Welche Auswirkungen können Computerspiele auf unsere sozialen Beziehungen haben?
In den letzten beiden Teilen dieser Serie ging es darum, warum unsere Kinder so gerne Spiele und Apps spielen und welche Auswirkungen das Spielen auf das Gehirn haben kann. Heute soll es darum gehen, welche Auswirkungen die Nutzung der Neuen Medien auf unsere Beziehungen haben kann.
Spiele können Zeit für persönlichen Kontakt nehmen
Dass Steve Jobs ein notorischer "Low-Tech-Dad" war, ist mittlerweile allseits bekannt. Seine Kinder durften nur am Wochenende kurz mal auf ihre Ipads gucken, nicht aber während der Schulwoche. Auch andere Eltern in hochrangigen Positionen bei Twitter, Facebook etc. haben den selben Ansatz: ihre Kinder so lange es geht und so weit wie möglich von den Neuen Medien fern zu halten. Sie sollen lieber Bücher lesen, in der Natur spielen oder sich miteinander unterhalten. Als ich bei Glucke und So las, dass auch Verena Pausder, Mitbegründerin des App-Herstellers Fox and Sheep, ihren Söhnen nur am Wochenende jeweils 30-45 min Ipad-Zeit zugesteht, wenn sie mit der Bahn oder dem Auto zu einem Ausflug ins Grüne fahren, wurde ich hellhörig. Weiß sie zufällig mehr als wir? Sind Apps und Co. so schädlich, dass die, die damit beruflich zu tun haben, sie ihren eigenen Kindern nicht geben wollen? Ich schrieb sie an und fragte nach.
Snowqueen: "Warum hast du diese doch ziemlich starke Einschränkung in der Nutzung eingeführt?"
Verena Pausder: "Weil sie zu unserem Rhythmus als Familie passt. Ich arbeite Vollzeit und komme abends um 18 Uhr nach Hause. Meine Kinder gehen um 20 Uhr ins Bett. Während dieser Zeit kochen und essen wir zusammen, sie baden, wir spielen noch etwas zusammen, lesen ein Buch und dann ist Bettzeit. Eine App oder der Fernseher passen da zeitlich nicht. Denn beim Buch einigen wir uns immer abwechselnd auf ein Buch, welches wir dann zusammen lesen, bei einer App würde jedes Kind spielen wollen, sodass sie an unterschiedlichen Geräten säßen und wir keine gemeinsame Zeit hätten. Am Wochenende oder auf Reisen finde ich Apps hingegen toll, da sie den Kindern großen Spaß machen und man viele Sachen mit ihnen machen kann, die mit Buch oder Brettspiel nicht gehen".
Das ist natürlich ein Argument, dem man nur zustimmen kann. Die wenigsten Computer- oder Konsolenspiele sind dazu angelegt, sie gemeinsam zu spielen. Es gibt natürlich oft einen Mehrpersonenmodus, aber dort spielen die einzelnen Menschen meist doch so "miteinander", dass sie währenddessen auf den Bildschirm schauen und sich wenig unterhalten. Es ist also eher ein nebeneinander her spielen. Es gibt Ausnahmen, wie z.B. beim WiiParty Spiel der Wii-Konsole von Nintendo, bei dem die gesamte Familie auch zusammen spielen kann. Doch betrachtet man eine willkürliche Auswahl von Apps, Computer- oder auch Online-Spielen, stellt man schnell fest, dass die allermeisten davon einzeln gespielt werden.
