
Moralische Entwicklung - ein langer Weg
Kinder lernen im Laufe ihres Lebens nach und nach die Wertvorstellungen der Gesellschaft kennen, in der sie leben und entscheiden für sich, ob sie danach handeln wollen. Dieser Prozess ist sehr langwierig und von tausenden kleinen Erlebnissen und Überlegungen geprägt. Unbewusst bewerten Kinder immer wieder, wie andere auf ihr Verhalten reagieren und beobachten genau, wie die Menschen in ihrem Umfeld in den verschiedensten Situationen agieren. Sie denken darüber nach, was sie erlebt haben und werten dabei verschiedene Eindrücke aus dem Familienleben, aus der Schule und aus den Medien aus.
Eltern sind in den ersten Jahren für die Moralentwicklung am stärksten prägend. In der Regel übernehmen Kinder ihre Wertvorstellungen zunächst fast vollständig. Mit zunehmendem Alter wird jedoch der Einfluss der Kinder aus derselben Altersgruppe immer höher.
Drei Erklärungsmodelle zur kindlichen Moralentwicklung
Zur kindlichen Moralentwicklung gibt es unterschiedliche theoretische Betrachtungsweisen.
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass Kinder Wertevorstellungen und angemessenes Verhalten allein durch Belohnungen und Strafen erlernen. Sie stützen ihre These auf Beobachtungen in verschiedenen Kulturen. Während Kinder der westlichen Welt bspw. das Schlagen grundsätzlich ablehnen, ist es für Hindu-Kinder akzeptabel, da in diesem Kulturkreis Schläge in der Ehe als normal betrachtet werden.
Es wurde allerdings festgestellt, dass Moralvorstellungen, die auf diese Art und Weise "anerzogen" werden, nicht sehr stabil sind und sich situationsbezogen ändern. In Versuchen (Hartshorne und May) zeigte sich, dass Kinder, die die Gelegenheit haben, zu ihrem Vorteil zu mogeln, ihre Entscheidung davon abhängig machen, ob sie glauben, dabei erwischt zu werden oder nicht. Gingen sie davon aus, ungestraft davon zu kommen, hielten sie sich nicht an ihre moralische Grundeinstellung.
Andere Verhaltensforscher glauben, dass uns moralisches Verhalten von der Natur quasi in die Wiege gelegt wurde. Das schließt man daraus, dass einige – eng mit Moral verbundene – Gefühle schon sehr früh in der kindlichen Entwicklung auftreten und bei ausnahmslos allen Kindern zu beobachten sind: z. B. Scham, Schuldgefühle und Wut. Kinder auf der ganzen Welt zeigen zudem für Menschen, die ihnen nahestehen, liebevolle Gefühle. Egal in welcher Kultur - rund um den Globus lehnen sie Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit ab.
Ein weiterer theoretischer Ansatz geht davon aus, dass die Moralentwicklung eng mit der kognitiven Entwicklung verbunden ist. Kinder würden dabei verschiedene „Moralstufen“ durchlaufen. Dabei nehmen sie zunächst an, dass grundsätzlich immer der Stärkere, Machtvollere recht hat. Erst nach und nach entwickeln sie ein Verständnis dafür, dass es soziale Regeln gibt, die teilweise auch verhandelbar sind und dass es gerechter ist, wenn Kooperation im Vordergrund steht und nicht einseitiger Gehorsam. Die moralische Entwicklung erfolgt nach Ansicht des Psychologen Lawrence Kohlberg dabei in drei Ebenen mit jeweils zwei Stufen. Kinder bis zum Alter von 9 Jahren befinden sich in den Stufen 1 oder 2 der ersten Ebene.
Kinder in der ersten Stufe der ersten Ebene orientieren sich an Strafen und Gehorsam. Sie beschäftigen sich nicht mit moralischen Erwägungen, sondern befolgen die Regeln, die Autoritäten aufgestellt haben. Kohlberg geht davon aus, dass Angst vor Strafe das Handeln maßgeblich beeinflusst.
In der zweiten Stufe erkennen Kinder dann erstmals das Prinzip dass Verhaltensweisen sich gegenseitig beeinflussen. Die eigenen Bedürfnisse stehen für das Kind zwar nach wie vor im Vordergrund - wenn diese jedoch ausreichend befriedigt sind, wird gelegentlich auch das Bedürfnis anderer erfüllt. Dabei handeln sie jedoch nicht altruistisch, sondern um für sich Vorteile zu schaffen ("Wenn ich ihm jetzt die Schaufel man gebe, dann gibt er mir vielleicht das Buddelförmchen"). Auf kooperatives Verhalten reagieren sie in der Regel kooperativ - fügt ihnen jedoch jemand Leid zu, dann rächen sie sich auch dafür.
Erst in der dritten Stufe (dann in der zweiten Ebene), die üblicherweise erst in der Jugend erreicht wird, werden die moralischen Erwartungen anderer erkannt. Jetzt handelt das Kind aus dem Motiv heraus, die Erwartungen von Bezugspersonen zu erfüllen, um ihnen zu gefallen. Die Angst vor Strafen spielt dabei kaum noch eine Rolle. Erst in dieser Stufe entwickeln Kinder dann Schuldgefühle und beziehen die Absichten des Handelnden mit in ihre moralische Bewertung ein.
Kann man Wertvorstellungen mit Bestrafungen festigen?
