Bei meinem Kind mache ich es anders! Mit Eltern und Schwiegereltern über beziehungs- und bedürfnisorientierte Elternschaft ins Gespräch kommen

Viele Eltern erziehen heute bewusst anders, als sie selbst erzogen wurden. Häufig stoßen sie damit auf Unverständnis bei ihren eigenen Eltern. In unserem Podcast haben wir kürzlich mir Autorin Karin Bergstermann, die zusammen mit Anna Hofer das Buch „Bei meinem Kind mache ich das anders“ beim Beltz Verlag veröffentlich hat, gesprochen. 



In ihrem Buch unterstützen Karin und Anna junge Eltern dabei, die Kommunikation mit den (Schwieger-)Eltern zu verbessern, Ängste und Erwartungen auf beiden Seiten abzubauen und das gegenseitige Verständnis zu stärken. Anhand von Fallgeschichten und fundiertem Praxiswissen helfen sie Eltern dabei, ihre eigene Erziehung aufzuarbeiten und ihr inneres Kind besser zu verstehen. 

Wir haben unser Gespräch im Podcast hier für Euch zusammengefasst.

„Du musst auch lernen, loszulassen!“, hören wir oft von den Großeltern unserer Kinder. Sie haben Angst, dass unsere Beziehung zu unseren Kindern" zu eng" ist, dass wir zu gluckig sind und die Kinder so nie selbständig werden. Woher kommt diese Angst?

Selbstständigkeit ist tatsächlich ein großes Thema in Familien. Viele Großeltern, aber auch viele Eltern haben Angst, dass die Kinder unselbständig und damit von uns abhängig bleiben würden, wenn wir ihnen nicht aktiv die Selbständigkeit beibrächten. Dahinter steckt der Gedanke, dass wir unseren Kindern alle möglichen Dinge - vom Trockenwerden bis zum Schuhezubinden -  so früh wie möglich beibringen müssten, damit sie zum einen genug Zeit haben, diese Dinge zu lernen, und zum anderen sich nicht daran gewöhnen, sich von vorne bis hinten bedienen zu lassen.

In Wahrheit ist die Kindheit jedoch ist ein einziger Loslösungsprozess, der vom Kind ausgeht. Kinder wollen selbständig werden. Wäre das nicht so, wäre die Menschheit längst ausgestorben.

In Eurem Buch schreibt ihr: „Die Großelterngeneration konnte oder durfte keine Bindung im bowlbyschen Sinne aufbauen. Wenn wir ihnen aber versuchen zu erklären, dass unsere Bindung zu unseren Kindern enger ist, als ihre es war, wird das oft als Vorwurf verstanden, dass sie ihre Kinder nicht geliebt hätten. Liebe und Bindung sind aber nicht dasselbe.“ Was ist denn der Unterschied zwischen Bindung und Liebe?

Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Bindung im bowlbyschen Sinne ist zunächst einmal etwas, das unter den richtigen Umständen von alleine passiert. Wir sind nach der Geburt hormonell darauf gepolt, uns an unser Kind zu binden. Das passiert nicht immer sofort und es kann auch später noch nachgeholt werden, wenn der Start ins Leben nicht reibungslos war. Aber Bindung ist das, was die Spezies Mensch überleben lässt. Sie ist das, was auf einer Ur-Instinkt Ebene dafür sorgt, dass wir uns um dieses kleine Menschlein kümmern.

Liebe hingegen ist zunächst mal ein Gefühl. Und schon allein die Tatsache, dass wir dieses Wort auf unsere Kinder genauso anwenden können, wir auf unsere Partner_innen, Haustiere oder Pizza, zeigt, wie schwammig der Begriff ist. Bindung ist etwas, das sich erforschen lässt. Liebe ist ein warmes Gefühl im Herzen. Schwierig wird es, wenn wir einen Menschen weniger als Person, sondern vielmehr in seiner Rolle lieben - z. B. als Kind oder als Enkelkind. Dann wird die Liebe von sozialen Normen geprägt und beeinflusst sowohl unsere Erwartungen an das Verhalten dieses Menschen als auch unser Verhalten ihm gegenüber.


Wie macht man denn den Großeltern klar, dass wir eben nicht glauben, sie hätten uns nicht geliebt?

Indem wir es ihnen sagen. Indem wir anerkennen, dass sie dies oder jenes aus Liebe zu uns getan haben. Das müssen nicht einmal Dinge sein, die aus heutiger Sicht prima sind. Wir können auch anerkennen, dass sie nur das Beste für uns wollten, als sie uns im Alter von sechs Wochen mit Möhrensaft gefüttert haben

Auch beim Thema Stillen kommt es oft zu Streit zwischen Großeltern und Eltern. Als wir klein waren, wurde die Milch häufig im Fläschchen gegeben oder mit Karottensaft versetzt. Und viele Frauen hatten damals das Gefühl, sie könnten nicht stillen, das sei bei allen Frauen in der Familie so gewesen… Heute dagegen wird nach Bedarf gestillt und häufig auch sehr viel länger als damals. Wie schafft man es denn als frischgebackenes Elternteil über solche gut gemeinten Ratschläge zum Thema Stillen hinwegzuhören und sich nicht verunsichern zu lassen?

