Wie Kinder lesen und schreiben lernen

Gastartikel

1. Wie lernen Kinder lesen und schreiben? Oder: Was können Kinder eigentlich schon vor der Grundschule? 


Junge liest in einem BuchWenn man verstehen will, wie Kinder schreiben lernen, dann hilft es, sich bewusst zu machen, wie sie sprechen gelernt haben. Das ist nämlich ganz nebenbei passiert, ohne dass wir Erwachsenen großartig etwas steuern, beibringen oder korrigieren mussten. Die Kinder haben zugehört, alles Sprachliche in ihrer Umwelt aufgesaugt und im Laufe der Jahre immer komplexere Sätze hervorgebracht. Manchmal erstaunlich, manchmal witzig, manchmal geradezu verblüffend ähnlich zu unseren eigenen Sprechweisen und mit zunehmendem Alter immer situationsangemessener – bei Oma darf man am Tisch eben nicht kacken sagen.

Dass wir Erwachsenen unsere Stimme ein wenig verstellen, wenn wir mit einem Kind im Spracherwerb sprechen, ist ganz normal. Das nennt sich child directed speech oder Motherese und alle Menschen auf der ganzen Welt machen das mit ihren kleinen Kindern. Dass wir Erwachsenen einen Satz des Kindes wiederholen, in dem zum Beispiel ein Verb falsch gebeugt wurde, ist auch ganz normal. 

- Ich hab den Sand auf den Auto geladet.
- Du hast den Sand auf das Auto geladen. Schön! 

Das passiert alles nebenbei und das Kind lernt ohne darüber nachzudenken, wie das komplexe Sprachsystem funktioniert, in das es hineingeboren wurde.

Sollte man den Geschwistern etwas Kleines schenken, wenn ein Kind Geburtstag hat? °FAQ°

Natürlich wollen wir alle das Beste für unsere Kinder. Es ist schwer auszuhalten, wenn sie traurig sind, weil ein Geschwisterkind an einem Tag mehr als sie selbst bekommt. Das kann sein, weil es an diesem Tag Geburtstag hat. Oder vielleicht ist es zu einer Party oder Übernachtung bei seinen Freunden eingeladen, das Geschwisterkind aber nicht.

Vielleicht ist ihm auch ein Zahn ausgefallen und die Zahnfee kam zu Besuch. Möglicherweise wird ein Geschwister eingeschult, und die anderen müssen nun mit ansehen, wie es stolz die größte Schultüte aller Zeiten vor sich herträgt, während sie selbst noch in den Kindergarten gehen. Es gibt so viele potentiell unfaire Momente im Leben von Kindern. Und es kann sein, dass diese Momente unsere Kinder extrem stark mitnehmen. Dass sie weinen, wüten und sich anscheinend gar nicht mehr beruhigen können. Nur verständlich, dass wir liebende Eltern ihren Frust ein wenig abmildern wollen. Was macht da schon das eine oder andere kleine Mitgeschenk? Eine Mini-Schultüte, wenn der große Bruder eine Maxi-Schultüte bekommt? Oder eine kleine Aufmerksamkeit für das Nicht-Geburtstagskind?

Mädchen hat Geburtstag

Wenn Eltern schwer erkranken - wie man mit Kindern über Krankheiten und den Tod sprechen kann

Gastartikel
Brustkrebs bei MamaDas Robert-Koch-Institut schätzt, dass jährlich ca. 50.000 Kinder davon betroffen sind, dass ein Elternteil an Krebs erkrankt. Diese Zahl bezieht sich auf Neuerkrankungen. Die Zahl der Betroffenen (also Kinder und Jugendliche, deren Eltern aktuell von einer Krebserkrankung betroffen sind) liegt naturgemäß höher, hierzu liegen allerdings keine genauen Zahlen vor.

Wenn Mama an Krebs erkrankt


Ich bin im Dezember 2017 im Alter von 32 Jahren während der Stillzeit mit meinem dritten Kind an einer als besonders aggressiv geltenden Form von Brustkrebs erkrankt. Mittlerweile liegen 16 Chemotherapien, eine Mastektomie und 33 Bestrahlungen hinter mir. Als geheilt kann ich mich dennoch nicht bezeichnen, denn das Gefährliche am Brustkrebs ist nicht der Tumor in der Brust, sondern die Möglichkeit, dass Metastasen irgendwo im Körper auftauchen. Sobald Metastasen auftreten sollten, ist Brustkrebs nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft unheilbar und die Behandlung würde dann nur noch palliativ, nicht aber auf Heilung auszielend, aussehen.

Erziehung - kann es gut gehen, wenn Eltern eine unterschiedliche Haltung haben? °FAQ°

Eine der häufigsten Fragen, die uns gestellt wird, ist, ob es gut gehen kann, wenn die Eltern unterschiedliche Erziehungswege gehen - der eine Elternteil also bedürfnisorientiert und der andere eher "klassisch autoritär" oder "wie meine Eltern eben" erziehen möchte.

Die kurze Antwort ist: Ja, das kann gut gehen. Aber.
Die lange Antwort ist ein bisschen komplizierter.

ACHTUNG: In diesem Artikel wird über die Bindungshierarchie und die Positionen darin gesprochen. Die Erklärungen in diesem Artikel hierzu sind nicht allgemeingültig. Die Aussagen zur Bindungshierarchie in diesem Artikel beziehen sich ausschließlich auf die Konstellation "bindungsorientierter Elternteil/nicht-bindungsorientierter Elternteil" im Zusammenhang mit starken negativen Glaubenssätzen. Agieren beide Eltern bindungsorientiert, wird es trotzdem eine Nummer 1 und eine Nummer 2 geben - das ist völlig natürlich-, aber die hier aufgeführten Probleme werden nicht auftreten.

Fieber bei Kindern - wie fiebern lassen bei der Heilung helfen kann

Der erste wirklich schlimme Moment im Eltern-Dasein ist oft das erste hohe Fieber. Man ist fassungslos, wie drei bis vier °C höhere Körpertemperatur aus einem zufriedenen, fröhlichen Baby ein glühendes Häuflein Elend werden lassen. Am schlimmsten ist die empfundene Hilflosigkeit - der erste Impuls ist: "Das Fieber muss runter, damit es meinem Kind besser geht!" Das jedoch ist kontraproduktiv - denn Fieber ist notwendig, damit es dem Kind mittelfristig besser geht - auch wenn es kurzfristig darunter zu leiden scheint.

Studien zeigen: Je stärker und öfter das Fieber im Krankheitsverlauf gesenkt wird, desto langwieriger ist der Heilungsprozess. Manche Untersuchungen fanden zwar keinen Einfluss auf die Krankheitsdauer, in keiner Studie wurde jedoch eine verkürzte Krankheitsdauer durch Fiebersenkung beobachtet.



Fieber hilft Kindern bei der Heilung


Fieber ist die Erhöhung der Körperkerntemperatur zur Abwehr von eingedrungenen Fremdorganismen. Ab 37,5°C spricht man von "erhöhter Temperatur", ab 38,5°C von "Fieber", ab 39,8°C von "hohem Fieber". Die Körpertemperatur steigt übrigens im Tagesverlauf an - es ist daher durchaus normal, dass Säuglinge nachmittags oder abends eine Temperatur von bis zu 37,8 °C haben, ohne dass es sich um Fieber handelt.

