signale jedoch nicht geachtet und dem Baby dauerhaft eine Windel angezogen, verliert sich diese erstaunliche Fähigkeit leider recht schnell. Wir trainieren unseren Kindern mit Windeln die Sauberkeit im Säuglingsalter quasi ab. Dadurch, dass moderne Windeln sofort alle Ausscheidung nahezu vollständig absorbieren, empfinden Kinder volle Windeln nicht als unangenehm. Stoffwindeln unterstützen dabei, dass Kinder ihre Ausscheidungen bewusster wahrnehmen.

Ich selbst habe von "windelfrei" leider zu spät erfahren, so dass ich es nicht mehr ausprobieren konnte. Daher geht es in diesem Artikel ausschließlich um das Sauberwerden von Kindern, die durch die Verwendung von Windeln ihre natürliche Kontrolle über Blase und Darm verloren haben.

Die Spannbreite beim Sauberwerden ist enorm groß - üblicherweise reifen die Blasen- und Darmkontrolle irgendwann zwischen dem zweiten und dem fünften Geburtstag so weit, dass Kinder trocken werden können. Es gibt aber auch viele Kinder, die schon deutlich früher soweit sind - wenn ihr also Euer Kind beobachtet und feststellt, dass das Interesse und die Signale schon vor dem zweiten Geburtstag gezeigt werden, scheut Euch nicht, einfach mal die Windel weg zu lassen und einen Topf anzubieten!

Während des Sauberwerdens gelingt es Kindern zunächst nach und nach besser, Ausscheidungen bewusst wahrzunehmen. Sie ziehen sich zunehmend zurück und wollen ungestört bei ihren Geschäften sein. Der erste Schritt beim Trockenwerden ist die Mitteilung, dass die Windel voll ist. 

Allmählich beginnen Kinder dann, Interesse für Toiletten, Töpfchen und Windelinhalte zu entwickeln - die nachfolgende Grafik zeigt, wie sich dieses Interesse und damit die Eigeninitiative zum Trockenwerden entwickelt:

Grafik zum Sauberwerden
Anteil der Kinder in %, die bis Eigeninitiative zum Sauberwerden zeigen
 (Angabe des Alters in Monaten)
Quelle: "Babyjahre" von Remo Largo



Die Kontrolle über die Blasenaktivität


Säuglinge, die nicht windelfrei aufwachsen, entleeren ihre Blase unwillkürlich etwa zwanzig mal am Tag. Ab dem sechsten Lebensmonat werden die Intervalle zwischen den Entleerungen immer länger. Mit durchschnittlich 2,5 Jahren nehmen Kinder bewusst das Gefühl wahr, dass die Blase voll ist. 

Das Einhalten - also das Zurückhalten des Harns - erfordert die Anspannung der Schließmuskel und der Beckenbodenmuskulatur. Das gelegentliche Zurückhalten des Harns beherrschen die meisten Kinder mit etwa drei Jahren vollständig - das heißt aber nicht unbedingt, dass sie schon komplett sauber werden können oder wollen.

Zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag werden etwa die Hälfte aller Kinder tagsüber trocken. Bis zum vierten Geburtstag schaffen das weitere 40 %. Die restlichen 10% sind dann in der Regel bis zum fünften Geburtstag tagsüber windelfrei. Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung der Blasenkontrolle tagsüber:

Grafik Blasenkontrolle tagsüber
Anteil der Kinder in %, die tagsüber über Blasenkontrolle verfügen
 (Angabe des Alters in Monaten)
Quelle: "Babyjahre" von Remo Largo

Die nächtliche Blasenkontrolle entwickelt sich meist ein paar Monate verzögert: 



Grafik Blasenkontrolle nachts
Anteil der Kinder in %, die nachts über Blasenkontrolle verfügen
 (Angabe des Alters in Monaten)
Quelle: "Babyjahre" von Remo Largo

Häufiges Einnässen während des Sauberwerdens ist völlig normal - manche Kinder schaffen es zwar, von heute auf morgen trocken zu sein, die meisten haben jedoch über längere Zeit noch einige Piesel-Pannen. Im Alter von 5 Jahren passieren noch etwa 5 % der Mädchen und 10 % der Jungen nächtliche Unfälle. 

