Hygiene - wie viel Sauberkeit brauchen Kinder?

Wie viel Hygiene brauchen Kinder und Babys? Ist Schmutz nicht sogar gesund? 


Auch wenn uns ein immer weiter wachsendes antibakterielles Produktangebot in Drogerien weismachen will, dass wir uns damit vor bösen Krankheitskeimen schützen müssen - der um sich greifende Hygienewahn ist alles andere als gesund. Ich habe mich gefragt: Wie viel Sauberkeit brauchen unsere Kinder eigentlich wirklich?
 
Kind spielt im Matsch

Übertriebene Hygiene schadet dem Immunsystem 


Im Grunde ist die Überlegung ja nicht ganz abwegig: Je sauberer die Umgebung ist, desto weniger kommen Kinder mit Krankheitserregern in Kontakt und desto gesünder bleiben sie. Leider ist das nur sehr kurzfristig gedacht - denn gesund bleiben Kinder nicht durch eine keimarme Umgebung (die man auch nur in den ersten Monaten aktiv beeinflussen kann, so lange das Baby noch immobil ist). Wesentlicher Faktor für das Gesundbleiben ist vielmehr ein gut ausgebildetes und funktionierendes Immunsystem. Und dieses Immunsystem kann sich nur gut ausbilden, wenn der Körper mit vielen verschiedenen Keimen in Kontakt kommt. 

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass der Zeitpunkt dabei eine wesentliche Rolle spielt, vor allem in Bezug auf die Allergieprävention. In der meisten Zeit der Menschheit hatte das Immunsystem unglaublich viel zu tun - Würmer, Pilze, Viren, Bakterien, schlechte Körperhygiene - all das beschäftigte es dauerhaft und intensiv. Neuzeitliche Immunsysteme sind quasi total gelangweilt, weil ihnen die Herausforderung fehlt - also werden auch mal harmlose Katzenhaare oder Milben mit einer überschießenden Reaktion bedacht - es entwickeln sich Allergien, die sich leider im Laufe des Lebens bei den meisten nicht mehr verlieren.

Insbesondere das erste Lebensjahr des Babys stellt die Weichen - Studien von Erika Mutius zeigten, dass Allergien und Asthma bei Kindern mit vielen Keimkontakten im ersten Jahr wesentlich weniger auftraten, als bei solchen, die in einer sehr keimarmen Umgebung aufwachsen. Auch Experimente mit Mäusen ergaben, dass diejenigen, die in einer keimfreien Umgebung gehalten wurden, deutlich anfälliger für Erkrankungen der Lunge und des Darmes waren, als die Mäuse, die in einer Umgebung mit normaler Keimbelastung aufwuchsen. Was bei diesem Experiment überraschte war, dass die Mäuse diese Immunschwäche auch nicht mehr ausgleichen konnten - offenbar gibt es also ein Fenster bei der Entwicklung des Immunsystems, das sich irgendwann schließt. Daher ist ein sehr früher Keimkontakt wichtig. Die "gesunden Bauernhofkinder" sind also kein Mythos, sondern wissenschaftlich nachgewiesen.

Weitere Studien belegen, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr mindestens zwei Virusinfektionen durchlebten, nur halb so häufig an Asthma litten, wie Kinder ohne Virusinfekt. Daher sollte man das Baby auch nicht panisch von erkälteten Geschwisterkindern oder Verwandten fern halten. Zudem die sehr jungen Kinder oft erstaunlich schnell wieder gesund werden. Jede einzelne Krankheit ist ein effektives Training für das Immunsystem und nutzt - langfristig gesehen.

Es ist also nicht sinnvoll, sein Baby möglichst keimarm aufwachsen zu lassen - für ein gutes Immunsystem ist der Keimkontakt in normalem Umfang wichtig. Ideal wäre, Kinder frühestmöglich tatsächlich mit einem Stall auf einem Bauernhof in Kontakt zu bringen, da dort eine hohe Keimvielfalt und -dichte herrscht.

