Dauerpflegschaft - alles über die Aufnahme eines Pflegekindes

Gastartikel

In meinem Beitrag zum Thema Adoption hatte ich geschrieben, dass die meisten Adoptiveltern zu ihrem Kind auf dem Weg über einen unerfüllten leiblichen Kinderwunsch kommen. Ich kenne niemanden, der den Zusammenhang zwischen unerfülltem Kinderwunsch und Adoption kritisch sieht.

Bei Pflegekindern ist das anders. Tatsächlich gibt es zahlreiche Beteiligte im Pflegekinderwesen, nicht nur bei den Jugendämtern und freien Trägern, sondern auch unter gestandenen Pflegeeltern selbst, die Bedenken haben, wenn Menschen ein Pflegekind aufnehmen, um auf diesem Weg die Familie zu gründen, die auf dem Weg der Schwangerschaft oder Adoption unerreichbar geblieben ist.

kinderloses Paar am Spielplatz

Wir sind selbst auf dem Weg des unerfüllten Kinderwunsches Pflegeeltern geworden und ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass es nicht nur legitim ist, ein Pflegekind aufzunehmen, weil man sich ein Kind wünscht, sondern dass dies auch die Realität widerspiegelt. In dem Vorbereitungskurs, den wir vor elf Jahren besucht haben, waren von acht Bewerber*innen (Singles und/oder Paare) nicht weniger als sechs, die einen unerfüllten Kinderwunsch hatten. Wenn wir Kinderwunschpaare oder -singles von der Dauerpflege ausschließen würden, gäbe es de facto keine Dauerpflege in Deutschland mehr. Mit verheerenden Folgen für die Kinder.

Dennoch kann ich den Blickwinkel derjenigen, die Kinderwunsch und Dauerpflege kritisch sehen, heute besser nachvollziehen, auch wenn ich ihn nach wie vor nicht teile.

Doch bevor wir diesen Punkt vertiefen, sollten wir mit der Frage beginnen:

Dauerpflege, was ist das eigentlich?


Interessanterweise gibt es den Begriff Dauerpflege im Gesetz nicht. Das Gesetz spricht stattdessen von Vollzeitpflege.[1] Die Vollzeitpflege ist eine Hilfe zur Erziehung – genau wie die Erziehungsberatung, die Familienhilfe oder die Unterbringung in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe – und ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kind außerhalb des leiblichen Elternhauses in einer anderen Familie lebt und betreut wird.

Die Vollzeitpflege ist also eine Form der Fremdunterbringung. Heutzutage gibt es vielfältige Betreuungsformen, wenn Kinder außerhalb des eigenen Elternhauses untergebracht - im Amtsdeutsch „fremdplatziert“ - werden müssen. Das klassische geschlossene Kinderheim, das immer noch die Vorstellung vieler Menschen prägt, wenn von Kindern in der Obhut des Jugendamtes die Rede ist, gibt es nur noch selten.[2] Auch die Bezeichnung Waisenheim ist überholt – die allermeisten Kinder haben durchaus noch leibliche Eltern und sind keine Waisenkinder. Die leiblichen Eltern können jedoch – aus vielfältigen Gründen – die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder nicht selbst übernehmen.

Insgesamt waren 2021 mehr als 200.000 Kinder[3] außerhalb ihrer Herkunftsfamilien untergebracht.[4] Das sind 1,4% aller Minderjährigen in Deutschland. Eine erschreckend hohe Zahl.

Die meisten von ihnen[5] leben in Wohngruppen oder betreuten Wohngemeinschaften. Das Ziel der Wohngruppen ist es, eine möglichst familienähnliche Struktur zu schaffen. Es handelt sich aber ganz klar um Einrichtungen und nicht um ein familiäres Setting. Die Betreuung erfolgt nicht durch feste Bindungspersonen, sondern durch – oft in Schichtdiensten – wechselnde Sozialarbeiter*innen oder Pädagog*innen.

Das Angebot der betreuten Wohngemeinschaften, die eher auf ein Zusammenleben Gleichaltriger als auf eine familienähnliche Betreuung ausgerichtet sind, richtet sich vor allem an ältere Jugendliche, denen der Weg in die Verselbständigung ermöglicht werden soll.

Eine Mischform zwischen den stationären Einrichtungen einerseits und den Pflegefamilien andererseits sind die Erziehungsstellen. Bei ihnen handelt es sich um ein familiäres Setting, bei dem mindestens ein Elternteil – manchmal auch beide – eine pädagogische Ausbildung hat. Man bezeichnet diese Familien auch als Fachpflegestellen oder als professionelle Pflegefamilien. Rechtlich können die Pflegeeltern bei einem freien Träger der Jugendhilfe angestellt sein oder selbständig freiberuflich für das Jugendamt arbeiten. Nach außen treten Erziehungsstellen nicht unbedingt als solche in Erscheinung. Sie sind, das ist der große Unterschied zu stationären Einrichtungen, Familien und sie ermöglichen es Kindern in einer Familie aufzuwachsen und Bindungen aufzubauen. Insofern verbinden sie ein therapeutisches Setting mit einem familiären Setting.

Im Gegensatz zu allen vorgenannten Formen der Betreuung von Kindern handelt es sich bei „normalen“ Pflegefamilien tatsächlich um ganz normale Familien. Sie müssen weder eine pädagogische Qualifikation haben noch müssen sie ausschließlich Pflegefamilie sein, sondern gehen wie die meisten Eltern in Deutschland nach einer gewissen Auszeit zumindest in Teilzeit wieder arbeiten. Tatsächlich hat unter der Voraussetzung eines lupenreinen Führungszeugnisses, eines Gesundheitszeugnisses, eines Mindestalters von 25 Jahren und des Besuchs eines Vorbereitungskurses praktisch jede und jeder die Chance, als Pflegeeltern anerkannt zu werden. Unter Pflegeeltern finden sich daher buntgemischt all diejenigen, die bei einer Adoption oft unberücksichtigt bleiben - Singles, gleichgeschlechtliche Paare, über Vierzigjährige, Eltern, die bereits leibliche Kinder haben und jene, die kein Haus mit Garten und Hund vorweisen können (ein gesichertes Einkommen sollte man allerdings schon haben).