Wir haben da heute zum Glück viel mehr Möglichkeiten, an Informationen und Rückenstärkung zu kommen als unsere Eltern sie hatten, als wir klein waren. Es gibt mittlerweile so viele großartige Stillberaterinnen oder Bücher übers Stillen oder Foren im Internet, in denen ausgebildete Stillberaterinnen agieren. 

Da ist es auch für die Haltung gegenüber den Großeltern wichtig, dass wir von dem, was wir tun, überzeugt sind und uns das notwendige Wissen aneignen. 

Viele Großeltern sorgen sich, dass das Kind unselbständig und verwöhnt werden könnte. Was steckt dahinter?

Diese Angst vor dem Verwöhnen ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Im Prinzip verdanken wir diese Angst der Vorstellung, dass der Mensch als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt. Denn wenn ich nichts auf diese Welt mitbringe, dann ist alles, was ich mag oder nicht mag, tue oder nicht tue, einzig und allein eine Folge von Gewöhnung. Und wenn meine Eltern mich an etwas gewöhnen, das sie mir später wieder abgewöhnen müssen, dann haben sie mich verwöhnt und unselbständig gemacht.

„Schreien ist die Sprache des Säuglings" oder auch "Schreien kräftigt die Lungen“, das hören junge Eltern oft von den Altvorderen. Aber heute wissen wir, dass Babys, bevor sie schreien, ungefähr20 min andere Signale senden. Wie kann man Großeltern sanft klar machen, dass ihr Wissen überholt ist?

Durch das Enkelkind als Anschauungsmaterial. Wir können die Großeltern auf die Signale hinweisen, wenn wir sie sehen. „Schau, es hat Hunger, es macht Suchbewegungen mit dem Kopf.“ Vielen Großeltern ist unbewusst sogar klar, dass Babys Zeichen geben. Sie haben nur nie gelernt, darauf zu reagieren. Beispielsweise erkennen viele Großeltern den typischen Gesichtsausdruck, den ein Baby macht, bevor etwas in der Windel landet. Ihnen ist aber nicht so richtig klar, dass das auch eine Form der Kommunikation ist.

„Das hat dir auch nicht geschadet!“ oder auch „Uns hat das doch auch nicht geschadet!“, wird oft als Verteidigung gesagt. Wie antwortet man am besten darauf?

Großeltern, die so etwas sagen, sind schon in einer Verteidigungsposition. Dir zu schaden ist wirklich das letzte, was sie wollten, und sich einzugestehen, dass etwas vielleicht doch - dir oder ihnen selber - geschadet haben könnte, tut verflucht weh. Also sollten wir behutsam reagieren, wenn uns ein solcher Satz an den Kopf geworfen wird. Lieber einmal tief durchatmen und nicht darauf fokussieren, dass damit unser eigenes Leid vielleicht herunter gespielt wird. Denn darum geht es bei dieser Aussage nicht. Sie ist reiner Selbstschutz.

Die meisten Generationenkonflikte entstehen tatsächlich ja zwischen frischgebackener Mutter und Großmutter. Väter und Großväter zoffen sich nicht so oft. Das lässt sich ganz leicht erklären, oder?

Einerseits ist es leicht zu erklären, andererseits lassen sich Bücher darüber schreiben. Wir leben schlicht in einer Gesellschaft, die noch immer die Ein-Verdiener-Ehe fördert und mit Strukturen und veralteten Ansichten, die dafür sorgen, dass noch immer primär die Mütter für die Erziehung zuständig sind. Väter und Großväter sind da fein raus, denn die Kritik richtet sich meist nur an die Mütter. Hier ist es wichtig, dass die Väter sich aktiv einbringen und nicht warten, bis sie von der Mutter dazu aufgefordert werden.

Die britische Psychologin Terry Apter hat herausgefunden, dass 60% der Schwiegertochter-Schwiegermütter-Paare Probleme miteinander haben. Das sind ja keine so tollen Aussichten für uns, wenn wir selbst einmal Schwiegermütter werden. Wo liegt denn das Problem und wie kann man es ändern?

Laut Apter liegt das Problem darin, dass Schwiegertöchter und Schwiegermütter um dieselbe Position innerhalb der Familie buhlen. Insbesondere Schwiegermütter, deren Hauptaufgabe die Familie war, sehen in der Schwiegertochter eine Konkurrentin - ob bewusst oder unbewusst. Sie fühlen sich nutzlos, wenn die Kinder aus dem Haus sind und sie wollen, dass die Schwiegertochter den Sohn genauso gut versorgt, wie sie es bisher getan haben.

Was wir dagegen tun können, ist, unsere Kinder ihren Weg gehen zu lassen. Ihnen zu vertrauen, dass sie die für sich richtigen Entscheidungen treffen werden. Wir können da sein, wenn sie uns brauchen, aber sollten uns nicht aufdrängen. Die Kinder sind ein wichtiger Teil unseres Lebens, aber sie sollten nicht unsere einzige Aufgabe im Leben sein.

