Auch im Buggy sollten Kinder rückwärtsgerichtet fahren
In den ersten Monaten ist es selbstverständlich, dass Eltern ständigen Blickkontakt mit ihrem Kind haben, wenn sie es im Kinderwagen umher fahren. Sobald das Kind frei sitzen kann, wechseln viele Eltern auf den Buggy, weil diese kleiner und leichter sind. Die meisten Buggys sind so konzipiert, dass die Kinder darin grundsätzlich nach vorne schauen. Nur wenige Modelle bieten die Möglichkeit, die Sitz- oder die Schieberrichtung zu variieren.
Viele Eltern sind der Überzeugung, dass es vorteilhaft ist, die Kinder mit dem Blick nach vorne zu schieben, weil sie ein großes Interesse daran haben, ihre Umgebung intensiv und neugierig zu betrachten. Der nachfolgende zeigt sehr eindrucksvoll eine Buggy-Fahrt aus der Perspektive eines Kindes. Ohne es beeinflussen zu können, wird das Kind hin- und hergeschoben, Wendungen oder Richtungswechsel sind oft unvorhersehbar. Unvermittelt tauchen Autos, Hunde, Werbung und Menschen auf. Von letzteren hat das Kind häufig den Po oder die Geschlechtsteile im Gesichtsfeld. Unbekannte Geräuschquellen verwirren zusätzlich.
Durch diesen Film bekommt man einen recht guten Eindruck davon, wie diese vielen ungefilterten und abrupt wechselnden Sinneseindrücke Kinder überfordern können. Wir Erwachsenen haben uns an dichten Verkehr, laute Baustellen und viele Menschen gewöhnt - für unsere Kinder ist diese hektische Welt jedoch noch weitestgehend unbekannt - vor allem, wenn sie in den letzten Monaten hauptsächlich liegend im Kinderwagen transportiert wurden. Viele Dinge, die sie sehen und hören sind ihnen unbekannt und machen ihnen Angst - je jünger ein Kind ist, um so empfindlicher ist es bezüglich einer Reizüberflutung. Es gibt auch Kinder, denen fällt es ganz besonders schwer, Reize zu verarbeiten. Sie schreien schon als Neugeborene in den ersten Wochen oft stundenlang in den Abendstunden, weil sie sehr müde sind, aber nicht abschalten können.
Stressabbau durch Blickkontakt
Wenn Kinder Angst haben oder verunsichert sind, brauchen sie die Rückversicherung ihrer die Eltern. Diese können sie mit Worten oder einem Lächeln beruhigen und signalisieren: "Es ist alles in Ordnung - du musst dich nicht sorgen". Dieser beruhigende Blickkontakt ist in einem nach vorne gerichteten Buggy nicht möglich. Die fehlende Rückversicherung kann dazu führen, dass Kinder sich in sich zurückziehen und beginnen, der Welt grundsätzlich skeptisch gegenüber zu treten.
Entgegen der Blickrichtung geschoben ist kein intensiver Blickkontakt möglich |
Vor allem in der Fremdelphase, die um den achten Monat (manchmal früher, manchmal auch etwas später beginnt), haben Kinder üblicherweise stärkere Ängste. Diese Ängste sollen dafür sorgen, dass sie sich nicht allzu weit weg von ihren Bezugspersonen entfernen. Manche Kinder wollen in dieser Phase am liebsten 24 Stunden am Tag an Mama oder Papa festgeklebt sein - jeder Annäherungsversuch oft auch vertrauter Personen wird sehr kritisch beäugt. In dieser Phase reagieren Kinder also überaus empfindlich auf fremde Menschen. Sitzen sie vorwärts in einem Buggy, blicken sie unentwegt in fremde Gesichter, die sie ängstigen. Experten empfehlen daher, erst gegen Ende des zweiten Lebensjahres die Blickrichtig zu wechseln, vor allem vor dem Hintergrund, dass Kleinkinder teilweise bis zu zwei Stunden am Tag im Buggy verbringen.