Ein Pflegekinderdienst hat vor etlichen Jahren mal eine Werbekampagne unter dem Motto „Auch so sehen Pflegefamilien aus“ gestartet. Mit dieser Kampagne sollte das gängige Klischee der Bilderbuchfamilie aufgebrochen werden. Ob das gelungen ist, davon kann sich jede*r selbst ein Bild in der Galerie machen: Kampagne zum "Pflegekinderdienst" | Galerie | 01 DATA (Neu) | Media | Top Level Nodes (hannover.de)

Es gibt noch eine Sonderform der Pflegefamilie, die an dieser Stelle erwähnt werden soll. Ich hatte oben schon geschrieben, dass der Begriff Dauerpflege nicht im Gesetz steht. Wenn wir von Dauerpflege reden, meinen wir damit Familien, die ein Kind aufnehmen, damit es bei ihnen aufwachsen kann, bis es irgendwann selbständig und flügge wird. Es gibt aber auch Familien, die sich einer ganz anderen und noch sehr viel herausfordernderen Aufgabe stellen. Wenn das Jugendamt ein Kind unterbringen muss, wissen die Sachbearbeiter*innen oft nicht, was eigentlich genau mit dem Kind passiert ist, warum die leiblichen Eltern sich nicht ausreichend kümmern konnten und welche Perspektive es für die Herkunftsfamilie gibt, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. In diesen Fällen müssen zunächst einmal Gespräche mit allen Beteiligten geführt werden, es müssen ärztliche Berichte oder Gutachten angefordert werden, es müssen Informationen gesammelt und es muss vielleicht der Abschluss eines Gerichtsverfahrens abgewartet werden. In diesen Fällen kommt das Kind meist nicht sofort in eine Familie, deren Herzensangelegenheit es nach vielen Jahren vergeblichen Kinderwunsches ist, einem Pflegekind auf  Dauer ein zu Hause zu geben. Für solche Fälle gibt es die Bereitschaftspflegefamilien. 

Vater hält die Hand seines Kindes

Diese Familien sind dazu bereit und auch dafür ausgestattet, ein Kind oder auch Geschwister jeglichen Alters von jetzt auf gleich aufzunehmen. Und das jetzt auf gleich ist wörtlich zu nehmen. Es kann sein, dass der Anruf um drei Uhr nachts kommt und dann ein Baby, ein Kleinkind, ein Schulkind oder ein Teenager einzieht. Bereitschaftspflegefamilien sind typischerweise auch für die Kurzzeitpflege zuständig. Sie nehmen also auch Kinder auf, deren Eltern für eine bereits vorhersehbare feste Zeit ausfallen – etwa wegen einer Kur, eines Krankenhausaufenthaltes oder weil eine Haftstrafe zu verbüßen ist – und die für diese Zeit nicht in der eigenen Familie betreut werden können.

Bereitschaftspflegefamilien wissen von Anfang an, dass sie die Kinder, die sie in ihr Heim und ihr Herz aufnehmen nach einer kurzen oder längeren Zeit wieder gehen lassen werden. Üblicherweise soll ein Kind nicht länger als sechs Monate in der Bereitschaftspflegefamilie verbleiben. Je länger das Kind in der Bereitschaftspflegefamilie ist, desto mehr wird es sich dort an die Eltern binden, die nur auf Zeit Eltern sind. Mit dem Wechsel aus der Bereitschaftspflegefamilie ist dann für die Kinder ein (weiterer) traumatischer Bindungsabbruch verbunden. In der Realität ist es aber oft so, dass die Perspektive nicht so schnell geklärt werden kann, wie dies wünschenswert ist. Überarbeitete Sachbearbeiter*innen, viel zu hohe Fallzahlen, lange Verfahrensdauern bei den Gerichten und noch längere Wartezeiten auf Gutachten führen dazu, dass Kinder manchmal ein Jahr, manchmal sogar zwei Jahre in einer Bereitschaftspflegefamilie bleiben. Es kommt auch vor, dass Bereitschaftspflegefamilien nach Jahren ihr Kind in Dauerpflege übernehmen, wenngleich das Jugendamt dies meist nicht gerne sieht, weil Dauerpflegefamilien zwar händeringend gesucht werden, Bereitschaftspflegefamilien aber noch viel mehr.

Und es gibt noch eine weitere Besonderheit. Häufig kommt es vor, dass ein Kind zwar nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen kann, dass sich aber in der eigenen Familie jemand findet - Oma, Opa, Tante, Onkel oder erwachsene Geschwister -, die diese Aufgabe übernehmen. Auch dies sind Pflegeverhältnisse und die Pflegeeltern, die gleichzeitig Angehörige sind, erhalten vom Jugendamt ebenso Unterstützung und Begleitung wie andere Dauerpflegeltern. Diese besondere Form der Dauerpflege wird als Verwandtenpflege bezeichnet. Etwa ein Viertel aller Pflegekinder leben bei Verwandten.[6]

Im Jahr 2021 haben in Deutschland mehr als 80.000 Kinder[7] in diesen verschiedenen Formen der familiären Pflege - Dauerpflege, Verwandtenpflege, Bereitschaftspflege und Erziehungsstellen nach § 33 SGB VIII - gelebt.[8]

Rechtliche Unterschiede zwischen leiblichen bzw. adoptierten Kindern und Pflegekindern


In meinem Beitrag zur Adoption hatte ich geschrieben, dass es rechtlich gesehen zwischen leiblichen Kindern und Adoptivkindern nach dem Adoptionsbeschluss keinen Unterschied mehr gibt. Dies ist bei Pflegekindern völlig anders.

