Ein Kind adoptieren - alles über die Voraussetzungen und den Ablauf einer Adoption

Gastartikel

Wer zu den Menschen gehört, deren Kinderwunsch sich nicht durch eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg erfüllt hat, wird über kurz oder lang mit dem gutgemeinten Ratschlag „Dann adoptiert doch einfach!“ konfrontiert werden. Dieser Satz rangiert in der Beliebtheitsskala von ungewollt kinderlosen Menschen direkt hinter „Ihr müsst Euch nur mal entspannen, dann klappt es auch mit dem Schwangerwerden.“ Die landläufige Vorstellung, man könnte einfach so adoptieren, geht meist einher mit der Annahme, dass die „Waisenheime“ in Deutschland überfüllt seien. Beides ist in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Ersteres, weil Adoption[1] alles andere als einfach ist, zweiteres, weil die meisten Kinder, die in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe leben, keine Waisen sind und auch gar nicht zur Adoption zur Verfügung stehen. 

Und damit sind wir bereits bei der ersten Frage dieses Beitrages.

Adoption – was ist das eigentlich?


Gesetzlich geregelt ist die Adoption im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dort in den §§ 1741 bis 1772. Kurioserweise verwendet das BGB den Begriff Adoption nicht, sondern spricht stattdessen von der "Annahme als Kind". Was die Annahme als Kind bedeutet, steht in § 1754 BGB[2] : Das adoptierte Kind wird rechtlich zum Kind der Adoptiveltern. Es ist damit in jeglicher Hinsicht den leiblichen Kindern gleichgestellt und erhält mit der Adoption den Nachnamen oder Familiennamen der Adoptiveltern und deren Staatsangehörigkeit. Die Adoptiveltern werden unterhaltspflichtig und sorgeberechtigt. Die Geburtsurkunde des Kindes wird (auf Antrag) geändert, so dass selbst aus diesem Dokument nicht mehr ersichtlich ist, dass die dort eingetragenen Eltern nicht die biologischen Eltern sind. Die Abstammungsurkunde, die es früher zusätzlich zur Geburtsurkunde gab und in denen die leiblichen Eltern auch nach einer Adoption vermerkt waren, gibt es seit 2009 nicht mehr. Heute enthält nach einer Adoption einzig der Eintrag im Geburtenregister beim Standesamt noch die Namen der leiblichen Eltern oder, wenn die leiblichen Eltern nicht bekannt waren und sind, einen entsprechenden Vermerk (§ 42 Absatz 3 PStV).

Zwingend erforderlich für die Adoption eines Kindes ist die Einwilligung der leiblichen Eltern. Falls nur die leibliche Mutter die Adoption anstrebt und einwilligt, nützt dies nichts, sofern der leibliche Vater nicht ebenfalls sein Einverständnis erteilt. Beide Eltern müssen die Einwilligung von einem Notar beurkunden lassen. Die Einwilligung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Eltern nicht bekannt sind, also bei Findelkindern, Kindern aus Babyklappen oder Kindern, die anonym oder vertraulich in einem Krankenhaus geboren wurden. Ist nur der Vater unbekannt, weil er von der Mutter nicht benannt werden kann und auch nicht anderweitig zu ermitteln ist, reicht die Einwilligung der Mutter. Die Einwilligung ist übrigens unabhängig vom Sorgerecht, d. h. auch bei einem Entzug des Sorgerechts wegen Kindeswohlgefährdung entscheiden einzig und allein die leiblichen Eltern, ob sie ihr Kind zur Adoption freigeben möchten oder nicht. Und exakt hier liegt einer der Gründe, warum die meisten der Kinder, die in Heimen leben, nicht adoptiert werden können. Die erforderliche Einwilligung liegt schlicht und ergreifend nicht vor und eine Ersetzung ist nur in sehr wenigen Ausnahmefällen möglich.

Baby mit leiblichem Vater und leiblicher Mutter



Wie viele Adoptionen gibt es in Deutschland?


Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 3.843 Kinder adoptiert.[3] Der weit überwiegende Teil dieser Kinder wurde allerdings von Verwandten oder Stiefeltern adoptiert. Die klassische Adoption, die Kinderwunscheltern anstreben - auch etwas sperrig „Fremdadoption“ genannt - gab es 2021 in Deutschland gerade einmal in 1.176 Fällen. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 kamen in Deutschland über 20.000 Kinder aufgrund von Kinderwunschbehandlungen zur Welt. Eine Zahl die kontinuierlich seit vielen Jahren steigt, während die Zahl der Adoptionen ebenso kontinuierlich rückläufig ist.

Verantwortlich für die sinkende Zahl der Adoptionen ist in erster Linie, dass die Zahl der zur Adoption freigegebenen Kinder stetig sinkt. Allerdings sinkt auch die Zahl der Bewerber*innen seit Jahren. Dennoch kamen auch 2021 immerhin noch vier Bewerber*innen auf jedes Kind, das zur Adoption freigegeben wurde. [4] Zehn Jahre zuvor waren es noch sieben Paare pro Kind. Erfasst sind in diesen Zahlen allerdings nur diejenigen, die die Eignungsprüfung der Jugendämter erfolgreich bestanden haben und als Bewerber*innen anerkannt wurden. Wie man es schafft, als Eltern für ein Adoptivkind in Betracht gezogen zu werden, dazu gleich mehr. Zunächst aber ein kurzer Überblick darüber, wie das eigentliche Adoptionsverfahren abläuft.

Wie läuft das Adoptionsverfahren ab?