Die letzte Theorie ist in Bezug auf die Moralentwicklung die bekannteste, sie hat jedoch auch viele Kritiker gefunden. Vor allem die Tatsache, dass Kinder in der ersten Stufe vermeintlich ausschließlich aus Angst vor Strafen moralisch motiviert handeln, wurde widerlegt.
Die Forschungsarbeiten in den letzten Jahrzehnten ergaben vielmehr, dass das Moralverständnis jüngerer Kinder sehr viel komplexer ist, als von Kohlberg angenommen wurde. Schon Vorschulkinder empfinden auch Dinge als "unfair", bei denen sie selbst keine Strafen zu fürchten haben. Sie fühlen manchmal schon eine innere Verpflichtung zum Teilen - sogar dann, wenn ihre Eltern es ihnen ausdrücklich untersagt haben. In diesem Alter handeln Kinder sowohl empathisch ("Ich tue das, damit es meiner Freundin gut geht") als auch mit hohem Gerechtigkeitssinn Gummibärchen ("Die anderen teilen ja auch mit mir und alle sollten genauso viel bekommen")!
Eine Untersuchung von Nunner-Winkler zeigte, dass schon 98 % der vierjährigen Kinder erkennen, dass Diebstahl unmoralisch ist. Etwa 80 bis 90 % der 6- bis 8-Jährigen gaben für verschiedene geschilderte Situationen an, dass man helfen, teilen oder von einer Ungerechtigkeit nicht profitieren sollte. Dabei stand für die Kinder das moralische Handeln selbst im Vordergrund. Fragte man sie, warum bestimmte Handlungsweisen "gut" oder "schlecht" seien, führten sie die entsprechende moralische Norm an („Man schlägt niemanden“, „Stehlen ist unfair!“) - für weniger als 10 % spielte es eine Rolle, dass sich aus dem Verhalten für das Kind selbst positive oder negative Konsequenzen ergeben könnten.
Strafen behindern die moralische Entwicklung vielmehr, weil sie dazu führen, dass Kinder sich vor allem aus Furcht vor der Bestrafung an die Regeln halten und dabei nicht über die moralischen Aspekte ihres Verhaltens nachdenken. Ein Kind, das in sein Zimmer muss, weil es sein Brüderchen getreten hat, wird dort nicht darüber nachdenken, wie sich der Bruder fühlt, sondern es ärgert sich vielmehr, dass es bestraft wurde und sinnt darüber nach, wie es sich beim Geschwisterchen oder den Eltern für diese Demütigung rächen kann oder wie es das nächste Mal verhindert, beim Treten erwischt zu werden.
Moral: Rational? Emotional?
Seit Jahrhunderten denken Wissenschaftler darüber nach, was die Moral nachhaltiger beeinflusst – rationales Denken oder Emotionen. Wenn Menschen moralische Entscheidungen treffen, dann sind im Gehirn sowohl kognitive Bereiche im präfrontalen Kortex als auch Teile des limbischen Systems, in dem die Emotionen sitzen, aktiv. Es stellt sich die Frage nach Huhn und Ei – was ist zuerst da? Bringen uns unsere Emotionen dazu, moralisch zu handeln oder löst moralisches Denken unsere Emotionen aus?
Forscher haben dazu Versuche mit Menschen gemacht, bei denen ein Teil des präfrontalen Cotex zerstört ist. Das führt dazu, dass diese über wenig Einfühlungsvermögen verfügen und kaum Gefühle wie Scham oder Schuld empfinden. Wenn Emotionen bei moralischen Entscheidungen nur eine Folge wären und keinen maßgeblichen Einfluss hätten, dann dürfte diese Schädigung bei moralischen Fragestellungen keine Rolle spielen.
Die Neurologin Liana Young von der Harvard University und ihre Kollegen Michael Koenigs und Antonio Damasio von der University of Iowa versuchten diese Frage in einem Experiment zu ergründen. Sie untersuchten die Gehirnaktivität von Probanden, denen sie schwierige moralische Fragen stellten. In einem Szenario kommen feindliche Soldaten in ein Haus, in dem mehrere Bewohner versteckt im Keller sitzen und hören, wie die Soldaten das Haus durchsuchen. Sie wissen, dass sie getötet werden, wenn sie entdeckt werden. Unvermittelt beginnt das Baby der Familie zu schreien. Die Forscher fragen: Ist es gerechtfertigt, das Baby zu ersticken, um den Rest der Familie zu retten?
Menschen, bei denen ein bestimmter Teil des präfrontalen Cortex beschädigt ist, geben auf diese Frage eine rein rationale Antwort: Natürlich rechtfertigt die Gesamtbetrachtung, einen Menschen zu töten, wenn das verhindern würde, dass mehrere andere sterben. Gesunden Menschen fällt diese Entscheidung außerordentlich schwer - sie wägen moralisch ab und können dazu in der Regel keine Entscheidung treffen, weil ihre Emotionen sie stark beeinflussen. Der präfrontale Cortex fungiert bei moralischen Erwägungen also als eine Art Mittler zwischen dem Verstand und unseren Emotionen - dort wird abgewogen und letztlich entschieden.
Moral oder Konvention?
