Grundbedürfnisse aller erfüllen, aber...
Rein organisatorische Schwierigkeiten mit mehreren Kindern bringen uns Eltern schon ins Schwitzen...aber wenn auch noch wichtige Grundbedürfnisse der Kinder mit ins Spiel kommen, wird es richtig hart: Wenn das Baby ab 18 Uhr Schreistunde hat und das Kleinkind helfen will, aber es alles noch schlimmer macht, weil dabei laut ist, und es dann letzten Endes allein Abendbrot essen und spielen muss, weil Mama mit dem Baby Laufstraßen ins Laminat rennt, dann geht das allen Beteiligten mächtig an die Substanz.
Oder wenn Mama mit dem Kleinkind im Bett nicht kuscheln oder vorlesen kann, weil das Baby so brüllt. Wenn ein Kind die Windeln voll hat, aber das andere gerade unbedingt stillen will. Wenn zwei Kinder gleichzeitig aus der Schule nach Hause kommen und beide dem Elternteil sofort erzählen wollen, wie der Tag war und so durcheinanderreden, dass man rein gar nichts versteht.
Wenn ein Kind wichtige Herzensangelegenheiten mit einem Elternteil besprechen will, das andere Geschwister aber nicht versteht, dass es nicht dazwischenfunken sollte. Wenn drei Kinder auf dem Spielplatz um Hilfe rufen, und man entscheiden muss, zu wem man als erstes eilt. Wenn beide Zwillingsbabys gleichzeitig Hunger haben, aber noch zu klein sind, um ihr Köpfchen zu halten oder ein Zwilling gestillt und der andere gleichzeitig herumgetragen werden will. Wenn man ein Baby im Tuch vor dem Bauch hat, und das Kleinkind mit dem Laufrad vorsprintet, und sich vielleicht sogar in Gefahr begibt.
Das alles sind Situationen, in denen wichtige Grundbedürfnisse der Familienmitglieder kollidieren. Claudia, 32, hat das Dilemma in einem Twitter-Thread wunderbar auf den Punkt gebracht (und nur ein klitzekleines bisschen überspitzt dargestellt):
"Beim ersten Kind lief das Stillen in etwa so: Das Baby quengelt und sucht. Ich nehme das Kind sofort hoch, stelle mir ein Glas Wasser in Reichweite des Sofas, hole Lesestoff, Handy und Stillkissen, setze mich bequem hin, das Baby dockt an, trinkt gemütlich, macht Bäuerchen, trinkt die andere Seite, schläft ein. Ich bleibe sitzen, um das Baby nicht zu wecken, wir verchillen den Nachmittag auf der Couch.
Beim nunmehr dritten Kind läuft das Stillen etwas anders: Das Baby quengelt. Ich will noch kurz die Spülmaschine ausräumen. Kind 1 und Kind 2 wollen in den Garten. Also Schnulli rein, Spieluhr an, Baby nochmal zufrieden. Diverse Utensilien müssen jetzt mit meiner Hilfe in den Garten gebracht werden. Das Baby quengelt lauter. Spieluhr an. Gartenhaus aufschließen, Fahrräder raus. Ach, die Kinder wollen gar nicht Rad fahren. Also Puppenwägen raus.
Das Baby quengelt lauter. Schnulli im Vorbeilaufen rein. Kind 1 findet ihre Sonnenmütze nicht, also suchen wir. Das Baby fragt sich, ob es sich unverständlich ausdrückt, und brüllt jetzt. Ich sage den Großen, dass ich jetzt kurz stille und keine Zeit habe. Okay. Brüllendes Baby auf die Couch, mich danebengelegt, angedockt, Stille. Leider braucht Kind 2 nun doch seinen Helm. Jetzt! Er will schließlich Fahrrad fahren. Ich rufe raus, dass ich jetzt stille. Baby erschrickt, dockt ab und brüllt.