Im besten Fall haben die Eltern oder die Mutter, falls nur diese bekannt ist, schon während der Schwangerschaft für sich die Entscheidung getroffen, ihr Kind nicht selbst großzuziehen, sondern es zur Adoption freizugeben. In diesem Fall kann das Jugendamt schon vor der Geburt in Ruhe neue Eltern für das Kind suchen. Inzwischen ist es bei vielen Jugendämtern sogar möglich und üblich, dass die Herkunftseltern Einfluss auf die Auswahl der Adoptiveltern nehmen können. Eine Adoptivmutter erzählte mir einmal, dass die Herkunftsmutter ihres Kindes, die sehr tierlieb gewesen sein muss, sich für ihr Kind eine Familie wünschte, in der ein Hund lebt. Häufig wünschen sich Herkunftseltern eine stabile Familiensituation, vielleicht eine Familie, die ein Haus mit Garten hat. Einige mögen sich Geschwisterkinder für ihr Kind wünschen oder vielleicht auch nur, dass die Adoptiveltern von der Statur oder dem Äußeren ihnen und damit wahrscheinlich auch ihrem Kind ähnlich sind.

In der Regel erfolgt in diesen Fällen, aber auch in den Fällen der vertraulichen oder anonymen Geburt oder bei Eltern, die sich erst unmittelbar vor, während oder nach der Geburt für eine Adoption entscheiden, die Trennung von der leiblichen Mutter direkt nach der Geburt. Die leibliche Mutter[5] kann die Einwilligung in die Adoption frühestens acht Wochen nach der Geburt des Kindes erklären. Bis dahin behält sie das Sorgerecht für ihr Kind. Diese Frist soll es der leiblichen Mutter ermöglichen, die Tragweite und Unumstößlichkeit ihres Entschlusses in Ruhe zu überdenken. Tatsächlich kommt es durchaus vor, dass Herkunftseltern es sich innerhalb dieser acht Wochen anders überlegen und das Kind doch selbst großziehen möchten. In diesem Fall muss das Kind ohne Wenn und Aber an die leiblichen Eltern übergeben werden.[6] Dies ist ein Schritt, der für die Adoptiveltern verständlicherweise unendlich schmerzhaft ist. Um den Adoptiveltern einen derartigen Verlust zu ersparen bringen einige Jugendämter die Adoptivkinder in den ersten acht Wochen in einer Bereitschaftspflegefamilie unter. Erst nachdem die Einwilligung der Eltern notariell beurkundet ist, wird das Kind dann seinen Adoptiveltern übergeben. Für das Kind ist damit allerdings ein zusätzlicher Bindungsabbruch verbunden, so dass man heute weit überwiegend von dieser Praxis abrückt und trotz des für die Adoptiveltern damit verbundenen Risikos zum Wohle des Kindes dieses direkt in die Adoptivfamilie vermittelt.

Baby in Bereitschaftspflege

 
Ein weiteres Problem kann sich für die Adoptiveltern stellen, sofern die leiblichen Eltern zwar einerseits nicht die Einwilligung erklären, andererseits aber auch keine Herausgabe des Kindes verlangen und womöglich sogar untertauchen oder von der Bildfläche verschwinden. In solchen Fällen müssen die Adoptiveltern einen manchmal sehr langen andauernden Schwebezustand aushalten. Wenn die Eltern trotz entsprechender Nachforschungen nicht gefunden werden können und eine gewisse Zeit verstrichen ist, kann entweder von der Einwilligung abgesehen oder diese gerichtlich ersetzt werden. Die Adoptiveltern müssen ihrerseits einen notariell beurkundeten Antrag auf Adoption bei Gericht stellen. Bis über diesen Antrag entschieden wird – meist ist dies nach etwa einem Jahr der Fall – lebt das Kind bei den Adoptiveltern in Adoptionspflege. Während dieser Zeit hat das Jugendamt bzw. ein Amtsvormund die Vormundschaft für das Kind (§ 1751 BGB)[7].

Wenn alles nach Plan verläuft, kommt es im Anschluss an die Adoptionspflege zu einem für die Eltern meist aufregenden Termin bei Gericht und ein paar Wochen später zu einem schriftlichen Beschluss, mit dem die Adoption förmlich festgestellt wird. Sobald dieser Beschluss im Briefkasten der Adoptiveltern liegt, ist das Verfahren abgeschlossen und die Adoption ist unwiderruflich vollzogen.

Welches sind die Gründe für eine Adoption und eine Freigabe zur Adoption?


Die meisten Adoptiveltern kommen auf dem Weg des unerfüllten leiblichen Kinderwunsches, oft nach erfolglos gebliebener Kinderwunschbehandlung, zur Adoption. Über die Motive der Herkunftseltern gibt es kaum statistische Daten oder Erhebungen. Im Adoptionswesen führen Herkunftseltern quasi ein Schattendasein. Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt folgende Motive: Einige der abgebenden Mütter sind noch sehr jung und befinden sich in Schul- oder Berufsausbildung. Sie fühlen sich der Aufgabe ein Kind großzuziehen noch nicht gewachsen. Andere Mütter stehen bereits im Leben, haben möglicherweise sogar schon Kinder und können deshalb die Herausforderungen, die ein weiteren Kind mit sich bringt, gut einschätzen. Aufgrund ihrer Situation (z. B. Arbeitslosigkeit, alleinerziehend, Schulden, Wohnungslosigkeit, fehlende familiäre Unterstützung, Erkrankung o. ä.) sehen sie sich außerstande, ein weiteres Kind großzuziehen. Bei Müttern mit Migrationshintergrund können Sprachbarrieren oder Vorurteile des Umfeldes gegenüber nichtehelich geborenen Kindern eine Rolle spielen. Es gibt auch Mütter, die sich bewusst sind, dass sie wegen psychischer Probleme, eigener traumatischer Kindheitserfahrungen oder Suchterkrankungen nicht in der Lage sind, ein Kind großzuziehen. Und schließlich gibt es Frauen, die aufgrund von Vergewaltigung schwanger wurden oder auf andere Weise durch den leiblichen Vater Gewalt erfahren haben und einen vollständigen Kontaktabbruch zu diesem wünschen.[8]

