Achtsamer Umgang mit kindlichen Aggressionen - "Gemeinsam durch die Wut" mit Kathrin Hohmann

Auch unseren aktuellen Podcast könnt Ihr wieder bei uns im Blog nachlesen. Zu Gast war Kindheitspädagogin und Autorin Kathrin Hohmann, mit der wir darüber gesprochen haben, wie wir unsere Kinder durch Wutanfälle in der Autonomiephase begleiten können.

Danielle: Herzlich willkommen, Kathrin Hohmann. Du bist Kindheitspädagogin und hast lange als Kindergartenleiterin gearbeitet. Du leistest Workshops und hast gerade ein Buch geschrieben, das heißt „Gemeinsam durch die Wut“ und ist im Claus Verlag erschienen. Darüber wollen wir heute sprechen. 

Um zu verstehen, wie man gewaltfrei als Eltern handeln kann, muss man ja erst einmal verstehen, wo Gewalt überhaupt beginnt. Wir hatten letzten schon ein Gespräch mit Susanne Mierau darüber gesprochen, dass Gewalt wirklich vielfältig sein kann. Ich würde gern mit dir über Gewalt durch Mimik, Gestik, laute Äußerungen oder harsche Kritik als Gewalt sprechen. Was bewirkt das beim Kind?


Kathrin: Interessant ist nach wie vor, dass in der Gesellschaft körperliche Gewalt als weitaus schlimmer eingestuft wird, als die seelische Gewalt und wir auch bei kindlichem aggressivem Verhalten schneller schwitzen beginnen, wenn körperliche Aggressionen im Spiel sind.

Entscheidend und wichtig aber ist, dass sich sozialer, seelischer Schmerz (also der Social pain) auf den Menschen ähnlich auswirkt wie körperlicher Schmerz (also physical pain). Durch den seelischen Schmerz, wie beispielsweise den Ausschluss aus einer Gruppe, den stillen Stuhl oder auch eine Demütigung wird der Blutdruck erhöht und das Stresshormon Cortisol wird freigesetzt. Auch wenn diese Form der Gewalt so unsichtbar wie Luft zu sein scheint, hinterlässt sie ebenso blaue Flecke und richten großen Schaden an.

Stellen wir uns vor, wir werten ein Kind verbal oder nonverbal ab, entziehen Zuwendung oder Anerkennung, dann beziehen Kinder diese Äußerungen und Bewertungen viele Jahre auf ihr gesamtes Wesen.

Also Hat Tom beispielsweise ein anderes Kind gehauen, um sich sein Lieblingsauto wieder zu holen und hört: „Tom, Hauen ist böse. Das war nicht schön“, kommt bei ihm eventuell an: „Ich bin böse und schlecht“. Er bezieht die Kritik an seinem Verhalten auf sich als Person, fühlt sich in seinem Sein angegriffen und herabgewürdigt, dabei hat Tom doch in seiner ihm bestmöglichen Weise gehandelt.

Richtig dramatisch wird es, so beschreibt es auch Dr. Anke Ballmann, wenn Schmerzerfahrungen durch Bindungspersonen immer wieder kommen. Dadurch erlebt ein Kind eine innere Anspannung, wodurch das Angstzentrum aktiviert wird. Das Kind hat Stress und wir wissen, wer häufig diese Form von Stress erleidet, droht krank zu werden. 


Danielle: Auch Kinder agieren mitunter gewaltvoll. Sie hauen andere Kinder, um an die Buddelschippe ranzukommen, sie beißen die Eltern in die Hand, weil diese etwas verboten haben, sie ziehen der Katze am Schwanz usw. Diese kindlichen Aggressionen werden häufig möglichst schnell unterbunden, weil das in unserer Gesellschaft als nicht sozial akzeptabel angesehen wird. Aber diese Tabuisierung dieser Art von negativen Gefühlen und Handlungen ist nicht gut für Kinder. Warum das?


Kathrin: ich meine, dass Aggressionen dieser Art schnell unterbunden werden, da Erwachsene oft die Sorge in sich tragen, dass durch Aggressionen Kinder gewalttätig werden könnten.