Damit greifen sie unsere Kinder leider genau an der Stelle an, an der es heutzutage sowieso schon ein Defizit gibt. Denn die wenigsten von ihnen dürfen heute noch - wie noch die Kinder einer Generation vor ihnen - in heterogenen Kindergruppen wirklich frei durch die Gegend stromern und ihren ganz individuellen Entwicklungsaufgaben nachgehen. Unsere Gesellschaft hat sich einfach in eine Richtung entwickelt, in der wir immer isolierter aufwachsen. Immer seltener treffen Kinder draußen auf andere Kinder zum spontanen Spielen, aber sehr wohl ist online immer jemand verfügbar, der mit ihnen spielt. (Das ist ja auch der Punkt, der uns Eltern so oft an unsere Smartphones treibt - es ist einfach schön, jederzeit mit dem Online-Clan quatschen zu können.) Fakt ist, dass wir diese Entwicklung kaum in der Hand haben. Was wir jedoch steuern können ist, ob wir unsere Kinder zusätzlich noch einer Spiel-Welt aussetzen sollten, die die realen sozialen Beziehungen einschränken, zumal wir mittlerweile durch die Erkenntnisse der Hirnforschung wissen, dass diese ein wichtiger Faktor zur Befriedigung der echten Grundbedürfnisse des Menschen sind.
"Bei den wichtigsten Entwicklungsaufgaben der frühen und mittleren Kindheit sind die Neuen Medien im Grunde Totalausfälle. In vielen Fällen saugen sie eben doch Beziehungen weg. Da nutzt auch das Argument nicht, die elektronischen Spiele würden in Wirklichkeit doch nur die alten, analogen Spiele ersetzen - ob ein Kind nun Halma oder Mühle auf einem Brett spiele oder auf einem iPhone, das sei doch egal. Das stimmt nicht. Die meisten Applikationen, gerade für die Kleinen, bieten eben kein gemeinsames Spiel. Vielmehr hat es der Spieler mit vorprogrammierten Reaktionen auf einem Bildschirm zu tun. Der intersubjektive Aspekt entfällt - und was das bedeutet, zeigt sich, wenn man Kindern einfach mal zuschaut, was sie bei so einem analogen Halma- oder Mühle-Spiel so alles erfahren und veranstalten. Da wird gequatscht, gelacht, gestritten, da fließt eine unbändige Energie hin und her, von Auge zu Auge, Gesicht zu Gesicht. Wenn die Kinder über ihre Handys zusammen spielen, ist dieser direkte Draht ausgedünnt" [Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 146].
Wenn wir uns allerdings sicher sind, dass unsere Kinder genügend "direkten Draht" zu uns und ihren Peers haben, braucht es uns keine Sorgen zu machen, wenn sie sich an den Neuen Medien ausprobieren. Das elektronische Spiel und der persönliche Kontakt sollte nur eben ausgeglichen sein. Es ist auch nicht dramatisch, wenn ein Kind solche Neugier und Lernlust auf ein Spiel hat, dass es sich mehrere Tage hintereinander zurückzieht, um daran zu spielen. Das ist normal! Und doch sollte, nach einer Weile, der direkte Kontakt zu den Liebsten wieder hergestellt werden. Ich konnte diesen Neugier-und-Lernlust-Effekt an meinen eigenen Kindern beobachten - ich erzähle euch im nächsten Abschnitt davon.
Spiele und Apps können passiv machen
Ich deutete im ersten Teil der Artikelserie schon an, dass der von der Natur vorgesehene ultimative Zweck des kindlichen Spiels eine Erweiterung der Lebenskompetenzen ist. Während das Kind also einen Baum erklettert oder das Wasser des Baches in einen selbst gegrabenen Kanal umleitet, versinkt es im Flow, es werden Glückshormone im Gehirn ausgeschüttet und es empfindet Freude am Tun. Selbst, wenn das Spiel körperlich schwer und anstrengend ist, macht ihm das Ganze "Spaß". Gleichzeitig, ohne, dass es sich dessen bewusst ist, trainiert es seine Muskeln und es lernt etwas über die Grenzen seines eigenen Körpers und natürlich auch über die Beschaffenheit des Flusses und der Erde.
