Mein Kind haut, beißt und spuckt - was soll ich tun?



Hauen, Beißen und Spucken - wie Kinder dadurch kommunizieren


Jede Mutter, deren Baby sie zum ersten Mal beißt (oder haut, tritt, anspuckt) ist zunächst einmal fürchterlich entsetzt. Wie kann das sein? Noch nicht einmal 6 Monate alt und schon schlecht erzogen? Wie stellt man das wieder ab? Warum beißen die anderen Kinder in der Krabbelgruppe nicht, aber ausgerechnet meins schon?

Sie suchen Rat bei anderen Müttern, deren Kinder beißen oder bei der besten Freundin, eigenen Mutter oder Oma. Meist hören sie dann, sie sollen möglichst böse gucken und entschieden "Nein!" sagen, wenn das Baby beißt. So hätten sie - die anderen Mütter - es auch geschafft. Es hätte zwar ein paar Wochen gedauert, bis das Baby verstanden hatte, dass es mit dem Beißen aufhören soll, wenn "Nein!" gesagt wird, aber irgendwann sei der Spuk dann vorbei gewesen.

Ich halte diese Reaktion für kontraproduktiv. Zum einen versteht das Baby noch nicht, was "Nein" bedeutet und wird somit auch nicht lernen, dass es etwas falsch macht. Zum anderen beißt das Baby nicht, um die Mutter absichtlich zu ärgern, sondern, weil es sich und seinen Körper ausprobiert. 

Das Prinzip von Ursache und Wirkung 


Hier liegt der entscheidende Knackpunkt: Beißt ein Baby und die Mama ruft laut "Nein!" oder "Aua!", dann lernt das Kind nur, dass etwas Interessantes/Neues/Lautes passiert, wenn es mit dem Mund so macht. Es lernt das Ursache-Wirkung-Prinzip kennen (und in dieser Lernphase sind auch die meisten Babys, wenn sie zu beißen beginnen).

Sie lernen, dass Mama sehr heftig reagiert, wenn sie beißen - und genauso, wie sie in der Phase hundert Mal am Tag den Teller vom Tisch fegen, um zu sehen, ob er wieder nach unten fällt und ob er wieder so laut scheppert, oder wie sie zweihundert Mal am Tag auf ihr Spielzeug drücken und es fängt an zu blinken, beißen sie Mama nun öfter, um zu sehen, ob sie jedes Mal so laut reagiert.
 
Baby beißt Mama

Ob die Mama schimpft oder weint oder sauer ist, ist ihnen ganz egal, denn sie können ja diese Gefühle noch nicht einordnen, da sie über noch keinerlei Empathie verfügen. Dementsprechend tangiert es sie nicht. Sie merken nur, dass sie etwas bewegen können, wenn sie mit ihrem Mund dieses Spiel machen und das ist ihnen wichtig. Trotzdem hören sie damit tatsächlich irgendwann auf, so, wie sie sie mit dem Tellerwerfen aufhören und auch das Spielzeug uninteressant wird. Nicht, weil sie verstanden haben, dass sie das nicht dürfen, sondern weil sie genug über Ursache-Wirkung gelernt haben. Was aber hängen bleibt ist, dass sie mit dem Beißen Mama eine Reaktion entlocken können. 

Beißen im Kleinkindalter 


Wenn aus Babys Kleinkinder  werden, müssen sie bald feststellen, dass nicht immer alles nach ihren Wünschen geht. Sie können sich noch nicht gut ausdrücken und frustrieren schnell, wenn sie nicht oder falsch verstanden werden. Kleine Wutzwerge entstehen, die mit den überkochenden Gefühlen in Bauch und Kopf nicht umgehen können - die Trotzphase ist extrem anstrengend. Ein Ventil muss her - und das ist oft eben ein körperliches Ausagieren (beißen, kratzen, hauen, spucken, treten etc.). Dieses hilft, mit der Wut umzugehen.