Und keine Frage: anderen weh zu tun, Tieren am Schwanz zu ziehen oder auch das Beißen braucht eine achtsame Begleitung, nur endet die Begleitung beobachtbar häufig mit der Aufforderung „Lass das, Hör auf!“ Dadurch werden die Handlungen hingegen schlichtweg unterbunden und Gefühle womöglich erstickt. Dabei ist es spannend herauszufinden: „Was möchte das Kind damit sagen?“

Das Ziehen am Schwanz einer Katze kann das Bedürfnis nach der Lust am Spiel oder Kontaktaufnahme bedeutet. Erfährt das Kind nun aber lediglich, es solle damit aufhören, weil das was es tut der Katze schadet, weiß es für das nächste Mal, wenn es seinem Bedürfnis nachgehen möchte immer noch nicht wie es das gewaltfrei tun kann. Daher wäre es hilfreich, wenn eine Unterbrechung der Handlung auch beinhaltet zu verstehen warum das Kind so gehandelt hat und wir dem Kind aufzeigen, wie es statt dessen in Kontakt treten kann – ohne einem anderen damit weh zu tun.

Die Sorge, dass Kinder später gewalttätig werden, weil sie im Kindesalter hauen oder beißen ist unbegründet.  Die Forschung zeigt, dass Menschen, die gewalttätig sind, selbst oft unter psychischem, verbalem, emotionalem oder sexuellem Missbrauch gelitten haben. Kinder brauchen eine Umgebung, in der sie sich und ihre Gefühle zeigen dürfen ohne selbst Angst haben zu müssen, dass sie dafür Aggressionen erfahren.

Und nun noch mal zurück zur Frage, warum die Tabuisierung nicht gut ist - Müssen Kinder ihre Gefühle runterschlucken, da beispielswiese Wut nicht sein darf, kann dies zur Folge haben, dass das Kind sich selbst für das was er fühlt verurteilt, sich selbst abwertet, selbstdestruktiv handelt oder gewalttätig wird und auf seinen Kummer in irgendeiner Form aufmerksam macht. Vielleicht auch erst viele Jahre später.

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Katja: Das heißt, dass es wichtig ist, die Gefühle von Kindern zu begleiten. Das liest man ja auch ganz oft in Ratgebern. Wie genau begleitet man denn die Gefühle von Kindern. Was macht man da als Erwachsene*r?

Kathrin: Bevor ich mir die Gefühle näher anschaue, sage ich mir gern wie ein kleines Mantra:

Meinst heißt: „Das Kind ist nicht wütend oder aggressiv, um mich zu ärgern. Es möchte etwas mitteilen und kämpft für sich – nicht aber gegen mich oder einen anderen.“ Und ich schaue einen Minimoment auf mich, da ich nur gut regulieren kann, wenn ich okay bin.

Denn gerade im hektischen Alltag kann es passieren, dass wir uns selbst von den Gefühlen anstecken lassen und mit vorschnellen Bewertungen oder Erwartungen den Blick verlieren. Denke ich bei einem Wutanfall als erstes: „Oh nicht schon wieder, das macht er doch mit Absicht“, bin ich nicht mehr frei, um das Kind achtsam begleiten zu können.

Daher hilft es ungemein, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass das Kind etwas über sich aussagen möchte. Um Gefühle begleiten zu können ist es aus meiner Sicht wichtig einen Gang zurück zu schalten, tief durchzuatmen und bevor wir reagieren erst einmal zu beobachten. Ich kann mich fragen, was ist hier passiert? Welches Gefühl kann ich wahrnehmen? In welcher Situation befindet sich das Kind? Wie verlief der Tag bisher? Klingt erst einmal viel: ich meine damit, dass wir erst einmal in Kürze die Situation scannen und beobachten dürfen.

Für mich gilt zudem auch, dass jedes Gefühl sein darf und seine Berechtigung hat und in der Regel auf unerfüllte (erfüllte) Bedürfnisse aufmerksam macht. Es hat also einen Sinn. Daher dürfen wir uns zuerst einfühlen und zeigen: ich bin dein Verbündeter, nicht dein Gegner. Wir möchten verstehen, was in dem Kind vor sich geht und was es zu einem Verhalten bewegt hat oder was die große Wut ihm sagen möchte.

Durch die Einfühlung, erhält das Kind Sicherheit. Erst wenn sich das emotionale Gehirn beruhigen konnte (vereinfacht dargestellt) ist es für Worte zugänglich. Das Kind muss also erst seinen Stress regulieren, bevor es für Gespräche und Lösungen bereit ist. Das Kind benötigt Co-regulation, diese findet im Miteinander statt. Das Kind kann durch unsere Einfühlung und Begleitung seine eigene emotionale Stabilität finden. Wir helfen quasi dabei das Alarmsystem zu entspannen. Mit unserer Haltung zeigen wir: Ich bin für dich da! Deine Gefühle sind okay und du bist okay. Um das Gefühl dann zu begleiten, können wir schauen, durch welches Bedürfnis dieses ausgelöst worden ist.