Unabhängig von den Motiven im Einzelfall ist die Entscheidung, ein Kind zur Adoption freizugeben, immer auch eine selbstlose Entscheidung und von der Hoffnung getragen, dass das Kind geborgen, behütet und sicher aufwachsen kann und ein besseres Leben haben wird. Aus diesem Grund ist es kaum verständlich, dass die Freigabe zur Adoption immer noch mit einem Stigma behaftet ist und Herkunftseltern in der Öffentlichkeit kaum – schon gar nicht positiv – wahrgenommen werden. Viele Mütter verschweigen die Schwangerschaft, Geburt und nachfolgende Freigabe des Kindes vor ihrer Familie und dem sozialen Umfeld. Beratungs- oder Unterstützungsangebote für Herkunftseltern nach der Freigabe gibt es kaum. Viele Mütter erleben eine Trauer und einen Schmerz, der sie oft jahre- und jahrzehntelang begleitet oder nach einer langen Verdrängungsphase unerwartet in späteren Jahren aufbricht.

Was ist eine offene oder eine halboffene Adoption?


Die klassische Form der Adoption, die sogenannte Inkognito-Adoption, sieht keinerlei Möglichkeit des Kontaktes zwischen den abgebenden Eltern und der Adoptivfamilie vor. Im Gegenteil, das gesetzliche Leitbild ist nach wie vor die Wahrung des Adoptionsgeheimnisses. § 1758 BGB [9] untersagt ausdrücklich alles, was dazu führen könnte, dass eine Adoption, ihre Umstände und ihre Hintergründe offenbart werden, es sei denn, dies geschieht mit der ausdrücklichen Zustimmung der Adoptiveltern oder des adoptierten Kindes. Zwar erhalten die Adoptiveltern im Rahmen des Adoptionsprozesses Hintergrundinformationen zu den Herkunftseltern, soweit beim Jugendamt solche Informationen vorliegen. Das adoptierte Kind selbst hat aber erst ab dem 16. Lebensjahr das Recht, den Eintrag im Geburtenregister und die Vermittlungsakte des Jugendamtes einzusehen und so zu erfahren, wer seine leiblichen Eltern sind.[10] Um den drastischen Abbruch jeglicher Beziehung zwischen leiblichen Eltern und Kindern zumindest abzumildern, wird seit den 80er Jahren in Deutschland zunehmend die Möglichkeit einer halboffenen oder offenen Adoption angeboten.

Bei der halboffenen Adoption kommt es oft vor der Geburt zu einem persönlichen Kontakt zwischen Herkunftseltern und Adoptiveltern, meist begleitet in den Räumen des Jugendamtes. Nach der Adoption können beide Seiten Fotos oder Briefe beim Jugendamt abgeben, die dann anonym an die jeweils andere Seite weitergeleitet werden. Die Herkunftseltern erfahren bei der halboffenen Adoption jedoch nicht die Namen oder die Anschrift der Adoptivfamilie.

Bei der offenen Adoption kennen sich Herkunftseltern und Adoptiveltern persönlich und erfahren auch Namen und Wohnorte der jeweils anderen. Briefe oder Fotos können direkt ausgetauscht werden und es können auch nach der Adoption Treffen stattfinden.

Das Adoptionsvermittlungsgesetz enthält in § 8b[11] zwar eine gesetzliche Regelung zum Informationsaustausch bei einer halboffenen Adoption. Der Informationsaustausch erfolgt seitens der Adoptiveltern jedoch freiwillig und das einmal zur halboffenen Adoption erklärte Einverständnis kann jederzeit und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Sowohl die offene als auch die halboffene Adoption sind nach wie vor selten. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle findet eine Inkognito-Adoption statt.

Bislang haben wir uns ausschließlich mit den Möglichkeiten und Formen der Adoption in Deutschland befasst. Neben der Inlandsadoption gibt es aber auch die Möglichkeit der Auslandsadoption.

Wie läuft eine Auslandsadoption ab?


Mit einer Auslandsadoption wird ein im Ausland geborenes und dort lebendes Kind von in Deutschland lebenden Eltern adoptiert, um in Deutschland bei ihnen aufzuwachsen.

