Wie finde ich das richtige Tragetuch für mich?

Kleine Menschenbabys sind Traglinge. Etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung tragen ihre Kinder kinderwagenlos dauerhaft bei sich. Tragetücher sind nach wie vor in den ersten Wochen die gesundheitlich optimale Variante, ein Neugeborenes zu transportieren. Tragen hat im Grunde ausschließlich Vorteile. Bedenken, dass sich langes Tragen nachteilig auf den Rücken auswirken könnte, sind unbegründet - sogar das Gegenteil ist der Fall: die regelmäßige Benutzung eines Tragetuches bildet eine starke Rückenmuskulatur beim Baby aus.
 
Baby im Tragetuch

Am Körper der Mutter wird ein Neugeborenes so transportiert, wie es das aus der Schwangerschaft kennt. Es wird rhythmisch geschaukelt, hört Mamas Herzschlag und spürt ihre Wärme. Es fühlt sich sicher, wohl und geborgen und kann jederzeit von Reizen abgeschottet werden. Die Mutter ist deutlich mobiler, als mit einem sperrigen Kinderwagen. Das ist ein großer Vorteil insbesondere im öffentlichen Nahverkehr oder in größeren Menschenmassen. Auch Treppen, Schnee und defekte Aufzüge sind mit Tragetüchern kein Problem. In den ersten Wochen lassen sich Babys nicht gerne ablegen - freie Hände sind daher ebenfalls ein großes Plus beim Tragen - so kann mit dem Baby im Tuch die Hausarbeit verrichtet werden. 
 
Regelmäßiges Tragen wirkt sich außerdem positiv auf Blähungen aus und reduziert das Schreien bei den 3-Monats-Koliken (siehe dazu auch diese Studie). 

Die Auswahl des richtigen Tragetuches 


Beim Kauf des Tragetuches ist zunächst maßgeblich, wofür man es verwenden möchte. Für Neugeborene sind vor allem elastische Tücher geeignet, da diese den Rücken besser abstützen.

Grundsätzlich gilt: Je schwerer das Kind, desto stabiler sollte das Tuch sein - elastische Tücher können bis zu einem Gewicht von 9 kg (herstellerabhängig teilweise bis 15 kg), die nichtelastischen Tücher können bis zu einem Gewicht von ca. 18  bis 20 kg verwendet werden. 

Die richtige Länge des Tragetuchs 


Die meisten Tücher sind in verschiedenen Längen erhältlich. Grundsätzlich gilt: Je länger ein Tuch ist, desto teurer ist es. Die Auswahl der Länge ist abhängig von den Tragepositionen, die gebunden werden sollen und von der Körpergröße des Tragenden. Wollen mehrere Personen mit dem Tuch tragen, sollte die Länge auf die größte Person abgestimmt werden. Um alle Tragepositionen zu binden, muss das Tuch mindestens 5,10 m lang sein. Je länger das Tuch ist, umso vielfältiger sind die Möglichkeiten, es zu binden - um so mehr Stoff bleibt jedoch auch bei wenig Tuch verbrauchenden Trageweisen übrig, der verwickelt werden muss.

Dennoch sollte man nicht unbedingt ein zu kurzes Tuch wählen - einige Tücher laufen auch nach dem Waschen noch ein und für die klassische Wickelkreuztrage braucht man in der Regel mindestens 4,60 Meter. Man sollte bedenken: Ein zu langes Tuch kann im Notfall gekürzt werden - ein zu kurzes Tuch liegt unter Umständen wegen der wenigen Verwendungsmöglichkeiten dann nur rum. Aus einem zu kurzen Tuch kann man jedoch noch einem RingSling oder Mei Tai nähen (siehe unten).

In der folgenden Übersicht ist nach Kleidergrößen gestaffelt die erforderliche Mindestlänge des Tuches für die verschiedenen Bindeweisen aufgeführt:

Tragetuchlänge für Bindetechniken (Quelle: Didymos)
  

Welches Material ist für das Tragetuch am besten geeignet? 