Dieser Schritt ist nicht immer einfach, wir dürfen mit dem Kind schauen, was es fühlt und was es braucht. Reagiert es vielleicht gerade mit großer Wut, während ich ihm die Schuhe aus Eile anziehe, möchte es womöglich darauf aufmerksam machen, dass es selbst auswählen oder selbst entscheiden möchte und ich das Bedürfnis nach Selbstständigkeit/Autonomie übergehe? Ich kann schauen: Was fühlst du und was brauchst du? Und auch wir dürfen uns zeigen und im Alltag immer wieder in uns hören und dem Kind mitteilen, wie es uns geht.

Wünschen wir uns, dass das Kind lernt die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu verstehen und zu äußern, so dürfen wir als Vorbild voran gehen: „Ich bin erschöpft und brauche gerade einen Moment Ruhe. Ich mache mir einen Tee und dann komme ich zum Spielen in dein Zimmer.

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Danielle: Oft werden Erwachsene von kindlicher Gewalt total getriggert. Z.B. wenn das Kind sie haut oder beißt. Sie reagieren aufbrausender, als die Situation eigentlich hergibt. Oft sind Außenstehende verwundert von der Stärke dieser erwachsenen Wut. Das geschieht meist, weil da ein Schema im Inneren des Erwachsenen angesprochen wird. Was sind denn Schemata, und welche gängigen gibt es?

Kathrin: Sicher kennt jede*r diese Situationen, dass eine Kleinigkeit in uns etwas Großes auslöst, diese kleine Mücke, die plötzlich zum riesigen Elefanten wird. Das spannende an dem Thema der Wut für mich ist, dass wir immer in irgendeiner Weise involviert sind und nur schwer tiefe Gefühle begleiten können, wenn wir uns dabei nicht selbst reflektieren.

Mir haben hier sehr die Erläuterungen und Erfahrungen der Schematherapie geholfen, ich möchte aber betonen, dass ich darin nicht ausgebildet bin und aus Erfahrung spreche. In der Schematherapie wird von sogenannten Lebensfallen gesprochen, die plötzlich wie eine Schublade aufspringen, wenn unser inneres Kind angesprochen wird. So eine Lebensfalle oder Schema wird in uns eingebrannt, wenn wir als Kind einer langanhaltenden, starken emotionalen Erregung ausgesetzt wurden. Statt Trost und Beruhigung zu erfahren, wir uns überfordert und allein fühlten und selbst einen Ausweg aus der Situation suchen mussten, um uns ein Grundbedürfnis erfüllen zu können. Durch so ein Schema schützen wir uns vor dem Schmerz. Jeffrey Young ist Experte der kognitiven Therapie und hat mit seinen Kollegen 18 Schemata benannt und diese 5 Themen zugeordnet.

Katja: Lass uns mal beispielhaft das Schema „Verlassenheit und Instabilität“ besprechen. Nach dem Psychologen Dr. Eckhard Roediger entsteht das, wenn ein Kind über zu lange Zeit und unvorhergesehen allein – und damit im Stich – gelassen wurde. Welche Bewältigungsstrategien nutzen Menschen mit diesem Schema, um sich vor emotionalen Verletzungen zu schützen?

Kathrin: Das Schema „Verlassenheit und Instabilität“ ist dem Thema „Abgetrenntheit und Ablehnung“ zugeordnet und zeigt sich, wenn das Bedürfnis nach Bindung nicht ausreichend erfüllt wurde. Im Buch erwähne ich hier Henry, der im Alter von drei Monaten ohne Eingewöhnung bei seiner Tante blieb und später mit acht Monaten kam Henry in die Krippe und da er vermutlich den Wechsel gar nicht mitbekam, wurde er meist schlafend übergeben. Möglicherweise fühlte sich Henry im Stich gelassen und allein.

Um sich vor Verletzungen zu schützen, entwickeln Menschen verschiedene Strategien, sie kompensieren, vermeiden oder erdulden – auch als Kampf-Flucht-Erstarren-Modus bekannt. Sie sicherten früher das Überleben, in der Regel sind diese Bewältigungsstrategien nicht gesund und helfen uns nicht dabei, unsere Bedürfnisse gleichwertig zu erfüllen. 