Hygiene im Haushalt 


Für die Reinigung des Haushaltes ist eine "normale" Hygiene vollkommen ausreichend. Als "normal" gilt eine Reinigung mit milden Mitteln - ganz ohne Putzmittel die antibakteriell oder antimikrobisch wirken. Im Grunde sind Seife, Waschpulver, ein Geschirrreinigungsmittel, ein Essigreiniger und ein milder Allzweckreiniger vollkommen ausreichend.

Spezielle Reinigungsmittel, die Viren, Bakterien und Pilze bekämpfen sind nicht nur nicht erforderlich, sondern sogar schädlich. Sie sind häufig sehr aggressiv zur Haut, da sie stark laugenhaltig sind. Ihnen sind außerdem Duftstoffe zugesetzt, die Allergien auslösen können. Die Inhaltsstoffe können über die Haut aufgenommen werden und wurden sogar schon in der Muttermilch nachgewiesen. 
 
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass solche antibakteriellen Reinigungsmittel (die meist Natriumhypochlorid oder Wasserstoffperoxid enthalten) mit säurehaltigen Putzmitteln (Kalklöser, Essigreiniger) in Kontakt kommen. Dabei entwickelt sich unter Hitzeentwicklung Chlorgas, das eine sehr gefährliche und explosive Wirkung haben kann. Daher sollte man grundsätzlich ohnehin niemals Reinigungsmittel zusammenkippen!

Der (generelle) Einsatz von Hygienespülern (Sagrotan, Impresan, etc.) beim Wäschewaschen hat wenig Sinn. Sie versprechen die Entfernung von 99,9% aller Keime - dabei schaffen das die meisten Vollwaschmittel auch bei einer normalen 40-/60 °C-Wäsche. Außerdem befördert die Verwendung antibakterieller Reinigungsmittel die Entwicklung von Resistenzen der Keime - sie sollten also wirklich nur im Notfall verwendet werden. Daher rät das Umweltbundesamt von der Verwendung spezieller Hygienewaschmittel und -spüler ab. Hygienisch wichtig ist eine regelmäßige Reinigung der Waschmaschine. Etwa einmal im Monat sollte ein Waschgang mit 90° C und leerer Trommel stattfinden, um Rückstände zu lösen und Erreger, die sich gerne im feuchtwarmen Milieu vermehren, abzutöten. 

Auch bei der Toilettenreinigung ist eine Desinfektion nicht  erforderlich. Allenfalls bei Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes ist eine solche empfehlenswert, um die nicht erkrankten Familienmitglieder vor einer Ansteckung zu schützen. Dabei sollte eine Desinfektionslösung verwendet werden, da bei Sprays ein nicht unerheblicher Teil des Desinfektionsmittels in die Luft (und damit in die Atemwege) gelangen kann.

In der Küche spielt Hygiene die wichtigste Rolle - hier leben viel mehr Keime, als im Bad. Waschlappen, Schwämme und Handtücher sind ein Paradies für Mikroben. Im warmen und feuchten Milieu vermehren sich diese sehr schnell und werden weitflächig verbreitet. Die Keimdichte auf einem Küchenlappen ist höher, als auf einer Toilettenbrille. Lappen und Handtücher sollten daher bei mindestens 60 °C gewaschen und häufig ausgetauscht werden (idealerweise tatsächlich täglich). Ich lege den leicht angefeuchteten Waschlappen/Schwamm gerne zwischendurch mal für ein bis zwei Minuten bei etwa 1.000 Watt in die Mikrowelle - das tötet Keime effizient ab.

Besonders gerne tummeln sich Krankheitserreger auch in Kühlschränken und Mülleimern, weswegen diese regelmäßig ausgewischt werden sollten. Essigwasser ist dabei vollkommen ausreichend.

Muss man Schnuller und Sauger auskochen? 


Eine sehr häufige Frage in Foren ist: "Bis wann muss man Schnuller und Sauger eigentlich sterilisieren?" Die übliche Antwort darauf ist: "Bis das Kind mobil wird - dann steckt es ohnehin alles in den Mund". Tatsächlich ist ein Sterilisieren von Silikonsaugern und -nuckeln überhaupt nicht erforderlich - das stellen Experten der DGE, der FKE und der  DKGJ übereinstimmend fest. Eine gründliche Reinigung genügt, eine Desinfektion durch Abkochen oder in einem Sterilisiergerät ist auch für kleine Babys nicht notwendig. Allerdings sollte man vor der ersten Verwendung Sauger und Schnuller gründlich auskochen. 