Sobald die weißen Blutkörperchen Viren, Bakterien oder Pilze entdecken, senden sie ein Signal an das Gehirn, dass die Körpertemperatur erhöht werden soll. Fieber ist niemals Ursache einer Krankheit sondern eine äußerst effektive Abwehrmaßnahme des Körpers. Gerade kleine Kinder haben ein noch unzureichend ausgebildetes Immunsystem, sie haben daher Krankheitserregern nicht viel entgegen zu setzen, außer einem solchen Mechanismus. Da es ein körpereigener gesteuerter Prozess ist, kann man davon ausgehen, dass Fieber nur so hoch steigt, wie es erforderlich ist - kein Körper wird vorsätzlich die eigene Selbstzerstörung durch zu hohe Temperaturen riskieren. Die erhöhte Körpertemperatur bekämpft wirksam Viren und Bakterien - senkt man das Fieber vorschnell, wird dieser Prozess unterbrochen und die Krankheiterreger können sich weiter vermehren.

Wenn Fieber dauerhaft unterdrückt wird, dann beeinträchtigt dies das körpereigene Immunsystem bei der Infektabwehr, die Erkrankungen verlaufen dann u. U. länger und heftiger. Insbesondere am Anfang einer Erkrankung - also in der Phase in der sich die Erreger explosionsartig vermehren - sollte das Fieber daher nicht gesenkt werden, wenn der Allgemeinzustand des Kindes sonst gut ist. Schon ab 38,5 °C ist das Bakterienwachstum stark gehemmt. Eine hohe Temperatur aktiviert auch die Leukozyten, wodurch die Vernichtung und der Abtransport der Erreger deutlich schneller erfolgt. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass der Körper genau die Temperatur annimmt, die erforderlich sind, um die Erreger zu zerstören.

Fieberkurve - Woran man erkennt, ob Fieber sinkt oder steigt 


Fieber verläuft plateauartig - nach einem Anstieg bleibt die Temperatur über einen gewissen Zeitraum konstant und fällt dann wieder ab. Für die Phasen sind verschiedene Merkmale symptomatisch:

Anstieg/Steigen des Fiebers 


Frieren, kalte Hände und Füße, ggf. warmes Gesicht, Schüttelfrost, die Haut kann marmoriert und schlecht durchblutet sein (wird kurz mit dem Daumen auf ein Areal gedrückt, bleibt der Bereich zwei bis drei Sekunden weißlich).

In dieser Phase sollte der Patient gewärmt werden! Warme Tees wie Holunderblüten- oder Lindenblütentee unterstützen die körpereigenen Abwehrkräfte.

Plateauphase/Fieberstau 


Die Höchsttemperatur ist erreicht, der Körper ist gleichmäßig heiß. Das Kind ist extrem erschöpft und müde und sein Puls ist erhöht. Jetzt kann der Körper mit Waden- oder Pulswickeln unterstützt werden, die Wärme abzugeben. Zitronen im Wasser, in das die Wickel getränkt werden, erhöhen die fiebersenkende Wirkung.

Abfall/Sinken des Fiebers 


Hitzegefühl, Schwitzen, warme Hände und Füße, Rötung der Haut, labiler Kreislauf, Schwindel

In dieser Phase sollte das Kind möglichst leicht mit Baumwollkleidung bekleidet sein. Eine Waschung tut dem Kind gut - wenn das Wasser auf dem Körper lufttrocknet, unterstützt das die Temperatursenkung.

Der Fieberverlauf kann Indikator für bestimmte Erkrankungen sein. Bei einer Lungenentzündung liegt es bspw. mehrere Tage kontinuierlich über 39°C und schwankt um maximal ein 1°C. Bei Mittelohrentzündungen schwankt das Fieber stärker, bleibt aber stets über 38°C. Aus dem Verlauf kann also auch auf die Ursache geschlossen werden - natürlich nur, wenn nicht unnötig durch fiebersenkende Medikamente eingegriffen wird.

Wie misst man richtig Fieber? 


Die Ansicht, dass man ausschließlich beim rektalen Messen mit klassisches Fieberthermometer verlässliche Ergebnisse erhält ist weit verbreitet. Mittlerweile gibt es aber auch einige Thermometer die sehr zuverlässig sind. Wir haben uns für ein Braun Thermoscan entschieden und sind damit wirklich rundum zufrieden. Ich halte es für unnötig, ein Kind mit einer häufigeren rektalen Messung zu belasten - mit dem Ohrthermometer erhält man mittlerweile nach wenigen Sekunden exakte Ergebnisse - sogar im Schlaf, ohne dass man das Kind entkleiden muss (was gerade beim Fieberanstieg für die Kinder sehr unangenehm wäre).
 
Ein Tipp zur optimalen Temperaturermittlung mit dem Ohrthermometer: Erst sollte man einmal im eigenen Ohr messen - das Ergebnis wird genauer, wenn die Thermometerspitze kurz angewärmt wird. Man sollte nicht in einem Ohr messen, auf dem das Kind gerade im Schlaf gelegen hat - dort staut sich die Wärme. Stellt man bei den Ohren größere Messunterschiede fest, kann dies auf eine einseitige Mittelohrentzündung hinweisen, da im betroffenen Ohr das Trommelfell deutlich wärmer ist.

Richtiges Verhalten bei Fieber 


Es gibt zwar Kindern, denen man 40°C Fieber kaum ansieht, in der Regel aber werden die Kleinen bei höheren Temperaturen apathisch, schläfrig und quengelig. Das hat biologisch durchaus Sinn - ein krankes Kind, dessen Körper mit der Bekämpfung von Krankheitserregern beschäftigt ist, braucht Ruhe! Mit hohem Fieber haben die wenigsten Kinder Lust, sehr aktiv zu sein - in der Regel werden sie das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf verspüren. Wichtig ist: Möglichst viel trinken! Meist haben Kinder ohnehin ein ausgeprägtes Durstgefühl.

Wenn man zu fiebersenkende Maßnahmen ergreift, beobachtet man oft ertaunliches: eben noch schlapp und wimmernd in Mamas Arm gelegen, nach 30 Minuten plötzlich wieder tanzend durch das Wohnzimmer - dem Kind geht es scheinbar schnell besser. Man hat das Gefühl, etwas Gutes, Helfendes getan zu haben, das Übel quasi beseitigt zu haben, doch eigentlich hat man die Selbstheilung des Körpers unterbrochen und er wird zusätzlich belastet. Daher sollte man - sofern nichts dagegen spricht - ein Kind fiebern lassen. Wenn ein Kind auch über Schmerzen klagt, sollte man es natürlich nicht unnötig leiden lassen oder ihm ein Schmerzmittel vorenthalten, damit es möglichst effektiv fiebert.

Vor allem vor dem Schlafengehen sollte man abwägen, ob man ein fiebersenkendes Medikament gibt - viele Kinder schlafen nach der Gabe eines Fiebermittels wesentlich ruhiger und ein entspannter Schlaf ist für die Heilung natürlich besser, als stundenlanges Herumgewälze.

Wichtig ist auch: Ruhe bewahren! Wenn ein Kind die Angst und Unruhe der Mutter spürt, überträgt sich das. Daher ist Ruhe und Entspannung mit das Wichtigste für schnelle Genesung. Denn das Kind spürt, "Mit mir stimmt was nicht, aber Mama ist ruhig, alles wird gut."

Wann sollte man Fieber senken? Wann muss man (schnell) zum Arzt? 


Es gibt altersabhängige Regeln: Für Kinder, die jünger als 3 Monate sind, ist Fieber bereits ab 37,8°C bedenklich. Das Baby muss sofort zum Arzt, damit eine Sepsis ausgeschlossen werden kann. Die Ursache ist in den allermeisten Fällen nicht tragisch, aber selbst lebensgefährliche Zustände verursachen oft kein höheres Fieber.

Zwischen 3 und 6 Monaten sollte ab 38,2 °C ein Arzt aufgesucht werden, ab 6 Monaten ab 39,2 °C. Ab 6 Monaten gilt außerdem: Fühlt sich das Kind gut (und das kann tatsächlich auch mit 39,5 °C der Fall sein), ist es nicht erforderlich, das Fieber zu senken. Hat das Kind den ganzen Tag gefiebert, bietet es sich an, zum Schlafen das Fieber zu senken, damit ein paar Stunden erholsamer Schlaf möglich ist.