Natürlich gilt auch hier wieder: jedes Kind ist anders. Manche Kinder verlangen schon relativ früh, dass sie mit Blick nach vorne fahren können. Sie meckern und versuchen sich so zu positionieren, dass sie sehen, was in Fahrtrichtung passiert. In diesem Fall spricht natürlich nichts dagegen, dem Verlangen des Kindes zu entsprechen. Man sollte jedoch im Hinterkopf behalten, welche Verhaltensweisen auf Stress hindeuten können. Denn dann kann man durch eine genaue Beobachtung des Kindes schnell herausfinden, ob es tatsächlich interessiert die Umgebung betrachtet oder mit einer Reizüberflutung kämpft.
Wissenschaftliche Untersuchung zur Blickrichtung im Kinderwagen
Die Entwicklungspsychologin Dr. Suzanne Zeedyk von der Universität von Dundee in Schottland untersuchte und analysierte in einer Studie das Verhalten von über 2.700 Eltern-Kind-Paaren während diese mit dem Kinderwagen unterwegs waren. Sie fand heraus, dass Kinder, die rückwärts gerichtet fuhren, öfter lachten und seltener weinten. Sie schliefen auch häufiger ein, weil sie offenbar leichter entspannen konnten. Fuhren die Kinder mit Blickrichtung nach vorne, hatten sie eine erhöhte Herzfrequenz, was auf Stress hindeutet. Ein dauerhaft erhöhter Stresslevel kann sich auf die langfristige Entwicklung des Kindes auswirken.
Insgesamt wurden bei dieser Untersuchung etwa 62% der Kinder mit dem Blick nach vorne geschoben - bei den ein- bis zweijährigen waren es sogar 86 %. Nur etwa 11 % dieser Kinder wurden während der Fahr angesprochen. Bei denjenigen, die Blickkontakt mit den Eltern hatten, waren es 25 %. Noch deutlicher war der Unterschied beim Lachen - 50 % der Kinder, die ihre Eltern sahen, lachten - bei denen, die keinen Blickkontakt hatten, war es nur ein einziges Kind.
Insgesamt wurden bei dieser Untersuchung etwa 62% der Kinder mit dem Blick nach vorne geschoben - bei den ein- bis zweijährigen waren es sogar 86 %. Nur etwa 11 % dieser Kinder wurden während der Fahr angesprochen. Bei denjenigen, die Blickkontakt mit den Eltern hatten, waren es 25 %. Noch deutlicher war der Unterschied beim Lachen - 50 % der Kinder, die ihre Eltern sahen, lachten - bei denen, die keinen Blickkontakt hatten, war es nur ein einziges Kind.
Anzeichen für gestresste Kinder
Kleine Kinder verfügen bereits über Selbstschutztechniken. Gerät ein Baby bspw. in Panik, weil auf sein Weinen niemand reagiert, kann es passieren, dass der Körper das Notfallprogramm "Abschalten" aktiviert und das Kind auf der Stelle ruhig wird oder sogar einschläft. Dieses Programm hat Babys jahrtausendelang geschützt - sollte ein Kind tatsächlich einmal schutzlos irgendwo herum gelegen haben, war sein Überleben wahrscheinlicher, wenn es nicht durch anhaltendes Schreien auf sich aufmerksam gemacht hat. Einfach einzuschlafen erhöhte die Überlebenswahrscheinlichkeit in solchen Fällen sehr. Aber auch ältere Kinder nutzen das Abschalten, wenn sie Gefühle wie Panik, Angst oder Schmerzen nicht mehr selbst regulieren können.
Stress äußern Kinder durch verschiedene Symptome: sie saugen ausdauernd und heftig an ihren Schnullern oder Trinkflaschen. Manche Kinder beginnen zu quengeln oder zu weinen - andere werden auffallend ruhig, was häufig als Faszination oder großes Interesse an der Umwelt fehlgedeutet wird. Durch den fehlenden Blickontakt finden auch der übliche Informationsausstausch über das Befinden des Kindes nicht statt. Normalerweise reagieren Eltern sehr feinfühlig auf kleinste Signale des Kindes. Wenn dieses jedoch mit dem Rücken zu ihnen im Kinderwagen sitzt, ist diese nonverbale Kommunikation unterbrochen. Das Kind ist auch bspw. durch das Angeschnalltsein nicht oder nur schwer in der Lage, einen Blickkontakt herzustellen.