Beim Kompensieren kämpfen Menschen gegen das Schema und verdecken die empfundenen Gefühle und dahinterliegenden Bedürfnisse. So stellt Henry in einer späteren Beziehung womöglich hohe Anforderung an andere oder kontrolliert die Beziehung und beendet sie, bevor es der andere tut.

Bei der Vermeidung versuchen Betroffene das Schema nicht zu aktivieren, sie unterdrücken Gefühle, lenken sich ab. So geht Henry aus Angst vor Verlassenheit eher selten Beziehungen ein.

Beim Erdulden wird eine Situation ertragen ohne an einer Veränderung zu arbeiten. In unserem Beispiel der Verlassenheit kann es sein, dass Henry sich sehr eifersüchtig oder gar ängstlich zeigt.

Eine typische Reaktion auf diverse Schemata ist eben auch Wut und Aggression, um unsere Bedürfnisse zu kontrollieren.

Welche Bewältigungsstrategie wir wählen, hängt oft vom Temperament aber auch der unmittelbaren Situation ab. Spannend aber ist, dass wir meist nicht merken, dass die Mücke, die uns stört oft auf etwas ganz, ganz altes hinweist. Der Auslöser fühlt sich so aktuell an, dass der Blick zurück oft gar nicht naheliegt. Und dann platzen wir plötzlich und reagieren mit heftigen Gefühlen, die uns oft im Nachhinein leid tun.

Katja: Was kann man tun, wenn man merkt: Oh je, da habe ich völlig überreagiert?

Kathrin: Zuerst einmal dürfen wir bemerken: Ich reagiere über! Dieser Schritt ist enorm wichtig und darf uns sagen, dass wir Stoppen sollte. Wir dürfen uns selbst regulieren, bevor wir weiter reden. Hier hilft jedem etwas anderes, bei mir ist es das klassische Atmen. Oft genügt die Erkenntnis und mit etwas Übung sind drei Atmenzüge genug, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Für die Psyche des Kindes ist wichtig, dass wir klar äußern, dass das Kind keine Verantwortung für unser Verhalten trägt. Es hat etwas in uns ausgelöst, was uns hat kopflos reagieren lassen. Habe ich mich beruhigt, kann ich versuchen mit dem Kind in Verbindung zu treten und kann benenne was gerade geschehen ist und kindgerecht erklären, warum mein Fass übergelaufen ist.

Satt: „Du hast mich mit deiner Wut …“ oder so ähnlich, kann ich sagen „Ich bin erschöpft und brauchte gerade Ruhe. Mir war das gerade zu laut“. Wir können unser Verhalten bedauern, dabei sollte es aber nicht vorrangig darum gehen, dass ich mich durch das Aussprechen der Entschuldigung besser fühle und mein schlechtes Gewissen bereinige, sondern dass das Kind erfährt, dass es keine Schuld trägt. Es ist frei, ob es dazu bereit ist, die Entschuldigung anzunehmen oder nicht.

Damit es zukünftig nicht wieder passiert, dürfen wir uns unsere Auslöser notieren, die Situation in Ruhe reflektieren oder eine liebe Freundin oder einen Freund hinzuziehen und darüber sprechen. Wir alle reagieren in verschiedenen Situationen anders, als wir möchten. Das ist so und wird sich auch nach einer Schematherapie nicht in Luft auflösen.

Mir ist aber so immens wichtig, dass wir Verantwortung für unser Verhalten übernehmen und unsere Wunden so gut es geht heilen, uns in den Arm nehmen und fehlerfreundlich mit uns umgehen.

Danielle: Damit unsere Kinder sich nicht mit den gleichen Triggern und Schemata herumschlagen müssen, wie wir, können wir einiges tun als Eltern. Zum Beispiel, die kindliche Selbstregulation zu fördern. Mit welchen Schritten gelingt das?

Kathrin: Ich nenne im Buch die Schritte der

1. Anerkennung und Akzeptanz: ich zeige, dass ich bedingungslos für das Kind da bin und es so wie es ist akzeptiere

2. Begleitung auf Augenhöhe: Ich strahle Sicherheit aus und zeige mich als Verbündeter, nicht als Angreifer

3. Zuhören und verbinden, statt belehren: ich bin da, sehe das Kind, nehme die Not wahr, fühle mich wahrhaftig ein und bleibe dennoch auch meinen Grenzen treu „Du bist gerade verzweifelt, weil es nun kein drittes Eis gibt. Du findest das doof und ungerecht, dass ich dich entscheide und auf dich Acht gebe?“

4. Vom Stress zur Entspannung: Konflikte bedeuten Stress und blockieren, daher gilt es zu entspannen, damit wir nicht im Kampf-Flucht-Modus agieren, langfristig helfen auch Atemübungen, Bewegung, das Spiel ...