Kind 2 ruft zurück, dass er doch jetzt aber seinen Helm braucht. Sofort! Dieser befindet sich oben im Schrank, er kommt nicht allein dran. Ich docke das Baby wieder an und rufe nochmal, dass ich erstmal stillen möchte. Kind 2 steht nun erbost in der Terrassentür. Wo sein Helm wäre? Das Baby erschrickt und brüllt. Ich laufe mit aus dem Stillshirt hängender Brust zum Schrank, um den Helm zu holen. Der Nachbar gegenüber mit gutem Blick auf unsere Terrasse winkt freundlich herüber. Kind 2 zieht von dannen. Ich lege mich zum brüllenden Baby. Andocken. Stille. Das Baby trinkt und döst langsam weg.
Plötzlich von draußen infernalisches Gebrüll. Kind 1 ruft, ihr Bruder sei mit dem Rad gestürzt und blute. Ich docke hektisch das Baby ab und renne nach draußen, um nachzusehen. Okay, puh, nur das Knie blutet ein bisschen. Ich tröste. Klebe ein Pflaster. Während ich das tue, fällt mir die immernoch raushängende Brust auf. Der Nachbar hat sich Popcorn geholt und macht es sich bequem. Das Baby schreit sehr empört, wo diese Einschlafhilfe denn nun schon wieder hin sei?! Ich stelle die Großen mittels Eis ruhig und nehme ihnen das Versprechen ab, nun nicht mehr beim Stillen zu stören. Okay.
Baby dockt wieder an, döst. Hinter mir trampelt eine Elefantenherde durchs Wohnzimmer. In 30 km Entfernung scheinen dunkle Wolken am Himmel zu sein. Sicherheitshalber sind die Kinder daher vor dem drohenden Gewitter ins Haus geflüchtet. Und ob ich ihnen wohl kurz... NEIN! Das Baby schreckt auf. Ich gebe Order, dass in der nächsten halben Stunde in den Zimmern gespielt wird und docke das brüllende, müde Baby erneut an. Es schläft ein, begleitet von gelegentlichem Zucken und Moro-Reflexen, wenn im ersten Obergeschoss das Inventar der Kinderküche auf dem Boden einschlägt. Vermutlich wünscht es sich insgeheim, es wäre Einzelkind." [Claudia, 32, Thread auf Twitter]Wichtige Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Toilettengang, Aufmerksamkeit und Nähe müssen erfüllt werden, das ist uns allen sicher klar. Doch je mehr Mitglieder eine Familie hat, desto mehr Bedürfnisse können gleichzeitig auftreten. Eine der schwierigsten Aufgaben von beziehungs- und bedürfnisorientierter Elternschaft ist es, in Sekundenschnelle zu entscheiden, welches der Bedürfnisse dabei am schwersten wiegt. Das klappt nicht immer, aber das ist auch nicht dramatisch. Elternschaft ist eine lange Reihe von möglichen Fehlentscheidungen, klärenden Gesprächen, Wiedergutmachungen und neu angepassten Richtungen. Das nennt sich Leben.
Es ist normalerweise nicht problematisch, in einem Moment eine ungünstige Entscheidung zu treffen und vielleicht so ein wichtiges Bedürfnis eines der Kinder zu übersehen. Nicht lebensbedrohliche Situationen lassen sich immer korrigieren. Wenn also eins deiner Kinder aus Versehen eine ganze Zeit lang immer wieder von dir übersehen wird, und dementsprechend aufmüpfig wird, um darauf hinzuweisen, dass es deiner Aufmerksamkeit bedarf, ist immer noch Zeit, sich ihm zuzuwenden und die Sache wieder geradezubiegen.
Unsere Kinder sind resilient, und unsere Bindung zu ihnen ist tragfähig. Und doch macht es den Alltag natürlich entspannter, wenn wir es schaffen, alle Mitglieder der Familie - inklusive uns selbst - und deren Bedürfnisse wahrzunehmen und glücklich zu machen. Das ist leichter gesagt als getan, aber ein paar grobe Grundregeln können hierbei helfen:
1. Blut ist Trumpf! Blutet eins der Kinder stark, muss alles andere warten. Das gleiche gilt für starken Schmerz. Miniwunden zählen allerdings nicht dazu.