Die Zahl der Auslandsadoptionen ist ebenso wie die der Inlandsadoptionen seit vielen Jahren rückläufig. Im Jahr 2007 wurden noch knapp 700 Kinder aus dem Ausland adoptiert, 2021 waren es nur noch 116 Kinder. Auslandsadoptionen sind mit deutlich höheren Kosten, mehr bürokratischen Hürden und einem größeren organisatorischen und zeitlichen Aufwand verbunden. Im Inland warten Adoptivbewerber*innen im Schnitt etwa eineinhalb Jahre auf ein Adoptivkind. Bewerber*innen für eine Auslandsadoption müssen im Schnitt zweieinhalb Jahre warten. [12] Wer im Ausland adoptiert muss abhängig von den nationalen Regelungen des jeweiligen Landes oft eine gewisse Zeit dort verbringen. Hinzu kommt, dass für jedes Kind zuerst im Heimatland nach einer Familie gesucht wird, bevor eine Vermittlung an ausländische Adoptiveltern in Betracht gezogen wird. Aus diesem Grund sind die Kinder, die im Ausland adoptiert werden können, in der Regel keine Säuglinge oder Babys mehr, sondern meist schon zwei bis drei Jahre alt oder noch älter. Die Gründe, warum sich trotz all dieser Hürden Eltern entscheiden, den Weg der Auslandsadoption zu gehen, ist, dass im Ausland Bewerber*innen akzeptiert werden, die hier in Deutschland faktisch keine Chance haben – zum Beispiel Singles, oder über 40jährige – und dass diejenigen, die das steinige und langwierige Bewerbungsverfahren meistern am Ende nahezu sicher ein Kind mit nach Hause nehmen können, während in Deutschland viele Bewerber*innen nach dem Bewerbungsverfahrens und trotz jahrelanger Wartezeit am Ende kinderlos bleiben.

Auslandsadoptionen dürfen in Deutschland ausschließlich über die zentralen Adoptionsstellen der Landesjugendämter oder über die wenigen anerkannten Vermittlungsstellen [13] erfolgen. Jegliche Auslandsadoption, die nicht über diese offiziellen Stellen läuft, ist nach § 2b Adoptionsvermittlungs-gesetz [14] untersagt.

Eltern im Gespräch mit dem Jugendamt

 
Der dänische Film "Mercy Mercy – Die Adoption" aus dem Jahr 2012 dokumentiert in schonungsloser Härte das tragische Scheitern einer Auslandsadoption und sei allen, die sich mit diesem Thema beschäftigen wollen, ans Herz gelegt.

Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen, um ein Kind im Inland adoptieren zu können?


Im Gesetz steht im Grunde nur eine einzige Voraussetzung, um ein Kind adoptieren zu können, und zwar das Mindestalter fest. Wer adoptieren möchte, muss nach § 1743 BGB mindestens 25 Jahre alt sein.[15] Der § 7 Adoptionsvermittlungsgesetz sieht darüber hinaus eine Eignungsprüfung vor und beschreibt hierfür Eignungskriterien [16], legt aber keine Must-Haves oder No-Gos fest. Ausführlicher als der Gesetzgeber sind die Empfehlungen der BAG der Landesjugendämter.[17] In der Praxis entscheidet letztlich aber einzig und allein das zuständige Jugendamt darüber, ob und wen es grundsätzlich für geeignet hält zu adoptieren. Es besteht ein Rechtsanspruch, das Eignungsverfahren zu durchlaufen, aber kein Rechtsanspruch darauf, als geeignet anerkannt zu werden. Selbst wenn man es auf die Warteliste geschafft hat, konkurriert man immer noch mit – statistisch gesehen – mindestens drei weiteren Paaren. Erfahrungsgemäß steigen die Chancen, es auf die Liste der geeigneten Bewerber*innen zu schaffen und tatsächlich als Eltern für ein Kind in Betracht gezogen zu werden, wenn man

  • finanziell in gesicherten Verhältnissen lebt und Mama oder Papa Elternzeit für mindestens ein Jahr – besser noch für zwei oder drei Jahre – nehmen können. Für das Kind sollte ein eigenes Zimmer zur Verfügung stehen, das allerdings noch nicht fertig eingerichtet und dekoriert sein sollte. Schulden mit Ausnahme eines üblichen Hauskredites, ein Privatinsolvenzverfahren oder das Beziehen von Sozialleistungen sind Ausschlusskriterien,

  • in einer stabilen Paarbeziehung lebt, Adoptionen durch Singles werden nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen, etwa, weil für das Kind aufgrund einer Beeinträchtigung kein Paar gefunden wurde oder weil das Kind aufgrund traumatischer Erfahrungen besser bei einem alleinstehenden Elternteil aufgehoben ist,

  • nicht älter als 40 Jahre ist. Die magische Zahl vierzig steht aktuell nicht mehr in den Empfehlungen der BAG. Dort war sie zuletzt auch nicht als das Maximalalter, sondern als der maximale Altersabstand zwischen Kind und Eltern genannt worden, so dass Menschen in Alter von 40 Jahren und älter theoretisch noch als Adoptiveltern für ältere Kinder in Betracht kamen. Inzwischen ist nur noch die Rede von einem natürlichen Altersabstand. Natürlich ist immer der Einzelfall zu prüfen und natürlich gibt es Jugendämter, die nur auf das Alter eines der beiden Elternteile abstellen. Dennoch sind die Chancen auf die Adoption eines Säuglings im Inland verschwindend gering, sobald man das 40. Lebensjahr vollendet hat,

  • keine lebensverkürzenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, schweren psychischen Erkrankungen oder (frühere) Suchterkrankungen hat. Dies ist ein Ausschlusskriterium, das viele Paare, die aus der Kinderwunschbehandlung kommen, hart treffen kann. Manchmal ist eine – überstandene – Krebserkrankung oder Chemotherapie der Grund dafür, dass man kein leibliches Kind bekommen kann. Manchmal hat die erfolglose Kinderwunschbehandlung in eine Depression geführt. Und jetzt soll gerade das die Option, ein Kind auf dem Weg der Adoption in die Arme schließen zu dürfen, verbauen? Das ist hart, aber dennoch richtig. Adoptivkinder bringen eine besondere Biographie mit sich und diese erfordert es, dass die Eltern besondere Belastungen aushalten können und das Risiko eines erneuten Verlustes so gering wie irgend möglich gehalten wird,

