Wie geschlechtsoffene Erziehung gelingt

Für Eltern, die bindungs- und bedürfnisorientiert erziehen, ist die Selbstbestimmung des Kindes ein sehr wichtiger Wert. Das bedeutet, auch auf Geschlechterstereotype zu verzichten und die freie Herausbildung der kindlichen (Geschlechts-)Identität zu ermöglichen. Das Geschlecht ist eine soziale Konstruktion und nicht binär, sondern sehr vielfältig. Es gibt Kinder, die weder männlich noch weiblich sind, auch wenn unsere Gesellschaft noch immer bemüht ist, Menschen diesen Kategorisierungen zuzuordnen.

Darüber haben wir in unserem Podcast mit Ravna Marin Siever gesprochen. Ravna ist ein nichtbinärex Autorix und hat über dieses Thema ein Buch im Beltz-Verlag geschrieben: "Was wird es denn? Ein Kind!" Die Inhalte unserer Podcastfolge hat Ravna für Euch auch hier verschriftlicht.

Cover von "Was wird es denn - ein Kind"

Ravna, was du sicher sehr oft gefragt wirst: Warum dieses Buch? Haben wir als Gesellschaft nicht gerade Wichtigeres zu tun? Wir leben in einer Pandemie, wir haben Krieg, wir sehen den Klimakollaps, der Faschismus ist wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen und du willst, dass die Menschen sensibler mit Sprache umgehen? Warum soll das für Kinder wichtig sein?


Diese Frage hat sogar einen eigenen Abschnitt im Buch! (“Hast Du denn keine anderen Probleme?” S. 218) Kurz zusammengefasst: dass es viele zeitgleich existierende Probleme gibt, ist der Zustand der Welt, wie sie ist. All die von dir genannten Punkte hängen aber auch mit Geschlechterstereotypen zusammen. Offenheit für den Punkt “Geschlecht” kann gar nicht entstehen, ohne dass wir all diesen Problemen wieder begegnen. So tragen Männer zum Beispiel seltener Masken, weil das uncool sei. Sie leben auch seltener vegan und sie sind es, die die großen Unternehmen leiten, welche hauptverantwortlich für Schadstoffemissionen sind. Kinder geschlechtsoffen zu begleiten heißt auch, toxische Maskulinität aufzubrechen. Wir müssen unsere Kinder ja vorbereiten auf die Welt, die wir hinterlassen. Ich glaube, dass das Bemühen, sie frei von Geschlechterstereotypen aufwachsen zu lassen, ihnen helfen wird.

Ich glaube, der breiten Masse an Menschen ist noch gar nicht bewusst, wie wichtig Sprache eigentlich ist. Das sieht man ja schon an der Diskussion ums generische Maskulinum. Ich kenne ziemlich viele Frauen, die sagen, sie fühlen sich total mitgemeint und es sei affig, das jetzt ändern zu wollen. Dabei gibt es ja etliche Studien, die zeigen, dass Frauen und erst recht nichtbinäre Menschen eben nicht automatisch mitgedacht werden, wenn man von Arzt oder Lehrer spricht.

Stimmt. Ich bin ja, das ist mir vermutlich auch öfter Mal anzumerken, großes Ludwig Wittgenstein-Fanby. Und der hat gesagt: “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.” Kübra Gümüşay hat das in ihrem großartigen Buch “Sprache und Sein” formuliert als: “Wir müssen uns mit der Architektur der Sprache beschäftigen, die unsere Realität erfassen soll.” Weg von der Philosophie in die gelebte Praxis mit Kindern hinein heißt das, dass Kinder, die immer nur etwas von “Handwerkern” und “Feuerwehrmännern” aber auch immer etwas von “Krankenschwestern” und “Sekretärinnen” hören, ein sehr limitiertes Bild von dem entwickeln, wer sie sein könnten, wie sie sein könnten und was sie können könnten. Wie Sprache da Realität prägt, könnt ihr in einem kleinen Google Experiment selbst sehen: Googelt mal in der Bildsuche nach Sekretärin und dann nach Sekretär. Das geht auch mit Kindern so ab der dritten Klasse schon gut, um zu verdeutlichen wie wichtig das Entgendern ist.

