"Kindheiten" - Michaela Schonhöft im Interview


Ist mein Kind wirklich glücklich und zufrieden?" ist eine Frage, die sich viele Eltern stellen. Dass deutsche Kinder in Bezug auf ihre Lebenszufriedenheit im unteren Drittel (Platz 22 von 29) aller Industrienationen rangieren, zeigt eine nachdenklich machende
Unicef-Studie aus diesem Jahr. Warum sind die Kinder in den Niederlanden so viel glücklicher und belegen den Platz 1 sowohl in Bezug auf ihre Zufriedenheit als auch beim kindlichen Wohlbefinden? Warum sind französische Kinder mit ihrer strengen Erziehung und frühen Fremdbetreuung glücklicher, als deutsche?  Was macht Kinder glücklich? 



Das Buch


"Mama, wo wohnt eigentlich das Glück?" Die Autorin Michaela Schonhöft hat sich nach dieser Frage ihrer kleinen Tochter auf auf die Suche begeben und mit Müttern und Vätern auf der ganzen Welt über ihre Erziehung, ihre Erwartungen, Ziele und Erlebnisse gesprochen und nimmt uns in ihrem Buch "Kindheiten: Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden" mit auf eine interessante Erziehungs-Weltreise.

Das Buch ermöglicht einen sehr interessanten Blick über unseren eigenen Tellerrand. In unserem kleinen Mikrokosmos übersehen wir gelegentlich, dass es so vielfältige andere Herangehensweisen an das Leben mit Kindern gibt, die manchmal ungewöhnlich sein können und manchmal inspirierend. Die deutsche Gesellschaft ist noch immer geprägt von der Erziehung unserer Großeltern und Eltern - Disziplin und Gehorsam gelten als Erziehungsziele - weit verbreitet ist die Angst, die Kinder zu verwöhnen. Dabei kann man in anderen Ländern wie beispielsweise Thailand ganz genau beobachten: "verwöhnte" Kinder entwickeln sich nicht zu den vielbeschworenen Tyrannen, sondern zu selbständigen, selbstbewussten und vor allem zufriedenen Heranwachsenden.

In Deutschland gibt es eine deutliche Entwicklung von Mehrgenerationenhaushalten  zur klassischen Kleinfamilie mit Mutter, Vater und Kind(ern). Dies führt dazu, dass deutsche Mütter durch mangelnde Unterstützung und räumliche Isolation schnell an den Rand ihrer Kräfte kommen und sich fragen: "Warum ist es nur so anstrengend, ein Kind großzuziehen?" In den meisten anderen Ländern ist es üblich, dass die gesamte Familie bei der Betreuung der Kinder hilft - Großeltern  hierzulande sind hingegen oft weit weg, gelegentlich nur nervig, selten jedoch eine Unterstützung. Eine steigende Zahl an Schreikindern, eine hohe Rate an postnatalen Depressionen und jährlich knapp 150 Kinder, die elterlichen Gewaltverbrechen zum Opfer fallen - in einigen Ländern sind solche Entwicklungen nicht zu beobachten.

Das Buch "Kindheiten" zeigt, wo die globalen Unterschiede beim Thema Erziehung liegen und welche Alternativen einige unserer Probleme lösen könnten. Betrachtet werden die verschiedensten Aspekte - vom Umgang mit Neugeborenen über die Ansichten zu Strenge, Disziplin und dem Verwöhnen bis hin zur Fremdbetreuung. Die weltweit teils sehr unterschiedlichen Herangehensweisen werden unterhaltsam erzählt und führen zur alten afrikanischen Erkenntnis: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind in einen erwachsenen, reifen Menschen zu verwandeln...und eine Menge Humor!"

Fazit: Ein sehr gelungenes Buch, dass kurzweilig und interessant viele verschiedene Aspekte der Erziehung rund um den Globus beschreibt und die eigene Perspektive gelegentlich zurecht rückt.

Wir hatten die Gelegenheit, der Autorin ein paar Fragen zu stellen:

Interview


Michaela, Du hast für Dein Buch mit Menschen aus aller Welt gesprochen - mal unabhängig von irgendwelchen Studien: Wo leben Deiner Meinung nach die glücklichsten Kinder? Und w
arum glaubst Du, dass diese Kinder besonders glücklich sind?

Kindern geht es vor allem in den Gesellschaften gut, in denen Erziehung als gemeinschaftliche Aufgabe betrachtet wird, in denen sich die Erwachsenen an Kindern erfreuen und ihnen viel Aufmerksamkeit schenken. In Italien und Spanien zum Beispiel erleben Kinder eine große Geborgenheit innerhalb der Familie. Sie fühlen sich aber auch grundsätzlich sehr willkommen, ob in Restaurants, Geschäften, Behörden. Kaum jemand stört sich dort an laut spielenden Kindern. Kinderfreundlichkeit ist definitiv ein kulturelles Phänomen. Kindheitsglück möchte ich aber gar nicht an einer Kultur, an einem Land festmachen. Auch wenn einige Studien natürlich darauf hinweisen, dass es Kindern zum Beispiel in den Niederlanden oder Skandinavien vergleichsweise gut geht. Kindheitsglück kann überall Zuhause sein, egal ob in einer Klein- oder Großfamilie, am Nordpolarkreis, in einem Münchner Vorort, einem Dorf in Kamerun oder einem winzig kleinen Appartment in Tokio. Es hängt auch sehr davon ab, welches Umfeld Eltern ihren Kindern verschaffen. Wichtig ist die Offenheit anderen Erziehungsmodellen gegenüber. Mir gefällt zum Beispiel sehr, wie zum Beispiel Japaner mit Kleinkindern umgehen, wieviel Geduld sie an den Tag lehnen. Niemand käme dort auf die Idee von „kleinen Tyrannen“ zu sprechen, wenn sie mal einen Trotzanfall haben. Kinder lernen von Vorbildern, vor allem von empathischen Vorbildern.