  • ein lupenreines erweitertes Führungszeugnis vorlegen kann und

  • mit dem Wunsch nach einem leiblichen Kind abgeschlossen hat. Dieser Punkt ist so wichtig (und umstritten), dass ich unter dem Stichwort Zweigleisigkeit gesondert darauf zurückkommen werde. Falls in der Familie bereits leibliche Kinder leben, ist dies nicht per se ein Ausschlusskriterium. Erfahrungsgemäß werden aber Bewerber*innen, die noch keine Kinder haben und somit ihre ganze Aufmerksamkeit dem Adoptivkind zuwenden können, bessere Chancen haben, es sei denn, es gibt besondere Umstände, z. B., dass die abgebenden Eltern sich ausdrücklich Geschwisterkinder für ihr Kind wünschen. Auch wenn in der Familie bereits Adoptivkinder leben, kann dies eher ein Vorteil als ein Nachteil bei einer Bewerbung sein, weil die Kinder dann mit Geschwistern aufwachsen können, die eine ähnliche Biographie haben.


Und wenn ich all diese Voraussetzungen erfülle, wie genau bewerbe ich mich dann eigentlich? Und wo?


Das Eignungsverfahren führen das örtliche Jugendamt oder die - wenigen - freien Träger durch. Zu den freien Trägern gehören z. B. der EVAP, der SKF und Findefux. [1] [2] [3][18] [19] [20]

Am einfachsten ist es, die Adoptionsvermittlungsstelle des örtlichen Jugendamtes anzurufen. Die Telefonnummer und vielleicht auch schon erste Hinweise findet man auf der Internetseite des Jugendamtes am Wohnort. Einige Jugendämter führen mit den Bewerber*innen ein erstes Einzelgespräch, bei dem Vorstellungen und Perspektiven besprochen werden. Andere Jugendämter laden zu einer allgemeinen Informationsveranstaltung ein.

Anschließend werden die Bewerber*innen gebeten, einen Lebensbericht einzureichen. Dieser Lebensbericht löst bei vielen Bewerber*innen Unsicherheit aus. Was soll ich denn bloß reinschreiben? Wie lang darf er sein? Wie kurz sollte er sein? Und was sollte ich besser nicht reinschreiben? Kurz gesagt, soll der Lebensbericht mehr sein als ein tabellarischer Lebenslauf aber auch kein autobiographischer Roman. Die Fachkraft des Jugendamtes möchte sich ein Bild von den Bewerber*innen machen, um diese besser einschätzen zu können. Krisen oder Brüche im Lebenslauf sind kein K.O.-Kriterium, sondern belegen, dass man in der Lage ist, mit Belastungen umzugehen.

Was schreibe ich in den Lebensbericht für das Jugendamt

 
Zusätzlich zum Lebensbericht sind im Bewerbungsverfahren noch ein erweitertes Führungszeugnis, Einkommensnachweise und ein Gesundheitsattest notwendig. Zur Vorbereitung gibt es ein Seminar, das sich von Dauer und Umfang in den verschiedenen Städten und Landkreisen deutlich unterscheiden kann. Es erfolgt danach mindestens ein, oft auch mehrere Hausbesuche und mindestens ein weiteres Einzelgespräch, in dem es – meist anhand eines Fragebogens - konkret darum gehen wird, welche Voraussetzungen ein Kind mitbringen kann. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob das Paar sich auch vorstellen kann, ein Kind aus einer Babyklappe oder anonymen Geburt anzunehmen oder aber ein Kind mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, Kinder aus einer Vergewaltigung oder Inzest oder Kinder mit Migrationshintergrund. Bei all diesen Fragen geht es nicht darum, was für ein Kind die Bewerber*innen sich wünschen, es geht vielmehr darum, welche Herausforderungen sich die Bewerber*innen zutrauen und wo sie ihre eigene Belastungsgrenze sehen. Beim Matching werden niemals Kinder für Eltern gesucht, sondern immer Eltern für Kinder.

Nach Abschluss des Eignungsverfahrens verfasst das Jugendamt (oder der freie Träger) einen Bericht und stellt ggfls. eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Damit können sich Bewerber*innen auch bei anderen Jugendämtern und allen freien Trägern bundesweit um ein Adoptivkind bewerben. Mehrfachbewerbungen sind ausdrücklich zulässig. Ich kenne aus Foren Eltern, die bis zu 150 Bewerbungen geschrieben haben. Das Eignungsverfahren selbst dauert bis zu einem Jahr. Erst danach schließt sich die eigentliche Wartezeit auf ein Kind an. Es gibt eine durchschnittliche Dauer von etwa eineinhalb Jahren bis „der Anruf“ und ein Kindervorschlag kommt. Aber in diesem Durchschnitt ist alles vertreten, von wenigen Monaten bis hin zu fünf Jahren. Und es gibt, wie gesagt, im Adoptionsprozess immer auch Bewerber*innen, die am Ende eines langen Weges und einer noch längeren Wartezeit den ersehnten Anruf niemals erhalten.

Gerade wegen der langen Dauer des Adoptionsverfahrens beginnen Bewerber*innen oft bereits in der letzten Phase der Kinderwunschbehandlung sich nicht nur gedanklich mit einer Adoption zu beschäftigen, sondern auch schon die ersten Schritte in die Wege zu leiten, um, wenn der letzte Kryoversuch gescheitert ist, bereits auf der Warteliste der Adoptionsvermittlungsstellen zu stehen. Das wird Zweigleisigkeit genannt und wird von den meisten Beteiligten am Adoptionsprozess kritisch gesehen. Warum das so ist, dazu kommen wir jetzt:

Was ist eigentlich Zweigleisigkeit und warum gibt es gute Gründe, die dagegen sprechen?