Im Alter zwischen sechs und 16 Jahren nässen sogar noch etwa 640.000 Kinder in Deutschland nachts  ein. Passiert das regelmäßig nach Vollendung des 5. Lebensjahres, bezeichnet man das als "Enuresis" - laut WHO ist es dann eine behandlungsbedürftige Krankheit, wenn das Kind an mindestens zwei Tagen im Monat einnässt und organische oder medizinische Ursachen ausgeschlossen wurden.

Häufigste Ursache ist eine genetische Reifungsstörung des zentralen Nervensystems, bei dem die hormonelle Regulation eines bestimmten Hormons gestört ist, das den Wasserhaushalt im Körper beeinflusst. Man unterscheidet eine primäre und eine sekundäre Enuresis - eine primäre liegt vor, wenn das Kind noch nie tags oder nachts trocken war, also immer noch nachts einnässt, die sekundäre liegt vor, wenn das Kind bereits mehr als sechs Monate trocken war und nun rückfällig wird. Die sekundäre Enuresis ist meist psychisch bedingt oder von einer Harnwegserkrankung verursacht. Über die Behandlungsmöglichkeiten könnt ihr Euch hier näher informieren.


Die Kontrolle über die Darmaktivität


Die Darmaktivität kann in der Regel eher kontrolliert werden, als die Aktivität der Blase. Das liegt daran, dass der Entleerungsvorgang nicht so "zeitkritisch" ist. Das Gefühl der nahenden Darmentleerung kündigt sich lange vorher an. Der Druck im Bauch nimmt kontinuierlich zu, so dass das Kind genügend Zeit hat, einen Toilettengang zu planen. Der Harndrang hingegen "überfällt" das Kind quasi - der Zeitraum, eine Toilette aufzusuchen, bevor es zu spät ist, ist deutlich kürzer. Ein großes Geschäft lässt sich auch im Notfall temporär unterdrücken - das ist mit dem Pullern jedoch nicht über einen längeren Zeitraum möglich.



Grafik zum Sauberwerden
Anteil der Kinder in %, die über vollständige Darmkontrolle verfügen
 (Angabe des Alters in Monaten)
Quelle: "Babyjahre" von Remo Largo

Auch wenn sie ihre Darmaktivität schon kontrollieren können, bevorzugen einige Kinder für die Darmentleerung noch über längere Zeit eine Windel. Es kommt auch häufiger vor, dass Kinder für die Blasenentleerung Topf oder Toilette verwenden, dieses aber für den Stuhlgang verweigern. Das war bei meiner Tochter auch der Fall und hat mich etwas verwirrt. Sie trug keine Windel mehr, verlangte aber, dass ich ihr eine anzog, als sie merkte, dass sie mal muss.

Auch hier empfehle ich abwarten. Es ist nicht sinnvoll, Druck aufzubauen, indem man die Windel verweigert - irgendwann ist jedes Kind ganz sicher so weit. Bei uns platzte der Knoten, als wir bei Freunden spielten und sie zu einem für sie unüblichen Zeitpunkt mal musste. Sie bat um eine Windel und ich konnte ihr leider keine geben. Stattdessen begleitete ich sie auf die Toilette, wo sie dann notgedrungen ihr Geschäft verrichten musste. Danach war es auch zu Hause überhaupt kein Problem mehr, die Toilette zu benutzen. 

Nutzt Töpfchentraining? 


Die Wörter Töpfchentraining und Sauberkeitserziehung suggerieren, dass man aktiv handelnd zu diesem Prozess beitragen muss. Das ist jedoch nicht der Fall. Lässt man den Kindern die Zeit, die sie brauchen, muss man nichts trainieren oder anerziehen, sondern kann irgendwann einen plötzlichen Entwicklungsschritt erstaunt beobachten.

Im Rahmen der oben erwähnten Zürcher Longitudinalstudien wurde u. a. der Einfluss des Töpfchentrainings auf das  Sauberwerden untersucht. Dazu wurden die Ergebnisse von zwei Einzeluntersuchungen verglichen - die eine war von 1954 bis 1956 durchgeführt worden, die andere in den 70er/80er-Jahren. Wie oben schon erwähnt, verschob sich in der Zwischenzeit das Auf-das-Töpfchen-Setzen durchschnittlich um 14 Monate nach hinten. Das bedeutete, dass Kinder durchschnittlich bis zu 1.300 (!) mal weniger auf das Töpfchen gesetzt wurden, bis sie sauber waren. 