Okay, wir wissen jetzt also, dass geschlechtsoffenes Sprechen sinnvoll ist. Aber wie sieht das in der Praxis aus? Welche Alternativen gibt es denn zum generischen Maskulinum? Am besten bekannt sind wahrscheinlich der Unterstrich oder das Sternchen, wenn man Ärzt*innen oder Lehrer*innen schreibt und spricht. Gibt es noch mehr Möglichkeiten, Sprache zu entgendern?

Ja klar, einige davon stelle ich auch im Buch vor, wie die y-Endung des österreichischen Aktionskünstlers Phettberg. Da würden wir dann von Lehrys und Schülys sprechen. Oder das Dasling-System nach Robin Wurzel, dann wären das die Lehrelinge und die Schülinge. Oft gibt es aber auch einfach neutrale Worte wie Lehrkräfte, oder es werden, die deutsche Sprache gibt das ja sehr gut her, einfach neue Worte gebildet, wie zum Beispiel Arztpersonen. Versteht jedes, kommt ohne Sonderzeichen aus und ist entgendert. Ich benutze nur dort einen Unterstrich, beziehungsweise den sogenannten Glottisschlag beim Sprechen, wo mir bisher keine gute neutrale Alternative eingefallen ist. Bei älteren Schüler_innen zum Beispiel, die jüngeren sind, klar, Schulkinder.

Neben den verschiedenen Endungen, die man nutzen kann, gibt es ja auch noch Pronomen bzw. Neo-Pronomen. Ich weiß, dass es auf Twitter und im Fediverse üblich ist, die eigenen Pronomen in die Accountbeschreibung zu schreiben. Lass uns mal kurz aufschlüsseln, was Pronomen bzw. Neo-Pronomen überhaupt sind, falls es Hörer*innen gibt, die damit noch nicht in Berührung gekommen sind.

Gemeint ist damit immer das Personalpronomen in der dritten Person Singular - also die Worte mit denen ich den Namen einer Person ersetzen kann. Geläufig sind den meisten die Pronomen er, sie und es. Sogenannte Neopronomen sind Pronomen die Menschen für sich finden, für welche sich er, sie oder es nicht passend sind. Im Deutschen sehr wichtig und inzwischen häufig als Übersetzung für das englische singuläre they genutzt ist zum Beispiel xier, das geht auf Illi Anna Heger zurück. Sier, also das Pronomen, das ich benutze ist ähnlich, aber für mich leichter ins Deutsche zu integrieren. Ich erkläre den Menschen meist: Sier wird gebildet mit unveränderlichem “sie” und wird sonst so dekliniert wie er. Also: “Er trinkt seinen Kaffee gern schwarz” und “Sier trinkt sienen Kaffee gern schwarz.”

Wenn man Kinder geschlechtsoffen erziehen will, muss man erstmal die eigenen Vorurteile und auch gesellschaftliche Annahmen verlernen. Ich denke mal, das ist gar nicht so leicht, weil einem diese Bilder ja überall begegnen. Wie kriegt man das denn hin?

Das kriegen wir hin, indem wir anfangen uns selbst immer wieder darauf aufmerksam zu machen. Ich hatte das zum Beispiel jetzt in der Podcast Vorbereitung: Ich habe mir “Wittgenstein” und “Kübra Gümüşay” notiert. In der Theorie weiß ich, dass männliche Autoren häufiger nur beim Nachnamen genannt werden als weibliche. Die kriegen meist auch einen Vornamen. Politikerinnen werden teilweise sogar nur bei ihrem Vornamen genannt. Das passiert männlichen Politikern nur, wenn sie abgewertet werden sollen - sie werden mit Frauen auf eine Stufe gestellt, wenn sie nur Olaf genannt werden, so wie Angela nur Angela genannt wurde. Im Alltag darauf zu achten, wo uns Geschlecht begegnet, wo es eigentlich gar nicht hingehört, hilft auch. Warum denken wir denn “Die Frau da trägt einen hübschen Mantel?” wir wissen ja gar nicht, ob es sich um eine Frau handelt. Würden wir davon ausgehen, dass es sich um einen Mann handelt, würden wir auch seltener an einen “hübschen” Mantel denken. Sondern zum Beispiel an einen gut geschnittenen. Je öfter wir uns selbst darauf aufmerksam machen, desto leichter fällt uns das.