Computerspielen sind immer vorgegebene (von anderen, meist Erwachsenen, programmierte) Spiele. Bei ihnen steht vor allem der "Spaß" im Vordergrund, nicht die Erweiterung von Lebenskompetenzen. Der erlebte Spaß, der in früheren Generationen Ansporn dafür war, raus zu gehen, tiefe Löcher zu buddeln, mit den Freunden Fußball zu spielen oder mit einer Glasscheibe Herbstblätter anzukokeln, wandelt sich bei Computerspielen in ein relativ passives Unterhalten- werden-wollen. Der natürliche Selbstzweck des Spiels geht damit verloren - es geht eigentlich nur noch um das "Spaß haben". Und das ist ja auch der Punkt, der der heutigen Generation von Kindern und Jugendlichen vorgeworfen wird: Eine Spaßgesellschaft zu wollen, in der sie sich nicht mehr durch schwierige oder anstrengende Anforderungen durchbeißen müssen. Das ist natürlich erstens viel zu pauschal betrachtet und zweitens auch echt unfair, denn diese passive, auf schnelle Bedürfnisbefriedigung und Spaß ausgelegte Haltung wurde ihnen ja quasi durch die gesellschaftlichen Lebensumstände anerzogen!
Kein Baby kommt auf die Welt und will "Spaß" haben. Sie kommen auf die Welt und wollen emotionale Verbindung mit anderen und sie wollen die Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln, zu lernen. Aber natürlich sind Kinder anpassungsfähig. Wird ihnen immer wieder, wenn ihnen langweilig ist, oder sie die Erwachsenen mit ihren Wünschen nerven, ein Smartphone in die Hand gedrückt, wird dem vernünftigen Teil ihres Gehirns, dem präfrontalen Cortex, unmissverständlich signalisiert: Deine Arbeit wird nicht gebraucht.
Der präfrontale Cortex ist aber derjenige, der uns befähigt, mal den "Arsch hochzukriegen", uns durchzubeißen, uns, wenn es langweilig ist, aufzuraffen, etwas dagegen zu tun. Es ist also ein bisschen ungünstig, ihn durch unser Erwachsenen-Verhalten immer wieder davon abzuhalten, das Kind dazu "anzutreiben", sich aktiv eine Aufgabe zu suchen und sich so selbst aus der Langeweile zu befreien.
Ich habe in diesem Sommer mal einen Selbsttest mit meinen Kindern gemacht. Der ist natürlich in keiner Weise statistisch relevant oder valide, sondern nur ein praktisches Beispiel. Meine Kinder durften im Urlaub drei Wochen lang so oft sie wollten Apps auf ihrem iPod spielen oder auch Kinder-Serien mit der ZDF Tivi App gucken. Normalerweise schauen wir am Wochenende einen Kinderfilm auf DVD und bei langen Zugfahrten oder beim Haareschneiden können sie mit Apps spielen. Sie kennen sie also, nutzen sie aber nicht oft. Dafür sind wir normalerweise nach der Kita und Schule noch lange draußen. Oft auf dem Spielplatz, manchmal im Garten, manchmal in unserem (sehr trüben) Berliner Hinterhof. In den Ferien nun änderten wir also diese Regelung.
Das Erste, was mir auffiel war, wie wunderbar einfach das für Eltern ist. Meine Kinder verschwanden mit ihren iPods auf ihren Betten und daddelten oder guckten ihre Filmchen und lachten oft laut. Ich hatte plötzlich unendlich viel Zeit für den Haushalt oder auch für mein eigenes Smartphone. War das schön!
Eine meiner Töchter, die sich auch Süßigkeiten gut einteilen kann, nutzte ihren iPod zwar oft, aber legte ihn auch weg, um zwischendurch mit ihren Püppchen zu spielen. Meine andere Tochter, die ungerne in Rollenspielen versinkt und mit Püppchen nichts anfangen kann, sondern eher im Matsch wühlt, aus Blättern und Ästen Kunstwerke verknotet und Schnecken ein "Schneckenparadies" baut, blieb meist in der Wohnung und spielte demnach kaum noch etwas anderes.
Ich verzeichnete mehr Streit zwischen meinen drei Kindern und auch mehr Stress mit uns Eltern. Es war irgendwie "schlechte Luft". Der Ärger war stärker, als normal, die Schwestern konnten sich in der Zeit schlecht auf irgendetwas einigen oder auch zurückstecken. Nach einer Woche wurde viel geweint und viel explodiert. Nur, wenn der iPod zur Hand war und jede in einem anderen Zimmer lag, war es weiterhin angenehm ruhig.