Das Sauberkeitstraining führte zwar durchaus dazu, dass im Verlauf des zweiten Lebensjahres tatsächlich mehr Kinder sauber wurden - diese "trockenen" Kinder machten jedoch vor allem deshalb nichts mehr in die Windel, weil sie bis zu 10 mal am Tag auf den Topf gesetzt wurden. Mit 36 Monaten war der Effekt sogar umgekehrt - da waren dann sogar mehr nicht-topftrainierte Kinder trocken. Im Alter von 48 bis 60 Monaten gab es dann keine signifikanten Unterschiede mehr.

Dass es rein gar nichts bringt, den Töpfchengang zu trainieren, zeigte auch eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2003. Sie ergab, dass Kinder, die vor dem 27. Lebensmonat an des Töpfchen gewöhnt wurden, genauso lang in die Windeln machten, wie Kinder, bei denen keine solchen Aktivitäten stattfanden. Es dauerte bei ihnen etwa durchschnittlich ein Jahr, bis ganz auf Windeln verzichtet werden konnte. Wurde erst nach dem 27. Lebensmonat begonnen, auf das Töpfchen zu gehen, brauchten die Kinder durchschnittlich nur sechs Monate, bis sie sauber waren. Mädchen waren in dieser Studie übrigens mit etwa 3 Jahren soweit, Jungen brauchten zwei Monate länger. 

Schadet Töpfchentraining?


Toilettenschilder Das kommt drauf an. Es verzögert die Entwicklung nicht - so viel ist zumindest erwiesen. Und wenn alles vollkommen ohne Druck geschieht, wird der spielerische Umgang mit dem Topf nicht schaden. Problematisch wird es in meinen Augen dann, wenn eine bestimmte Erwartungshaltung besteht - und das passiert leider in den meisten Fällen automatisch. 

Kinder schaffen es nämlich durchaus recht früh, zielgerichtet in ein Töpfchen zu pullern. Sie begreifen gut, was von ihnen erwartet wird, so dass es anfangs recht schnell zu Erfolgen kommen wird. Diese werden dann oft ausgiebig gelobt und das Kind ist dadurch auch zunächst hochmotiviert (wen auch leider vorrangig extrinsisch). 

Allerdings: aktiv auf Ansage pullern zu können und rechtzeitig zu merken, dass man dringend muss, sind zwei vollkommen verschiedene Sachverhalte. Leider gehen einige Eltern jedoch davon aus, dass ein Kind, das erfolgreich ins Töpfchen macht, auch automatisch rechtzeitig merken müsste, wann es muss. Das ist jedoch meistens nicht der Fall. Das führt schnell zu Frustrationsspiralen, weil zu viel erwartet wird. Die Eltern denken "Mein Kind müsste es doch rechtzeitig merken, es pullert doch schließlich schon in den Top!", dabei kann das Kind noch gar nichts anderes, als einfach zielgerichtet pullern.

Eine solche Erwartungshaltung setzt das Kind unter Druck. Dabei ist es ganz egal, ob die Eltern ihre Erwartung formulieren oder nicht - Kinder spüren ganz deutlich, wenn ihre Eltern enttäuscht sind, auch dann, wenn diese versuchen ihre Enttäuschung zu verstecken. Und elterliche Enttäuschung ist für Kinder sehr belastend, weil sie das Gefühl vermittelt, dass das Kind nicht gut genug sein könnte. Kinder streben immer nach der Aufmerksamkeit und der Zuneigung der Eltern und der Gedanke, diese zu verlieren, setzt sie unter Stress und Erfolgsdruck. Sie spüren ganz intuitiv, dass sich die Eltern sorgen, warum das Sauberwerden so gar nicht voran geht - wo das Kind doch eigentlich so super ins Töpfchen pullert.

Jeder Unfall - und solche kommen in diesen Situationen naturgemäß sehr häufig vor - enttäuscht auch das Kind. Es ist ja anfangs hochgradig durch die elterliche Euphorie motiviert und will so gerne die Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Wenn sie immer und immer wieder Rückschläge erleben, weil sie eben nur gezielt pullern können, aber nicht rechtzeitig merken, wann sie müssen, frustriert sie das zutiefst. 

Es gibt die Beobachtung, dass die Kinder, die wegen späten Einnässens einem Arzt vorgestellt werden, häufig schon früh mit einem Töpfchentraining konfrontiert waren. Dies wird allerdings nicht als ursächlich angesehen - vielmehr geht man davon aus, dass das späte Einnässen von einem stark kontrollierenden Erziehungsstil - bei dem das Töpfchentraining häufig sehr früh praktiziert wird - verursacht sein könnte. 