2. Grundbedürfnisse (Hunger, Durst, Müdigkeit, Kuschelbedürfnis, Aufmerksamkeit etc.) gehen vor.
3. Je jünger das Kind, desto eher sollte sein Bedürfnis befriedigt werden.
4. Je öfter ein Kind bisher zurückstecken musste, desto dringender solltet ihr euch diesem Kind zeitnah zuwenden.
Wichtigstes Hilfsmittel bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen ist unseres Erachtens die Exklusivzeit mit einem Kind. Doch es braucht einige Zeit und Vorbereitung, um diese einzuführen. Ganz so easy-peasy läuft das nicht:
Das Einführen von Elternzeit und Exklusiv-Zeit
Wenn ich als Lehrerin eine Stunde plane, dann liegt mein Hauptaugenmerk nicht nur auf dem Inhalt und den Methoden, sondern vor allem auf den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Phasen. Denn wenn ich beispielsweise plane, die Kinder zehn Minuten lang leise lesen zu lassen, und eins der Kinder kann sich nur fünf statt zehn Minuten konzentrieren, dann ist es wahrscheinlich, dass es eine Unterrichtsstörung durch dieses Kind geben wird.
Ich überlege also vorher, was ich tun kann, um die Unterrichtsstörung zu vermeiden. Es wäre z. B. möglich, genau darauf zu achten, wann seine Konzentration nachlässt und es für die restlichen fünf Minuten auf den Hof zu schicken, um frische Luft zu schnappen und kurz seine Glieder zu strecken. Wenn es dann erfrischt zurückkommt, ist auch der Rest der Klasse mit dem Lesen fertig und wir können weiter machen.
Genauso strategisch müsst ihr vorgehen, wenn ihr euren Kindern beibringen wollt, abzuwarten oder allein zu spielen. Wir raten euch, zuhause zunächst "Elternzeit" bzw. "Alleine-Spiel-Zeit" zu etablieren, bevor ihr jedem Kind eine Exklusivzeit einräumt. Denn was nützt eine Exklusivzeit, wenn diese immer wieder gestört wird durch andere Geschwister? Wenn diese noch nicht gelernt haben, jemanden für kurze Zeit in Ruhe zu lassen, oder sich selbst zu beschäftigen, scheitert die Exklusivzeit sehr wahrscheinlich und alle sind frustriert.
Wir haben "Elternzeit" bzw. "Alleine-Spiel-Zeit" eingeführt, als meine Töchter etwa drei Jahre alt waren. Bis dahin war unser Abendbrot immer so verlaufen, dass wir gemeinsam aßen, und wenn die Mädchen fertig waren, einer von uns Erwachsenen mit ihnen ins Kinderzimmer ging, um mit ihnen zu spielen, währen der andere in Ruhe aufaß. War Letzterer dann fertig, tauschte er mit dem anderen, der wiederum an den Abendbrottisch zurückkehrte.
Das lief eine ganze Weile zu aller Zufriedenheit, doch irgendwann regte sich in uns Eltern der Wunsch, beide gemeinsam in Ruhe zu Ende essen zu können. Wir sagten Carlotta und Helene also, dass sich etwas ändern würde, und dass die Zeit nach dem Abendessen "Alleine-Spiel-Zeit" werden würde. Die ersten Tage liefen so ab, dass wir, wenn die Mädchen fertig waren und aufstanden, sagten: "Schau, ich esse noch mein Gemüse auf, dann komme ich!" Der Wartezeitraum war also sehr überschaubar, höchstens eine Minute, und unsere Töchter blieben neben uns stehen und schauten uns genau auf den Teller. Hatten wir das Gemüse aufgegessen, ging wieder einer von uns mit ihnen ins Kinderzimmer und spielte.