Nach drei Wochen (am Ende der Kitaferien) erklärte ich das Experiment für beendet. Der Fernsehzugang und die Spiele auf den iPods wurden gelöscht, nachdem wir als Familie über die Auswirkungen gesprochen hatten. Meine Töchter hatten, wie sie sagten, schon selbst gemerkt, dass das Spielen und das Gucken an den iPods zwar schön war, sie jedoch gleichzeitig gereizter und empfindlicher waren und sie in Situationen wütend wurden, die sie normalerweise als nicht so schlimm empfunden hätten. So fanden sie das Ende der App-Zeit zwar schade, aber auch erleichternd. Nur mein kleiner zweijähriger Sohn, der auch hatte spielen dürfen, trauerte seinen Apps eine Weile nach, ließ sich aber gern durch Bücher und gemeinsame Spielangebote davon ablenken.
Die Nachwirkungen der Apps blieben uns noch ein wenig erhalten. Es fiel ihnen immens schwer, wieder selbst ins Spiel zu kommen. Sie baten mich überproportional oft, ihnen etwas vorzulesen oder mit ihnen ein Gesellschaftsspiel zu spielen. Ihnen war oft langweilig und sie nahmen dann jedes Mal den iPod in die Hand, um wenigstens ein Hörspiel vorgespielt zu bekommen. Sie wollten weiterhin lieber nach hause (bei strahlendem Sonnenschein!), als auf den Spielplatz. Sie stritten sich stark und gönnten sich nichts.
An einem Sonntag nach zwei Wochen App-Abstinenz war der Spuk plötzlich vorbei - wir waren den ganzen Tag draußen gewesen und mussten kurz vorm Wahllokal halt machen, damit wir Eltern wählen gehen konnten. Dort hockten sich die Kinder auf den Weg und fingen an, die kleinen staubigen Kiesel zusammenzusuchen, in die Luft zu werfen und zu beobachten, wie der Staub vom Wind getragen wurde, während die Kiesel gerade nach unten fielen. Einträchtig und versunken hockten sie alle drei nebeneinander, Hosen und Hände dreckig, und halfen sich gegenseitig, noch mehr Staub zusammenzuklauben. Im Prinzip gab es dort nichts zum Spielen und doch blieben wir weit über eine Stunde dort, bis uns Erwachsenen kalt und der Himmel dunkel wurde. Die Kinder hätten gern noch weiter gespielt.
Seit dem sind sie wieder die Alten. Die eine spielt mit Püppchen, die andere läuft durchs Gebüsch und klettert Bäume hoch, der dritte buddelt und rutscht. Allerdings fragt der Zweijährige durchaus öfter nach, ob er mal wieder die "Kakete" angucken dürfe. (Er hatte in der Zeit gern den Start einer Rakete auf seinem iPod angeguckt.) Meine Kinder spielen wieder mehr miteinander und schaffen es, ihre eigenen Wünsche zurückzustecken, um dem Geschwisterkind den Vorrang zu lassen, etwas, was in der App-Zeit wirklich die allergrößten Probleme bereitete. Ich habe nicht mehr so viel Freizeit, wie in der App-Zeit, aber ich bin auch nicht mehr der Alleinunterhalter, wie in der Nach-App-Zeit. Ich kann mich wieder einem einzelnen Kind zuwenden, während die anderen ihr eigenes Ding machen und ab und zu habe ich Zeit für Erwachsendinge, so, wie vor dem Experiment. Wir sind als Familie wieder mehr zusammen und liegen nicht mehr jeder auf seinem Bett und starren aufs Display.
Ich fand die Zeit, in der wir alle mit unseren Apps beschäftigt waren, nicht per se schlimm. Einiges davon (die viele freie Zeit für mich) war sogar sehr angenehm. Aber die - ich sag mal - "Nebenwirkungen", nervten irgendwann so sehr, dass ich den Zugang lieber wieder begrenze. Es erscheint mir persönlich für unsere Familie angenehmer.