Belohnungen bei der Sauberkeitserziehung 


Immer wieder lese ich die Empfehlung, das Sauberkeitstraining mit Belohnungen und Loben zu verbinden. Treue Leser dieses Blogs kennen meine Meinung zum Loben sicher - mit der gleichen Argumentation würde ich immer von Belohnungen abraten. Zwar klappt es in der Hundeerziehung hervorragend, mit Leckerlis das gewünschte Verhalten zu verstärken, aber bei Kindern beeinflussen Lobe/Belohnungen die Motivation. Ich hatte im verlinkten Artikel bereits über Studien geschrieben, die zeigten, dass Belohnungen dazu führen, dass das gewünschte Verhalten weniger oft und gerne gezeigt wird.

Der Hauptgrund für mich, von Belohnungen für den Töpfchengang abzuraten ist, dass es für Kinder frustrierend ist, die Belohnung nicht zu erhalten, obwohl sie sich wirklich bemüht haben. Das Ausbleiben einer Belohnung wird von ihnen im Grunde wie eine Strafe empfunden. Wenn sie also körperlich noch gar nicht in der Lage sind, ihre Blase zu kontrollieren, dann wird man das mit Belohnungen nicht ändern können. Kein Mensch käme doch auf die Idee, einem Kind für jeden erfolgreichen Lauf- oder Sprechversuch ein Gummibärchen anzubieten ;-).


Außerdem liest man immer wieder, dass Kinder durch die Aussicht auf eine Belohnung anfangen, etwa zwanzig mal am Tag das Töpfchen aufzusuchen und einen Tropfen dort zu hinterlassen - nur um das Gummibärchen naschen oder den Sticker kleben zu können. Das ist ja nun auch überhaupt nicht zielführend.

Belohnungen signalisieren außerdem mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes. Zu sagen: "Wenn du rechtzeitig auf den Topf gehst, dann gibt es einen Sticker" suggeriert ganz eindeutig: "Ich glaube nicht, dass du es wirklich allein schaffst. Offenbar muss man dich erst motivieren, weil du ohne Anreiz zu faul oder unfähig bist". Natürlich freuen sich die Kinder, wenn sie eine Belohnung erhalten - aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sich das auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirkt.

Sanfte Unterstützung beim Sauberwerden


Woran erkennt man die Bereitschaft zum Sauberwerden?


Es gibt verschiedene körperliche Entwicklungsschritte, die erforderlich sind, damit die Windel überhaupt erfolgreich weggelassen werden kann: 

  • das Kind muss die Hose allein herunterziehen können,
  • es muss eigenständig in der Lage sein, sich auf den Topf oder die Toilette zu setzen,
  • es sollte verbalisieren können, dass es mal muss und
  • es gibt längere Zeiträume (etwa drei bis vier Stunden), in denen die Windel trocken bleibt.

Außerdem sollte das Kind ernsthaftes Interesse zeigen, also


  • verlangen, die Eltern auf die Toilette begleiten zu dürfen,
  • keine Windel mehr tragen wollen und/oder
  • volle Windeln sofort anzeigen und gewechselt bekommen wollen.


Viele Eltern berichten, dass es im Alter zwischen zwei und drei Jahren zu einem "Wickelkampf" kommt. Das Wehren gegen die Windel kann man als ernstzunehmendes Signal dafür sehen, dass das Kind in Bezug auf seine Ausscheidungen autonom werden möchte. Dann können wir unsere Kinder sinnvoll unterstützen, indem wir ihnen das Gefühl für ihre Ausscheidungen zurück geben. Dazu können wir sie zum Beispiel immer mal wieder ohne Windel herum laufen lassen oder mit Stoffwindeln wickeln. Wenn das Kind sein Geschäft gemacht hat, können wir ihnen zeigen, wozu die Toilette da ist und was mit dem Ausgeschiedenen passiert - ganz ohne Druck oder Belehrungen. 

Sobald Kindern der Blasen- oder Harndrang bewusst ist, beginnen sie in der Regel, sich auffällig zu verhalten. Manche verziehen die Gesichter, die meisten nehmen eine bestimmte Körperhaltung ein und wenn sie sprachlich dazu in der Lage sind, machen einige darauf aufmerksam, was gerade passiert. Erst mit dem Entstehen dieses Bewusstseins, beginnt der Prozess der willentlichen Steuerung.