In den nächsten Tagen und Wochen dehnten wir die Wartezeit immer ein kleines Stückchen weiter aus: "Bis ich meinen Tee ausgetrunken habe.", "Bis mein Teller leer ist", "Ich möchte mir noch einmal Nachschlag nehmen, geht doch schon vor und bereitet das Spielzeug vor." So schafften wir es geduldig, unsere Elternzeit auszudehnen. Die Mädchen gewöhnten sich daran, zunächst allein ins Kinderzimmer zu gehen, und fanden auch bald allein ins Spiel. Wichtig war, dass wir unsere Versprechen auch wirklich einhielten. Manchmal warteten wir zwar leise an der Kinderzimmertür, wenn beide gerade versunken im Flow waren, aber sobald sie wieder auftauchten, waren wir zur Stelle. Bald hatten wir Eltern nicht nur Zeit, in Ruhe aufzuessen, sondern sogar für Erwachsenengespräche. Die Stunde nach dem Abendbrot wurde also "Erwachsenenzeit" getauft, weil wir am Küchentisch saßen und Dinge besprachen. Für die Kinder war das "Alleine-Spiel-Zeit", in der sie ohne Erwachsene spielten. Damit waren sie gut gerüstet, um aushalten zu können, dass ein Kind Exklusivzeit mit einem Elter bekam.
Ist ein Kind in der Lage, allein zu spielen und andere für eine bestimmte Zeit in Ruhe zu lassen, hat es die erforderlichen Voraussetzungen, Exklusivzeit eines Geschwisters nicht zu stören. Der einzige Faktor, der noch hinzukommt, ist Eifersucht bzw. Neid. Selbstverständlich sind Kinder eifersüchtig oder neidisch, wenn ein Geschwisterkind für eine halbe Stunde die volle Aufmerksamkeit des Vaters oder der Mutter erhält. Doch das ist ein Punkt, der sich von allein verringert, wenn das entsprechende Kind merkt, dass es selbst auch in den Genuss dieser exklusiven Zuwendung kommt. Es mag also am Anfang zu Stress kommen, mit der Zeit werden aber alle Kinder verstehen, dass sie alle gleich profitieren. Besonders einfach wird es, wenn das andere Elternteil Zeit hat, den übrig gebliebenen Kindern vorzulesen oder eine Kissenschlacht mit ihnen zu beginnen. Außerdem wird ein zweites Elternteil am Anfang auch dafür gebraucht, kleinere Kinder tatsächlich davon abzuhalten, die Exklusivzeit zu sprengen, indem es zu den beiden hingeht. Es ist, wie gesagt, ein Lernschritt.
Ihr könnt die Exklusiv-Zeit einführen, indem ihr euch als Familie zusammen an den Tisch setzt und es ankündigt. Wir haben es weniger offiziell gemacht und einfach nebenbei beim Spielen bemerkt, dass wir gerne ausprobieren wollen, wie es sich für die Kinder anfühlt, wenn immer eins von ihnen für eine halbe Stunde Alleine-Zeit mit Mama habe. Unsere Kinder dürfen sich in ihren 30 Minuten aussuchen, was sie spielen wollen. Wir Eltern machen das mit, ohne zu maulen. Manchmal fällt uns das schwer, weil das Spiele sind, die uns langweilen, aber es bleibt dabei: Wir spielen, was das Kind mag.
Ganz am Anfang spielten wir vor allem "Einkaufsladen" und mussten gefühlt einhundert Mal die gleichen Einkaufsdialoge führen. Später ging es um "Meerjungfrauen-Angeln", Autorennen, Schleimherstellung, Kuchen backen oder Minecraft-Welten. Manchmal sollten wir beim Spielen nur zuschauen, oder uns wurde in epischer Breite erklärt, welches Plastik-Pferd wie heißt und warum. Manch ein Kind genoss es, mit mir spazieren zu gehen, und vor allem, wenn ich dabei Geschichten erzählte. Andere wollten lieber eine Kissenschlacht oder ein Nerf-Gun-Battle in der Exklusivzeit.