Wenn Paare mit dem Bewerbungsverfahren beginnen, obwohl sie sich noch in der (wenn auch letzten) Phase der Kinderwunschbehandlung befinden, sprechen wir davon, dass diese Paare „zweigleisig fahren“. Kein Jugendamt sieht Zweigleisigkeit gerne und für die meisten ist es sogar ein Ausschlusskriterium für eine Bewerbung oder Adoption, wenn sie erfahren, dass Paare noch nicht mit dem leiblichen Kinderwunsch abgeschlossen haben. Für viele Paare, die aus der Kinderwunschzeit kommen, ist dies oft unverständlich und erscheint unnötig hart oder sogar ungerecht. „Ich würde doch ein Adoptivkind genauso lieben und genauso behandeln, wie ein leibliches Kind“, ist ein Argument, das man in diesem Zusammenhang oft hört.

Dass Bewerber*innen ein Adoptivkind genauso lieben werden, wie ein leibliches Kind, ist jedoch kein Argument, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wer nicht bereit oder in der Lage ist, ein Adoptivkind uneingeschränkt und bedingungslos zu lieben – oder sich vorzustellen, dass er dies tun könnte - ist im Adoptionsprozess fehl am Platz. Wer Adoptivkinder vermittelt, hat keinerlei Zweifel daran, dass die Bewerber*innen das Adoptivkind genauso lieben werden, wie ein leibliches Kind. Andernfalls würde er dieses Paar gar nicht erst als geeignet in Betracht ziehen.

Das Problem liegt ganz woanders. Die meisten Paare, die sich um ein Adoptivkind bewerben, haben ihre Familienplanung nicht mit dem Wunsch nach einem Adoptivkind begonnen. Der Weg dorthin hat sie in den allermeisten Fällen über einen unerfüllten leiblichen Kinderwunsch und oft auch über eine jahrelange, kräftezehrende und letztlich erfolglose Kinderwunschbehandlung geführt. Das Adoptivkind war in diesem Szenario nicht Plan A. Es war Plan B, vielleicht auch nur Plan C. Und das ist auch völlig okay. Wenn wir uns Kinder wünschen liegt es nahe, dass wir uns eine Schwangerschaft und eine Geburt wünschen, ein Kind, in dem wir uns wiedererkennen können oder dies zumindest glauben.

Diese Wünsche kann und will ein Adoptivkind aber nicht erfüllen. Und anders als ein leibliches Kind bringt ein Adoptivkind eine ganz eigene Geschichte und Biographie mit, die die Adoptiveltern bereitwillig annehmen müssen. Adoptivkinder haben oft besondere Bedürfnisse, die Adoptiveltern verstehen und einordnen müssen und bei denen sie ihr Kind begleiten und unterstützen müssen. Der Abschied von dem Wunsch nach einer Schwangerschaft und einer Geburt und auch der Abschied von einer oft langen und schmerzhaften Kinderwunschbehandlung ist ein Trauerprozess, der abgeschlossen sein muss, damit ich mich offen, unbelastet und mit unverstelltem Blick meinem Adoptivkind in seiner ganz besonderen Individualität zuwenden kann. Mein Adoptivkind hat das Recht darauf, vom Plan B- oder Plan C-Kind zu meinem ganz eigenen Plan A-Kind zu werden. Dazu braucht es Zeit, einen Verarbeitungsprozess und keinen (weiteren) Versuch, doch noch mit dem anderen Plan A schwanger zu werden.

Ein Adoptivkind sollte nicht die Lücke des unerfüllten Kinderwunschs ersetzen müssen. Es braucht Eltern, die genau dieses Kind mit dieser besonderen Geschichte wollen, annehmen und lieben können. Eine Userin sagte mal in einem der Foren, in denen dieses Thema immer wieder kontrovers diskutiert wird: "Ich wünsche mir doch weder explizit ein leibliches Kind noch explizit ein Adoptivkind. Ich wünsche mir ein Kind.“ Das ist sehr berührend gesagt und dennoch reicht es nicht aus, einem Adoptivkind gerecht zu werden. Wer adoptieren möchte, sollte sich ein Adoptivkind wünschen.

Wenn das Adoptivkind endlich da ist – die Elternzeit



Der Einzug eines Adoptivkindes beginnt immer mit einem Anruf des Jugendamtes. Der Anruf ist für Adoptiveltern in etwa gleichbedeutend mit dem positiven Schwangerschaftstest leiblicher Eltern oder dem ersten Ultraschall. Eine der Fragen, die sich für Adoptiveltern dann stellt, ist, wie das eigentlich mit der Elternzeit läuft. Irgendwie haben wir alle doch mal mitbekommen, dass die Schwester, Freundin, Nachbarin oder Kollegin die Elternzeit sieben Wochen vorher beim Arbeitgeber anmelden musste. Sieben Wochen! Und das Adoptivkind ist doch praktisch schon da. Keine Sorge, der Gesetzgeber hat diese Konstellation bedacht und eine Ausnahmeregelung geschaffen, die explizit für Adoptiv- und Pflegekinder gedacht war, auch wenn dies nicht so im Gesetzestext steht. [21] Wer ein Adoptivkind in seinen Haushalt aufgenommen hat, kann also tatsächlich von heute auf morgen in Elternzeit gehen.