Hier können Eltern unterstützen, indem sie das Kind besonders aufmerksam beobachten und diese Zeichen erkennen und entsprechend einen Topf anbieten oder auf die Toilette begleiten.

Toiletteschilder

Die meisten Kinder zeigen irgendwann sehr großes Interesse an der Toilette. Sie setzen sich darauf - meistens noch ohne dass etwas passiert. Sie spielen mit der Spülung, der Toilettenpapierrolle und der Toilettenbürste. Einige finden das Ganze so spannend, dass sie die Eltern auch immer wieder begleiten wollen. Es mag nicht jedermanns Sache sein, das Kind bei seinen Geschäften teilhaben zu lassen - dem Sauberwerden ist dies jedoch durchaus zuträglich. Kinder lernen durch Vorbilder und Nachahmung - auch hierbei. Ohne zu sehen und zu erleben, was auf Toilette geschieht, ist der Toilettengang für Kinder sehr abstrakt und manchmal auch furchterregend. 

Tipps und Tricks zum Sauberwerden


Gerade am Anfang muss es schnell gehen - der Zeitraum zwischen dem Gefühl "Oh, ich muss!" und dem Moment, wo es losgeht, ist zunächst sehr kurz. Nach und nach lernen Kinder, einzuhalten - am Anfang ist dies die größte Herausforderung. Daher sollte die Kleiderwahl gut durchdacht sein. Für Mädchen sind in diesem Zeitraum Kleider oder Röcke ideal - Unterhosen, Leggins oder Strumpfhosen sind schnell herunter gezogen.

Bei Hosen sollte man darauf achten, dass diese möglichst leicht und schnell herunter gezogen werden können. Bei uns bewährt hat sich der Clip-Ho-Gürtel, weil der leicht zu weite Hosen, die ja besonders gut runter gezogen werden können, ohne lästige Schnalle an Ort und Stelle hält. Runter geht die Hose meist recht gut - einige Kinder haben Schwierigkeiten, beim Hochziehen. Wenn man das Kind anleitet, die Hose beim Hochziehen hinten zu greifen, wird es das bald alleine schaffen.

Wenn das Kind zwar grundsätzlich bereit ist, auf die Toilette zu gehen, sich aber noch nicht zutraut, die Windel weg zu lassen, sind Windelslips sinnvoll. Sie können wie ein Slip hoch und runter gezogen werden. Solche gibt es eigentlich von fast allen Marken - wir haben die besten Erfahrungen mit Easy Up von Pampers und der LIDL-Eigenmarke gemacht. Nachteilig sind der vergleichsweise hohe Preis und die nicht mehr ganz so praktische Entsorgung, weil die Schmutzwindel nur noch an einer Stelle verschlossen wird (dazu ist übrigens der Klebestreifen hinten dran - der hat schon so manchen verwirrt). 

Töpfchen oder Toilettenaufsatz?


Kinder sind sehr individuell. Während manche unbedingt rauf auf die große Toilette wollen - ganz wie die Großen! - ist das anderen viel zu unheimlich. So ein großes Loch und so hoch sitzen? Nein - sie ziehen lieber ein bodennahes Töpfchen vor. Bei der Auswahl des Töpfchens sollte man dem Kind die Wahl lassen. Wenn es sich selbst eins ausgesucht hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es das auch gerne nutzt, sehr hoch.

Wird die Toilette bevorzugt, sollte die Öffnung mit einem Sitzring (gut geeignet ist der Flexifit) verkleinert oder gleich ein Familiensitz angeschafft werden. Letzterer hat zwischen Sitz und Deckel einen gesonderten Kindersitzring. Viele Kinder mögen es nicht, wenn ihre Beine in der Luft baumeln, während sie auf der Toilette sitzen. Abhilfe schafft ein Tritt oder eine Toilettentreppe - diese erleichtern auch das "Drücken", weil die Füße abgestützt werden können.

Unsere Leserin Sonja hat mir den Rotho-WC-Sitz Top empfohlen. Er ist durch vier verschiedene Einstellungen auf unterschiedliche WC-Brillen anpassbar. Der vordere Spritzschutz ist vergleichsweise hoch - ein wichtiges Detail für Jungs. Schon Dreijährige können den Sitz selbständig installieren. 