Schon Kinder im Alter zwischen 2,5 und 5 Jahren sind in der Lage, zwischen Moral und Konventionen zu unterscheiden. Während moralische Grundsätze für sie unveränderlich sind, erkennen sie Konventionen als relativ. Dies zeigte ein interessanter Versuch. Kinder wurden dabei gefragt "Stell dir vor, es gibt eine Schule, da erlaubt der Direktor, dass man Erwachsene mit dem Vornamen anspricht. Ist es richtig, wann man das dann auch tut?" Es herrschte bei den befragten Kindern Einigkeit darüber, dass es in diesem Fall in Ordnung wäre, die Lehrer zu duzen. Bei der Frage "Was wäre, wenn es in dieser Schule erlaubt wäre, dass man die anderen Kinder haut" waren sich die Kinder ebenfalls einig: In diesem Fall wäre es nicht in Ordnung, das zu tun - auch wenn die Autoritätspersonen es erlauben würden.
Die Unterscheidung zwischen Moral und Konvention hängt stark vom Kulturkreis ab. Koreanische Kinder empfinden es bspw. als grundlegenden Verstoß gegen die Moral, wenn sie ihre Eltern nicht herzlich grüßen - hierzulande würde das lediglich als Verstoß gegen die Konventionen betrachtet werden. Kulturen, in denen die Belange der Gemeinschaft im Vordergrund stehen, haben grundsätzlich eine andere moralische Prägung, als die individualistischen Kulturen. Stiehlt jemand ein Zugticket, um rechtzeitig bei einer Hochzeit zu sein und die Ringe zu übergeben, bewerten das westliche Kinder als moralisch verwerflicher, als indische Kinder, da diese das Wohlergehen der Gemeinschaft als wichtiger empfanden, als die Rechte des Einzelnen. Das legt die Vermutung nahe, dass Moral überwiegend erlernt werden müsse.
Hängen die Entwicklung von Intelligenz und Moral zusammen?
Eine Untersuchung mit Grundschulkindern lässt vermuten, dass sich die Moralvorstellungen unabhängig von der Intelligenz entwickeln. Den Kindern wurden Bildergeschichten gezeigt, in denen die Protagonisten andere hänseln, die Dinge verstecken. Die Kinder bewerteten unabhängig von ihrer Intelligenz das Brechen der moralischen Regeln. Daher dürfe man von intelligenteren Kindern nicht erwarten, dass sie sich moralischer verhalten. Prof. Manfred Spitzer von der Universitätsklinik Ulm sagt sogar, dass eine hohe Intelligenz sogar oft mit einer geringeren Empathiefähigkeit einher gehen kann.
Die Wissenschaftler betonten jedoch, dass die Ergebnisse nur für Grundschüler gelten Andere Studien hingegen ergaben bei Jugendlichen und Erwachsenen tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Intelligenz und der moralischen Einstellung.
Wie kann man die Moralentwicklung von Kindern unterstützen?
Der Verlauf der Moralentwicklung ist bei fast allen Kindern ähnlich. Die einzelnen Meilensteine werden zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten erreicht, daher sind die nachfolgenden Altersangaben nur eine grobe Orientierung.
Im ersten Lebensjahr - schon Babys unterscheiden zwischen Recht und Unrecht
Nachdem die Babys diese Szenen beobachtet hatten, boten die Forschen ihnen sowohl das helfende Quadrat als auch das stänkernde Dreieck zum Spielen an. Ausnahmslos alle Kinder griffen nach dem freundlichen Quadrat. Schon im ersten Lebensjahr bewerten Kinder also das Verhalten anderer - sie zeigen eine eindeutige Präferenz für diejenige Figur, die freundlich und hilfsbereit ist.
Dass bereits im ersten Lebensjahr Grundlagen für die Moralentwicklung gelegt werden, zeigte sich auch in einem Versuch von Mary S. Ainsworth, Donelda Stayton und Robert Hogan an der John-Hopkins-Universität. Sie untersuchten, welchen Einfluss das elterliche Verhalten auf Babys hat. Die Forscher beobachteten, wie neun bis zwölf Monate alte Kinder auf die Bitten ihrer Eltern reagierten. Die höchste Kooperationsbereitschaft zeigten Kinder, deren Mütter im Alltag die kindlichen Signale aufmerksam aufnahmen und feinfühlig darauf reagierten. Je weniger Mütter den Babys ihren Willen aufzwangen und je mehr sie auf Stimmungen und Wünsche des Kindes Rücksicht nahmen, desto häufiger waren die Kinder bereit, die Wünsche der Eltern zu erfüllen (wenn auch natürlich nicht jeden).
Bindung als erster wichtiger Stützpfeiler für die Moralentwicklung
Fürsorgliches und achtsames Verhalten der Eltern fördert nicht nur die Kooperationsbereitschaft, sondern hat auch einen großen Einfluss auf die Bindung. Eine sichere Bindung führt dazu, dass Kinder sich sicher und geliebt fühlen. Dadurch entwickeln sie ein großes Selbstvertrauen, das sie dabei unterstützt, die Welt zu erforschen. Sie haben die Gewissheit, jederzeit zu ihrer beschützenden Heimatbasis zurückkehren zu können. Die elterliche bedingungslose Liebe ist der erste Stützpfeiler für die Entwicklung von Werten.