Das rechtliche Band zwischen Pflegekindern und deren leiblichen Eltern wird durch die Dauerpflege nicht durchtrennt. Pflegekinder bleiben nicht nur biologisch, sondern auch rechtlich die Kinder ihrer Herkunftseltern. Dies hat weitreichende Konsequenzen.

Sorgerecht


Am wichtigsten ist dabei sicherlich die Frage des Sorgerechts. Zwar wird den leiblichen Eltern im Zusammenhang mit einer Inobhutnahme des Kindes wegen Kindeswohlgefährdung meist auch das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen. Zwingend ist ein Sorgerechtsentzug für eine Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie jedoch nicht. Es kann also sein, dass die leiblichen Eltern weiterhin das Sorgerecht behalten. Ebenso denkbar und häufig ist aber auch, dass es einen Vormund oder zumindest für Teile des Sorgerechts einen Ergänzungspfleger gibt. Auch die Pflegeeltern selbst können Vormund sein oder aber die leiblichen Eltern können ihnen das Sorgerecht freiwillig übertragen.[9]

Namensrecht


Neben dem Sorgerecht gibt es weitere rechtliche Aspekte. Pflegekinder behalten grundsätzlich den Nachnamen ihrer Herkunftseltern. Eine Namensänderung ist zwar rechtlich unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Sie wird aber immer nur dann in Betracht kommen, wenn das Pflegeverhältnis seit mehreren Jahren Bestand hat und das Pflegekind fest in seiner sozialen Familie verwurzelt ist. Der Antrag selbst kann nur von demjenigen gestellt werden, der das Sorgerecht hat. Wenn dies die leiblichen Eltern sind, kann die Namensänderung bereits daran scheitern. Außerdem werden die leiblichen Eltern, auch dann, wenn sie kein Sorgerecht (mehr) haben, vom Gericht zumindest angehört.

Staatsangehörigkeit


Ungewohnte rechtliche Probleme können auf Pflegefamilien zukommen, wenn die Herkunftseltern eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Grundsätzlich haben Kinder, auch wenn sie in Deutschland geboren wurden, die Staatsangehörigkeit ihrer leiblichen Eltern. Eine Einbürgerung kommt erst nach Jahren und auch dann nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit Zustimmung des Sorgeberechtigten in Betracht. Bis dahin müssen sich Pflegeeltern mit so exotischen Dingen wie der Beschaffung eines ausländischen Passes oder der Verlängerung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis beschäftigen. Auch eine Namensänderung ist bei ausländischen Pflegekindern übrigens nicht möglich. Neben den ausländischen Pflegekindern gibt es auch Kinder, die staatenlos sind oder deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist.

Krankenversicherung


Bei der Krankenversicherung von Pflegekindern gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn die leiblichen Eltern gesetzlich krankenversichert sind, besteht die Möglichkeit, dass das Kind über diese familienversichert bleibt. Dies kann allerdings zu Problemen führen, wenn die leiblichen Eltern inhaftiert werden, versterben, auswandern oder neu heiraten. In diesen Fällen kann die Familienversicherung für das Pflegekind enden. Alternativ kann das Pflegekind auch bei den Pflegeeltern familienversichert werden, sofern diese (oder zumindest ein Elternteil) gesetzlich versichert sind. Wenn die Pflegeeltern beide privat krankenversichert sind und auch über die Herkunftseltern keine Familienversicherung möglich ist, muss das Jugendamt die Beiträge für eine freiwillige Versicherung des Kindes in der gesetzlichen Krankenkasse oder für eine private Krankenversicherung übernehmen.[10]

Umgang


Die Herkunftsfamilie hat das Recht auf Umgang mit ihren Kindern. Dieser Umgang kann weder durch die Pflegeeltern noch das Jugendamt, sondern letztlich nur durch das Gericht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Dies bedeutet, dass die Pflegeeltern ihr Kind zum Besuchskontakt begleiten müssen (der in der Regel nicht zu Hause bei der Pflegefamilie stattfinden sollte), oft auch während des Umganges dabei sind und im Anschluss das Kind auffangen müssen. Viel mehr noch als Umgänge bei getrennten Eltern stellen Umgänge in Pflegeverhältnissen die Kinder oft vor eine Zerreißprobe zwischen zwei Familien. Hinzu kommt, dass Traumatisierungen wieder aufbrechen können oder dass Kinder mit dem Erwartungsdruck der leiblichen Eltern überfordert sind. Es gibt keine Vorgaben für die Dauer und Häufigkeit von Umgangskontakten bei Dauerpflege, aber in der Regel wird ein solcher Kontakt nicht häufiger als einmal im Monat und nicht länger als für ein bis zwei Stunden stattfinden, wenn geklärt ist, dass das Kind tatsächlich dauerhaft in der Pflegefamilie verbleiben und aufwachsen soll. Die Umgänge finden häufig in den Räumen des Jugendamtes statt, das hierfür eigene Spielzimmer hat. Denkbar sind aber auch Kontakte draußen auf einem Spielplatz, bei einem Spaziergang oder in einer Eisdiele. Selten kommt es vor, dass ein Pflegekind Umgang bei der Herkunftsfamilie zu Hause hat, noch seltener, dass es dort auch – am Wochenende – übernachtet. Die Zahl der Pflegekinder, die Besuchskontakte haben, sinkt in den ersten Jahren nach Beginn des Pflegeverhältnisses drastisch.