5. Gemeinsam reflektieren üben und spielen: Im nachhinein können wir Situationen besprechen, mit Geschichten erleben, nachspielen und andere Strategien für bestimmte Situationen entwickeln – ganz ohne Druck und mit viel Geduld und Zeit

Katja: Du schreibst in deinem Buch, dass es wichtig ist, Konflikte und Aggressionen bei Kindern zu entschlüsseln. Aggressionen haben immer eine Ursache oder einen Auslöser. Welche können das z.B. sein?

Kathrin: Positiv betrachtet bergen Konflikte ein hohes Lernpotential und Kinder lernen durch Konflikte verschiedene Sichtweisen kennen. Und ja, Aggressionen haben immer einen Auslöser. So verteidigen Kinder beispielsweise ihren Besitz und regeln ihre Eigentumsverhältnisse, sie verteidigen ihre eigene Person, ihre Ideen und ihre Pläne. So gehen sie dagegen vor, wenn beispielsweise ihr Spiel gestört wird. Sie reagieren aggressiv, wenn sie sich in einer ausweglosen Situation befinden oder Angst haben und beispielsweise auf dem Spielplatz in die Ecke gedrängt werden.

Dann gibt es noch die aggressive soziale Exploration, wenn ein Kind versucht Widerstände zu erfahren und den eigenen Willen kennen zu lernen. Kinder suchen Halt in den Antworten der Erwachsenen. Auch der Rangstufenkampf ist ein völlig gängiges Verhalten, in dem Kinder sich ihren Platz in der Gruppe sichern und auch die Aggression aus Frustration. Etwas was wir alle kennen, wenn ein Kind so frustriert ist, vielleicht den ganzen Vormittag zurückgesteckt hat und dann plötzlich bricht es scheinbar grundlos aus ihm heraus. 

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Aggressionen können aber auch nachgeahmt und gelernt werden, denn Kinder beobachten sehr genau wie andere Kinder und Erwachsene Konflikte und Situationen lösen. Kommt ein anderes Kind schneller durch Wegnehmen als durch Fragen an die Schaufel, wird diese Strategie vielleicht auch ausprobiert. Situationen, die erkannt und begleitet werden müssen, damit sich ein solches Vorgehen nicht festigt. So auch die Gruppenaggressionen, wenn im Rausch der Gruppe der Mut wächst und ein Kind geärgert wird.

Aggressionen sind Teil des Alltags mit Kindern, sie gehören dazu. Werden sie gewalttätig und Gewalt kann, wie eingangs beschrieben, körperlich sein aber auch ganz leise und durch Worte vernichtend, so braucht es wachsame Erwachsene, die eingreifen und schützen.

Danielle: Nun muss man aber in einer Gesellschaft ja trotz alledem darauf achten, dass gewisse soziale Regeln nicht überschritten werden. Nun sind wir uns einig, dass Strafen in einem solchen Fall nicht helfen. Aber wie reagiert man denn dann auf Regelbrüche?

Kathrin: Ich meine, wir dürfen schauen, was es mit dem Regelbruch auf sich hat und warum dieser geschieht. Und wir dürfen uns auch fragen, was sind Regeln und wie werden diese aufgestellt?

Wir möchten, dass Kinder verantwortungsvoll mit sich selbst und den anderen Menschen umgehen. Dann benötigen sie Vorbilder, die ihnen zeigen, wie es gehen kann. Reagiere ich auf ein Regelbruch eines Kindes durch Strafen, Beschämung, ist das wiederum aggressiv und das Kind erfährt dadurch, dass der mächtigere Gewalt ausüben darf und sie werden dies nachahmen – irgendwann.

Kinder benötigen Erwachsene, die mit ihnen Regeln und Grenzen leben. Sie dürfen im Alltag an unseren Grenzen teilhaben und auch in Beziehung erfahren, welches Verhalten wir ablehnen. Vielmehr darf es aber darum gehen, dem Kind nahezubringen, wie es stattdessen reagieren kann. Es ist definitiv auf unsere Resonanz angewiesen und fordert diese auch ein.