Wenn das Kind apathisch ist, weint und wimmert, kaum reagiert und Flüssigkeiten verweigert, sollte das Fieber gesenkt werden. Bessert sich der Zustand nicht oder leidet das Kind zusätzlich an Erbrechen, Durchfall, Atemnot oder starke Kopf-/Bauchschmerzen haben, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.

Ab 41,5°C wird Fieber gefährlich - es ist nach Ansicht von Medizinern theoretisch ausreichend, wenn mit einer Senkung ab 41,0°C begonnen wird. Ein Anstieg über 41°C ist im Übrigen sehr, sehr selten, und bedarf dann einer sofortigen ärztlichen Behandlung. Dies erfordert aber zugegebenermaßen starke Nerven - aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man es selten schafft, Fieber mit einem "guten Gefühl" einfach inaktiv zu begleiten. Man sollte sich immer bewusst machen: Der Körper steuert das Fieber aktiv. Er wird nichts tun, um sich selbst zu schaden!

Um es ganz deutlich zu sagen: Bei Kleinkindern muss und sollte man Fieber bis 40°C nicht senken, wenn es dem Kind einigermaßen gut dabei geht. Es ist auch nicht erforderlich, die Temperatur nachts zu überwachen oder gar ein friedlich schlafendes Kind zum Fiebermessen zu wecken. Schlaf heilt! Und wenn das Fieber steigt, wird sich das Kind wegen des Unwohlseins ganz sicher melden.

Wie kann man Fieber senken? 


Fieber sollte langsam gesenkt werden - mehr als 0,5 bis 1 Grad Celsius auf einmal belasten das Herz-Kreislauf-System zu sehr.

Grundsätzlich sollten fiebernde Kinder mit warmen Händen möglichst leicht bekleidet sein. Ist das Fieber sehr hoch, bietet es sich an, das Kind komplett auszuziehen (bei Babys auch vorübergehend die Windel - sie bedeckt bis zu 1/3 der Körperoberfläche!).

Wickel 


Das bekannteste Hausmittel zur Fiebersenkung sind Wadenwickel (geeignet ab 6 Monaten). Diese sollten nur gemacht werden, wenn das Kind warme Hände und Füße hat. Tücher (Waschlappen, Handtücher) mit lauwarmem Wasser (bei älteren Kindern auch kühler) befeuchten, um die Waden wickeln und ein trockenes Tuch darüber wickeln. Nach 10 bis 20 Minuten können die Wickel erneuert werden (maximal drei mal wiederholen).

Alternativ können Socken in Essigwasser (vier Fünftel Wasser, ein Fünftel Obstessig oder Zitronensaft) getaucht und angezogen werden - ein paar weitere Socken drüber ziehen oder mit einem Handtuch umwickeln. Die Socken bleiben zwei bis drei mal am Tag für maximal eine Stunde am Fuß. Essigstrümpfe sind für Kinder ab einem Jahr geeignet.

Pulswickel können auch bei ganz kleinen Babys gemacht werden. Dabei werden Stofftaschentücher schmal zusammengefaltet. Eine Hälfte wird in lauwarmes Wasser (mit einem Spritzer Essig oder Zitronensaft getaucht und dann das Tuch mit der feuchten Hälfte beginnend um das Handgelenk gewickelt (die trockene Hälfte bildet also den Abschluss). Der Wickel kann bis zu 3 mal nacheinander gemacht werden, danach sollte eine Pause von mindestens 3 Stunden erfolgen. 

Medikamente 


Zur Fiebersenkung sind zwei verschiedene Wirkstoffe im freien Handel erhältlich: Paracetamol (ab Geburt) und Ibuprofen (ab 3 Monaten). ASS (Aspirin) und Novalgin dürfen keinesfalls verabreicht werden! Die Wirkstoffe sind in Zäpfchen oder Saftform für Kinder erhältlich. 

Ibuprofen senkt das Fieber schneller, als Paracetamol (in Studien ca. 42 Minuten vs. 71 Minuten). Dafür hält die Wirkung von Paracetamol in der der Regel jedoch länger an. Das bessere Nutzen-Risiko-Profil hat Paracetamol.

Die Dosierung ist stets alters- und gewichtsabhängig (bitte immer in die Packungsbeilage schauen!). Entscheidend dabei ist immer das Gewicht, nicht das Alter.

Oft liest man, dass die Wirkstoffe auch kombiniert genommen werden können. Das ist grundsätzlich in der Tat möglich, ist aber wirklich nur in extremen Fällen zu empfehlen. Die Präparate sind darauf ausgelegt, dass sie für den angegebenen Zeitraum Schmerzen bekämpfen, daher sollte ihre Wirkung so lange anhalten. In Bezug auf das Fieber ist ein Anstieg zwar vor der nächsten Medikamentengabe möglich, aber wie bereits ausgeführt, sollte Fieber nicht so schnell gesenkt werden. Gerade, wenn das Fieber schnell wieder steigt, sollte man sich fragen, warum es das trotz ausreichender Medikation tut. Offenbar ist der Körper gerade extrem damit beschäftigt, Keime zu bekämpfen - man sollte ihm die Chance dazu lassen!

Man sollte stets im Kopf behalten, dass eine Überdosierung von Paracetamol Leberschäden und ein Zuviel an Ibuprofen Nierenschäden verursachen kann. Paracetamol kann auch schnell gefährlich überdosiert werden - hier gilt besondere Vorsicht! Wer sich zu den Wirkstoffen genauer informieren möchte, kann das hier  (Paracetamol) oder hier (Ibuprofen) tun.

Homöopathie bei Fieber 


Wer Fieber gerne homöopathisch behandeln möchte, findet auf dieser Seite eine sehr gute Zusammenfassung.

Anzeichen für Flüssigkeitsmangel 


Fieber ist so lange unproblematisch, so lange keine Fieberkrampfgefahr besteht und keine Austrocknung droht. Einen bedrohlichen Flüssigkeitsmangel erkennt man an folgenden Symptomen: 
  • verminderte Urinausscheidung, seltenes Urinieren, dunkler Harn, stechender Geruch, trockene Windel,
  • eingefallene Fontanelle,
  • die Zunge ist trocken und belegt,
  • die Lippen sind rissig und spröde,
  • es besteht Durst,
  • Gewichtsabnahme und
  • Verstopfung.

Wenn man Symptome eines Flüssigkeitsmangels feststellt, sollte man sein Kind umgehend einem Arzt vorstellen.

Wenn das Kind Getränke verweigert (was nicht selten ist - der Körper ist in der Regel mit sich selbst beschäftigt), kann man das Kind auch an einem feuchten Waschlappen lutschen lassen. Manche Kinder nehmen auch gerne löffelweise Wasser zu sich. Man sollte darauf vertrauen, dass sich der kindliche Körper holt, was er benötigt - manchmal haben die Kinder erst in der Phase in der das Fieber abfällt wieder Durst.
Fieber macht Durst

Fieberkrämpfe 


Etwa 4 % aller Kinder zwischen 6 Monaten und 5 Jahren haben im Laufe ihres Lebens einen Fieberkrampf. Die Neigung zu einem gewissen Teil auch genetisch bedingt, daher ist die Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch Geschwister betroffen sind. Die Krämpfe verlaufen meist unkompliziert und sind kein Hinweis darauf, dass eine Epilepsieneigung vorliegen könnte.