Neugeborenes

Wie leibliche Eltern auch können Adoptiveltern drei Jahre Elternzeit in Anspruch nehmen. Früher haben Jugendämter von den Adoptiveltern erwartet, dass diese tatsächlich volle drei Jahre nach der Aufnahme eines Kindes zu Hause bleiben. Dies ist heutzutage weit von der Lebensrealität in Deutschland entfernt und so geht die Erwartung inzwischen dahin, dass ein Elternteil mindestens ein Jahr zu Hause bleibt und das Adoptivkind auch danach jedenfalls nicht überwiegend fremdbetreut wird. Überprüfen kann das Jugendamt dies jedenfalls nach Ablauf des Adoptionspflegejahres und sobald der Adoptionsbeschluss vorliegt nicht mehr. So altmodisch dies klingen mag – eine Elternzeit von drei Jahren tut einem Adoptivkind gut. Wenn dies unter keinen Umständen machbar sein sollte, sind zwei Jahre Elternzeit immer noch besser als nur ein Jahr mit dem Kind zu Hause zu bleiben. Anders als ein leibliches Kind hat ein Adoptivkind sich während der der Schwangerschaft nicht an seine jetzigen Eltern binden können. Stattdessen hat es mindestens einen Bindungsabbruch erlebt. Aus diesem Grund benötigt ein Adoptivkind Zeit, um den Bindungsaufbau nachzuholen. Dies ist ein Prozess, der Jahre dauern kann. Jedes Jahr, in dem die Adoptiveltern ihre ganze Zeit und Aufmerksamkeit ihrem Kind widmen können, wird sich später in Form einer sichereren und stabileren Bindung doppelt und dreifach bezahlt machen.


Wie sage ich‘s meinem Kinde? Sollte ich es meinem Kind sagen?


Vorweg, die zweite Frage kann gar nicht anders als mit einem klaren "Ja" beantwortet werden. Auch wenn das Adoptionsgeheimnis selbst heute noch gesetzlich geschützt wird, ist die Forschung einhellig und seit langem der Auffassung, dass nicht nur Aufklärung, sondern auch eine frühe Aufklärung absolut notwendig ist. Die Jugendämter erwarten ausdrücklich von ihren Bewerber*innen, dass diese

"die Bereitschaft zur Aufklärung des Kindes über seine Herkunft und zum kontinuierlichen offenen Umgang mit der Vorgeschichte des Kindes" [22]

mitbringen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Dass jeder Mensch das Recht auf Kenntnis seiner genetischen Abstammung hat, ist seit mehr als dreißig Jahren von den höchsten deutschen Gerichten immer wieder betont worden. Gesetzlicher Schutz hin oder her, ist es ein Irrtum zu glauben, dass Adoptionsgeheimnis könnte tatsächlich bewahrt werden. Dafür wissen einfach zu viele Menschen von der plötzlichen Ankunft eines Kindes ohne eine vorherige Schwangerschaft. Der Bäcker, der Gemüsehändler, die entfernte Großcousine – irgendjemand wird irgendwann plaudern. Und wie furchtbar muss es für ein achtjähriges oder vierzehnjähriges Kind sein, nicht nur urplötzlich von der Adoption zu erfahren, sondern davon auch noch durch Außenstehende zu erfahren? Dazu kommt, dass Abstammungstests, wie sie 23 and me oder Ancestry anbieten, heutzutage weit verbreitet sind und es quasi zur Bucket List gehört, einen solchen Test irgendwann einmal zu machen.

Viel schwerwiegender als diese äußeren Umstände ist, dass wir inzwischen wissen, das Familiengeheimnisse toxisch für die ganze Familie sein können. Spät aufgeklärte Adoptierte berichten immer wieder, dass sie seit frühester Kindheit geahnt haben, dass irgendetwas nicht stimmt, dass ihnen irgendetwas verschwiegen wird. Zu der Wut, dem Schmerz und der Trauer, die jedes Adoptivkind fühlt, weil es weggegeben wurde, kommt dann die Wut, der Schmerz und Trauer darüber, belogen worden zu sein, hinzu.

Der aus meiner ganz persönlichen Sicht aber entscheidende Grund, warum die Adoption niemals verschwiegen werden darf, ist, dass ich meinem Kind damit die Chance nehme, das Trauma, dass es durch die frühe Weggabe oder auch andere frühkindliche Erlebnisse erfahren hat, zu verarbeiten. An die traumatischen Ereignisse selbst können die Kinder sich aufgrund der frühkindlichen Amnesie nicht mehr erinnern. Die Gefühle, die diese Ereignisse ausgelöst haben, bleiben jedoch und können zu einer Belastung werden. Um damit umgehen zu können, muss das Kind wissen, was es erlebt hat.