Etwas anderes gilt für Produkte aus Latex - da diese im Laufe der Zeit eine poröse Oberfläche bekommen, sollten sie gelegentlich sterilisiert und grundsätzlich schneller ausgetauscht werden.

Hygiene bei der Zubereitung von Säuglingsnahrung 


Um die hygienische Zubereitung von Flaschenmilch sicher zu stellen, sollte jede Mahlzeit frisch zubereitet werden. Milchpulver ist zwar keimarm, aber nicht steril - es enthält fast immer einige Keime in geringen Mengen. Steht die warme Milch zu lange, kann es dann zu einer Vermehrung von bspw. Enterobacter sakazakii kommen, wodurch schwere septische Infektionen bis hin zur Hirnhautentzündung auftreten können. Daher darf Milch grundsätzlich nicht länger als 4 Stunden bei Raumtemperatur aufgehoben werden - sicherer ist es in jedem Falle, nur frisch zubereitete Milch zu verfüttern.

Die Qualität von Leitungswasser ist in Deutschland hervorragend - es kann in der Regel ohne Weiteres für die Zubereitung von Säuglingsnahrung verwendet werden. Angaben zur Wasserqualität machen die örtlichen Wasserversorger. Für die Zubereitung sollte man nur kaltes Leitungswasser erhitzen, da warmes Wasser aus der Leitung - insbesondere aus Boilern - meist keimbelastet(er) ist. 

Stand das Wasser länger in der Leitung, ist es sinnvoll, es eine Weile fließen zu lassen. Anhand der Temperatur erkennt man ganz gut, wann "frisches" Wasser kommt - es ist in der Regel deutlich kühler, als das schon in der Leitung angewärmte. Das gilt ganz besonders, wenn die Zuleitung durch Kupferrohre erfolgt. 

Bei Bleirohren muss in jedem Falle auf Mineralwasser aus dem Handel zurückgegriffen werden. Dabei sollte man auf den Zusatz "Für die Herstellung für Babynahrung geeignet" achten, da diese Mineralwässer strenge Grenzwerte für Nitrat, Nitrit, Natrium, Arsen und  Radium einhalten müssen. Von Wasserfiltern wird übrigens abgeraten, da hier die Keimzahl und die Konzentration von Fremdstoffen erhöht sein können.

Hygiene beim Spielen


Spielzeug muss nur gereinigt werden, wenn es wirklich sichtbar schmutzig ist oder das Kind eine ansteckende Krankheit hat. Wenn möglich, sollte die Reinigung im Geschirrspüler oder der Waschmaschine erfolgen. Ist das Spielzeug nur verschmutzt, ist eine Reinigung mit Seifenlauge völlig ausreichend. Es ist sinnvoll, beim Kauf von Kuscheltieren darauf zu achten, dass sie waschbar sind.

Draußen gibt es im Grunde nur sehr wenige Gefahren. Es ist nicht dramatisch, wenn das Kind im Schmutz spielt oder auch mal beherzt etwas Sand isst - aber nur, wenn es durch die 6-fach-Impfung ausreichenden Tetanusschutz hat und keine Tierfäkalien herumliegen. Hundekot enthält häufig zahlreiche Krankheitserreger - wie z. B.  Spulwürmer, Bandwürmer, Giardien und Kokzidien.

Kind matscht mit Matsch


Körperhygiene 


Die wichtigste Körperhygieneregel ist und bleibt: Regelmäßig mit Seife Hände waschen - vor allem vor dem Essen, nach dem Toilettenbesuch, nach der Kita, dem Einkaufen und dem Draußenspielen. Dabei wird der größte Teil der Krankheitserreger schon weggespült. Wichtig ist es dabei, nicht zu übertreiben und keine aggressiven und/oder antibakteriellen Reinigungsmittel zu verwenden, da sie die natürliche Hautflora zerstören und so eine Besiedlung mit Pilzen und Erregern ermöglicht wird.