Es gibt ja sehr viele Erwachsene, die vermeiden wollen, ihre Eltern zu verletzten und die sich deshalb nicht trauen, klar zu sagen, dass sie ein anderes Leben planen, als die Eltern für ihr Kind geplant hatten. Also z. B. auch, dass sie ihr Kind anders erziehen wollen. Woher kommt denn diese Hemmung, Tacheles zu sprechen?

Anna schreibt dazu in unserem Buch, dass wir unsere persönliche Strategie zur Konfliktlösung aus unserer Herkunftsfamilie übernehmen. Sie bildet die Blaupause für uns, wie wir mit Konflikten umgehen. Ein Beispiel: wenn wir gelernt haben, dass Probleme unter den Teppich gekehrt und nicht offen ausgesprochen werden, fällt es uns als Erwachsene schwer, Probleme offen anzusprechen, aus Sorge, unser Gegenüber zu verärgern oder uns selbst bloßzustellen.

Oder aber wir sind in einem eher dominanten Elternhaus groß geworden, in dem das Wort und das Wissen der Eltern über allem anderem stand, und ein respektvoller Austausch auf Augenhöhe über die gesamte Kindheit und Teenagerzeit nicht möglich war – auch diese Erwachsenen haben Mühe, sich gegenüber ihren Eltern in ihrer Haltung zu behaupten. 

Und wie kann man denn Regeln, die für das eigene Kind gelten sollen, so rüberbringen, dass die Großeltern nicht allzu sehr vor den Kopf gestoßen sind? Oder gibt es vielleicht auch Regeln, die bei den Großeltern anders sein dürfen?

Wir sollten uns immer realistisch fragen, wie wichtig die Regeln sind, die wir aufstellen, damit uns klar wird, wie wichtig es ist, dass sie befolgt werden. Nicht jede Regel ist gleich wichtig. Alle Menschen, auch unsere Eltern, können Regeln in unserem Sinne besser umsetzen, wenn ihnen  diese plausibel erscheinen. Wir sollten nicht zu kleinlich sein und vor allem sollten wir direkt kommunizieren und nicht denken „Das muss doch sonnenklar sein, dass das so gemacht wird!“  Nichts ist für jemanden per se selbstverständlich, wenn es nicht ausgesprochen wird. 

Anna hat dazu im Buch ein schönes Beispiel beschrieben: Wenn unser Kind bei den Großeltern großzügig mit Süßigkeiten versorgt wird, möchten wir das gerne wissen, damit wir beim abendlichen Zähneputzen eine Extrarunde einlegen können.

Damit sind wir auch schon bei allgemeinen Tipps, wie man mit Großeltern gut ins Gespräch kommt und Streitigkeiten um die Erziehung des Enkelkindes lösen kann…

Anna schreibt dazu: Was uns wichtig ist, definieren wir. Wenn wir uns verletzt fühlen, überrumpelt, auch wenn es gut gemeint ist, tun wir gut daran, dies in einer ruhigen Minute zu erwähnen. Und das so wertschätzend, wie es uns möglich ist. 

„Das war sicherlich nicht Deine Absicht, aber Dein Kommentar zum Stillen hat mich verletzt, weil…“

„Du meinst es gut, das weiß ich, aber Deine Tipps überfordern mich, das ist alles so neu für mich…“

Diese Umkehr der Rollen, also Eltern die zu Großeltern werden und Kinder, die plötzlich Eltern sind; wir können davon ausgehen, dass sich das für alle Familienmitglieder zu Beginn extrem ungewohnt anfühlt und alle ein bisschen überfordert sind. Wenn wir uns das in Gedächtnis rufen, hören wir nicht nur Ratschläge oder gar Vorwürfe heraus, sondern vielleicht auch einfach nur den Wunsch der eigenen Eltern helfen zu wollen – und dabei leider das gewünschte Ziel zu verfehlen. Weil sie sich im Ton vergreifen oder sich unglücklich ausdrücken. 

Wenn jetzt Großeltern zuhören, welchen Tipp hast du denn für sie, wenn ganz frisch ein Enkelchen geboren wurde. Was sollten sie tun, was sollten sie vermeiden?

Großeltern können immer eine Bereicherung sein, wenn ein Baby geboren wird. Und ihre Hilfe wird auch von Herzen gerne angenommen, wenn sie dem entspricht, was sich die jungen Eltern wünschen. Das heißt: Fragt sie, was sie brauchen. Ob und wie man sie im Wochenbett unterstützen können. Sagt auch, ohne bösen Unterton, „Wir lassen Euch auch gerne eine Weile ganz in Ruhe und ihr meldet Euch, wenn ihr möchtet – wir sind immer für Euch da!“

Fragt sie, was sie sich wirklich wünschen und plant nicht vorschnell „Den Kinderwagen kaufen wir auf jeden Fall – ich freue mich schon so, wenn wir im Babygeschäft sind, da finden sich sicher noch viele andere schöne Sachen!“ – hört den werdenden Eltern schon in der Schwangerschaft zu, aber ohne den Satz „Bei uns war das damals so…“ Es ist ihre Reise, lasst sie die Dinge selbst erfahren. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.