Im Juni 2016 erschien die überarbeitete Neuauflage des Buches "Menschenkinder" von Herbert Renz-Polster. Aufmerksame Leser unserer Seite wissen, dass die Bücher von Herbert Renz-Polster vor allem die ersten Jahre mit meinen Kindern intensiv begleiteten und sehr positiv beeinflussten.
Wir möchten Euch dieses Buch heute vorstellen und verlosen ein Exemplar der Neuauflage. Wie ihr gewinnen könnt, erfahrt ihr am Ende der Rezension.
Das Buch
Die Bücher von Herbert Renz-Polster sind keine Erziehungsratgeber im herkömmlichen Sinne - der Ansatz des Autors ist vielmehr die evolutionäre Betrachtung des Kindseins: Wohin es gehen soll, weiß nur, wer weiß, woher wir kommen. Er betrachtet Kinder als perfekte, über Jahrtausende durch die Evolution geformte Wesen, die über Eigenschaften und Verhaltensweisen verfügen, die sich in den letzten 100.000 Jahren bewährt haben.
Schlecht schlafende Kinder müssen also biologisch einfach sinnvoll sein. Die Entwicklung aller Kinder auf der Welt läuft nach dem gleichen Muster ab - es handelt sich also ganz offenbar um ein Erfolgsrezept, das man verstehen und nicht bekämpfen muss. Das Buch behandelt daher keine Strategien/Konzepte, wie man Kinder erziehen kann; es soll vielmehr einen Perspektivenwechsel anregen und erklären, warum Kinder sich so benehmen, wie sie es tun und warum das in jedem Falle sinnvoll ist, auch wenn es uns manchmal unverständlich ist und nervt.
Die Ursache für die allgem
eine Verunsicherung in Bezug auf die Erziehung von
Kindern ist laut Renz-Polster maßgeblich Angst. Angst vor dem Verwöhnen (nur die "Abgehärteten" haben Erfolg, weiche Erwachsene versagen in der Gesellschaft), die Angst
Tyrannen groß zu ziehen, nicht perfekt genug zu sein oder nicht genug zu fördern. Aber alle diese Ängste sind unberechtigt - das Eingehen auf Bedürfnisse wie Nähe ist kein
Verwöhnen, sondern das Erfüllen
von Grundbedürfnissen.
Die Menschen wurden erst vor ein paar Tausend Jahren sesshaft - davor zogen sie als Wandervölker durch die Gegend. Kinder, die nicht ständig einforderten, am Körper getragen zu werden, liefen Gefahr, vergessen oder gefressen zu werden. Auch ein Tyrannen-Dasein ist grundsätzlich von der Natur nicht vorgesehen - warum sollten Kinder sich gegen die Erwachsenen richten, die ihr Überleben sichern? Sie sind auf
Kooperation angewiesen, weswegen sie nicht von Grund auf "böse" sein können. Daher ist die Angst, Tyrannen groß zu ziehen, unberechtigt. Perfektion ist nicht erforderlich - die Evolution hat mögliche Fehler einkalkuliert - Irrtümer in normalem Umfang werden keine Erziehung ruinieren. Auch aktive Förderung ist von der Natur nicht vorgesehen (bis vor 200 Jahren ging es vor allem ums Überleben - für
gezielte Förderung war gar keine Zeit).
Es ist
auch nicht erforderlich, Kinder zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit "zu erziehen", da das Kind von Natur aus danach strebt - in der Regel spätestens dann, wenn der Zeitpunkt kommt,
wo der Platz in Mamas Arm für ein Geschwisterchen geräumt werden muss/müsste. Da Mama keine Kapazität hat, ständig mehrere Kinder zu tragen, bereitet sich das Kind ab etwa 18 Monaten
auf seine Autonomie vor - indem es nachdrücklich alles selbst machen will. Das ist seine Vorbreitung für die Zukunft in Kleinkindergruppen, wo in seiner Sozialität geprägt wird.
Renz-Polster erklärt in seinem Buch auch, warum Kinder kein Gemüse essen (weil sie nach dem Motto handeln: "Iss nur was Du kennst und bitter ist potentiell giftig"), warum auch Kleinkinder noch gerne getragen werden wollen (in der Regel, wenn sie müde sind und die Gefahr besteht, dass die zurückfallen könnten und dann schutzlos wären) oder ständig dazwischen plappern (Aufmerksamkeit auf sich selbst richten - so verpasst Mama keine gefährliche Situation).
Die evolutionäre Betrachtung erklärt auch, warum die Pubertät so konfliktbehaftet ist - war sie doch von jeher der Höhepunkt der Entwicklung, der Kreativität und des Erforschungsdrangs. Durch das starke Setzen von Grenzen (vornehmlich) zu ihrem Schutz wird das Kind eingeengt und die Kinder sind überfordert von der Diskrepanz zwischen Wollen und Können.
Renz-Polster stellt fest, dass jedes Kind eine individuelle Erziehung braucht - das Kind im Plattenbau in einem Problemviertel in Berlin eine ganz andere, als das Kind zweier Akademiker im Münchener Vorort oder das Kind chinesischer Reisbauern. Daher ist Erziehung eine ständige Neuerfindung ohne Patentrezept, die dennoch immer auf den selben Ur-Elementen basiert. Abschließend analysiert er, warum es derzeit keine wirklich artgerechte Umgebung für Kinder gibt (weil es das Dorf, das es braucht, um Kinder zu erziehen, so nicht mehr existiert) und was man tun könnte, um das zu verbessern.
Fazit
Das Buch von Renz-Polster ist ein wirklich außerordentlich interessanter, relativ kurz gefasster Exkurs in eine evolutionäre Betrachtung der Erziehung und eine Analyse der Schwachstellen der heutigen Gesellschaft. Es handelt sich dabei nicht um einen klassischen Erziehungsratgeber im Sinne von "Will ich A erreichen, muss ich B anwenden" sondern es betrachtet einfach das "Warum sich Kinder so benehmen, wie sie es tun und warum das gut und richtig ist, nur zunehmend schwieriger zu handhaben".
Wem dieser Ansatz gefällt, dem kann ich wirklich auch wärmstens das deutlich umfangreichere, aber dennoch wirklich kurzweilig und sehr unterhaltsam geschriebene "Kinder verstehen - Born to be wild" empfehlen - für mich persönlich eines der aufschlussreichsten Bücher über Kinder (und ich muss darüber auch unbedingt bald mal eine Rezension schreiben).
Für die, die nicht ganz so viel Zeit haben zu lesen (was mit kleinen Kindern durchaus vorkommen soll), gibt es das etwas komprimiertere Buch "Menschenkinder". Ich persönlich finde auch, dass das Buch wirklich ein tolles Geschenk zur Geburt ist.
© Danielle