Studien haben gezeigt, dass sicher gebundene Kinder (Attachment, positive Affect and competence in the peer group) im Kindergarten oft als soziale Anführer auftreten, Aktivitäten initiieren und auf den Kummer anderer einfühlsam reagieren. Unsicher gebundene Kinder hingegen sind eher zögerlicher und unsicher, ziehen sich in sozialen Situationen zurück und verweigern sogar das Spiel, wenn sie von anderen dazu eingeladen werden. Soziale Interaktionen sind für die Entwicklung von Werten jedoch unerlässlich - im Spiel, im Gespräch, ja auch während eines Streites lernen Kinder, wie andere Menschen denken und fühlen und Standpunkte gegeneinander abzuwägen.
Im ersten Jahr können wir unsere Kinder also vor allem durch eine sichere Bindung bei der Entwicklung ihrer Moralvorstellungen unterstützen.
Egozentrik im zweiten und dritten Lebensjahr
Im zweiten Lebensjahr versuchen Kinder bereits Trost zu spenden - anfänglich noch etwas tollpatschig, da sie sich nicht in den traurigen Menschen hinein versetzen können. Aber sie haben zumindest schon ein Grundbedürfnis danach, in solchen Situationen etwas zu tun und behelfen sich in vielen Fällen damit, dem traurigen Menschen einen von ihnen geliebten Gegenstand zu reichen.
Kleinkinder in diesem Alter sind hauptsächlich damit befasst, ihre Umwelt zu erkunden und Gesetzmäßigkeiten zu erforschen. Dabei werden sie von grundlegenden sozialen Bedürfnissen angetrieben: unabhängig zu sein und dazu zu gehören. "Selber machen!" ist das vorherrschende Motto. Dabei müssen Eltern Grenzen setzen, um ihre Kinder oder andere Menschen zu schützen. Wichtig ist es, immer wieder zu erklären, warum bestimmte Dinge nicht getan werden sollen. Auch wenn Kinder in dem Alter nicht alle unsere Erklärungen verstehen, so sehen sie doch, dass wir immer einen guten Grund für unsere Verbote haben und wir nicht willkürlich handeln. Ihr Bedürfnis dazu zu gehören erleichtert es uns, die Grenzen durchzusetzen. Dennoch kommt es in dieser Lebensphase aufgrund der noch sehr schwach ausgeprägten Impulskontrolle zu häufigen Wutanfällen. Das Wissen, dass diese normal und wichtig für die Entwicklung sind, hilft uns, damit gelassener umzugehen.
Kinder fokussieren sich oft sehr stark auf den aktuellen Entwicklungsschritt - die eigene Individualität und Unabhängigkeit zu entdecken ist so aufregend und anstrengend, dass soziale Beziehungen in der Regel während dieser Zeit nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Im Alter von zwei Jahren sind Kinder in der Regel sehr egozentrisch und meist ausschließlich auf sich selbst und ihre Bedürfnisse konzentriert. Ihr Sozialleben interessiert sie daher oft nicht sonderlich. Wenn man das weiß, fällt es einem leichter, diesen Entwicklungsschritt einfach abzuwarten.
Wir unterstützen unsere Kinder in dieser Lebensphase am besten, indem wir sie geduldig in ihrer Wut begleiten Dass sie eher wenig Kontakt zu anderen Kindern suchen, sollte uns nicht sorgen.
Die Moralentwicklung bei Dreijährigen - Interesse an sozialer Interaktion
In diesem Alter entwickelt sich der Gerechtigkeitssinn weiter. Während es Zweijährigen in der Regel noch vollkommen egal ist, wenn das neben ihm sitzende Kind mehr Gummibärchen zugeteilt bekommt, als es selbst, protestiert bei den Dreijährigen schon jedes zweite Kind, wenn es diese Ungerechtigkeit bemerkt. Im Alter von 8 Jahren äußern dann übrigens schon 90 % der Kinder ihren Unmut.
Interessant ist der Umgang mit Ungerechtigkeiten. Am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie führten Forscher einen Versuch durch, bei dem sie kleinen Kindern mit zwei Puppen eine Szene vorspielten, in der die eine der anderen etwas wegnimmt. Die Wissenschaftler fragten sich, wie das zusehende Kind reagieren würde - würde es keine Reaktion zeigen? Mit dem Täter schimpfen? Oder selbst damit spielen? Die meisten Kinder reagierten ganz unerwartet: Sie gaben einfach den Gegenstand dem Opfer zurück. Das zeigt, dass es Kindern in diesem Alter nicht in erster Linie darum geht, den Täter zu bestrafen, sondern es ist ihnen vielmehr wichtig, für das Opfer den Urzustand wieder herzustellen. Wiedergutmachung scheint für kleine Kinder also moralisch wichtiger zu sein, als sich an dem Übeltäter zu rächen, indem man ihm vorsätzlich etwas Schlechtes antut.
Mit drei Jahren klingt die Autonomiephase bei vielen Kindern langsam ab. Nun beginnen sie sich zunehmend für ihre Mitmenschen und soziale Interaktionen zu interessieren. In dieser Phase fangen viele Kinder an, andere aktiv zu grüßen, sich überschwänglich zu bedanken und andere Verhaltensweisen nachzuahmen (sich bedanken, sich entschuldigen), die sie bei ihren Vorbildern erleben. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass es sich um rein nachahmendes Verhalten handelt – die Kinder sind in diesem Alter in der Regel noch nicht in der Lage, sich in andere hinein zu versetzen.