Oft wird auch gesagt, dass das Thema Geschlecht für Kinder noch viel zu kompliziert ist, oder dass Kinder zu früh sexualisiert werden, wenn man von Anfang an erklärt, dass es nichtbinäre Menschen, trans Menschen usw. gibt und eben bei der Sprache auch darauf achtet, inklusiv zu sein. Was sagst du dazu?

Frühsexualisierung ist ein rechter Kampfbegriff. Das muss so klar und deutlich gesagt werden. Dieser Begriff soll Angst machen und Hass schüren. Das soll nach sexualisierter Gewalt gegen Kinder klingen. Es bringt Bezugspersonen von Kindern automatisch in Habachtstellung, denn selbstredend wollen wir unsere Kinder beschützen. Ich sage immer: Kinder sind von mehr als zwei Geschlechtern so verwirrt wie von mehr als zwei Pokémon. Gar nicht. Kompliziert ist das Thema nur für die Erwachsenen, Kinder, die von kleinauf mit dem Wissen aufwachsen, dass es mehr als vier Geschlechter gibt, verwirrt das nicht. Geschlecht hat auch nichts mit Sexualität zu tun. Sexualität ist, mit wem ich ins Bett gehen möchte. Geschlecht ist, als wer ich ins Bett gehe.

Kinderhände mit Farbe - Regenbogen


Mit Kindern lässt sich am besten genau dann über Dinge sprechen, wenn sie selbst interessiert nachfragen. Aber wenn man selbst und das Umfeld heteronormativ und binär ist, dann kann es sein, dass das Thema Geschlecht oder Pronomen gar nicht aufkommt und Kinder eben nicht nachfragen. Was macht man da?

Zum einen gibt es immer mehr Kindermedien, die das thematisieren, die schöne Serie “Meine Stadt der Geister” zum Beispiel mit einem nicht binären Charakter, der xier Pronomen nutzt oder die fantastischen Bücher “Florian” über einen Schwarzen trans Jungen und “PS: Es gibt Lieblingseis” über ein inter Kind . Wer in einem wenig queeren Umfeld lebt, kann darüber ein bisschen Vielfalt aufzeigen. Aber ihr könnt zum Beispiel auch ein Kuscheltier oder eine Puppe anschaffen, die sich mit Namen und Pronomen vorstellen. Die meisten Kinder lieben es, wenn ihre Kuscheltiere mit ihnen reden!

Das ist auch so eine Stelle zum selber Stolpern: Warum ist mein Umfeld so wenig vielfältig? Kann ich das ändern?

Du sagst in deinem Buch, es ist gut, wenn man ein geschlechtsoffenes Umfeld für die Kinder schafft. Katja hatte ja vorhin schon gesagt, dass das gar nicht so leicht ist, weil einem die Rosa- Hellblau-Falle quasi überall begegnet. Welche Tipps hast du für unsere Hörer*innen?

Was ihr tun könnt, hängt natürlich auch von eurem Umfeld und euren sonstigen Lebensbedingungen ab. Ich glaube das Allerwichtigste zuerst: Es gibt kein “Perfekt” und ihr müsst nicht auf Anhieb alles hinkriegen. Wer ein Kind bekommen hat, dem bei der Geburt weiblich zugewiesen wurde, und eine Verwandtschaft, die eben dieses Kind mit rosa Kleidung und Puppen überschüttet, tut wahrscheinlich gut daran, bewusst Kontraste zu setzen und dem Kind ordentliche Hosen mit großen Taschen und Bauklötze zu besorgen. Aber wenn ihr rosa rüschige Glitzerkleider liebt, spricht nichts dagegen, die eurem Kind anzuziehen, solange es dazu noch keine eigene Meinung hat. Aber wenn ihr diese Kleider an kleinen Kindern ganz furchtbar niedlich findet, aber eurem Kind, weil es mit einem Penis zur Welt gekommen ist, kein solches Kleid anziehen würdet, dann ist wieder einmal der Punkt gekommen, euch selbst zu fragen: Warum ist das so? Ist das sinnvoll?