Ursache für einen Fieberkrampf ist ein sprungartiger Anstieg oder Abfall der Körpertemperatur. Daher kann auch das Verabreichen von fiebersenkenden Medikamenten unter Umständen einen solchen Krampf durch den schnellen Temperaturabfall auslösen! Die Gefahr für Fieberkrämpfe erhöht sich auch dadurch, dass das Kind nach dem Nachlassen der Wirkung des Medikaments immer wieder mit einem erneuten Anstieg kämpfen muss, während beim "Fiebern lassen" die Temperatur auf einem Plateau bleibt.

Es gibt verschiedene Arten von Fieberkrämpfen. In der Regel wird das Kind blass und steif, verdreht die Augen, bekommt blaue Lippen beginnt unkontrolliert zu zucken und zu krampfen. Es droht eine Ohnmacht. In manchen Fällen bleibt das krampfartige Zucken aus - das Kind wird steif und die Atmung setzt aus. Die Augen sind verdreht und das Kind wirkt "wie tot"

Der Krampf dauert in der Regel 10 bis 30 Sekunden, selten länger als 2 - 3 Minuten. Der Notarzt sollte beim ersten Mal immer gerufen werden, in jedem Falle aber, wenn ein Atemstillstand auftritt oder sich der Krampf wiederholt.
Während des Krampfes sollte das Kind nicht festgehalten werden, es sollte darauf geachtet werden, dass sich das Kind nicht verletzen kann, in dem man beispielsweise den Kopf in einem weichen Kissen lagert. Ideal wäre die stabile Seitenlage. Die Kleidung kann gelockert werden, es sollte sich nichts im Mund befinden (Schnuller, Nuckelflasche).

Nach dem ersten Krampf wird der Arzt Diazepam als Rektiole (Ampulle für die rektale Anwendung) verschreiben, die bei einem erneuten Krampf verabreicht werden kann. Nach dem Auftreten eines Fieberkrampfes wird derzeit empfohlen, Fieber konsequent ab 38,5 °C zu senken. Allerdings hat eine aktuelle Studie die Vermutung bestätigt, dass dies nicht den gewünschten prophylaktischen Effekt hat. Die Wiederholungswahrscheinlichkeit für einen Fieberkrampf ist umso größer, je früher der erste Krampf auftrat und je tiefer die Temperatur beim ersten Krampf war. 

Noch mehr zum Fieberkrampf könnt ihr in einem gesonderten Artikel zu Anfällen, die man als Eltern kennen sollte, lesen.

Zum Thema Fieber gibt es auch einen tollen Podcast von uns mit Dr. Rupert Dernick, der auch einen interessanten Artikel zu Fieber geschrieben hat. 

© Danielle (mit der Unterstützung unserer wunderbaren Blog-Ärztin Laetizia)


Streit zwischen Geschwistern - warum Geschwisterstreit wichtig ist und wann wir eingreifen müssen

Geschwister können über alles und nichts streiten - warum?



Evolutionsbiologisch betrachtet ist immer der Kampf um Ressourcen der Hauptstreitpunkt zwischen Geschwistern - insbesondere um die Aufmerksamkeit der Eltern. Das ist heute noch so. Im Prinzip konkurrieren die Kinder darum, von den Eltern wahrgenommen und versorgt zu werden. Wenn die Eltern es schaffen, dieses Bedürfnis bei allen Kindern zu befriedigen, gibt es wenig Streit. Haben ein oder mehrere der Kinder aber das Gefühl, auf emotionaler Ebene zu kurz zu kommen, dann fangen sie an, gegen die Geschwister zu pöbeln. Oft wird dann aber um etwas gekämpft, was im ersten Augenblick nichts mit der Aufmerksamkeit der Eltern zu tun hat: Um den blauen Becher, oder um den Platz am Fenster, oder wer das größere Stück Kuchen bekommen hat zum Beispiel. Das liegt daran, dass uns Menschen unsere eigentlichen Bedürfnisse selten klar sind. Wir können eher erkennen, was wir uns wünschen und kämpfen dann darum, diesen Wunsch erfüllt zu bekommen. Wir übersehen dabei aber, dass der oberflächliche Wunsch das tiefergehende Bedürfnis verdeckt. Eine Mutter erzählte mir mal, ihre Kinder hätten einen erbitterten Streit gehabt, weil die Tochter fand, ihre Hälfte der Kiwi hätte zu wenig schwarze Kerne. Ein andere Mutter beschwerte sich seufzend bei mir, ihr großer Sohn sei in Tränen der Wut ausgebrochen, weil sein kleiner Bruder an diesem Tag eine Impfung bekam und er nicht. An der Absurdität dieser Beispiele sieht man schon, dass da etwas ganz anderes dahinter stecken muss. Und fast immer ist das, wie gesagt, das Bedürfnis nach der Aufmerksamkeit, Zeit und Liebe der Eltern.

Brüder wenden sich voneinander ab

Das Problem dabei ist, dass mit der Zeit auch "gefühlte Wahrheiten" eine Rolle dabei spielen, ob ein Kind denkt, es sei benachteiligt. Ein kleines Beispiel aus meiner eigenen Familie: Ich nehme meine große Tochter oft auf Reisen mit, weil sie im Alltag eher diejenige ist, die zurückstecken muss, wenn die Geschwister um meine Aufmerksamkeit buhlen. Ich versuche das also mit Exklusivzeit auszugleichen. Auf einer dieser Reisen bekam sie von dem Veranstalter drei Plüschtiere geschenkt. Ein riesiges und zwei kleine. Und ich habe mich schwer zusammengerissen, ihr nicht vorzuschlagen, sie möge die beiden kleinen Kuscheltiere zuhause an ihre Geschwister verschenken. Ich wusste, ich durfte mich nicht einmischen. Also habe ich nichts gesagt. Sie hat die Kuscheltiere auch zunächst für sich behalten. Erst ein paar Wochen später, in einem Moment, in dem sie vor Liebe überschäumte, schenkte sie eines ihrem kleinsten Bruder und eins ihrer Schwester. Als wir beide nun wieder unterwegs waren, erinnerte sie sich an die Situation jedoch anders. Sie meinte, ich hätte ihr damals gesagt, sie solle die beiden Kuscheltiere teilen, so wie sie "immer alles teilen muss". Ihre gefühlte Wahrheit hat also in ihrer Erinnerung den echten Vorgang verdrängt. Das ist ein Problem! Denn dann kommt zu der echten Benachteiligung auch noch eingebildete Benachteiligung und alles wirkt viel, viel schlimmer, als es ist. Sie hat durchaus recht damit, dass ich sie oft bitte, zu teilen, weil ich das Geschrei der Kleinen schlecht aushalte. Ich möchte gern Ruhe und nicht schon wieder ein weinendes Kind begleiten. Aber bei den Kuscheltieren war das, wie gesagt, anders gewesen. Als wir nun darüber sprachen, fiel mir auf, wie sich stark gefühlte Wahrheiten auf das Geschwisterverhältnis und auch auf das Gefühl des Geliebtwerdens auswirken kann. Man muss als Eltern also sehr darauf achten, ob ein Kind "immer muss ich..." oder "nie darf ich..." sagt, denn das kann auf gefühlte Wahrheiten hinweisen. Tatsächlich ist es so, dass man seinen Kindern im Hinblick auf die Geschwister nicht zu viel abverlangen sollte. In meinem Fall heißt das: Meiner Großen nicht so oft zu sagen, sie soll zurückstecken, damit ich mich nicht mit einem weinenden Geschwisterkind auseinandersetzen muss. Sie sollte die Chance haben, selbst zu entscheiden, ob sie sich in dem Moment egoistisch oder sozial verhalten möchte. Erzwungene Rücksichtnahme bringt ja einen Menschen nicht dazu, wirklich rücksichtsvoll zu werden.