Die meisten Tragetücher sind aus reiner Baumwolle und dadurch sehr stabil und für Anfänger oft am besten geeignet. Einige Tücher haben einen Leinenanteil und sind dadurch besonders dünn und damit optimal für den Sommer. Tücher aus Seide sind ein besonderer Hingucker - sie sollten vor dem ersten Tragen zur Festigung mindestens 5 Mal gewaschen und getrocknet werden. Anfangs muss man relativ vorsichtig sein, mit der Zeit wird das Tuch jedoch unempfindlicher. Für den Winter eignen sich Tücher aus Wolle, da sie zusätzlich wärmen. Diese dürfen jedoch nicht zu heiß gewaschen und gebügelt werden! Etwas exotischer sind Tücher aus Hanf  - sie sind eher schwer, damit aber auch sehr stabil und für größere Kinder gut geeignet. 

Verschiedene Webweisen/Strickweisen bei Tragetüchern


Die Tücher unterscheiden sich neben dem Material auch bezüglich der Webweise. Qualitativ hochwertig sind diagonalgewebtes Jacquard (sehr dünn und leicht, ideal für den Sommer), Kreuzkörper, Diamantkörper und Jersey.

Günstige Tücher sind oft mit Leinwandbindung (siehe Bild) oder Atlasbindung gewebt - da die Fäden hier nur horizontal und vertikal verwebt werden, wird keine ausreichende Diagonalelastizität erreicht - die Tücher stützen also nicht optimal! Schau also bei einem günstigen Tuch unbedingt genauer auf die Webweise. 

Leinwandwebung

 

Welche Marken sind bei Tragetüchern empfehlenswert? 


Es gibt Hersteller, bei denen kann man unbedenklich zugreifen - was sich aber auch im Preis niederschlägt. In Deutschland am weitesten verbreitet sind Didymos und Hoppediz.  Ebenso gut sind Storchenwiege, Girasol, Bebina, Natibaby, Lana, Néobulle, Kokadi,  Elleville, Diva Milano, Oscha und Vatanai.

Dann bleibt nur noch die Qual der Wahl beim Design (hier exemplarisch eine kleine Auswahl der bei Amazon erhältlichen Designs von Hoppediz).

Übrigens - im Shop von Didymos werden Tücher, die kleinere Webfehler aufweisen, oft reduziert angeboten. 

Wie bindet man Tragetücher richtig? 


Jedem, der sein Baby mit einem Tragetuch tragen möchte, sei eine Trageberatung ans Herz gelegt - hier findest Du eine Übersicht (geografisch sortiert) von Trageberater/innen in Deutschland. Sie zeigen Dir verschiedene Bindeweisen und üben mit Dir.

Wenn Du es allein versuchen möchtest, empfiehlt es sich, zunächst mit einem Stofftier oder einer Puppe zu üben. Fühlt man sich einigermaßen sicher, dann kann es mit dem Baby losgehen. Idealerweise beginnt man in einem Moment, in dem das Kind satt und zufrieden ist. Fühlt man sich unsicher, sollte man vor einer weichen Oberfläche (Bett/Sofa) binden. Denk dran: der Einfluss der Schwerkraft ist nicht unerheblich - lehnt man beispielsweise den Rücken leicht zurück, bleibt das Kind besser vorne am Körper.Tolle Bindeanleitungen gibt es bei
wickelkinder.de oder Qualimedic. Auch Youtube bietet jede Menge Anleitungen für die einzelnen Tragepositionen. Mir persönlich haben dabei die Videos von urbia.tv am besten gefallen - hier exemplarisch die für die Wickelkreuztrage:

  
Für Neugeborene sind Wickelkreuztrage, der einfache Rucksack und die Känguruhtrage geeignet.

Der häufigste Fehler ist, das Tuch zu locker zu binden. Anfangs haben Eltern oft Angst, das Baby könnte zu eingeschnürt sein oder keine Luft bekommen - diese Ängste sind unbegründet. Indikator für zu straffes/lockeres Binden ist die Höhe des Kindes - hängt es zu tief, muss fester gebunden werden - die Position des Kopfes sollte so sein, dass er bequem geküsst werden kann. Wichtig ist vor allem, dass der kleine Rücken gut gestützt wird.
 
Das Kind muss in der Anhock-Spreiz-Haltung sitzen. Die Beine müssen dabei mindestens um 45° angewinkelt sein, damit keine Hüftschäden entstehen. Die Knie des Kindes sollten sich auf der Höhe des Bauchnabels des Tragenden befinden und die Oberschenkel sind leicht angespreizt. Der Po ist tiefer, als die Knie des Babys - die Beine bilden ein "M".  