Als Fazit nehme ich aus unserem Kurzexperiment mit, dass es wohl Kinder gibt, die an sich eine gute Selbststeuerung haben und die mit einen unbegrenzten Zugang zu Computer, Internet und Spielen durchaus verantwortungsvoll selbstregulierend umgehen können - diese Erkenntnis ist ja auch schon durch den Marshmallow-Test von Walter Mischel zwischen 1968 bis 1974 bewiesen worden. Anderen Kindern gelingt die Selbstkontrolle noch nicht ganz so gut. Ich finde, es ist Bestandteil einer bedürfnis- und beziehungsorientierten Erziehung, dass die Eltern diesen Kindern dann unterstützend zur Seite stehen und sie nicht mit dem verlockenden Übernutzungspotential der Medien allein lassen. (Mir ist klar, dass es sein kann, dass die Selbstregulation auch bei meiner zweiten Tochter nach einer Weile eingesetzt hätte und das unser Experiment dafür zu kurz und nicht aussagekräftig ist. Und doch bleibe ich nach Abwägung aller neurobiologischen Fakten bei meiner Entscheidung. Wie ihr euch für eure Familie entscheidet, ist natürlich euch selbst überlassen, ja?)
Das klingt alles sehr negativ. Sollten wir Computerspiele, Konsolen und Apps also verbieten?
Nein. Sowohl Computerspiele, als auch Konsolen und Apps sind weder pauschal "gut" noch pauschal "böse". Wie ich hoffentlich im Artikel herausstellen konnte, muss die Frage, ob die Neuen Medien schädlich sein können, höchst individuell beantwortet werden. Man muss schauen, wie weit die Selbstkontrolle schon entwickelt ist, in welcher Umgebung das Kind aufwächst und wie es mit den sozialen Beziehungen und den anderen Grundbedürfnissen des Kindes aussieht. Kommen viele ungünstige Faktoren zusammen, können Computerspiele schaden anrichten, ja. Aber das bedeutet nicht, dass wir aus Angst vor ihrem Einfluss unsere Kinder davon fern halten sollten. Diese Rechnung wäre zu einfach.
"Denn obwohl nicht wenige Wissenschaftler sich damit befassen, ob und in welcher Weise sich Kinder durch den Konsum der Neuen Medien ändern - Tatsache ist 25 Jahre nach Beginn der Digitalisierungswelle: Wir wissen es nicht. Das liegt in dem Thema selbst begründet. Man kann nun einmal keine sauberen Experimente machen, in denen man Kinder unterschiedlichen Gewohnheiten zuordnet und nach vielen Jahren dann das Resultat vergleichen: Kinder, die montags geboren werden, landen in der Hoch-Konsum-Gruppe, die dienstags Geborenen betreiben wenig Konsum und so weiter... In Wirklichkeit landen die Kinder eben nicht per Zufall in der einen oder anderen Gruppe, sondern wegen und mitsamt ihrer ganzen Lebensumstände, wegen und mitsamt ihrer ganzen Persönlichkeit, wegen und mitsamt ihrer ganzen Probleme. Das ist der Grund, weshalb sich die Studien zu den Auswirkungen des Medienkonsums auf Persönlichkeit, Werte und Lebensgestaltung so häufig widersprechen und jeder je nach Standpunkt 'seine' Studie zitieren kann" [Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 122].
Computerspiele und Smartphones gehören zu unserem digitalen Leben und es ist albern, sie zu verdammen. Sie machen einfach wirklich Spaß und lassen Kinder mit Eifer Neues lernen. In einigen Fällen machen sie unsere Kinder sogar schlauer.
Es ist aber notwendig, einige Dinge im Hinterkopf zu behalten - allen voran eben das wirklich wichtige Zeitfenster im Alter von 2 bis 10 zum Aufbau der neuronalen Bahnen im präfrontalen Cortex. Wir wissen durch Hirn-und Spielforschung, dass die Quellen, aus denen sich die menschliche Entwicklung speist, nicht in der digitalen Welt zu finden sind. [vgl. Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 162] Wir brauchen einen Teil urzeitlicher Umweltbedingungen, um emotional und körperlich gesund und glücklich heranzuwachsen. Diese notwendigen urzeitlichen Umstände zum Aufwachsen sind durch nichts ersetzbar!