Familie geht spazieren

 Zusammenarbeit mit dem Jugendamt


Das zuständige Jugendamt ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Entwicklung der Pflegekinder zu beobachten, zu dokumentieren und zu begleiten. Hierzu gibt es in der Regel mindestens einmal im Jahr einen Hausbesuch. Einmal im Jahr ist ferner ein Hilfeplangespräch zwingend vorgeschrieben – auch wir haben es aber schon erlebt, dass das Hilfeplangespräch wegen Unterbesetzung im Jugendamt schlicht ausfiel. Viele Jugendämter bieten für Pflegeeltern Supervision und Fortbildungen sowie für Pflegekinder Freizeitangebote, Feriencamps oder peer-group Treffen an. Manche Bewerber*innen schreckt die Kontrolle durch das Jugendamt ab. Die Arbeit des Jugendamtes kann aber durchaus ein Segen sein, wenn das Jugendamt es als seine Aufgabe versteht, die Pflegefamilie zu unterstützen und zu fördern und wenn es so gut aufgestellt ist und über genügend Ressourcen und Fachkräfte verfügt, um die notwendige Unterstützung auch konkret leisten zu können.

Pflegegeld und Elterngeld


Eine finanzielle Form der Unterstützung ist das Pflegegeld, das an Familien, die ein Pflegekind aufgenommen haben, gezahlt wird. Weit überwiegend ist das Pflegegeld dafür gedacht, die Kosten des Lebensunterhaltes für das Kind abzudecken, für welches die Pflegeeltern – anders als leibliche Eltern oder Adoptiveltern – nicht unterhaltspflichtig sind. Ein kleiner Teil ist als finanzielle Entschädigung für die Erziehungsarbeit der Pflegeeltern gedacht. Dauerpflegeeltern erhalten für ihr Kind auch das Kindergeld, allerdings bislang noch kein Elterngeld während der Elternzeit.[11] Über eine Gesetzesänderung wird seit langem nachgedacht. Einige Kommunen haben einstweilen eine freiwillige elterngeldähnliche Leistung für Pflegeeltern eingeführt, zumeist, weil sie ansonsten keine Pflegeeltern mehr finden.[12]

Religion


Auch wenn die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde oder Religionsgemeinschaft zumindest in den städtischen Ballungsbieten mittlerweile drastisch an Bedeutung verloren hat, wünschen sich viele Familien gerade nach der Ankunft eines Kindes ein besonderes Fest oder Ritual. Was läge also näher, als das Kind taufen zu lassen – zumindest dann, wenn einer der beiden Elternteile noch selbst Mitglied in einer Kirche ist?

Wenn die leiblichen Eltern noch das Sorgerecht für das Pflegekind haben, so steht die Entscheidung über die Religionszugehörigkeit und damit auch über eine Taufe ausschließlich ihnen zu. Ist das Sorgerecht (vollständig) entzogen worden, kann der Vormund die Religionszugehörigkeit bestimmen, sofern die leiblichen Eltern dies nicht schon vorher getan haben. Haben die leiblichen Eltern bereits eine Bestimmung getroffen, kann diese aber nicht mehr geändert werden. Der Vormund kann übrigens nicht einfach so nach eigenem Ermessen über die Religionszugehörigkeit entscheiden, sondern muss hierfür die Zustimmung des Gerichts einholen, das wiederum auch den leiblichen Eltern Gelegenheit zur Äußerung geben wird.

Ich könnte das Kind nicht gehen lassen…


Wenn es um das Thema Pflegekinder geht, dann ist der erste und häufigste Satz von Außenstehenden stets: „Ich könnte niemals ein Pflegekind aufnehmen, denn ich würde es so sehr lieben, dass ich es nicht ertragen könnte, es wieder hergeben zu müssen.“

Der Satz ist bei Pflegeeltern nicht sehr beliebt, impliziert er doch, dass es uns so gar nichts ausmachen würde, wenn wir unsere Kinder hergeben müssten.

Tatsächlich ist eine Rückführung bei Beginn einer Dauerpflege gerade nicht absehbar oder geplant. Pflegekinder, die eine konkrete Rückkehrperspektive haben, sollten eigentlich in Bereitschaftspflegefamilien oder in Einrichtungen untergebracht werden. Dauerpflege ist für diejenigen Kinder gedacht, die – wie der Name es schon sagt – dauerhaft in ihrer Pflegefamilie verbleiben sollen.

Soweit die Theorie. Und tatsächlich steht, wenn man Krisen in Pflegeverhältnissen betrachtet, die Rückführung zu den leiblichen Eltern nicht unbedingt an erster Stelle. Die Herausforderungen in Pflegefamilien liegen oft woanders. Es gibt, wie so oft im Pflegekinderwesen – auch aufgrund des Datenschutzes – wenig verlässliche Zahlen. Man kann aber davon ausgehen, dass eine Rückführung zu den leiblichen Eltern und gegen den Willen der Pflegeeltern bei Dauerpflege in weniger als 3% aller Fälle vorkommt.[13] Viel häufiger als eine Rückführung ist hingegen der Wechsel des Kindes aus der Pflegefamilie in eine andere Unterbringung, häufig in eine Einrichtung und oft während der Pubertät.[14] Ebenso viele Pflegekinder bleiben allerdings tatsächlich bis sie erwachsen und selbständig sind in ihrer Pflegefamilie.

Frau küsst Kind auf die Stirn
  
Entgegen einer landläufigen Vorstellung reicht es nicht aus, dass die Herkunftsfamilie sich plötzlich entscheidet, ihre Kinder zurückhaben zu wollen. Die Hürden sind hoch. Die Gründe, die zur Inobhutnahme oder Unterbringung des Kindes geführt haben, müssen beseitigt sein, die leiblichen Eltern müssen sich stabilisiert haben und sie müssen verlässlich den Kontakt zu ihren Kindern gehalten haben. Erst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind, stellt sich die Frage, was wichtiger ist – das im Grundgesetzt verbriefte Recht der leiblichen Eltern oder die mittlerweile entstandene Bindung des Kindes an seine sozialen Eltern? Es ist im Grunde die Frage, die ich eingangs gestellt habe: Kann und darf ein Pflegekind der Weg zur Erfüllung des eigenen Kinderwunsches sein? Diese Frage ist in der Jugendhilfe umstritten. Es gibt Jugendämter, die vertreten das Konzept der Ergänzungsfamilie, bei der die Pflegeeltern lediglich die fehlende Funktionalität der Herkunftsfamilie ergänzen sollen. Es liegt auf der Hand, dass die Rückführung zu den leiblichen Eltern bei diesem Konzept eine größere Rolle spielt. Folgerichtig sieht dieses Lager die Vermittlung von Pflegekindern an Kinderwunschfamilien kritisch, weil sie gerade nicht wollen, dass Kinder neue Bindungen aufbauen, die ihre Beziehung zu den Herkunftseltern verdrängen.