So beobachten wir wie Ilse schubst und eine Schaufel entwendet, so darf sie erfahren, dass wir Ilse sehen, ihr Bedürfnis ggf. erkennen uns aber wünschen, dass sie diesem nachgeht, ohne einem anderen Kind dabei weh zu tun. Denn für uns ist wichtig, dass es allen gut geht und wir nicht unsere Bedürfnisse auf Kosten anderen befriedigen. Das ist ein langer Prozess, der Jahre benötigt, aber ich bin vom Gelingensfaktor überzeugt.

Katja: Lass uns zum Ende noch einmal ganz konkret werden: Was können wir tun, wenn wir einen Konflikt zwischen zwei Kindern beobachten? Welche Schritte zur Konfliktlösung gibt es?

Kathrin: Für mich haben sich zuhause wie auch in der päd. Praxis vier Schritte bewährt. Die erst einmal etwas statisch klingen, aber es geht dabei eher um eine Hilfestellung und ein Raster. Zuerst dürfen wir die Situation einschätzen und beobachten. Fragen wir uns, ob der Konflikt eskaliert und ein Eingreifen nötig ist, oder ob er konstruktiv, gewaltfrei, verläuft.

Kinder dürfen allein lernen ihre Konflikte zu lösen, bei Gewalt sollten wir immer schützend eingreifen, damit sich diese Strategien nicht verfestigen. Kommen Kinder nicht zusammen und ich entscheide mich die Situation zu begleiten, so gehe ich auf Augenhöhe und verlasse bewusst meinen gewohnten Standpunkt und co-reguliere, damit das oder die Kinder wieder Sicherheit erlangen und der Stress sich löst.

In hitzigen Situationen können wir nicht sprechen, daher strahle ich Offenheit und Wertschätzung aus und vermittle Sicherheit. Erst dann ist es möglich die Situation zu besprechen. Es geht darum einander aktiv zuzuhören, erst einmal nicht, um Lösungen zu finden, sondern um zu verstehen.

Ich kann, wenn es die Situation zulässt wertfrei übersetzen und als Sprachrohr fungieren und mit den Kindern schauen, worum es eigentlich geht. Dabei bin ich weder Richterin noch Polizistin, eher eine Mediatorin oder Moderatorin. Die gewaltfreie Kommunikation kann hier zusätzlich helfen.

Und erst am Ende, wenn jedes Kind sich gehört fühlte, können die Kinder mit Unterstützung nach Lösungen forschen, die im Anschluss überprüft werden. Hilfreich ist, wenn der Konflikt in positiver Verbindung endet, und niemand als Verlierer hervor geht. Und für mich ist der vierte Punkt, einer der wichtigsten, wir selbst dürfen uns in Achtsamkeit üben und schauen wie es uns selbst geht.

Denn nur, wenn es uns gut geht, können wir uns achtsam um andere kümmern und uns davor schützen, auf Konflikte und Aggressionen selbst mit Aggressionen zu reagieren. Und all das sind Prozesse und gelingen nicht von heut auf morgen! Wir dürfen uns Zeit geben und unsere kleinen Fortschritte feiern! 

Vielen Dank, liebe Kathrin für dieses wunderbare Gespräch! Wenn ihr Kathrins wunderbares Buch „Gemeinsam durch die Wut“ gewinnen wollt, schreibt uns eine Mail an wunschkindblog [ätt] gmail.com mit dem Betreff "Gemeinsam durch die Wut".



2 Kommentare:

  1. Das klingt alles so toll, ist aber irgendwie total surreal in einer Zeit der maximalen Dauer- und Überlastung von Eltern. Diese werden seit 20 Monaten von der Politik allein gelassen mit Quarantäne, Home Schooling, vorverlegt Ferien, Home Office. Da tun sich tiefe Erschöpfung en auf. In denen fehlt vorn bis hinten die Zeit durchzuatmen oder mal mit Freund*innen zu telefonieren.

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    1. Ich denke auch das wäre ein guter Ansatz aber im Alltag in der Schule wer soll das leisten, die Kinder sind die Verlierer aufgrund von personalmangel und damit einhergehender Zeitnot. Alles was passiert ist Verwahrung, das ist auch der Grund wieso niemand mehr Lust hat in diesem Beruf zu arbeiten. Man kann so vieles Kindern auf einmal nicht gerecht werden und wenn man sich auf den Kopf stellt. Erst recht nicht wenn die Eltern nicht mitziehen. Der Traum von viel Zeit für jedes Kind und immer auf alle Bedürfnisse korrekt reagieren ist sehr schön. Platzt in der Realität schneller als man gucken kann.

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