Das kann man sehr schön beim Versteckspiel beobachten. Da Kinder noch ausschließlich von sich auf andere schließen, gehen sie davon aus, dass der Suchende sie nicht sehen kann, wenn sie ihn nicht sehen. Sie verstehen daher noch gar nicht, dass der andere sich freut, wenn man seiner Freude Ausdruck verleiht oder dass es dem anderen gut tut, wenn man sein Bedauern ausdrückt. Sie tun nur das, was sie bei anderen in solchen Situationen beobachten. Wenn sich ein Kind ein paar Mal bedankt oder entschuldigt hat, schließen Eltern manchmal daraus, dass es offenbar nun grundsätzlich dazu in der Lage sein müsste und sorgen sich, wenn diese Verhaltensweisen plötzlich nicht mehr gezeigt werden.
Das Bedürfnis, ein nützlicher Bestandteil der Gemeinschaft zu sein, zeigt sich jetzt verstärkt dadurch, dass Kinder sehr gerne im Haushalt helfen wollen. Es ist jetzt sehr wichtig, ihre Hilfe anzunehmen und auch wertzuschätzen. Auch wenn manche Dinge länger dauern oder viel mehr Schmutz produziert wird, als wenn man bestimmte Sachen schnell alleine erledigt - wird die freiwillige Hilfe leider zu oft vorschnell abgelehnt. Das führt leider in den meisten Fällen dazu, dass das Kind seine Bemühungen bald wieder einstellt, weil es das Gefühl hat, keinen wertvollen Beitrag leisten zu können.
Während Zweijährige noch sehr gerne gegen Regeln rebellieren, sind sie für Dreijährige ein sehr interessantes Thema. Es bereitet ihnen großes Vergnügen, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden - und das dann auch lautstark kundzutun. Leider missverstehen das viele Erwachsene als Petzen. Sie fordern das Kind auf, Regelverstöße besser unkommentiert zu lassen, um nicht als Verräter zu gelten. Sinnvoller wäre es jedoch, das Regelverständnis zu festigen, indem man einfach sachlich bestätigt, dass etwas (nicht) richtig war.
In diesem Alter wird Kindern auch das Spiel mit anderen zunehmend wichtiger. Sie erleben dabei, wie es sich anfühlt, wenn jemand ein begehrtes Spielzeug partout nicht teilen will. Dass andere Kinder zurück hauen, wenn man sie haut. Sie merken, dass andere Kinder das Interesse am gemeinsamen Spiel verlieren, wenn man zu dominant und bestimmend auftritt. Dadurch lernen sie viele Dinge, die wir Erwachsenen ihnen nicht bieten, weil wir in der Regel gerne mit ihnen teilen, bereitwillig Dinge abgeben, trotz Geknatsche geduldig weiter spielen und (hoffentlich) nie zurückhauen.
Dreijährigen ist es sehr wichtig, Anerkennung von Bezugspersonen zu bekommen. In dieser Lebensphase sind sie dadurch auch sehr empfänglich für Manipulationen. Auch wenn es verführerisch einfach erscheint, sollte man ihren Wunsch nach Zugehörigkeit nicht ausnutzen, um das Verhalten zu beeinflussen. "Komm jetzt, sonst gehe ich ohne dich!" wird fast jedes Kind in diesem Alter dazu bringen, seinen Eltern zu folgen - doch die Angst vor dem Alleinsein sollte nicht dazu genutzt werden, anstrengende Situationen abzukürzen.
Die Moralentwicklung von Vierjährigen - Recht ist, was ich möchte
Vierjährige sind fasziniert vom Gedanken der Fairness. "Das ist UNFAIR!" hört man in diesem Alter immer mal wieder. Allerdings ist das eigene Weltbild noch so eingeschränkt, dass grundsätzlich alles als "unfair" eingestuft wird, das nicht den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht. „Fair“ ist nur, was das Kind will, alles andere ist "gemein". Für einige Eltern erscheint diese Entwicklungsstufe des moralischen Denkens wie ein enormer Rückschritt. Während die Kinder mit drei Jahren großes Interesse an kooperativen Interaktionen hatten, scheinen sie mit vier Jahren wieder in eine trotzige Phase zurück zu fallen. Tatsächlich interessieren sie sich wieder mehr für sich selbst, als für ihre Mitmenschen. Aber jetzt nehmen sie ihre Bedürfnisse unter einem moralischen Blickwinkel wahr. Dadurch, dass sie schon einen umfassenderen Begriff von "richtig" und "falsch" entwickelt haben, meinen sie, dass alles, was "richtig" sei, ihnen eigentlich zustehen müsste. Wenn wir beispielsweise verlangen, dass sie nach 20 Minuten den Fernseher ausschalten, verstehen sie nicht, warum etwas, das eben noch richtig war, es plötzlich nicht mehr ist (und sind entsprechend empört).
Diese Stufe der Moralentwicklung wird als "egozentrisches Urteilen" bezeichnet. Viele Kinder können in dieser Entwicklungsphase immer noch keine fremde Perspektive einnehmen. Das ist bspw. beim Telefonieren zu beobachten. Stellt Oma die Frage: "Geht es dir gut?", nicken die meisten Kinder - sie kommen gar nicht auf die Idee, dass Oma dieses Nicken gar nicht sehen kann.