Es gibt aber auch Jugendämter, die das Konzept der Ersatzfamilie vertreten, bei dem die Pflegefamilie an die Stelle der Herkunftsfamilie treten soll, gerade weil es unabdingbar, ja lebensnotwendig für Kinder ist, neue Bindungen aufzubauen, wenn die Bindung zu den leiblichen Eltern gestört oder zerstört ist.

In dem Spannungsfeld zwischen diesen beiden Positionen leben Pflegefamilien. Dazu kommen dann manchmal noch Jugendämter, die einfach überlastet sind oder die Perspektive vorab nicht ausreichend geklärt oder ein Kind in Dauerpflege vermittelt haben, weil sie keinen anderen Platz zur Verfügung hatten. Und über allem stehen die Gerichte, die, wenn die Frage einer Rückführung im Raum steht, das letzte Wort haben. Das Konzept Rückführung kann sich auch dann zu einem Alptraum für Pflegeeltern entwickeln, wenn es zwar letztlich nicht zu einer Rückführung kommt, dieses Ergebnis aber erst durch ein jahrelanges und teures Gerichtsverfahrens erstritten wird.

Bei alledem darf man aber nicht vergessen, dass sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren vieles zum Besseren geändert hat im Pflegekinderwesen. Insbesondere die Rechte der Pflegeeltern sind dadurch gestärkt worden, dass sie nunmehr bei Gericht eine Verbleibensanordnung beantragen können, falls die leiblichen Eltern eine Rückführung verlangen.[15]

Wie wird ein Kind zum Pflegekind? Und warum?


Wenn ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wird, ist stets das Jugendamt involviert.[16] Die gängige Vorstellung ist die der Inobhutnahme in einer akuten Krisensituation. Das Jugendamt erkennt, entweder, weil es von Dritten (Polizei, Ärzt*innen, Erzieher*innen, Sozialamt, Lehrer*innen, Nachbarn*innen, Verwandten etc.) oder dem Kind selbst eingeschaltet wird oder weil es schon länger in der Familie tätig ist (etwa durch Familienhilfe oder Familienberatung), dass das Wohl des Kindes gefährdet ist und bringt das Kind aus der Familie in eine Einrichtung oder zu einer Bereitschaftspflegefamilie. Eine Inobhutnahme muss das Jugendamt sich immer vorab, oder, wenn Gefahr im Verzug ist, unverzüglich nachträglich vom Gericht genehmigen lassen[17], es sei denn, die Eltern sind mit der Inobhutnahme einverstanden. Erst im Anschluss an die Inobhutnahme wird geklärt, welche weiteren Maßnahmen, wie z. B. die Unterbringung in einer Pflegefamilie, als Hilfe zur Erziehung erforderlich sind.

Es kommt allerdings auch vor, dass sich Eltern mit der Unterbringung ihres Kindes in einer Pflegefamilie einverstanden erklären oder diese als Form der Hilfe zur Erziehung beim Jugendamt selbst beantragen. In diesen Fällen ist eine Entscheidung des Gerichts über die Inobhutnahme oder ein vollständiger oder teilweiser Entzug des Sorgerechts nicht notwendig. Tatsächlich befinden sich die meisten Pflegekinder nicht durch eine Inobhutnahme, sondern aufgrund (mehr oder weniger) freiwilliger Hilfe zur Erziehung ohne Entzug des Sorgerechts in ihrer Pflegefamilie.[18]

Die Gründe, warum Kinder aus ihren Familien herausgenommen werden müssen, können vereinfacht in sechs Kategorien eingeteilt werden, wobei natürlich Überschneidungen – auch mehrfach – vorkommen:

1. Alkoholismus der leiblichen Eltern

2. Drogensucht der leiblichen Eltern

3. Schwere psychische Erkrankungen der leiblichen Eltern

4. Körperliche Misshandlung des Kindes

5. Vernachlässigung oder Verwahrlosung des Kindes aufgrund der Überforderung der Eltern

6. Sexueller Missbrauch des Kindes

Bei einigen der genannten Ursachen werden die meisten Pflegefamilien sehr schnell an ihre Grenzen stoßen. Kinder, die sexuellen Missbrauch oder schwere körperliche Misshandlungen erlebt haben oder in der Obhut ihrer Eltern fast verhungert sind, sind in einer Erziehungsstelle meist besser aufgehoben als in einer Pflegefamilie, die über keinerlei pädagogische oder therapeutische Erfahrung verfügt.

Dennoch bringen alle Pflegekinder aufgrund ihrer Vorgeschichte einen Rucksack an speziellen Problemen mit. Der Rucksack kann leichter sein oder schwerer, aber völlig unbelastet kommt kein Kind in seiner Pflegefamilie an.

Kind trägt einen Rucksack im Wald

Und damit sind wir auch schon bei den

Risiken und Problemen


Die Probleme können bereits in der Schwangerschaft ihre Grundlage haben. Gewalterfahrungen, Ängste oder psychische Probleme der Mutter erlebt das Kind im Mutterleib mit. Noch schwerwiegender sind die Einnahme von Medikamenten (insbesondere Psychopharmaka), Rauchen oder Drogenkonsum in der Schwangerschaft. Bei Drogen macht es noch einmal einen Unterschied, ob Cannabis oder harte Drogen wie Heroin oder Kokain konsumiert wurden. Als besonders schädlich gelten Crack und Crystal Meth. Bei Methadon kommt es häufig zu einem Beikonsum und damit zu einem toxischen Mix. Alle vorgenannten Substanzen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung des Kindes im Mutterleib aber auch auf die Entwicklung des Gehirns.[19] Häufig kommen diese Kinder mangelernährt und untergewichtig zu Welt. Direkt nach der Geburt müssen sie einen Entzug durchmachen. Sie starten quasi in die Welt mit einem ganzen Bündel an negativen Erfahrungen. Studien über die Langzeitfolgen gibt es nur wenige, nicht zuletzt deshalb, weil es schwierig zu verifizieren ist, was genau und wann die Mütter der betroffenen Kinder während der Schwangerschaft konsumiert haben.