Moment - wir sollen einfach dabei zusehen, wenn unsere Kinder sich egoistisch verhalten? Aber es ist doch unsere Aufgabe als Eltern, ihnen zu zeigen, was richtig und was falsch ist. (Gibt es Gründe, warum Streit wichtig sein kann?)


Nun, es ist unsere Aufgabe, ihnen beizubringen, was in unserer Gesellschaft sozial anerkannt ist, das stimmt. Es ist jedoch nicht unsere Aufgabe, ihnen die Entscheidung abzunehmen, sich sozial oder asozial zu benehmen. Sie müssen schon selbst rausfinden, was passiert, wenn sie sich z. B. wie ein Arschloch aufführen. Erst etwa um den vierten Geburtstag herum lernen Kinder, die Sicht eines anderen einzunehmen und sich auch in ihn einzufühlen. Das ist ein kognitiver Meilenstein und nur, wenn diese neuronalen Voraussetzungen geschaffen sind, können Kinder Vermutungen über die Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen und Meinungen von anderen aufstellen. Die Voraussetzungen für soziales Verhalten sind also gelegt. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass Kinder ab diesem Alter anfangen, mit anderen zu diskutieren, zu verhandeln, sie zu bestechen oder zu überreden und natürlich auch mit ihnen zu streiten. Das Alter von etwa 5 bis etwa 10 ist quasi die natürliche Spielwiese, um soziales Miteinander einzuüben und herauszufinden, wer und wie man als Mensch sein will. Demnach ist das Streiten zwischen Geschwistern bzw. auch unter Freunden ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt, den wir nicht unterbrechen sollten. Wir sollten unsere Kinder nicht vom Streiten abhalten. Wir sollten ihnen aber helfend zur Seite stehen, um eine positive Streitkultur zu entwickeln. Weder sollten unsere Kinder nach dem Darwinschen Leitsatz "Der Stärkere setzt sich durch" leben, noch unbedingt "Der Klügere gibt nach" verinnerlichen. Eine Balance zwischen Durchsetzen und Nachgeben zu erlernen ist wichtig, und dabei können und sollten Eltern ihre Kinder unterstützen.

Oft reagiert man als Elternteil mit lauter Stimme, man fühlt sich gestört oder ist genervt. Wie greife ich als Elternteil ein, wenn sich Geschwister zoffen? Geht es nicht oft nur darum, einen Schuldigen zu benennen?


Die Antwort auf diese Frage könnte ein ganzes Buch füllen - und wird sie auch, denn wir schreiben ja gerade an einem Geschwisterbuch. Ich kann aber versuchen, einen kleinen Einblick zu geben in das komplexe Thema. Zunächst einmal: Nein, es geht nicht darum, dass Eltern den Schuldigen herausfinden. Den Schiedsrichter zu spielen ist eine schlechte Idee. Denn oft ist der wahre Ursprung des Streites nicht mehr herauszufinden und wenn man dann dem einen Recht gibt, ist der andere sauer, fühlt sich weniger geliebt oder ungerecht behandelt. Das führt auf Dauer zu Unmut. Sowohl dem Geschwisterkind, als auch den Eltern gegenüber. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Streits der Kinder zu lösen. Unsere Aufgabe ist höchstens, sie zu begleiten. Ich sagte ja schon, dass das Alter zwischen 5 und 10 Jahren wichtig ist, um Streiten zu lernen. Insofern ist es wichtig, Streit unter Geschwistern zuzulassen. So können alle Kinder ihre egoistischen Interessen bis zu einem gewissen Grad durchzusetzen versuchen. Sie müssen dann aber eben auch erleben dürfen, was das mit dem anderen macht. Dass der Bruder oder die Schwester vielleicht anfängt zu weinen oder wütend zu werden, wenn ich alle Gummibärchen für mich behalte, ist ja eine immens wichtige Richtschnur für eigenes Verhalten. Und dieser schmale Grad muss für zukünftige Konflikte im Gehirn als Referenzsituationen abgespeichert werden können. Es ist völlig unnötig, sich als Erwachsene da einmischen und das gummibärchen-hortende Kind für seinen Egoismus zu schelten. Das würde den Lerneffekt eher zunichte machen, weil dann die natürliche Scham, das Geschwisterkind zum Weinen gebracht zu haben, übertüncht würde durch die Kränkung, ausgeschimpft worden zu sein. Diese Kränkung kann dem Geschwisterkind zur Last gelegt werden - wenn es nicht um Gummibärchen gebettelt hätte, wären die Eltern schließlich nicht sauer geworden. Mischen wir uns dagegen nicht ein, entsteht ein eher natürlicher Prozess: Das Kind erlebt die Folgen seines Handelns. Wenn es Gummibärchen nicht abgibt, kann es sein, dass der andere traurig wird. Das auszuhalten ist schwer. Deshalb wird es beim nächsten Mal ganz sicher zumindest eine Handvoll Gummibärchen teilen.

Gar nicht einzugreifen ist aber nicht in allen Fällen gut. Negatives Streiten in Form von unzulässiger Gewalt oder degradierenden Aussagen sollte nicht durch Ignorieren normalisiert oder unterstützt werden. Da muss von den Erwachsenen, die die Normen unserer Gesellschaft schon kennen, ganz klar gemacht werden, dass das Kind eine Grenze überschritten hat, die es nicht überschreiten darf. Das muss jedoch nicht schimpfend und zeternd sein. Oft ist das echte geschockte Lufteinziehen der Eltern und ihr entsetzter Gesichtsausdruck schon Rückmeldung genug. Und dann kann man hinterher mit ruhiger Stimme erklären, was an der Aktion des Sprösslings nicht gesellschaftskonform war.

Apropos gesellschaftskonform: Kleinkinder streiten oft handgreiflich. Da wird dem Zwillingsbruder schon mal die Buddelschippe über den Kopf gezogen oder die Schwester gekniffen. Da die neuronalen Bahnen in ihrer Kontrollschleife im Gehirn noch nicht angelegt sind, können sie in dem Alter den Impuls, zuzuhauen, nicht unterdrücken. Man kann also so viel erklären oder schimpfen wie man will, beim nächsten Ärger werden sie trotzdem wieder zuhauen. Weil sie gar nicht anders können. Beim Eingreifen in Streits müssen Erwachsene also auch immer wieder das emotional-soziale Alter der Kinder im Auge behalten und eben ihre Reaktion darauf abstimmen. Ein Einjähriges, das beißt, um den Baustein vom Bruder zu bekommen, kann im Prinzip nur seinem Impuls folgen und Aufgabe der Eltern wäre da, ihm zuvor zu kommen und ihn vom Beißen abzuhalten. Ein Zehnjähriger, der beißt, hat ganz andere neuronale Voraussetzungen und sollte seine Impulse schon so weit unter Kontrolle haben, um eben nicht zuzubeißen. Passiert es doch, wäre Aufgabe der Eltern, mit ihm zu erkunden, welche Wutsignale seines Körpers er gespürt hat und wie diese ihm helfen können, das nächste Mal aus der Situation zu gehen, bevor er zubeißt. Das ist sehr viel mehr wert, als Schimpfen und Bestrafen.

Geschwister streiten sich


Was kann ich als Elternteil tun, wenn die Geschwister gar nicht miteinander auskommen?