In diesem Alter betrachten Kinder Dinge auch grundsätzlich als ihr Eigentum. Nicht nur Dinge, die ihnen tatsächlich gehören, sondern auch solche, die sie gerne haben wollen. Daher ist es illusorisch, von einem Vierjährigen zu erwarten, dass er Dinge, die anderen Kindern gehören, bereitwillig wieder heraus gibt, wenn sie sich in seinem Besitz befinden. Das Kind betrachtet den Gegenstand als seinen und empfindet es als ungerecht, ihn wieder zurückgeben zu müssen. Das heißt natürlich nicht, dass man Kinder nicht trotzdem dazu anhalten soll, schließlich ist das andere Kind traurig und es ist sein gutes Recht, sein Eigentum zurück zu wollen. Wir sollten jedoch Verständnis dafür aufbringen, dass das Kind die Unrechtmäßigkeit seiner Handlung noch nicht verstehen kann.
Auch das Teilen fällt Kindern im Alter zwischen drei und vier Jahren wegen ihrer Egozentrik noch sehr schwer. Untersuchungen zeigen, dass sich die Bereitschaft aber mit zunehmendem Alter erhöht. Bei den 5- bis 6-Jährigen sind es immerhin schon 20 %, die ihre Süßigkeiten teilen. Nach dem Schuleintritt teilen 50 % der Kinder freiwillig zu etwa gleichen Teilen mit anderen - sogar mit ihnen unbekannten Kindern. Interessanterweise ist das bei Erwachsenen anders - vor die Wahl gestellt, entscheiden sie sich meist für eine Teilung im Verhältnis 70/30. In Experimenten hat man zudem beobachtet, dass das Teilen vor allem jüngeren Kindern mit älteren Geschwistern schwerer fällt. Der evolutionär tief verankerte Konkurrenzgedanke sorgt offenbar dafür, dass Kinder viel Energie darauf verwenden, ihr Überleben zu sichern – eben auch, indem sie sich Ressourcen sichern.
Das Verständnis für Gerechtigkeit entwickelt sich kontinuierlich weiter. Zeigt man Vierjährigen eine Bildergeschichte, in der ein Dieb Bonbons stiehlt, sind sie darüber empört (Studie Monika Keller). Fragt man sie jedoch, wie sich der Dieb hinterher fühlt, dann antworten sie in der Regel, dass er sich gut fühlen müsse, da er ja bekommen habe, was er gerne haben wollte.
Die Moralentwicklung der Fünfjährigen - Lügen, dass sich die Balken biegen
Kennzeichnend für diese Entwicklungsphase ist, dass Kinder zunehmend moralische Begriffe verwenden ("unfair", "gemein", „böse“). Normal und weit verbreitet ist in dieser Phase die Verwendung von Schimpfwörtern, zu provozieren und anzugeben. All diese Verhaltensweisen dienen der Erforschung von Reaktionen der Umwelt auf das eigene Verhalten. Es wird u. U. sogar schon Hilfsbereitschaft und Mitleid gezeigt - allerdings üblicherweise nur in Situationen, in denen die eigenen Wünsche gerade nicht im Widerspruch mit denen anderer stehen.
Ganz typisch in diesem Alter ist auch das "Nichtzuhören". Sobald Eltern beginnen, eine Moralpredigt zu halten, wirkt es, als würde das Kind komplett abschalten. Der Blick wird starr und es scheint überhaupt nicht zuzuhören. Dieses Verhalten ist eine Strategie von Kindern, Eltern dazu zu bringen, damit aufzuhören, etwas zu sagen, das sie nicht hören wollen. Manche halten sich auch gerne mal die Ohren zu und rufen dabei laut „Lalala“. Sie wollen immer noch nicht ihre egozentrische Weltsicht aufgeben. Daher halten sie Standpauken grundsätzlich für nicht gerechtfertigt, solange sie sich in ihrem Wohlbefinden nicht eingeschränkt fühlen.
Im Vorschulalter wird auch gerne gelogen, dass sich die Balken biegen. Dabei können zwei Arten von Lügen unterschieden werden. Zum einen denken sich Kinder die wildesten Geschichten aus - der Gedanke dabei ist häufig: Ich wünschte, das wäre wahr. Zum anderen lügen sie auch, um ihre Ziele zu erreichen. Doch es steckt keine Boshaftigkeit hinter dem Verhalten, es ist vielmehr Ausdruck dafür, dass Kinder versuchen, ihre Wunschwelt mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Meine Tochter behauptete in dem Alter in der Kita gerne, dass sie ein Hochbett bekommen habe oder ihre Oma ihr brasilianisch beibringe. Als die Erzieherinnen erfuhren, dass das gar nicht stimmt, waren sie äußerst erstaunt, weil das so überzeugend und glaubhaft vorgetragen wurde, dass niemand daran zweifelte.
Die Moralentwicklung Sechsjähriger - die Welt durch andere Augen sehen
Für die Entwicklung eines weiterführenden Moralverständnisses, ist es erforderlich, dass Kinder die Sichtweise anderer nachvollziehen können. Erst wenn sie wirklich verstehen, welche Gefühle ihr Verhalten bei anderen auslösen, kann sich der Wunsch entwickeln, das eigene Handeln so anzupassen, dass es sich auf andere auswirkt.