Wenn Du frei wählen könntest - in welchem Land würdest Du gerne mit Deinen Kindern leben wollen? In welchem eher nicht? Warum?

Da ich so gerne reisen, könnte ich mir vorstellen, in sehr vielen Ländern zu leben. Hätte ich die Möglichkeit, würde ich allerdings meine Kinder ganz sicher in Skandinavien aufziehen. Das Familienmodell ist sehr egalitär, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, Beruf und Familie zu vereinbaren, sind exzellent. Kindern wird viel Raum gegeben. Sie haben viel Mitspracherechte. Die Kindergärten sind gut. In den Schulen wird neun Jahre lang gemeinsam gelernt. Es gibt also keinen frühen Übergangsstress wie in Deutschland. Das skandinavische Schulsystem ist erfolgreich, die Schülern lernen, haben aber auch viele Ruhephasen und können noch recht lange Kind bleiben. Vätern wird es leichter gemacht, sich viel Zeit für die Familie zu nehmen, es wird auch von ihnen erwartet.

In meiner derzeitigen Situation, mit zwei kleinen Kindern in der Kita, würde ich es eher vermeiden, nach Großbritannien zu ziehen oder in die USA, es sei denn man hat ein großes Budget für eine qualifizierte Nanny zur Verfügung. Kleinkindbetreuung ist in diesen Ländern bis zum vierten Lebensjahr (dann beginnt die Schule) den Familien überlassen. Private Einrichtungen sind teuer, die öffentlichen oft nicht besonders gut. Sobald die Kinder dort das Schulalter erreichen, wird es einfacher.

Was denkst Du - woran liegt es, dass deutsche Kinder so vergleichsweise unglücklich sind? Wie könnten wir sie Deiner Meinung nach glücklicher machen?

Erziehung und Fürsorge gilt hierzulande vor allem als Angelegenheit der Eltern. Ständig wird in den Medien über zu nachlässige, zu nachgiebige Eltern geschimpft, die den Lehrern das Leben schwer machen. Ständig fällt wieder das Wörtchen „mehr Disziplin“. Genau das ist aber nicht die Lösung. Es geht eher um mehr Nähe, mehr Bindung, stärkere Loyalitäten. Es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“. Natürlich sind auch die Lehrer für die Erziehung der Kinder verantwortlich, nicht nur für deren Bildung. Doch im Lehramts-Studium wird darauf noch viel zu wenig Wert gelegt. Kinder lernen bei guten, einfühlsamen Lehrern ganz besonders gut, ob nun kognitives oder soziales Wissen. Nicht selten kommen Eltern in einer Sache mit ihren Kindern einfach nicht voran, eine andere Person hat vielleicht ein besserer Idee oder in dem Moment einen besseren Zugang zum Kind.


Hinzu kommt, dass auf Müttern in Deutschland sehr hohe Erwartungen lasten. Die Mütter haben auch selbst sehr hohe Erwartungen an sich. Sie glauben, alles stemmen zu müssen. Aber der Blick in andere Gesellschaften zeigt, dass Kinder umso glücklicher sind, auf je mehr Vertrauenspersonen sie sich verlassen können.

Kinder in Deutschland fühlen sich häufig nicht willkommen, ganz besonders im öffentlichen Raum. Sie haben das Gefühl, sie nerven nur und dürfen sich nur in eigens für sie vorgesehen Plätzen aufhalten, haben de Erwachsenen bitte nicht zu stören. Ich frage mich sehr häufig, woher diese Unfreundlichkeit gegenüber Kindern kommt? Warum man sich ihrer nicht so freut wie in Spanien, Italien, Indonesien, Japan, Kamerun, Marokko, Norwegen und vielen, vielen anderen Ländern.

Wie haben die Interviews zu Deinem Buch Deine eigene Erziehung beeinflusst?

Ich habe begonnen, meine eigenen Erziehungsmuster, aber auch meine Kindheit, stark zu reflektieren. Durch die vielen Interviews kam ich schon sehr ins Grübeln. Ich bewundere die Einstellung der Niederländer zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eltern nehmen ihren Beruf, ihre Karriere ernst. Sie nehmen sich aber auch viel Zeit für ihre Familie. Überstunden sind eher verpönt. Gleichzeitig gibt es dort auch nicht das Rabenmutter-Image, wie es manchmal in Deutschland auftaucht. Die Niederländer setzen zudem sehr auf eine partnerschaftliche Beziehung zu Kindern im Teenager-Alter. Sie haben sehr viele Freiheiten, genießen viel Vertrauen. Diese Einstellung hat mir geholfen, bei den „Großen“ ein wenig mehr Toleranz walten zu lassen. Bei Gesprächen mit Eltern in vielen ostasiatischen Ländern habe ich gelernt, stärker die Perspektive meiner kleinen Kinder einzunehmen, wenn sie sehr trotzig sind. Sozial verträgliches Benehmen wird Kindern im ostasiatischen Raum, abgesehen von einigen Ausnahmen, vor allem durch Erklärungen nahelegt. Man appelliert an Empathie, sieht von Bestrafungen eher ab. Geduld ist für mich allerdings noch eine schwierige Übung. Ich erhebe oft mahnend meine Stimme, um dann „Du sollst nicht“, „Du darfst nicht“, etc. auf meine Töchter niederprasseln zu lassen, in der Regel ohne Erfolg. Aber ich arbeite dran:-).


Vielen Dank für das Interview! 

© Danielle

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