Baby im Ergocarrier


Bei Neugeborenen ist es wichtig, dass der Kopf ausreichend gestützt ist. Erst wenn sich die Nackenmuskulatur ausreichend ausgebildet hat und das Kind den Kopf alleine halten kann, ist keine Unterstützung durch das Tuch mehr erforderlich.

Ebenfalls wichtig: Die Temperatur. Elastische Tücher beispielsweise werden in 3 Lagen gebunden - das muss bei der Kleiderwahl berücksichtigt werden. Auch der Körper der Mutter wärmt - daher sollte bei Unsicherheiten regelmäßig die Temperatur im Nacken des Kindes geprüft werden - fühlt er sich feucht und warm an oder ist gar der Kopf rot, ist dem Kind zu warm. Ist er kühl, ist es wahrscheinlich, dass das Kind friert.

Das Gesicht des Kindes ist grundsätzlich zum Tragenden gerichtet - es ist zwar sehr schwierig, ein Kind nach vorne schauend in ein Tragetuch zu setzen, aber ich habe schon Eltern gesehen, die das tatsächlich geschafft haben. Davon ist unbedingt abzuraten! Das ist absolut unergonomisch, belastet also den Rücken und führt zu einer Reizüberflutung, die vor allem Neugeborene schnell überfordert. 

Die richtige Pflege von Tragetüchern 


Vor der Benutzung sollten die Tücher gewaschen und eingetragen werden. Oft sind die Stoffe anfangs noch etwas hart, rau und unelastisch - durch das Waschen und Eintragen werden sie geschmeidig und weich. 

Tragetücher sollten möglich einzeln und bei hohem Wasserstand bei der empfohlenen Temperatur gewaschen werden. Feinwaschmittel schont Farben und Fasern. Bei Materialmischungen (Seide, Hanf, Leinen) sollte unbedingt auf die Waschhinweise der Hersteller geachtet werden, da diese empfindlicher sind. Weichspüler macht das Tuch glatter und verbessert die Bindefähigkeit - ein paar wenige Tropfen genügen (idealerweise Sensitiv-Weichspüler ohne unnötige Zusätze). Wer keinen Weichspüler mag - ein Schuss Essig oder Natron machen das Spülwasser auch weicher.
 
Nach dem Waschen sollte das Tuch - insbesondere die Kanten in Form gezogen werden. Die meisten Tücher können in den Trockner (Schonstufe) - aber auch auf dem Wäscheständer trocknen die meisten Tücher schnell, wenn sie in Wellen aufgehängt werden.
 
Tuch über einem Wäscheständer
 
Babys lieben Mamas Geruch - den nimmt das Tuch an, wenn man es einige Tage bei sich trägt. Auch die Mitnahme ins Bett für ein bis zwei Nächte macht das Tuch weicher, kuscheliger und duftiger. Häufiges Knoten schadet nichts - für qualitativ hochwertige Tücher gilt: Je mehr man sie verwendet, desto besser lassen sie sich verwenden. 

Besondere Arten von Tragetüchern 


Elastische Tragetücher 


In den ersten Wochen sind die meist aus Jersey gefertigten elastischen Tragetücher (z. B. Moby Wrap oder dieses von Hoppediz) ideal. Diese müssen immer 3-lagig gebunden werden, um optimal zu stützen. Da sie jedoch sehr leicht und dünn sind, ist das unproblematisch. 

(Ring-)Slings 


Viele tun sich anfangs schwer mit dem Binden, auch Männern ist ein Tragetuch oft zu "fummelig". Eine Alternative stellen Ring-Slings (z. B. von Didymos, Storchenwiege oder Amazonas) dar - diese sind speziell genäht, mit Ringen versehen und teilweise vorgebunden, wodurch sie sich schneller fertig binden lassen. Allerdings ist die Anzahl der Tragepositionen dadurch begrenzt.
 
Baby schläft im Ringsling

Ein Sling ist eher eine Ergänzung zum, als ein Ersatz für das Tuch. Er eignet sich vor allem für kürzere Strecken, da das Gewicht des Babys komplett auf den Schultern lastet.