Mit etwas älteren Kindern, meist so ab 3, 4 Jahren lässt sich dann aber auch schon gut über Geschlechterstereotype reden, denn bis dahin haben die meisten Kinder davon schon reichlich mitbekommen. Gemeinsam Fragen zu erkunden wie “Warum ist denn rosa eine Mädchenfarbe?” kann sehr spannend sein. Und mit einem vierjährigen Kind kommen wir da sicher auf andere Gespräche als mit einem 14jährigen Teenie, mit dem wir auch die historische Entwicklung dieser Farbcodierung recherchieren können.

Mir ist es ja immer sehr wichtig, von Geschlechtsoffenheit zu sprechen und nicht von Geschlechtsneutralität. Es geht nicht darum, Kinder zu neutralen Wesen zu erziehen. Sondern darum, offen für ihr Sie-Selbst-Sein zu sein und sie ihre geschlechtliche Identität in einem offenen Rahmen erkunden zu lassen. Wir können zum Beispiel sagen: Bei der Geburt haben wir angenommen, dass du ein Mädchen bist. Wie ist das? Bist du ein Mädchen, ein Junge, beides, etwas anderes oder einfach nur ein Kind? Fühlst du dich wohl, wenn andere dich “Mädchen” nennen?

Du formulierst auch Kinderbücher oder Kinderreime um, wenn du die deinen Kindern vorliest, oder? Wie machst du das?

Ja! Ich mache das meist spontan, ich habe da inzwischen sehr viel Übung drin, aber Sprache ist auch einfach ein Ding, das mir leicht fällt. Wem das nicht so leicht fällt, empfehle ich Vorbereitung: Kinderreime und -lieder umformuliert notieren oder als Sprachnachricht aufnehmen und dann neu lernen, Klebezettel oder Tipp Ex und Stift helfen in Büchern. Ich tausche Namen aus und Pronomen und ich entferne auch oft überflüssige Stereotype, wie zum Beispiel Kommentare über das Aussehen von Mädchen.

Auch hier eine schöne Übung: schnappt euch mal ein Buch, das sich an Mädchen richtet und hauptsächlich oder ausschließlich weibliche Charaktere hat. Ersetzt alle Mädchennamen mit Jungennamen, sie Pronomen mit er Pronomen und andersherum. Wie anders - und wie falsch sich diese Bücher dann oft anfühlen, ist sehr eindrücklich.

zwei Kinder


Ich habe schon häufiger gehört, es würde Kinder verwirren, wenn sie ohne geschlechtliche Zuweisung aufwachsen. Stimmt das?

Nö. Es geht ja auch, wie gesagt, nicht darum, Kinder irgendwie neutral zu machen. Sondern darum, dass sie ihr Geschlecht möglichst frei selbst entdecken können. Die eigene Geschlechtsidentität finden Kinder meist so zwischen zwei bis sieben Jahren. Entweder, sie haben da einen sehr engen Rahmen, aus dem sie sich eventuell freikämpfen müssen. Oder sie wurden eben offen erzogen. Das ist ein bisschen wie bei der Händigkeit: früher wurden Kinder gezwungen, mit rechts zu schreiben. Heute wird abgewartet, was sich zeigt.

Was ich immer wieder lese, ist dass Erwachsene denken, es sei jetzt quasi verboten, seinen Töchtern rosa anzuziehen. Das ist natürlich Quatsch, aber was erwidert man da?

Dass das Problem nicht ist, dass das Kind rosa trägt. Sondern, dass es dann zum Problem wird, wenn Rosa- und Rottöne die einzige Auswahl für das Kind sind. Wenn rosa den zugehörigen Erwachsenen gefällt, dann zieht den Kindern rosa an! - auch denen, die ihr für Jungen haltet.

Eine häufige Angst von Eltern ist, dass ihr Kind in der Schule gemobbt wird, wenn es als Junge beispielsweise einen rosa Schulranzen hat.