Wichtig ist, dass nichts, aber auch gar nichts diese 30 Minuten stört. Elternhandys sollten weggelegt, das Festnetztelefon ignoriert und Türenklingeln vom anderen Partner beantwortet werden. Es ist nicht wichtig, dass diese halbe Stunde immer zur gleichen Zeit passiert. Wichtig ist nur, dass es sie verlässlich gibt. Und wenn ihr keine Zeit habt, jedem eurer Kinder jeden Tag dreißig Minuten Aufmerksamkeit zu geben, passt die Zeitangabe auf eure Lebenswirklichkeit an: fünfzehn Minuten? Zehn Minuten? Vielleicht könnt ihr es auch nicht jeden Tag realisieren, sondern jedem Kind nur einmal pro Woche Exklusiv-Zeit einräumen. Und es kann durchaus vorkommen, dass ihr mal eine Woche lang überhaupt keine Zeit haben, weil euch die anderen Aufgaben über den Kopf wachsen - dann ist das eben mal so. Behaltet nur im Hinterkopf, die Exklusivzeit wieder aufzunehmen, wenn ihr es könnt. Denn letzten Endes ist es eine Investition in euer aller Wohlbefinden. Geschwister, deren Aufmerksamkeits-Tank gut gefüllt ist, streiten sich weit weniger, weil der Neid und die Eifersucht nachlassen.
Schauen wir uns nun noch einige Situationen an, in denen Eltern schnell entscheiden müssen, welchem Kind und welchem Bedürfnis sie Vorrang geben müssen.
Zwillinge wollen stillen und Windel gewechselt bekommen
Besonders schwer fällt die Entscheidung, wenn die betreffenden Kinder gleich alt sind, z. B. bei Mehrlingen. Möchte ein Kind beispielsweise stillen, und das andere braucht eine frische Windel, würden wir raten, zunächst zu stillen. Hunger lässt sich in diesem Alter nicht so gut aufschieben und fühlt sich an, wie ein Weltuntergang. Wisst ihr jedoch, dass euer Kind extrem schnell wund wird, priorisiert anders herum. Es hilft nichts – ein Kind wird abwarten müssen. Für euch wird es sich, egal wie herum ihr euch entscheidet, so anfühlen, als würdet ihr das eine Kind im Stich lassen, doch macht euch bitte keine Sorgen: Gute Bindung ist nicht leicht zerbrechlich. Es ist auch unnötig, immer alles perfekt zu machen. Gut ist gut genug! Und auch durchschnittlich ist gut genug.
Zwillinge: eins will gestillt, eins getragen werden
Versucht, das eine Baby hinten auf den Rücken zu binden, und das andere vorn. So könnt ihr das eine tragen und das andere währenddessen stillen. Sind zwei Erwachsene zur Verfügung, ist das ganze natürlich leichter – dann trägt ein Elternteil und das andere Elternteil stillt oder gibt die Flasche.
Besonders pragmatische Zwillingseltern gaben mir den Tipp, das hungrige Baby in eine Babyschale für das Auto zu setzen und ein Fläschchen mithilfe einer zusammengerollten Mullwindel so zu platzieren, dass es einerseits trinken, andererseits aber die Flasche auch wegstoßen kann, wenn es satt ist.
Ja, in diesem Szenario fehlt das sagenumwogende bindungsfördernde In-die-Augen-Schauen beim Stillen, aber seien wir ehrlich, ihr versucht gerade vermutlich, überhaupt den Kopf über Wasser zu halten. Machen wir euch nicht noch mehr Druck. In-die-Augen-Schauen geht auch abwechselnd und auch dann noch, wenn beide Babys satt und zufrieden sind.
Zwillinge: beide Babys wollten stillen, sind aber zu klein, um das Köpfchen selbst zu halten
Es gibt Stillpositionen extra für Zwillinge, und auch unterstützende Stillkissen, die es ermöglichen, mehr als ein Kind gleichzeitig zu stillen. Trotzdem ist das extrem schwierig, wenn beide Kinder noch so winzig sind, dass sie ihren Kopf nicht halten können. Wie oben schon angedeutet, nutzen viele Mehrlingseltern Babyschalen fürs Auto, in denen die Babys mit etwas aufgerichtetem Oberkörper liegen können, und legen dann die Milchfläschchen so, dass die Kinder nur noch nuckeln müssen.