Viel häufiger als der Konsum von illegalen Betäubungsmitteln ist jedoch das Trinken von Alkohol in der Schwangerschaft. Alkohol ist ein plazentagängiges Gift, dass unmittelbar zellschädigend wirkt. Die Folgen werden zusammengefasst unter den Oberbegriff FASD.[20] FASD ist in Deutschland (und ganz Europa) die häufigste Behinderung, mit der Kinder geboren werden. Geschätzt kommen in Deutschland jährlich mindestens 10.000 Kinder mit Schäden aufgrund von Alkohol in der Schwangerschaft zur Welt.[21] Exakte Angaben sind schwierig zu machen. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft wird oft verschwiegen oder heruntergespielt. Das Krankheitsbild ist vielen Ärzt*innen immer noch nicht geläufig und die Symptome können sich mit denen anderer Krankheitsbilder überschneiden.[22]

FASD ist nicht heilbar oder therapierbar. Kinder, die mit FASD geboren werden, werden ihr Leben lang beeinträchtigt sein. Die Auswirkungen sind vielfältig. Intelligenzminderung, Lernbehinderungen, fehlende Impulskontrolle, motorische Defizite, körperliche Fehlbildungen sind nur einige mögliche Folgen. Wie stark und in welchem Bereich ein Kind von FASD betroffen ist, hängt nicht nur davon ab, wie oft und wie viel Alkohol die leibliche Mutter getrunken hat, sondern auch wann, also zu welchem Zeitpunkt der Embryonalentwicklung dies geschehen ist. Viele Kinder mit FASD können auch als Erwachsene nicht selbständig leben, sondern sind auf rechtliche Betreuung, ein Leben im betreuten Wohnen oder eine Arbeit in beschützenden Werkstätten angewiesen.

Selbst wenn Pflegekinder in der Schwangerschaft keinen schädigenden Substanzen ausgesetzt waren, haben sie meist Traumatisches erlebt. Kinder, die unmittelbar oder kurz nach der Geburt von ihren leiblichen Müttern getrennt werden, verlieren ihre erste Bindungsperson, denn Bindungsaufbau findet bereits in der Schwangerschaft statt. Der Abbruch dieser ersten Bindung kann das Urvertrauen stark erschüttern. Falls das Kind zunächst bei den leiblichen Eltern lebt, können unzureichende Versorgung, körperliche Misshandlung oder emotionale Distanz als erste Lebenserfahrungen hinzukommen. Der Wechsel in eine Bereitschaftspflegefamilie bedeutet zwar, dass diese Kinder Verlässlichkeit, Versorgung und Bindung erfahren können. Gleichzeitig bedeutet es aber, dass auch die Bindung wieder gekappt wird, wenn das Kind die Bereitschaftspflegefamilie, die ja immer nur eine vorübergehende Station sein soll, wieder verlassen muss. Es können sich zahlreiche weitere Stationen anschließen. Eine Rückführung zu den leiblichen Eltern, ein erneutes Scheitern der leiblichen Eltern und eine erneute Unterbringung des Kindes in einer anderen Bereitschaftspflegefamilie oder vielleicht sogar - weil kein Platz frei ist - in einer Einrichtung mit wechselndem Schichtpersonal. Wenn ein Kind, das so viele Stationen durchlaufen hat, dann mit einem Jahr in eine Dauerpflegefamilie kommt, ist der wichtige Zeitraum des Bindungsaufbaus bereits geprägt von Bindungsabbrüchen und fehlenden Bindungsangeboten.

Bindung ist immer auch eine Überlebensstrategie. Kinder, deren erste Erfahrung ist, dass ihnen diese Strategie nicht oder nur unzulänglich zur Verfügung steht, durchleiden existentielle Ängste. Zu den Symptomen von reaktiven Bindungsstörungen gehören übergroße Wachsamkeit, Rückzugsverhalten oder Aggressionen gegen sich und andere.[23] Das, was Kinder in den ersten Lebensmonaten an Bindungsaufbau verpassen, braucht Jahre, um es nachzuholen.

Nach neueren Erkenntnissen können frühe Traumatisierung und Bindungsstörungen neurobiologische Veränderungen im Gehirn hervorrufen.[24] Die Symptome einer frühen Traumatisierung reichen von Regulationsstörungen über Entwicklungsverzögerungen, emotionalen Störungen, verstärkter Impulsivität, Schlafstörungen bis hin zu Angststörungen, Depressionen oder psychosomatischen Erkrankungen.[25]

In den allermeisten Fällen werden die vorgenannten Probleme nicht oder nicht in ihrer ganzen Wucht bekannt sein, wenn es zur Vermittlung eines Pflegekindes kommt. Drogen- oder Alkoholkonsum in der Schwangerschaft wird von den leiblichen Eltern oft verschwiegen und eine FASD-Diagnose wird meist erst nach vielen Jahren gestellt. Die meisten Pflegeeltern, vor allem diejenigen, die ein Kind aus einem unerfüllten Kinderwunsch heraus aufnehmen möchten, wünschen sich ein möglichst kleines Kind, am liebsten ein Baby. Oft ist damit nicht nur der Wunsch verbunden, den Zauber der Babyzeit erleben zu dürfen, sondern auch die Hoffnung, ein so kleines Baby könne noch nicht allzu viel Schlimmes erfahren haben – und wird sich später vielleicht nicht einmal daran erinnern.