Familie hält sich an den Händen

 
Viel schwieriger als die Frage, ob man das Kind aufklärt, ist die Frage wie und wann man es aufklärt. Aktuell gehen die Empfehlungen dahin, mit dem Kind so früh wie möglich über seine Herkunft zu sprechen, so dass das Adoptiertsein für das Kind quasi selbstverständlich wird. Das ist richtig, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein zweijähriges oder selbst ein fünfjähriges Kind zwar das Wort adoptiert verwenden kann, aber noch nicht vollständig erfassen kann, was das eigentlich bedeutet. Die Aufklärung ist deshalb ein jahrelanger Prozess. Manche Adoptiveltern verschieben gerne die Aufklärung auf irgendeinen nebulösen Zeitpunkt „wenn das Kind so alt ist, dass es das versteht.“ Das Problem dabei ist, dass es für die Eltern immer schwieriger wird, den richtigen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch zu finden und plötzlich ist das Kind 18 Jahre alt. Es gibt einige wenige gute Bilderbücher, die sich mit dem Thema Adoption beschäftigen. Man kann diese Bücher auch schon mit sehr kleinen Kindern ansehen und dabei von der eigenen gemeinsamen Geschichte erzählen. Sinnvoll ist es auch, das Babyalbum mit einem Foto der leiblichen Mutter zu beginnen, sofern man eines hat. Auch Briefe der leiblichen Mutter, ein Kuscheltier, ein Strampler oder ein Schnuller können wertvolle Erinnerungsstücke sein, anhand derer man die eigene Geschichte erzählen kann. Bei unserem Sohn liegt der Ankunftstag zwei Wochen nach seinem Geburtstag. Seit jeher gibt es bei uns eine Kerze, die nur am Ankunftstag angezündet wird und ein besonderes Essen im Kreis der Familie. Der Ankunftstag ist damit kein zweiter Geburtstag, aber er ist trotzdem ein besonderer Tag der Erinnerung.

Welche besonderen Herausforderungen können auf Adoptivfamilien zukommen?


Es würde den Umfang dieses Beitrages sprengen, darzustellen, welche Krisen oder besondere Herausforderungen auf eine Adoptivfamilie zukommen können. Im Grunde können nur Stichpunkte genannt werden, die erste Anhaltspunkte für diejenigen sein können, die sich weiter mit dem Thema befassen möchten.

Jedes Adoptivkind hat einen ersten Bindungsabbruch erlebt. Die Schwangerschaft, die Geburt und – je nach den Umständen des Einzelfalles – die ersten Lebensstunden, -wochen oder -monate sind für das Kind bedeutsam und der Verlust der ersten Bindungsperson, der Knacks im Urvertrauen, wird bei jedem Kind Spuren hinterlassen. Nicht alle, aber durchaus einige Adoptivkinder erleben eine Frühtraumatisierung, deren Folgen sie jahrelang begleiten werden. Weitere traumatische Erlebnisse können hinzukommen. Ein Drogenentzug nach der Geburt oder eine Mangelernährung in der Schwangerschaft. Auch psychische Belastungen oder Gewalterfahrungen der Mutter während der Schwangerschaft können Auswirkungen haben. Noch schwerwiegender in seinen Folgen ist Alkoholkonsum der werdenden Mutter in der Schwangerschaft. Auf das fetale Alkoholsyndrom werde ich in meinem Beitrag zu Pflegekindern ausführlicher zurückkommen.

Die Frage nach den Wurzeln, nach dem was vor der Adoption war, wird manche Kinder mehr beschäftigen als andere. Für alle Kinder wird es aber immer Teil ihrer Biographie bleiben. Jedes Kind ist einzigartig und jedes Kind geht anders mit dem, was es erlebt hat um. Was manche Kinder schwer traumatisiert, können andere selbst ohne Hilfe von außen verarbeiten oder kompensieren. Es gibt keine allgemeingültigen Aussagen darüber, wie Adoptivkinder sich bei bestmöglicher Unterstützung und Begleitung entwickeln werden. Umso wichtiger ist es, dass die Adoptiveltern offen und empfänglich bleiben für die besonderen Bedürfnisse ihrer wunderbaren und einzigartigen Kinder.

Fußnoten


[1] Dieser Beitrag befasst sich ausschließlich mit der Fremdadoption Minderjähriger. Soweit nicht ausdrücklich anders erwähnt sind die Stiefkindadoption, die Verwandtenadoption oder die Volljährigenadoption nicht Gegenstand dieses Beitrages.

[2] § 1754 BGB - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[3] Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe - Adoptionen 2021 (destatis.de)

[4] Adoptionen, Zeitreihe - Statistisches Bundesamt (destatis.de)

[5] Der leibliche Vater, der nicht mit der leiblichen Mutter verheiratet ist und nicht sorgeberechtigt ist, kann die Einwilligung wirksam schon vor der Geburt erklären, § 1747 Absatz 3 BGB.

[6] Sofern das Jugendamt Anhaltspunkte für eine drohende Kindeswohlgefährdung bei den leiblichen Eltern hat, käme natürlich, wie auch bei jedem anderen Kind, eine Inobhutnahme in Betracht.

[7] § 1751 BGB - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[8] Quelle Seite 24 in: DJI - Studienbefunde kompakt


[9] § 1758 BGB - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[10] § 9c AdVermiG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[11] § 8b AdVermiG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[12] EFZA_Empfehlungen.pdf (dji.de) S. 12

[13] BfJ - Zugelassene Auslandsvermittlungsstellen (bundesjustizamt.de)

[14] § 2b AdVermiG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[15] § 1743 BGB - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[16] § 7 AdVermiG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

[17] Empfehlungen_zur_Adoptionsvermittlung_9._neu_bearbeitete_Fassung.pdf (lvr.de) Seite 66 ff.

[18] Adoptionsdienste in katholischer Trägerschaft | Familienportal des Bundes

[19] Evangelische Adoptionsberatungsstellen | Familienportal des Bundes

[20] Findefux e.V. - Beratungsstelle und Adoptionsvermittlungsstelle, Anonyme Geburten, Beratungsstelle bei ungewollten Schwangerschaften

[21] § 16 Absatz 1 Satz 3 BEEG: „Bei dringenden Gründen ist ausnahmsweise eine angemessene kürzere Frist möglich.“

[22] Empfehlungen_zur_Adoptionsvermittlung_9._neu_bearbeitete_Fassung.pdf (lvr.de) S. 67

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