Kindern zu sagen “Sei nicht du selbst / zieh nicht an, was du magst / such dir keinen rosa Ranzen aus, auch wenn der dir gefällt, sonst könnten andere Kinder dich ärgern” ist keine besonders ermächtigende Botschaft für Kinder. Die meisten Kinder werden nicht gemobbt, sie mobben - oder greifen nicht ein, wenn Mobbing geschieht. Allen Kindern glaubhaft zu vermitteln, dass Vielfalt menschlich und positiv ist, dass alle Menschen verschieden sind und dass das auch gut so ist, schützt am besten vor Mobbing. “Werde nicht zur Täter_in” statt “Mach dich nicht zum Opfer”. Ich kann die Sorge verstehen, dass Kinder gemobbt werden könnten. Aber unsere Kinder nicht sie selbst sein zu lassen, schwächt ihr Selbstbewusstsein - und damit auch die Resilienzfähigkeit gegen eventuelles Mobbing.


Du warst schon einmal bei uns im Podcast zu Besuch, da haben wir über Aufklärung und unter anderem auch über Missbrauch gesprochen. In deinem jetzigen Buch gehst du über ganze 12 Seiten auch auf Konsens ein. Was ist das, warum brauchen wir das, und warum ist das in einem Buch über geschlechtsoffene Erziehung?

Konsens ist gegenseitiges Einverständnis, in diesem Fall hauptsächlich bezogen auf Berührungen. Konsens kann aber auch in ganz anderen Kontexten wichtig sein, zum Beispiel wenn Menschen ungefragt ihre schlechten Gefühle bei uns abladen, wir da aber eigentlich keine Kapazitäten für haben. Es geht also um eigene Grenzen und Grenzsetzung. Das ist in einem Buch über geschlechtsoffene Erziehung, weil das ein unglaublich vergeschlechtliches Ding ist. So wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass Männer ja “eh immer nur das Eine wollen” und darüber wird sexualisierte Gewalt gegen Jungen/Männer bagatellisiert. Konsens von Mädchen/Frauen bzw. frauisierten Personen (also Menschen, die keine Frauen sind, aber behandelt werden, als wären sie welche) wird dagegen immer wieder als “Eroberungsprozess” dargestellt - wenn “sie” nein gesagt hat, war “er” nur nicht hartnäckig genug. Überhaupt ist Konsens von Frauen und frauisierten Personen gesellschaftlich noch immer eher als Opt-Out, denn als Opt-In verstanden - so lange “sie” nicht nein sagt, oder deutlich “nein” zeigt, wird Konsens als gegeben vorausgesetzt - und selbst wenn sie dann nein sagt, wird das immer noch verhandelt. Oft hilft nur, einen scheinbaren Anspruch durch andere Männer vorzugeben. Frauen, die z. B. in einer Kneipe angemacht werden, sagen oft nicht “Lass mich in Ruhe, ich will das nicht.”, weil sie genau wissen, dass ihr Nein nichts wert ist. Die sicherere Aussage ist “Ich habe einen Freund und warte hier gerade auf ihn.” Und dieses Denken von “Frauen wollen erobert werden, ihr Nein ist nur ein Nein, weil du nicht hartnäckig genug warst”, das wird schon ganz früh vermittelt, wir finden es in zahlreichen Kindermedien. Es ist wie beim Mobbing: wir müssen den Fokus darauf legen, dass Kinder nicht zu Täter*innen werden.

Zu guter Letzt: Genderreveal-Partys sind gerade in den USA sehr beliebt und der Trend schwappt auch nach Deutschland rüber. Ich gehe davon aus, dass du dieses Ritual ungünstig findest. Kannst du kurz zusammenfassen, warum?

Weil da gefeiert wird, welche Genitalien im Ultraschall zu sehen waren. Nichts anderes. Und warum Menschen die Genitalien ihres Un- oder Neugeborenen in die Welt hinausschreien wollen, das hat sich mir nie erschlossen. Das Geschlecht des Kinders kennen wir dann, wenn es uns das mitteilt. Nicht vorher. Ich bin voll für Gender-Reveal-Parties: zu einem Zeitpunkt, zu dem die betroffene Person das möchte und sich in einem der vielen Geschlechter zuhause fühlt. Gender-Reveal-Parties, die beispielsweise für trans Teenies gefeiert werden, finde ich sehr herzerwärmend. Ich fände die für cis Kinder ebenso gut. Wäre das nicht ein schönes Übergangsritual, statt (oder ergänzend zu) Jugendweihe oder religiösen Ritualen?


Bild: Vanessa Kleinwächter

 

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