Die Einsicht und Selbstkontrolle, dass einige Dinge dosiert konsumiert werden sollten, um nicht schädlich zu sein, ist nicht bei allen von uns automatisch gegeben. Das bedeutet nicht, dass wir deshalb durch Plakate oder andere Maßnahmen (z. B. Schockbilder auf Zigaretten) gegängelt werden sollten. Erwiesenermaßen bringen solche Regelungen nichts. Es bedeutet, dass wir unsere Liebsten aufmerksam begleiten sollten, um ihnen im Fall der Fälle genau das anzubieten, was fehlt, um anhaltende negative Folgen zu vermeiden.
Wichtig ist auch, sich die Spiele, mit denen sich unsere Kinder beschäftigen, ganz genau anzusehen. Es ist z.B. für ein noch junges Gehirn schwierig, wenn Spiele "kein Ende" haben, d.h. eine Mission nicht beendet werden kann. Auch Spiele, die online immer weiter gehen, auch nachts, haben ein hohes Verführungspotential, um bei unbefriedigten Grundbedürfnissen schlechte Angewohnheiten und süchtiges oder semi-süchtiges Verhalten zu forcieren.
Die Spiele sollten auch nicht zu blutig oder gewaltverherrlichend sein, um die durch die Spiegelneuronen gesteuerte Hemmschwelle gegenüber realer Gewalt nicht zu senken. Kinder - und Erwachsene - können durchaus verrohen. Schon allein der Fakt, dass wir an Obdachlosen vorbeigehen, ohne sie eines Blickes zu würdigen zeigt, wie sehr unsere Spiegelneuronen unsere Auffassung von Normalität angepasst haben. Eigentlich wäre es menschliche Natur, Schwächeren und Hilflosen zu helfen. Kinder, die noch nicht oft Obdachlose gesehen haben, haben noch den Wunsch, ihnen zu helfen. Spiele können dazu beitragen, dass wir in gewisser Hinsicht verrohen. Insofern ist es nötig, sie sorgfältig auszuwählen und den Fokus unseres Vorlebens stark auf empathisches Verhalten zu legen.
Nicht alle Spiele sind es also wert, gespielt zu werden. Doch die, die gut gemacht sind, können unser Leben auf angenehme Art und Weise bereichern. Wie leckere Bonbons darf man sie genießen und sich daran erfreuen. Nun gibt es eine schier unübersichtliche Anzahl von Apps, selbst speziell solche für Kinder. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Angebote als Sonderpädagogin und Mutter zu sichten, um meinen Kindern keinen "Schrott" auf den iPod zu laden. Wenn ihr mögt, könnt ihr im letzten Teil der Serie lesen, welche Apps ich für welches Alter empfehle, und warum.
Nur um das schon im Vorhinein ganz klar zu stellen: Dieser vierte Teil der Serie wird durch die Vorstellung der Apps werbenden Charakter haben - ich liste allerdings wirklich nur die Apps auf, die ich für pädagogisch wertvoll und/oder für unbedenklich halte und die meine Kinder wirklich gern spielen.
In unserem Podcast findest Du übrigens auch eine Serie zum Thema digitale Medien:
Teil 1: Die Ängste der Eltern
Teil 2: Aggressionen und Impulskontrolle
Teil 3: Ballerspiele und Amokläufe
Teil 4: Medienexpertin Patricia Cammarata
© Snowqueen
Literatur
Bauer, J., Selbststeuerung: Die Wiederentdeckung des freien Willens, Karl Blessing Verlag, 2015
Bauer, J., Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone, Heyne Verlag, 2006
Liedloff, J., Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit, C.H. Beck, 2013
Renz-Polster, H., Hüther, G.: Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken, Beltz Verlag, 2016
Rogge, J.-U., Kinder können fernsehen: Vom Umgang mit der Flimmerkiste, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999
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