Es ist eigentlich von der Natur so vorgesehen, dass Kinder, die mehrere Jahre zusammenleben, eine Bindung zueinander aufbauen, also sich gewissermaßen lieben lernen. Diese Kinder müssen nicht genetisch verwandt sein - es reicht, dass sie von den gleichen Eltern versorgt werden. Dann sehen sie sich als Geschwister an, Gene hin oder her. Nun gibt es ja unzweifelhaft trotzdem sehr viele Geschwister, die nicht miteinander auskommen oder sich gar hassen. In den allermeisten Fällen ist das zurückzuführen auf eine nicht aufgelöste nachgeburtliche Geschwisterkrise. Diese Krise - auch Enttrohnungsphase genannt - tritt etwa im ersten Jahr nach Geburt eines Geschwisterkindes auf. Ganz kritisch sind dabei meist die ersten drei Monate, aber auch die restliche Zeit ist schwierig. Das erstgeborene Kind hat oft extremen Liebeskummer, wenn ein neues Baby geboren wird. In seinen Augen betrügen seine Eltern es gerade mit dem neuen Erdenbürger. Es hat das Gefühl, nicht zu genügen und nicht mehr so geliebt zu werden, wie vorher. Oft muss es zurückstecken, weil es "doch schon groß" ist. Die Erstgeborenen reagieren dann ganz unterschiedlich. Viele werden aggressiv, manche werden selbst wieder zum Baby, andere ziehen sich zurück und verhalten sich so unauffällig, wie möglich. Wenn die Eltern auf das Verhalten ihres großen Kindes falsch reagieren - wenn sie das aggressive Kind z. B. schimpfen und bestrafen oder das regressive Kind auffordern sich nicht so babyhaft zu benehmen - dann verfestigt sich das Gefühl des Ungeliebtseins und des Weggestoßen-Werdens beim ältesten Geschwister. Es schaut eifersüchtig und neidisch auf das Nachgeborene, welches liebevoll umsorgt wird. Die eigene Verletztheit, das Gefühl der Wertlosigkeit und der scheinbare Verlust der Liebe werden dann natürlich dem kleinen Bruder oder der kleinen Schwester vorgeworfen. Er bzw. sie ist Schuld an der Misere. Der Grundstein für eine möglicherweise lebenslange Antipathie - manchmal sogar für Hass - ist gelegt. Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es also ist, das ältere Kind in der nachgeburtlichen Geschwisterkrise aufzufangen. Egal, wie gemein es sich gebärdet, Eltern sollten immer im Hinterkopf behalten: Diesem Kind wurde gerade das Herz gebrochen und es hat jedes Recht der Welt, wütend zu sein. Die Eltern müssen diese Wut auffangen und dem Kind das Gefühl geben, weiterhin so geliebt zu sein, wie vorher. Sie müssen es unbedingt lieb haben und sich nicht abwenden, weil es sich in ihren Augen falsch verhält. Das ist anstrengend, aber machbar. Und selbst, wenn die Geburt des Geschwisterkindes schon mehrere Jahre zurückliegt und die Kinder sich seitdem ständig in den Haaren hängen, ist es immer noch möglich, die Krise aufzulösen. Das ist natürlich umso schwerer, je älter die Kinder sind, aber zu spät ist es nie. Manchmal bedarf es allerdings professioneller Hilfe.

Kann ich das Verhältnis meiner Kinder positiv beeinflussen? 


Neben dem eminenten Punkt, das ältere Kind in der nachgeburtliche Geschwisterkrise liebevoll zu begleiten, ist es wichtig, den Aufbau einer festen Bindung zwischen den Geschwistern zu unterstützen. Meist ist den Eltern gar nicht bewusst, dass das ein Punkt ist, auf den sie achten sollten. Ihnen ist zwar klar, dass sie selbst eine feste Bindung zum Neugeborenen aufbauen müssen - und oft wissen sie sogar sehr gut, wie das geht. Aber dass auch die Bindung zwischen den Kindern unterstützt werden muss, ist vielen Eltern nicht klar. Schon gar nicht wissen sie, wie das geht. Zwischen Kindern entwickelt sich Bindung vor allem durch Körperkontakt und durch Spielen. Die Erstgeborenen wollen ihr Geschwisterkind sehr oft berühren, meist in den unmöglichsten Situationen, z. B. wenn es schläft. Oder sie fassen es unsanft an, wollen es herumtragen, pieken ihm in die Augen etc. Die Eltern sehen das natürlich nicht so gern. Sie haben oft Angst um das Kleine und der Beschützerinstinkt wird stark getriggert, wenn das Baby zu rabiat angepackt wird. Letzten Endes sind das aber alles Versuche des großen Geschwisterkindes, Nähe und Bindung aufzubauen. Man muss ihm viele Gelegenheiten bieten, mit dem Baby zu kuscheln, es zu streicheln usw. Man muss ihm, gerade, wenn das Erstgeborene selbst noch sehr klein ist, zeigen, was sich für das Baby schön anfühlt und wie es es berühren darf. So wird das natürliche Bedürfnis in gute Bahnen gelenkt.

Positiv beeinflussen kann man das Geschwisterverhältnis auch, indem man von Hierarchien Abstand nimmt. Eigentlich sind wir es von früher gewohnt, dass das älteste Geschwisterkind die meisten Rechte, aber auch die meisten Pflichten hat. Zu den Pflichten gehörte oft auch, auf die Geschwister aufzupassen, wenn die Eltern nicht da sind. Heute wissen wir, dass diese Art von Hierarchie eher zu Stress zwischen den Kindern führt. Die Großen finden es verständlicherweise ätzend, immer die Verantwortung zu haben und darauf achten zu müssen, dass den Kleinen nichts passiert. Sie können nicht das tun, was sie wollen, also z. B. frei mit ihren Freunden rumrennen, weil da immer ein Geschwisterkind am Rockzipfel hängt. Die Kleinen wiederum mögen es nicht, vom Ältesten herumkommandiert zu werden. Der menschliche Charakter stemmt sich mit aller Kraft dagegen, beherrscht zu werden, das ist bei Erwachsenen und Kindern gleich. Auch wir Erwachsenen finden es unangenehm, gehorchen zu müssen. So geht es Kindern auch. Sie würden normalerweise ihr älteres Geschwisterkind als natürliche Autorität anerkennen, aber nicht, wenn sie nicht die freie Wahl haben. Wenn sie von den Eltern aufgezwungen bekommen, auf den älteren Bruder oder die ältere Schwester hören zu müssen, werden sie sich nur zähneknirschend fügen und jede Gelegenheit nutzen, es ihm oder ihr schwer zu machen. Günstiger ist eine Familienform, in der jedes Mitglied das Recht hat, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen - also unabhängig vom Alter eigene Entscheidungen zu treffen. Die kleineren Geschwister sind nicht gezwungen, auf das größere zu hören, können sich aber freiwillig dafür entscheiden (und tun es meist auch). Die Größeren sind nicht gezwungen, auf die Kleineren aufzupassen, können das aber freiwillig übernehmen. Für die Eltern ist diese Art des Zusammenlebens ein bisschen anstrengender, weil sie das Nein eines Kindes - z.B. das Nein des Größeren, den kleinen Bruder mit zum Eisladen zu nehmen - akzeptieren müssen. Und dann müssen sie eben überlegen, wie es anders gehen könnte: Gehen sie dann selbst mit dem Kleinen? Kann der Kleine schon allein gehen? Kann der Kleine ein bisschen abwarten und sie gehen später mit ihm? Auf der anderen Seite macht es das für Eltern aber auch leichter, weil so nämlich das ständige Gemaule und Gestreite der Geschwister wegfällt. Wer nicht zu Nähe gezwungen wird, kann entspannter beieinander sein.

Großer Bruder passt auf den kleinen Bruder auf


Wie kann ich das Geschwisterverhältnis stärken?