Ein Kind muss dabei verstehen, dass Menschen über ganz unterschiedliche Wissensstände verfügen. Ob ein Kind bereits über diese Fähigkeit verfügt, findet man mit einem Puppenspiel heraus. Dabei versteckt der Kasper einen Ball in einem Schrank und verlässt den Raum. Ein zweiter Kasper kommt herein, findet den Ball und versteckt ihn unter dem Bett. Kommt der erste Kasper wieder rein und fragt, wo er nach dem Ball suchen wird, wird ein Kind, das bereits einen Perspektivenwechsel vornehmen kann, sagen, dass er im Schrank suchen wird. Ihm ist bewusst, dass der Kasper die Szene nicht beobachten konnte und daher noch immer annimmt, der Ball sei dort. Ein Kind, das noch nicht zu einer Perspektivübernahme in der Lage ist, wird wie selbstverständlich annehmen, dass der Kasper unter dem Bett sucht, weil es davon ausgeht, dass er über denselben Wissensstand verfügt, wie es selbst.
Erst die Fähigkeit zur Perspektivübernahme in Verbindung mit der Erkenntnis, dass man das Wissen über die Wahrnehmung anderer auch gezielt ausnutzen kann, um deren Verhalten zu manipulieren, ermöglichen „richtige“ Lügen. Diesen Entwicklungsschritt vollziehen Kinder in der Regel erst mit fünf bis sechs Jahren. Vorher wird jeder unrichtige Sachverhalt als Lüge bezeichnet - auch wenn es sich um eine irrtümliche Aussage handelte.
Die meisten Kinder haben im Grundschulalter – manchmal auch schon früher – eine Phase, in der sie verstärkt lügen und oft auch klauen. Oft schockt uns die erste Lüge, weil wir sie als Vertrauensverlust empfinden. Doch im Grunde üben Kinder damit nur, was wir ihnen vorleben. Sie haben ein sehr feines Gespür dafür, dass auch wir Erwachsenen nicht immer die Wahrheit sagen. Eigentlich lügen wir sogar sehr oft - es ist ein fester Bestandteil unseres Lebens. Unsere Kinder müssen nun herausfinden, wann Lügen akzeptabel sind und wann nicht. Man stelle sich vor, dass sie auf die freundliche Frage der nicht ganz so gern gemochten Tante "Na, wie geht es dir denn mein Schatz!?" mit: "Schrecklich - schließlich bist du ja zu Besuch" antworten. Um zu verstehen, wie das Lügen funktioniert, müssen Kinder damit herumexperimentieren.
Um diese Phase gut zu überstehen, ist es wichtig, ein vertrauensvolles Fundament zu schaffen. Kinder, die wissen, dass man ihnen immer erst mal zuhört, ohne zu schimpfen oder vorschnell zu urteilen, haben schon weniger Gründe zu lügen. Je mehr wir strafen, desto häufiger wird unser Kind aus Angst vor Konsequenzen lügen.
Da dieses Verhalten bei fast allen Kindern auftritt, könnte man vermuten, dass es evolutionär sinnvolles Verhalten wäre. Der Anthropologe Volker Sommer bezeichnet Lügen als den "Wetzstein, an dem sich unsere Intelligenz schärfte". Tatsächlich will eine Studie herausgefunden haben, dass die Kinder, die gut lügen können in Intelligenztests besser abschnitten. In dieser Phase sollten wir unseren Kindern besonders viel Vertrauen entgegen bringen - auch wenn wir merken, dass sie uns bewusst anlügen. Es reicht, ihnen zu sagen, dass wir ihre Flunkerei durchschauen, schimpfen oder bestrafen wird das Verhalten nicht abstellen.
Mit 6 Jahren gelingt es Kindern auch nicht zu erkennen, dass es zum selben Zeitpunkt auch zwei verschiedene Blickwinkel geben kann. Gießt man bspw. vor ihren Augen in zwei identische Gläser Wasser ein und füllt dann eins der Gläser in ein breites und das andere in ein hohes Glas, so sind sie davon überzeugt, dass im schmalen Glas mehr Wasser sein müsse. Sie nehmen allein die Füllhöhe als Indikator für die Gesamtmenge. Daher sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dass sich Kinder in dieser Entwicklungsstufe immer noch nur sehr beschränkt verschiedene Aspekte berücksichtigen können. Dieser nächste Schritt, wird etwa im Alter von 8 bis 10 Jahren vollzogen. Erst dann verstehen Kinder, dass auch die anderen Menschen wissen, dass jeder die Welt unterschiedlich sieht und sehr verschiedene Standpunkte zustande kommen können.
Regeln und deren Einhaltung werden zunehmend wichtiger für das Kind. Auf die Frage, wie sich der Dieb der Bonbons in der Bildergeschichte nach dem Diebstahl fühlen wird, gehen sie nicht wie die Vierjährigen davon aus, dass er sich über die erbeuteten Bonbons freue, sondern dass er sich schlecht fühlen würde, weil er einen anderen traurig gemacht habe und etwas getan habe, was man nicht darf.