Sind Sie zu zweit, könnten sie ein Kind stillen, und das andere könnte vom zweiten Elternteil mit der Flasche gefüttert werden. In der nächsten Runde tauschen sie. Die Kinder. Brüste tauschen geht ja nur selten.
Und überhaupt: Zwillinge
Zwillinge, Drillinge und Vierlinge sind eine echte Herausforderung, weil das Abwägen der Bedürfnisse durch das gleiche Alter schwieriger ist. Außerdem sind immer alle in den gleichen, manchmal anstrengenden, Phasen. Man hat also häufig nicht nur ein Kind, das wütend im Supermarkt auf dem Boden liegt, sondern zwei oder drei. Man hat nicht nur ein Kind, das die Wände anmalt, sondern auch noch seine Geschwister, die den Unfug kichernd anfeuern. Zu zweit und zu dritt kommt man einfach auf die unglaublichsten Ideen!
Einen richtigen Rat können wir nicht geben. „Durchhalten“, vielleicht. Die Zeit mit Mehrlingen ist in den ersten Jahren extrem intensiv. Oft müssen die Eltern über ihre eigenen Kraftgrenzen gehen, um halbwegs durch den Alltag zu kommen. Vielleicht hilft euch das: Ich habe vor neun Jahren interessiert in einem Zwillingsforum mitgelesen. Die Kinder dort waren alle etwa im Alter meiner Töchter. Jeden Tag wurden Fragen gestellt und beantwortet, es waren intensive Jahre und eine feste Onlinegemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützte.
Im Zuge der Recherche zu diesem Buch besuchte ich das Forum vor ein paar Wochen noch einmal und war sehr erstaunt zu sehen, dass seit mehr als einem Jahr dort niemand mehr gepostet hatte. Der letzte Eintrag: „Mädels, hier schreibt irgendwie keiner mehr… habt ihr alle keine Fragen und Probleme mehr?“ wurde mit einem einhelligen „Ach weißt du…irgendwann sind Zwillinge einfach auch nur noch normale Geschwister.“ beantwortet. Die extrem fordernden Schwierigkeiten der ersten Jahre verfliegen, wenn Mehrlinge älter werden. Haltet auch an diesem Wissen wie an einem Rettungsring fest.
Kinder kommen gleichzeitig nach Hause und wollen beide sofort loserzählen
Wenn eure Kinder gleichzeitig nach Hause kommen, beide sofort losreden und immer lauter werden, um von euch gehört zu werden, dann raten wir, erst einmal beide Kinder losprudeln zu lassen, möglichst beiden abwechselnd in die Augen zu schauen und so viel mitzubekommen, wie möglich. Später könnt ihr dann nochmal einzeln auf die Kinder zugehen und nachfragen. Die Exklusivzeit bietet sich dafür an, aber auch das Abendbrot oder einfach ein Gespräch auf der Bettkante.
Ein Kind hat etwas Wichtiges auf dem Herzen, das kleinere will aber dabei sein und versteht nicht, warum es weggeschickt wird
Seid ihr als Eltern zu zweit, könnt ihr mit dem einen Kind einen Spaziergang machen, während das kleinere Kind vom zweiten Elternteil bespielt wird. Habt ihr schon die Exklusivzeit eingeführt, müsste es möglich sein, das kleinere Kind auf später zu vertrösten. Es ist schwierig, an dieser Stelle das größere Kind zu bitten, das Problem erst später zu schildern, weil es häufig vorkommt, dass die Kinder dann die Lust oder den Mut verlieren. Wir raten daher, hier unbedingt die Priorität auf das Kind, das etwas auf dem Herzen hat, zu legen.