In der Phase des Sauberwerdens bietet es sich an, mobile Töpfchen bei sich zu führen. Zwar nimmt es vermutlich kaum einer übel, wenn sich ein Kleinkind in der freien Natur erleichtert, aber Stuhlgang im Freien kann ziemlich auf Mamas Oberschenkelmuskulatur gehen und die Entsorgung großer Geschäfte ist auch nicht so super angenehm. Nicht immer ist eine Toilette in der Nähe und manchmal muss es auch sehr schnell gehen.

Töpfchen für unterwegs gibt es in der Variante Einmalverwendung und gleich komplett Wegschmeißen aus Pappe oder für die Handtasche ein Töpfchen aus Kunststoff, das mit einem Tütchen ausgekleidet wird. Bekanntester Vertreter des klappbaren mobilen Töpfchens ist die Potette. Dort wird ein Einlegetütchen hinein gelegt, das dann nach der Benutzung entsorgt werden kann. Besonders praktisch an der Potette ist, dass sie unterwegs auch als Toilettenaufsatz verwendet werden kann - einfach auf öffentliche WC-Sitze legen und das Kind kommt dann damit nicht in Berührung. Etwas günstiger ist das Tippitoes Travel Potty, das jedoch nicht ganz so flach ist.

Podcast


Mit Nicola Schmidt haben wir in unserem Podcast über das Sauberwerden (und auch über Windelfrei gesprochen - hört unbedingt mal rein!




Buchtipps 


Wenn man die Kinder nicht sooo gerne mitnimmt, wenn man die eigenen Geschäfte verrichtet, dann kann man das Mysterium Toilettengang für Kinder mit Büchern erklären. Wirklich schöne Bücher zu dem Thema sind:


Was mir nicht gefallen hat, war Leo Lausemaus - Lili geht aufs Töpfchen, weil da die kleine Schwester als Windelträgerin wirklich unschön herabgesetzt wird. 

Zu guter Letzt - ein Wort zum ständigen Lamentieren der älteren Generation 


Das Trockenwerden war eines der heißesten Konfliktfelder zwischen mir und meiner Mutter. Sie hat mittlerweile von meinem Vater verboten bekommen, darüber zu reden, weil er es nicht mehr hören kann. Meine Mutter behauptet, ich sei mit 11 Monaten trocken gewesen. Das habe ich mal ihrer Schwester (also meiner Tante) erzählt, die in schallendes Gelächter ausbrach. 

Das Problem an der Stelle ist wieder die Definition des "Trockenseins". Vermutlich war ich durchaus in der Lage, in ein Töpfchen zu pullern - aber gut, die Wahrscheinlichkeit, dass da mal was rein geht ist recht hoch, wenn man das Kind stündlich auf den Topf setzt. Damals ließ man die Kinder auch gerne mal so lange sitzen, bis sie etwas rein gemacht haben - auch das kleinste Kind begreift entnervt irgendwann, dass es etwas produzieren muss, um aufstehen zu dürfen. Nur - ich hatte es ja schon geschrieben - hat Pullern auf Befehl wenig mit dem Wahrnehmen des Urinierbedürfnisses zu tun.

Meine Mutter will partout nicht verstehen, dass die Aussage, dass das Trockenwerden ein Reifungsprozess ist, nicht von Pampers in Umlauf gebracht wurde. Für sie ist das heutige Gewese um das Sauberwerden eine Verschwörung der Windelindustrie. Ich habe es aufgegeben. Es ist nicht meine Aufgabe, meiner Mutter die Welt zu erklären - ich kann mich aber freundlich für ihre Ratschläge bedanken und sie höflich darum bitten, mich einfach machen zu lassen, was ich für richtig halte.

Nachtrag: Wir haben das Thema Trockenwerden gegenüber meinem Sohn nicht weiter thematisiert. Ein Jahr nachdem dieser Artikel erschien - das war etwa ein Monat, nachdem er 4 Jahre alt wurde - stolzierte mein Sohn eines Morgens in die Kita, zog seine Windel aus und drückte sie der Kita-Leiterin mit den Worten: "Die brauche ich nicht mehr" in die Hand und ging ab da wie selbstverständlich auf die Toilette. Auch bei ihm nahm ich in den nächsten ein bis zwei Wochen ein paar nasse Hosen mit nach Hause und dann war das Thema innerhalb kürzester Zeit erledigt.

Blum NJ, Taubnam B, Nemeth N. Relationship between age at initiation of toilet training and duration of training: A prospective study. Pediatrics. 2003;111:810–4