Beim Teilen sind Kinder nun zunehmend großzügiger – aber auch abhängig davon, was es zu teilen gilt - leistungsorientierter. In einem Versuch befragten Forscher Kinder verschiedener Altersstufen zu ihren moralischen Überzeugungen. Später gaben sie ihnen Schnüre und Perlen, damit sie Ketten und Armbänder basteln. Die Kinder erhielten dafür überschwängliches Lob und Schokoriegel zur Belohnung. Sie sollten selbst darüber entscheiden, wie sie diese aufteilen. Eine Vergleichsgruppe erhielt dagegen nicht ganz so attraktive bunte Kartons zum Teilen. Bei den Pappen wurde vergleichsweise großzügig geteilt. Bei den Süßigkeiten verhielten sich die Kinder zwar erkennbar entsprechend ihrer moralischen Überzeugungen, doch das Prinzip der leistungsgerechten Verteilung wurde hier deutlich nachdrücklicher verfolgt. Vor allem wenn die Kinder davon ausgingen, selbst die besten Leistungen vollbracht zu haben, setzten sie sich dafür ein. Wenn das nicht der Fall war, ließen sie sich eher davon überzeugen, dass alle gleich viel erhalten. Kinder, die sich vorher nicht für das Leistungsprinzip ausgesprochen hatten, argumentierten eher egoistischer, dass sie mehr bekommen müssten, weil sie größer seien oder Jungs mehr Schokolade bekommen müssten, weil sie diese einfach lieber mögen würden. Je älter die Kinder waren, desto gerechter wurde geteilt - auch wenn es zum eigenen Nachteil war, setzten die Kinder zunehmend eine faire Verteilung durch.
Realistische Erwartungen haben
Wichtig ist es zu verstehen, dass Kinder in einer niedrigeren Moralstufe die Gedanken einer höheren zwar durchaus nachvollziehen können, sie können sie jedoch noch nicht umsetzen. Das verhält sich ähnlich, wie beim Sprechen lernen - auch wenn Kinder noch kein Wort sagen können, so verstehen sie jedoch das meiste, das wir sagen. Daher ist es wichtig, sie in den niedrigeren Moralentwicklungsstufen immer wieder mit den Gedanken höherer zu konfrontieren. Beschwert sich ein Kind, dass es nicht fair ist, dass es sein Zimmer aufräumen soll, kann man ihm ruhig sagen machen, dass man selbst ebenso wenig Lust hat, den Rest des Hauses aufzuräumen, man aber trotzdem die Notwendigkeit sieht.
Leider überschätzen wir die Moralstufe unseres Kindes häufig, weil wir annehmen, dass es Dinge, die es grundsätzlich versteht, auch anwenden kann. Mein Sohn kam bspw. eines Tages empört aus der Kita und erzählte, dass ein anderes Kind sein Kuscheltier weggenommen hätte. „Man stiehlt keine Sachen!“ sagte er sehr ärgerlich. Drei Tage später fischte ich einen Löffel mit Biene Maja aus seinem Rucksack und fragte erstaunt: „Warum hast du den denn einfach mitgenommen, der gehört doch der Kita?“ Er antwortete: „Na weil ich den so gerne mag, das ist mein Lieblingslöffel!"
© Danielle
Quellen
Kohlberg, Lawrence, Die Psychologie der Moralentwicklung, 2014
Lohaus, Arnold, Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor, 2015
http://www.spektrum.de/magazin/die-moralentwicklung-von-kindern/825789
http://www.sueddeutsche.de/wissen/hirnforschung-und-ethik-moral-braucht-gefuehl-1.835862
http://www.fr-online.de/wissenschaft/evolution--luegen-macht-schlau-,1472788,34167368.html
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022096515000806
http://www.sueddeutsche.de/leben/erziehung-wie-man-kindern-moral-beibringt-1.2721416-3
http://www.pedocs.de/volltexte/2011/4261/pdf/ZfPaed_2009_4_NunnerWinkler_Prozesse_moralischen_Lernens_D_A.pdf
https://www.mpib-berlin.mpg.de/volltexte/institut/dok/full/keller/Keller_Moralentwicklung_2005.pdf
https://www.hna.de/welt/kein-zusammenhang-zwischen-intelligenz-und-moral-bei-kindern-zr-7369303.html
Ein riesiges Dankeschön für Euren Blog! Ich habe ihn fast komplett gelesen, während meine Tochter über Monate auf meinem Arm geschlafen hat... Ihr habt mir einen wirklich schönen Weg gezeigt -dank Eurer stets gründlichen Recherche fühle ich mich sicher in dem, was ich tue und es fühlt sich im Herzen richtig an. Ihr habt mir sehr geholfen, die massiven, verletzenden Angriffe für's Tragen u.s.w. zu überstehen. Was für ein Glück, dass es Euch gibt!!! Ich hoffe auf noch ganz viel Input von Euch! Liebe Grüße von Kiki
AntwortenLöschenVielen Dank! Wieder mal ein spannender, brillanter Artikel, der so viel erklärt und es mir damit wieder so viel leichter macht.
AntwortenLöschenDie moralische Identität ist lebenslang die entscheidende Quelle für moralisches Engagement. Ihre Entwicklung wird – nach allem, was die Psychologen wissen – gefördert, wenn die sozialen Einflüsse trotz ihrer Vielfalt insgesamt in eine einheitliche Richtung weisen. Kinder müssen eine Botschaft oft genug hören, damit sie haften bleibt. Für pluralistische Gesellschaften heißt dies, daß sie eine ausreichend breite Basis geteilter Vorstellungen finden müssen, um ihre Bringschuld an die jungen Menschen einzulösen: ihnen allgemein akzeptierte Normen zu vermitteln.
AntwortenLöschenAch Michael, lass es doch einfach.
AntwortenLöschenSo ein guter Beitrag! Tausend Dank dafür!!!
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