Ich hatte gerade schon das gemeinsame Spielen erwähnt, das eine gute Bindung zwischen Geschwisterkindern stärkt. Normalerweise beginnen Kinder sofort mit Spielen, wenn sie von Erwachsenen in Ruhe gelassen werden. Manchmal unterscheiden sich aber die Spieltypen der Geschwister sehr, was es schwierig machen kann, ihre Interessen unter einen Hut zu bekommen. Es gibt ja z. B. Kinder, die eher am Aufbauen von Dingen interessiert sind, diese spielen dann beispielsweise gern mit Lego. Es gibt die Kinder, die gern mit kleinen Figuren und Tieren ganze Welten entstehen lassen, die Püppchen Dialoge sprechen lassen etc. Es gibt solche, die gern draußen klettern und toben und im Matsch wühlen. Und solche, die gern mit einer Freundin sprechen und eher in der Fantasie spielen: "Und ich bin die Königin und war sehr schön und du bist das Einhorn und ich finde dich verletzt im Wald, gut? - "Ja, ich lag dort, weil ich meinen Fuß in einer Schlinge verfangen hatte..." Hat man nun sehr unterschiedliche Kinder, kann das gemeinsame Spielen vielleicht nicht so leicht in den Gang kommen. Sie müssen sich dann sehr aufeinander einstellen und Brücken bauen zwischen ihren Spielwelten. Sind sich die Geschwister im Allgemeinen wohlgesonnen, klappt das aber oft. Ich rate Eltern, dieses gemeinsame Spiel unbedingt zu unterstützen, auch wenn es in ungünstigen Momenten auftaucht. Meine Kinder z. B. spielen am harmonischsten abends um 20 Uhr. Keine Ahnung, warum das so ist, aber kurz vor der Schlafenszeit sind alle drei meist ganz wunderbar zusammen im Flow und es ist eine Freude, ihnen zuzuschauen. Solches Spiel unterbreche ich nicht, auch, wenn ich eigentlich denke, sie sollten ins Bett oder wenn mein aufgeräumtes Wohnzimmer wieder unordentlich wird, weil sie Purzelbäume auf den auf den Boden gelegten Sofakissen machen. Mir ist in dem Moment wichtiger, dass sie gemeinsame entspannte, freundschaftliche Situationen erleben, denn diese stärken das Geschwisterverhältnis und wirken sich auf die Harmonie der gesamten Familie aus.

Oder haben Eltern eine unrealistische Vorstellung vom Zusammenleben der Geschwister?


Es ist ein interessantes Phänomen, dass Eltern auf der einen Seite eine sehr romantisierende Sicht auf Geschwisterschaft haben, auf der anderen Seite aber ungute Geschwisterbeziehungen fatalistisch als "Ist halt so-" annehmen. Das heißt, in den Wünschen und Fantasien der Eltern kommen Geschwisterkinder super miteinander klar, spielen lieb miteinander, halten zusammen wie Pech und Schwefel und beschützen sich gegenseitig. Wenn aber die Realität anders aussieht, also der Bruder beispielsweise die Schwester terrorisiert oder sich zwei Geschwister immer wieder gegen ein drittes zusammenschließen, dann winken Eltern oft ab und begründen das mit "So sind Geschwister halt!" Tatsächlich schreiten Eltern bei echtem Mobbing unter Geschwistern oft viel später und viel weniger intensiv ein, als bei Mobbing in der Schule!

Eine normale Geschwisterbeziehung ist eine akzeptierende. Die Brüder und Schwerstern haben eine Daseinsberechtigung und werden nicht bekämpft. Ob sich Freundschaft, Liebe oder Bindung entwickelt, hängt vielleicht auch vom Charakter der Kinder ab, aber als Eltern kann man zumindest beeinflussen, dass sie sich nicht hassen lernen. Dazu gehört, ihnen Abstand voneinander zu gewähren und darauf zu achten, dass die Grundbedürfnisse aller Kinder ausreichend befriedigt sind, und dazu gehört auch, eine positive Streitkultur vorzuleben.

Schwester kuschelt mit Baby


Die kleine Schwester provoziert den großen Bruder, der sie wiederum haut. Was ist, wenn sie sich gegenseitig mit Absicht provozieren? (Opfer-Täter-Frage = beide fühlen sich als Opfer) 


Meine Gegenfrage wäre erst einmal: Wie "provoziert" die Schwester denn den Bruder? Sehr oft ist es gerade bei sehr kleinen Kindern so, dass sie etwas tun - Schubsen z. B. - weil sie es noch nicht schaffen, ihre Wünsche anders auszudrücken. In dem Fall des Schubsens könnte der Wunsch sein, dass der Bruder mit ihr Fangen spielt. Es war also eigentlich eine freundlich gemeinte Aufforderung, die anders vom Bruder anders interpretiert wurde, nämlich feindselig. Deshalb haut er zurück. Und nun sind beide sauer - sie, weil sie doch eigentlich spielen wollte und nun Schmerzen hat, er, weil er aus heiterem Himmel geschubst wurde. Solche Fehlkommunikation ist nicht selten. Das passiert auch unter Erwachsenen. Wir kennen das durch das Vier-Ohren-Modell von Schultz von Thun. So etwas zu erkennen und dann mit den Kindern zu klären ist die ganz hohe Schule von Elternschaft. Aber wenn man sich die Mühe macht, merkt man, wie oft Geschwisterstreit eigentlich auf einem Missverständnis beruht. Mein Rat ist daher - gerade bei sehr kleinen Kindern: Gehen Sie immer vom bestmöglichen, unschuldigsten Motiv für eine Handlung aus. 

Was ist, wenn immer das gleiche Kind mit dem Streiten anfängt?


Das ist wunderbar, dann wissen Sie nämlich gleich, welches Ihrer Kinder am meisten Ihrer Aufmerksamkeit und Liebe bedarf. Wenden Sie sich diesem Kind liebevoll zu, gönnen Sie ihm oder ihr Exklusivzeit mit Ihnen. Lesen Sie ihm vor, backen Sie mit ihm, spielen Sie eine Runde Fußball. Vielleicht denken Sie jetzt, dass Sie damit doch sein schlechtes Verhalten unterstützen, aber diese These ist schon lange widerlegt. Mittlerweile sind sich die Pädagogen und Erziehungswissenschaftler einig: "Schlechtes" Verhalten ist begründet in nicht befriedigten Grundbedürfnissen. Wendet man sich dem Kind zu, und erfüllt seine Bedürfnisse nach Liebe, Aufmerksamkeit und Verstandensein, verschwindet das "schlechte" Verhalten von ganz allein.

Wie lässt sich Streit vermeiden? Ist das überhaupt sinnvoll? 


Es ist nicht sinnvoll, Streit zu vermeiden. Erstens, weil unsere Kinder ja streiten lernen wollen und sollen. Und zweitens, weil sich Emotionen selten einfach umlenken lassen. Nehmen wir an, unsere Kinder streiten sich laut und sind kurz davor, sich zu hauen. Wir schreiten ein, weil wir keine Handgreiflichkeiten wollen und wir müde von der Arbeit sind und uns Harmonie wünschen. Wir zwingen die Kinder also Kraft unserer Autorität, sich aus dem Weg zu gehen, am besten in unterschiedliche Zimmer. Ist der Streit dann vorbei? Eher nicht. Es ist zwar für den Moment leise, so, wie wir das wollten, aber der Konflikt schwelt jetzt im Verborgenen weiter und flammt an anderer Stelle wieder auf. Meistens sogar mit stärkerer Wucht. Lassen wir den originalen Konflikt dagegen laufen, kann es sein, dass sich die Kinder kurz und heftig in die Haare bekommen. Dass es laut wird, und jemand weint. Aber danach ist die Sache auch bereinigt. Danach können sie sich wieder annähern und oft finden sie nach so einem großen Knall überraschend schnell wieder zusammen. Aber beobachten muss man so einen Streit als Eltern schon. Es sollte nicht immer einseitig ausgehen, mit einem Sieger und einem Verlierer. Dann ist mehr Begleitung notwendig.

Sind Kinder, die sich reibungslos verstehen, "verdächtig"?