Mit ihm kann vor dem Bauch, auf dem Rücken oder auf der Hüfte getragen werden. 

Mei Tais 


Mei Tais (erhältlich u. a. von Amazonas oder Girasol) stammen ursprünglich aus dem asiatischen Raum und bestehen aus einem hochwertigen, rechteckigen Tragetuchstoff und 4 Bändern an den Ecken. Die oberen (breiteren) Bänder werden über die Schultern gelegt und sorgen für eine gleichmäßige Gewichtsverteilung. Mei Tais sind vor dem Bauch und auf dem Rücken (nicht bei Neugeborenen!) tragbar. Da sie keine Schnallen haben und die Bänder flexibel gebunden werden können, wachsen Mei Tais mit und können bis zum Ende des Tragealters eingesetzt werden.
 
Baby im Mei Tai

© Danielle


Bildnachweis
Webmuster einfache Leinwandbindung: Wikipedia / Ikiwaner
Wäscheständer: brit berlin / pixelio.de
Baby im RingSling und Mei Tai: Franziska mit Emil

7 Kommentare:

  1. Super Artikel, ich bin ein großer Fan von eurer Seite :) Persönlich habe ich bisher ein Didymos und ein Fidella Tuch. Dazu muss ich sagen, dass mein Didymos der perfekte Allrounder ist. Das Fidella ist jedoch etwas breiter als die Standardtücher, dadurch finde ich das einbeuteln auf dem Rücken sehr viel einfacher als mit meinem Didymos, ich hatte früher immer Probleme auf dem Rücken zu binden, obwohl ich viel geübt habe. Fidella ist zwar nicht so bekannt aber absolut zu empfehlen!

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  2. Hallo!

    Alle Texte hier sind super. Leider muss ich nur bei Mei Tai dazuschreiben, dass man diese auch bei Neugeborenen benutzen kann. Hier schreibe ich aus eigener Erfahrung. Im Youtube gibt es genug Videos dazu.
    GLG!

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    1. "Mei Tais sind vor dem Bauch und auf dem Rücken (nicht bei Neugeborenen!) tragbar."

      Ich denke es geht hier eher um die Aussage "auf dem Rücken", da Neugeborene auf dem Rücken getragen, zwangsweise überspreizen.

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  3. Hallo ihr Lieben
    Hat irgendjemand hier schon einmal davon gehört, dass das viele Tragen oder überhaupt Tragen das Vergehen von frühkindlichen Reflexen hemmen kann? Diese könnten dann später (etwa im Schulkindalter)zu Konzentrationsproblemen etc führen. Ich halte das eher für Schwachsinn, denn ich frage mich warum dann gewisse Völker, die ihre Kinder quasi ausschließlich aufrecht am Körper tragen, solche Probleme bzw Krankheitsbilder überhaupt nicht kennen . Allerdings habe ich da auch nicht so viel Ahnung, dass ich fundierte Gegenargumente hätte. Wäre toll, wenn ihr mir da weiterhelfen könnt.

    http://miteurerhilfeschaffichdas.de/category/blog/

    Das ist der Link zu dem Blog, wo ich das gelesen habe.

    LG
    Sarah

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  4. Hallo zusammen. Ich habe eben eine frage zum Tragen. Mein Kind, mittlerweile 4 Monate alt, mag es überhaupt nicht im Tragetuch zu sein. Schon von Beginn an war er meckerig, ist aber dann doch oft eingeschlafen. Mittlerweile habe ich mir die Mysol von Girasol gekauft und er mag es garnicht. Er schläft nun weniger und ich kann ihn überhaupt nicht mehr tragen. Ich habe das Gefühl ihm gefällt die Enge nicht. Ich finde es sehr schade, ich würde ihn gerne Tragen. Er weint sehr stark sobald ich ihn festmache. Hat jemand ähnliche Erfahrungen oder eine Idee, was ich anders machen könnte? Ganz liebe Grüße

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    1. Es gibt Kinder, die es tatsächlich einfach nicht mögen. Manchmal ist eine Blockade Schuld (bei uns hat ein Osteopat geholfen).

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    2. Okay danke. Ja beim Osteopathen waren wir schon. Ist alles gut. Ich werde mich damit abfinden, dass er es nicht mag :)

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