Richtig ist, dass sich nicht vorhersagen lässt, wie sich ein Pflegekind entwickeln wird, weil dies von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren abhängt. Neben der individuellen Belastung spielen auch andere Faktoren wie zum Beispiel die Resilienz eine Rolle. Negative Erfahrungen können durch eine Vielzahl positiver Erfahrungen wieder überschrieben werden.[26] Nicht jedes Pflegekind entwickelt somit Verhaltensauffälligkeiten, ist psychisch belastet oder hat Bindungsstörungen. Aber die meisten Pflegeeltern stellen es sich am Anfang zu leicht vor. Die landläufige Vorstellung, man müsse dem Kind nur all seine Liebe geben, dann werde es schon aufblühen, wird – leider - nicht funktionieren. Bedingungslose Liebe ist die Grundvoraussetzung, wenn man ein Pflegekind aufnehmen möchte. Aber damit ist es nicht getan. Trauma, Bindungsstörungen oder FASD können durch Liebe allein nicht geheilt werden. Zu der bedingungslosen Liebe muss sehr viel mehr hinzukommen. Die Bereitschaft, Zeit aufzuwenden, dem Kind Zeit zu geben, Hilfen und Unterstützung zu suchen und anzunehmen und für viele Jahre verlässlich für das Kind da zu sein.

Letztlich ist die Überzeugung, man werde das schon irgendwie schaffen, einer der Gründe, warum so viele Menschen überhaupt bereit sind, ein Pflegekind aufzunehmen. Diese Menschen werden dringend gebraucht. Und ich hoffe, dass sich mehr Menschen finden, die sich das Abenteuer Pflegekind zutrauen und glauben, dass sie das schaffen können.

Nachdenkliches Paar


Die Bewerbung, der Kindervorschlag, die Anbahnung


Die Bewerbung als zukünftige Pflegeeltern läuft ähnlich ab, wie bei Adoptiveltern, so dass ich auf das verweise, was ich hierzu in meinem Beitrag zu Adoption geschrieben habe. Viele Jugendämter lassen keine parallele Bewerbung um ein Adoptivkind und um ein Pflegekind zu, sondern verlangen, dass die Bewerber*innen sich für das eine oder das andere entscheiden. Letztlich bestimmt das aber jedes Jugendamt selbst, so dass man diese Frage am besten in einem Telefonat mit dem zuständigen Pflegedienst klären kann. Natürlich ist es möglich, dass Adoptionsbewerber*innen, die realistisch nicht mehr mit einem Adoptivkind rechnen, sich von der Warteliste streichen lassen und sich stattdessen um ein Pflegekind bewerben.

Große Bedeutung kommt dem Fragebogen zu, den Pflegeeltern im Rahmen der Bewerbung ausfüllen müssen und mit dem sie ihre Vorstellungen darlegen können. Dieser Fragebogen darf keinesfalls als Wunschliste missverstanden werden. Wenn ein Kind in Dauerpflege kommt, soll es nach Möglichkeit dort bleiben können, bis es irgendwann volljährig und selbständig ist. Dies kann nur gelingen, wenn Pflegeeltern sich kritisch hinsichtlich ihrer eigenen Belastungsgrenzen hinterfragen und das Jugendamt diese Belastungsgrenzen auch ernst nimmt und berücksichtigt.

Die Bewerbungsphase vom ersten Infoabend bis zur Anerkennung als Pflegeeltern dauert etwa sechs Monate. Innerhalb der nächsten sechs Monate erhalten die meisten Bewerber*innen dann schon DEN Anruf des Jugendamtes, bei dem der magische Satz fällt „Es gibt da ein Kind, das sucht eine Familie…“

Im besten Fall kommt es dann zunächst zu einem Gespräch mit dem Jugendamt, bei dem das Jugendamt alles – wirklich alles – offenbart, was es über das Kind und die Herkunftsfamilie weiß. Fairerweise muss man sagen, dass das Jugendamt nicht immer alles weiß. Im weiteren Verlauf kommt es dann zu einem Kennenlernen der Herkunftseltern, soweit diese mitwirken. Danach gibt es ein erstes Treffen mit dem Kind und ggfls. mit der Bereitschaftspflegefamilie, die oft noch eigene wertvolle Informationen beisteuern kann. Wer zu diesem Zeitpunkt ein ungutes Bauchgefühl hat – aus welchem Grund auch immer - sollte dies offen sagen. Bei Pflegekindern wird es den Bewerber*innen nicht negativ ausgelegt, wenn sie sich gegen die Aufnahme eines Kindes entscheiden. Es gibt kein jetzt oder nie. Wer einen Kindervorschlag ablehnt, wird trotzdem weiter als Familie für ein Pflegekind berücksichtigt werden.

Hat man sich für die Aufnahme des Kindes entschieden, gibt es eine Phase, die bei Adoptiveltern selten ist und bei leiblichen Eltern gar nicht vorkommt, die Anbahnung. Wo auch immer das Kind sich befindet – noch bei den Herkunftseltern oder in einer Bereitschaftspflegefamilie oder Einrichtung – es soll dort nicht von jetzt auf gleich herausgerissen, sondern behutsam auf den Wechsel vorbereitet werden. Die Anbahnung beginnt meist mit ersten Besuchen der zukünftigen Eltern beim Kind, dann Besuche der Bereitschaftseltern im neuen Zuhause und schließlich kommt die erste Übernachtung. Eine Anbahnung kann wenige Tage bis mehrere Wochen dauern. Das Tempo wird von dem Kind vorgegeben, es wird allen Beteiligten signalisieren, wann es bereit ist umzuziehen.[27]

Vater dekoriert mit Tochter die Wand


Kann ich mein Pflegekind irgendwann adoptieren?


Diese Frage wird häufig ganz am Anfang gestellt, wenn Menschen beginnen sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, ein Pflegekind aufzunehmen. Die Antwort ist ein klares Jein.