Überhaupt nicht. Sie sind nur, wie durchschlafende Babys, eher selten.

Passen Streit unter Geschwistern und ein harmonisches Familienleben zusammen?


Na klar passt das zusammen. Man kann sich ja auch mit seinem Partner oder der Partnerin streiten, und trotzdem ein harmonisches Paar sein. Streit ist doch nicht per se etwas Schlechtes. Streit hat viele gute Seiten! Es kommt nur darauf an, wie man streitet. Destruktiver Streit kann eine Beziehung zerstören - auch eine Geschwisterbeziehung - konstruktiver Streit bereichert die einzelnen Persönlichkeiten. Unser Job als Eltern ist also nicht, Streit zwischen Geschwistern zu vermeiden. Unser Job ist, ihnen beizubringen, ihre Meinung zu sagen, oder ihre Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken, ohne den anderen klein zu machen oder zu beleidigen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Altersunterschied und Konfliktpotenzial? Gibt es Unterschiede zwischen gleich- und gemischtgeschlechtlichen Geschwistern?


Es gibt etliche Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang bestätigen. Ein geringer Altersabstand, also von weniger als zwei Jahren, bedeutet meist ein größeres Konfliktpotential: Die Kinder streiten fast ununterbrochen, sind aber auch emotional sehr eng verbunden und spielen meist auch viel miteinander. Sind sie mehr als 5 Jahre auseinander, streiten sie eher selten, sind sich aber auch emotional nicht mehr so nah und finden selten zusammen ins Spiel. Gleichgeschlechtliche Geschwister streiten mehr, weil sie in größerer Konkurrenz zueinander stehen. Gemischtgeschlechtliche Geschwister streiten weniger, weil es ihnen leichter fällt, Nischen zu finden, in denen sie brillieren können und die von ihrem Geschwister nicht besetzt werden können. Ich finde solche Untersuchungen zwar interessant, aber ich denke, sie helfen den Eltern nicht wirklich weiter. Vielleicht kann man den Altersabstand der Kinder etwas beeinflussen, aber meist beschäftigt man sich mit dem Thema ja erst, wenn die Kinder schon da sind und der Altersabstand und das Geschlecht schon fest stehen. Mir ist eher wichtig, dass Eltern ihre Kinder ganz individuell betrachten. Spannender, als die Frage, wie gut oder schlecht andere Kinder mit dem selben Altersabstand miteinander zurecht kommen, ist doch vielmehr, was meine eigenen Kinder aus dieser Situation machen. Vielleicht passen Sie ja vom Charakter her wunderbar zusammen und streiten sich nie, obwohl die Statistik sagt, sie müssten? Gute Eltern lassen ihren Kinder keine Etiketten aufdrücken: Die Großen sind eben nicht immer die Vernünftigen, die Mittelkinder nicht immer die Störer und die Kleinsten nicht immer die Kreativen. Betrachtet man seine Kinder als Individuen, ist schon viel gewonnen - dann hat man nämlich ihre echten Bedürfnisse im Blick und kann diese gut beantworten. Was bringt es einem Kind langfristig, Geschwister zu haben? Welche Kompetenzen eignen sich Geschwister an, die Einzelkindern womöglich fehlen?

Drei Brüder streiten sich


Es wird immer davon gesprochen, dass es wichtig für das soziale Lernen ist, Geschwister zu haben. Dass Geschwisterkinder eher Rücksichtnahme, Teilen und Freundlichkeit lernen als Einzelkinder. Dieser Ansicht bin ich nicht. Soziales Lernen passiert viel eher mit Freunden. Denn bei einer Freundin oder einem Freund kann man sich nicht leisten, ungebremst Wut oder gemeine Worte herauszulassen, ohne Gefahr zu laufen, dass die Freundschaft daran zerbricht. Um Freunde zu bleiben, müssen sich beide Parteien ein Stück weit zurücknehmen, die Wünsche des anderen anhören und einen Konsens finden. Man muss also wertschätzend miteinander umgehen. Unter Geschwistern ist asoziales Verhalten durchaus möglich - daran zerbricht vielleicht die Freundschaft der Beteiligten, aber niemals endet ihr Geschwisterdasein. Egal, wie krass man sich verhält, die Schwester bleibt immer die Schwester, der Bruder immer der Bruder.

Sind Geschwister also eher dazu da, im Sicherheitsmodus der Verwandtschaft Grenzen eines anderen zu übertreten, um herauszufinden, wie weit "zu weit gegangen" bedeutet? 


Wie ich vorhin schon kurz erwähnte, braucht das menschliche Gehirn Referenzsituationen, um Impulse sozial angemessen steuern zu lernen. Haut ein kleines Kind ein anderes und dieses fängt daraufhin an zu weinen, wird das im Gehirn des Täters abgespeichert. Diese Referenzen helfen der Impulskontrolle später, in Sekundenschnelle zu entscheiden, ob ein Wutimpuls mäßigend herabgesteuert werden oder ausgeführt werden soll. Eifersucht und Wutgefühle ertragen zu lernen und den Impuls zu unterdrücken, den anderen, der einen stört, zu vernichten, ist sehr wichtig und muss Teil der Kindheit sein. Geschwister helfen dabei, doch auch mit Freunden kann man das erlernen.

Also überlegen wir weiter, ob es einen Vorteil hat, Geschwister zu haben. Geschwisterkinder sind oft sehr unterschiedlich. Darin liegt eine ein evolutionärer Sinn verborgen. Eine Familie hatte in der Vergangenheit eher eine Überlebenschance, wenn alle unterschiedliche Talente, Vorlieben und Charaktere aufwiesen. Denn in einer Krise muss es einen Anführer geben, zur Lösungsfindung braucht es einen kreativen Kopf und oft wird handwerkliches Geschick benötigt. Und sicher ist es nicht schlecht, jemanden dabei zu haben, der mit seiner unerschütterlichen Zuversicht allen Mut gibt. In Familien suchen sich Kinder sehr oft Nischen, die sie besetzen, um nicht in Konkurrenz miteinander stehen zu müssen. Helfen Geschwister also dabei, unsere Vorlieben, unsere Geschmäcker, unsere Individualität zu entwickeln und voneinander abzugrenzen? Bestimmt. Aber auch das funktioniert in einem Freundeskreis.

Und doch ist das Scheidungsrisiko bei zwei miteinander verheirateten Einzelkindern um 11% höher als bei Geschwisterkindern. Woran mag das liegen?


Ich würde sagen, was einen Geschwister lehren ist, dass andere Macken und Gewohnheiten haben. Da man mit diesen Macken und Gewohnheiten aufwächst und das menschliche Gehirn alles, was man täglich sieht als "normal" abspeichert, lernt man so schon früh, andere einfach zu nehmen, wie sie sind. Je mehr Geschwister man hat, desto breiter die Varietät der Macken und desto höher die eigene Toleranzgrenze für individuelles Verhalten. Von einer Freundin, die bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbricht, kann man sich genervt abwenden und die Freundschaft beenden. Bei einer Schwester geht das nicht. Man bleibt mit ihr unter einem Dach leben. Es ist - zumindest in Kindertagen - eine Zwangsgemeinschaft und man muss lernen, sich zu arrangieren. Gelernt zu haben, einen anderen zu nehmen, wie er ist, ohne ihn oder sie ändern zu wollen, kann im Leben ein unschätzbarer Vorteil sein. Es ist nah dran an dem "bedingungslosen Lieben", welches wir uns in der Beziehung zu unseren Partnern und unseren Kindern wünschen. Es ist also eigentlich nicht Gott, der uns die Gelassenheit gibt, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können; und er gibt uns auch nicht den Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können, oder die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Unsere Geschwister lehren uns das.

© Snowqueen