Ein Vollbad oder eine Dusche ist in der Regel ein- bis zweimal wöchentlich ausreichend - bei starker Verschmutzung oder nach vielem Schwitzen im Sommer natürlich entsprechend häufiger. Das Gesicht sollte mindestens zweimal täglich mit einem Lappen gereinigt werden. Warmes Wasser ist dabei ausreichend - eine Seife kann bei stärkeren Verschmutzungen zum Einsatz kommen.

Zähne sollten mindestens zweimal - besser dreimal täglich (bzw. nach den Mahlzeiten) geputzt werden. Auf unserer Seite haben wir Tipps für Zahnputzverweigerer gesammelt.

Bei den Ohren wird nur die Muschel gewaschen - Wattestäbchen sollten tabu sein, weil sie das Ohrschmalz in den Gehörgang schieben und das Trommelfell verletzen können. 

© Danielle

Quellen


B. Koletzko, A. Brönstrup, M. Cremer  et al.: „Säuglingsernährung und Ernährung  der stillenden Mutter“ – „Handlungsempfehlungen – Ein Konsensuspapier im Auftrag des bundesweiten Netzwerk Junge Familie“, Sonderdruck „Monatszeitschrift Kinderheilkunde“ aktualisierte Fassung Stand Oktober 2010, Springer Verlag 2010



4 Kommentare:

  1. Danke für diesen ausführlichen Artikel!

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  2. Ich kann dem nur zustimmen. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass viele das Gefühl für ein gesundes Maß an Hygiene verloren haben.
    Eine Ergänzung zum Thema Waschmaschine hätte ich noch. Bei 40/60 Grad gehen zwar viele Bakterien und Pilze kaputt, aber es bleibt auch vieles in der Waschmaschine. Daher sollte man regelmäßig; z.B. einmal im Monat bei 90 Grad waschen, entweder man hat Kleidung die das abkann oder man verbindet dies mit einer zusätzlichen Entkalkung oder halt einfach so.
    Auch finde ich den Begriff "Keime" immer recht unglücklich. Das vermittelt, dass alle Bakterien etc. krankheitserregend sind, was eben nicht stimmt. Der größte Anteil ist eher harmlos.
    Und man könnte noch erwähnen, dass durch übermäßiges Händewaschen, v.a. mit Hygienemitteln, die Hautflora zerstören sprich die Bakterien, die
    auf der Haut leben und das Besiedeln der Haut mit Krankheitserregern und Pilzen verhindern.
    Maria

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  3. Ich finde den Artikel widersprüchlich: von weniger Hygiene schreiben und dann (in meinen Augen übertriebene) Regeln nennen. Täglich Tücher und Lappen in der Küche auswechseln? Zwei, besser(???) drei mal täglich Zähne putzen, häufig Hände waschen?

    Sollen jetzt traditionelle Ansichten hinterfragt oder aufgefrischt werden? Für mich hier unklar.

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    1. Hallo,

      nun, das kommt auf die Augen an ;-). Tatsächlich ist es für die Zähne gesünder, nach jeder Hauptmahlzeit geputzt zu werden. Das ist schlicht so - praktiziert aber niemand wegen mangelnder Praktikabilität. Es sind in jedem Falle keine nachteiligen Wirkungen zu erwarten.

      Und ja - sehr viele Krankheiten werden über Schmierinfektionen übertragen - daher ist häufiges Händewaschen dazu geeignet, Infektionen vorzubeugen - damit ist nicht gemeint, dass dies zwanzig Mal am Tag geschehen soll.

      Und die Keime in der Küche eignen sich nun wirklich nicht zur Abhärtung - gerade in dem Bereich tut etwas mehr Hygiene manchmal durchaus gut. Denn anders als bei den Kuhstallkeimen bewirken die Küchenkeime allenfalls Durchfall und keine "Abhärtung".

      Viele Grüße!
      Danielle

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