Mit welchen Buggys kann man auch rückwärts gerichtet fahren?
Leider kann man bei den meisten Buggys und Sportwagen auf dem Markt weder die Richtung der Sitzeinheit noch des Schiebers wechseln. Daher ist es meist sinnvoll und vor allem nachhaltig, weiterhin den Kombikinderwagen zu nutzen, auch wenn sie sperriger und schwerer sind. Denn bei Kombimodellen ist es bei fast allen Modellen möglich, die Kinder rückwärts gerichtet zu transportieren.
Will man einen bezüglich der Blickrichtung variablen Buggy kaufen, ist das schwierig. Schon im Jahr 2013 gab es einen offenen Brief der Stiftungsinitiative "Für Kinder" an die Kinderwagenhersteller. Darin heißt es:
Will man einen bezüglich der Blickrichtung variablen Buggy kaufen, ist das schwierig. Schon im Jahr 2013 gab es einen offenen Brief der Stiftungsinitiative "Für Kinder" an die Kinderwagenhersteller. Darin heißt es:
"Zunehmend sind Kinderwagen bzw. Buggys, die heute ja oft auch für den Transport von Säuglingen verwendet werden, nach vorn ausgerichtet. Immer öfter werden damit schon Babys weg von den Eltern oder Betreuungspersonen hinein in die Welt geschoben – und damit überfordert. Die Eltern glauben, damit ihrem kleinen Kind möglichst viel zu bieten - viel Anregung, viel Stoff für das schnell wachsende Gehirn und die Intelligenzentwicklung.
Vergessen wird dabei das Grundbedürfnis von Babys nach „Rückversicherung“ mit der vertrauten, den Wagen schiebenden Bezugsperson. Ohne diesen direkten Augenkontakt und das so immer wieder gesuchte und versicherte Grundvertrauen können Kinder in denprägenden ersten beiden Lebensjahren die Eindrücke aus der Umwelt jedoch nicht angemessen aufnehmen und verarbeiten. Sie sind überfordert, verunsichert und unnötigangestrengt. Nicht „Erweiterung“ wird gefördert, sondern ängstliches Zurückweichen.
Wir wenden uns daher an alle Hersteller von Kinderwagen und Buggys mit der Aufforderung, ihre technisch so ausgereiften Produkte nun auch kindgerecht zu optimieren und die Blickrichtung des Kindes auf seine vertraute Bindungsperson möglich zu machen".
Leider hat sich in den letzten Jahren dennoch nicht sehr viel getan. Wir haben für Euch recherchiert, welche Buggymodelle aktuell einen Richtungswechsel ermöglichen - hier ist die Liste der Buggys mit schwenkbarer Sitzeinheit oder Schwenkschieber (Kombikinderwagen sind nicht aufgeführt):
© Danielle
*Diese Modelle haben rückwärtsgerichtet eine beschränkt einstellbare Rückenlehne (die manche Kinder zu flach empfinden).
- Bébé Confort Loola up
- Babyjogger Vue und City Select
- Be Cool Slide
- Britax Römer Buggy B-SMART 3 und 4, Affinity, Smile und Go
- Bugaboo Bee
- Chicco Buggy For Me
- Concord Neo
- Concorde Wanderer
- Cybex Balios und IrisJane Muum
- Hauck Eagle
- Herlag Trento
- Joie Children Mirus Teal, Chrome und Float
- kiddy click´n´move 3
- Kidmeister Kindersportwagen
- Koelstra Binque Daily
- mamas & papas urbo, urbo 2, armadillo und sola 2
- Moon Flac Sport
- Njoy Up
- Peg Perego pliko Switch, Book und Si switch completo
- Phil & Teds Smart und Navigator
- Quinny zapp Xtra* und Xtra 2.0*
- Quinny Buzz 3 und Buzz Xtra 4
- Quinny Moodd
- Recaro Akuna
- Safety 1st Kokoon
© Danielle
*Diese Modelle haben rückwärtsgerichtet eine beschränkt einstellbare Rückenlehne (die manche Kinder zu flach empfinden).