Kind will Ruhe und Abstand von Geschwistern, Geschwister wollen Nähe
Das Bedürfnis nach Ruhe geht vor. Aufgabe der Eltern ist es, dem ruhebedürftigen Kind die Möglichkeit zu geben, sich zurückzuziehen und möglichst die Tür hinter sich schließen zu können. Gleichzeitig ist es euer Job, den Wunsch der Geschwister „aufzufangen“, mit ihnen zu spielen, zu kuscheln, oder ggf. den Wutanfall zu begleiten.
Spielplatz und alle Kinder wollen gleichzeitig Hilfe
Sind wir mit unseren Kindern auf dem Spielplatz, kann es vorkommen, dass alle drei, vier oder fünf gleichzeitig um Hilfe bitten. Um das Verletzungsrisiko zu minimieren solltet ihr von Anfang an die Regel einführen: „Jeder darf nur so hoch klettern, wie er es alleine schafft“. Normalerweise sind öffentliche Spielplätze so aufgebaut, dass es für jedes Alter etwas Interessantes gibt: Buddelsand, Schaukeln, Schaukeltiere, Rutschen, Klettergerüste. Und da die Spielplatzbauer mitdenken, sind die gefährlicheren Sachen so gebaut, dass sie tatsächlich auch nur von größeren Kindern erklettert werden können.
Achtet mal darauf: Die untersten Sprossen von Leitern sind meist besonders hoch. Babys und Kleinkinder sollen bitte unten bleiben. Dürfen sich Kinder gefährlichen Gegenständen und Situationen in ihrem eigenen Tempo nähern, entwickeln sie dank eines ausgeklügelten Systems von kalkuliert gefährlichem Vorstoß und schamfreiem Rückzug eine sogenannte Erfahrungsangst. Diese ermöglicht es ihnen, einzuschätzen, welche Aufgabe sie schon meistern können und welche noch zu anspruchsvoll ist. So minimiert sich das Verletzungsrisiko drastisch [vgl. Renz-Polster/Hüther, 2013, S. 180f].
Wir Erwachsenen sollten in dieses System am besten nicht eingreifen. Wir brauchen sie nicht dazu drängen, die Rutsche doch mal auszuprobieren und wir sollten sie andererseits auch nicht davon abhalten, ein Gerüst zu erklettern, welches sie in der Lage sind, zu erobern. Nur so geben wir ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Fähigkeiten kompetent einschätzen zu lernen.
Mithilfe dieser „Alleine-schaffen“-Regel minimiert sich auch die Arbeit von uns Eltern, weil die Kinder seltener um Hilfe rufen müssen. Auch die Zeit spielt in unsere Hände: Während ich früher fast ununterbrochen auf einem Spielplatz auf den Beinen war, um zu helfen, kann ich mittlerweile auf der Bank am Rand sitzen, und ein Buch lesen.
© Snowqueen
In den weiteren Teilen dieser Serie erwarten euch:
Teil 1 - Mehrere Kinder ins Bett bringen
Teil 2 - Probleme wegen des Altersunterschiedes
Teil 3 - Einkaufen mit mehreren Kindern
Teil 5 - Aufbrüche, Abbrüche und Termine einhalten
Teil 6 - Heikle Orte
Vielen Dank für diesen umfangreichen und informativen Blogeintrag! Ich selbst habe mich schon viel mit der Thematik beschäftigt und findem dass der Beitrag auf den Punkt gebracht ist.
AntwortenLöschenMit freundlichen Grüßen,
Lisa
Toller Beitrag, die Erweiterung, die dem Lektorat unterstand, hat mir wirklich noch im Buch gefehlt :-(
AntwortenLöschenNur ein Problem habe ich leider immer wieder, welches ich auf Anhieb nicht finden konnte:
Mein Großer ist immer wieder in einem Dilemma, wenn ich am Stillen bin oder die Kleine füttere. Die Aufmerksamkeit ist ihm trotz eines Buches oder trotz dass ich beim Füttern mit ihm viel rede nicht genug. Immer wieder gibt es großes Geschrei und es wird einfach nicht besser. Habt ihr hier vielleicht einen Tipp?