Um es anders zu sagen – wenn ich mich um ein Pflegekind bewerbe, weil ich hoffe, das Kind adoptieren zu können, sollte ich es lassen. Adoptionen in Dauerpflegeverhältnissen gibt es, aber sie sind selten und sie sind vor allem nicht das Ziel.

Ohne die Zustimmung der leiblichen Eltern ist eine Adoption fast unmöglich. Das gilt auch noch nach Jahren und auch dann, wenn die leiblichen Eltern schon lange keine Besuchskontakte mehr wahrgenommen haben. Ein Ersetzungsverfahren vor Gericht ist zwar möglich, es ist aber in Deutschland schlicht und ergreifend nicht gerne gesehen. Realistisch wird man eine Ersetzung der Zustimmung zur Adoption nur bei Kindern durchsetzen können, die bereits älter als zehn Jahre sind, praktisch ihr ganzes Leben in der Pflegefamilie verbracht haben und deren leibliche Eltern sich aus Desinteresse nie um sie gekümmert haben.[28]

Bücher, Podcasts, Foren und Links


Und zu guter Letzt, für alle, die tiefer in das Thema einsteigen wollen oder sich sogar mit dem Gedanken beschäftigen, ein Pflegekind aufzunehmen – hier findet Ihr Bücher, Podcasts, Foren und Links:

Bücher für Eltern


Mit den Augen eines Kindes sehen lernen Bd.1: Zur Entstehung einer Frühtraumatisierung bei Pflege- und Adoptivkindern : Bonus, Bettina

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin : Kunze, Janine, Cramer, Sabine


Fußnoten


[1] § 33 SGB VIII: Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten.

[2] Geschlossene Heime – Arbeitskreis GU14plus

[3] Exakt waren es 209.988 Kinder und Jugendliche

[4] 210 000 junge Menschen wuchsen 2021 in Heimen oder Pflegefamilien auf - Statistisches Bundesamt (destatis.de)

[5] Exakt waren es 122.659 Kinder und Jugendliche – dies entspricht 60% aller Unterbringungen.

[6] vanSantenPlutoPeucker_Pflegekinderhilfe – Situation und Perspektiven (dji.de) S. 65

[7] Exakt waren es 87.329 Kinder und Jugendliche.

[8] 210 000 junge Menschen wuchsen 2021 in Heimen oder Pflegefamilien auf - Statistisches Bundesamt (destatis.de)

[9] [9] § 1630 Absatz 3 BGB: Geben die Eltern das Kind für längere Zeit in Familienpflege, so kann das Familiengericht auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson übertragen. Für die Übertragung auf Antrag der Pflegeperson ist die Zustimmung der Eltern erforderlich. Im Umfang der Übertragung hat die Pflegeperson die Rechte und Pflichten eines Pflegers.

[10] § 40 Satz 4 SGB VIII: Das Jugendamt kann in geeigneten Fällen die Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung übernehmen, soweit sie angemessen sind.

[11] Für den Anspruch auf Elternzeit gilt dasselbe wie für Adoptiveltern. Mit Aufnahme des Kindes in den Haushalt kann gemäß § 16 Absatz 1 Satz 3 BEEG sofort Elternzeit genommen werden.

[12] Region sichert finanzielle Unterstützung für Pflegeeltern | 2021 | Weitere Meldungen der Region Hannover | Pressethemen | Die Verwaltung der Region Hannover | Verwaltungen & Kommunen | Leben in der Region Hannover

[13] DJI_DIJuF_Handbuch_Pflegekinderhilfe.pdf S. 304

[14] Pflegekinder brauchen viel Feingefühl (t-online.de)

[15] § 1632 Absatz 4 BGB: Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde. Das Familiengericht kann in Verfahren nach Satz 1 von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson zusätzlich anordnen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn

1.sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist und

2.die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.


[16] Es gibt allerdings neben der Dauerpflege auch inoffizielle Pflegeverhältnisse, bei denen Kinder meist bei Verwandten für kurze oder längere Zeit leben, ohne dass das Jugendamt involviert wird und Leistungen der Jugendhilfe in Anspruch genommen werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl dieser inoffiziellen Pflegeverhältnisse im oberen fünfstelligen Bereich liegt.

[17] § 42 Absatz 3 Satz 2 Ziffer 2 SGB VIII: Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich



2.

eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.

[18] DJI_DIJuF_Handbuch_Pflegekinderhilfe.pdf Seite 131

[19] Schwangerschaft: Kaffee, Nikotin und Amphetamine aktivieren „Hot Spots“ im Gehirn des Ungeborenen (meduniwien.ac.at)

[20] S3 Leitlinie Diagnostik FASD Kurzfassung fin (awmf.org)

[21] Kurzüberblick über FASD Diagnosesysteme (fasd-fachzentrum.de)

[22] Aufmerksamkeitstörungen Archive - Happy Baby No Alcohol (happy-baby-no-alcohol.de)

[23] ICD-11 for Mortality and Morbidity Statistics (who.int)

[24] Bundesgesundheitsblatt_10_2016_Entringer_Buss_Heim_Fruehe_Stresserfahrungen.pdf (fruehehilfen.de)

[25] Kindliche Traumatisierung: Ein Leben lang | Ärztezeitung (aerztezeitung.at)

[26] DJI_DIJuF_Handbuch_Pflegekinderhilfe.pdf S.99

[27] Es gibt einen kleinen Wermutstropfen für Pflegeeltern in der Anbahnung: Die Elternzeit beginnt erst an dem Tag, an dem sie ihr Kind in ihrer Familie aufgenommen haben. Für die Anbahnung müssen Pflegeeltern daher häufig ihren Urlaub oder ihre Überstunden opfern.

[28] § 1748 Absatz 1 Satz 1 BGB: Das Familiengericht hat auf Antrag des Kindes die Einwilligung eines Elternteils zu ersetzen, wenn dieser seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt hat oder durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist, und wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde.






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