Zunächst einmal hat diese Art des Beißens nichts mit der Ursache-Wirkung-Beißerei aus dem Babyalter zu tun, sondern dient als Ventil für Emotionen. Bald jedoch merkt das Kind, dass sein Wut-Ventil bei Mama interessante Reaktionen hervorruft. Nun wird das Beißen schon bewusster eingesetzt, nämlich um Grenzen auszutesten und auch, den Eltern sehr körperlich zu zeigen, was einem missfällt. Wenn Mama und Papa dann wieder nach gleichem Muster verfahren (Nein sagen und schimpfen), merkt das Kind, dass es die Eltern ärgern kann und setzt das immer wieder und immer öfter ein, um sein Missfallen auszudrücken. Vor allem, wenn Kinder sich noch nicht gut mit Worten ausdrücken können, zeigen sie Gefühle durch Beißen und anderes.

Die Lösung


Die Frage ist, wie man damit umgeht, so dass das Beißen nicht schlimmer wird oder sich als Verhalten verfestigt, d. h. nicht immer in für das Kind stressigen Situationen als Lösung genutzt wird. Wenn "Nein!" nicht funktioniert - was dann?

Ignorieren!

Wenn ein Baby beißt, sollte man als Erwachsener möglichst nichts sagen. Man sollte natürlich versuchen, sich selbst zu schützen, also zärtlich das Kind so halten, dass es einen nicht mehr beißen kann. Insgesamt aber sollte man dem Gebeiße so wenig Aufmerksamkeit wie möglich schenken. Wenn keine Reaktion von den Eltern kommt, hört das unangemessene Verhalten viel schneller auf, eben weil auf die Ursache keine Wirkung folgt und damit nicht interessant ist.

Wenn ein Kleinkind (1-2 Jahre) beißt, dann sollte man das ebenfalls so gut wie möglich ignorieren. Man sollte wieder aufpassen, dass man nicht so oft in mögliche Beißsituationen kommt und wenn es doch passiert, einfach nur kurz sagen: 'Das mag Mama nicht.' und dann weiterspielen (das Verhalten ignorieren, aber nicht das Kind). Nicht laut werden, nicht böse werden, nicht unterschwellig wütend werden, das merkt das Kind. Ruhig bleiben und dem negativen Verhalten unaufgeregt so wenig Aufmerksamkeit wie möglich geben.

Ist das Kind noch älter, also zwischen 2,5 und 3 Jahre alt, und beißt, sollte man ebenso ruhig sagen: "Das mag Mama nicht", und dann erstmal für kurze Zeit weggehen und nicht mehr mit ihm spielen. Ab diesem Alter ist das Verständnis schon da "Wenn ich Mama beiße, mag sie das nicht und geht in ein anderes Zimmer." Trotzdem gilt auch hier selbstverständlich: Das Verhalten ignorieren, nicht das Kind! Wenn es also hinterhergelaufen kommt und vielleicht sogar weint, sollte man es unbedingt auch wieder annehmen, umarmen und trösten, schließlich möchte man dem Kind signalisieren, dass man es bedingungslos, mit all seinen Fehlern, liebt.

Über die Aggressionen älterer Kinder (3 bis 6 Jahre) haben wir übrigens ein gesondertes Magazin veröffentlicht, das Du hier kaufen kannst.

Mein Baby beißt in die Brustwarze


Babys beißen nur dann in die Brustwarze, wenn sie mit dem hungerstillenden Trinken fertig sind. Man kann sie dann eigentlich vorsorglich von der Brust abpflücken. Schafft es das Baby trotzdem, in die Brustwarze zu beißen, sollte man das Kind kurz an die Brust herandrücken. Da so die Nase in der Brust verschwindet, bekommt es kurzzeitig keine Luft und läßt die Brustwarze los, um durch den Mund zu atmen. Es wird dieses unangenehme Gefühl mit dem vorherigen Beißen verbinden und dieses schnell unterlassen.

Auch hier bringt "Nein!"-Sagen wenig. Im ungünstigsten Fall findet das Baby die laute Reaktion von Mama interessant und beißt öfter, um das Ursache-Wirkungs-Prinzip zu erkunden. Selten passiert es auch, dass Babys sich bei einem zu lauten "Nein!" von der Mutter so erschrecken, dass sie in einen Stillstreik treten. 

Das In-die-Brustwarze-Beißen kann auch ein Anzeichen für eine Saugverwirrung sein.

Mein Baby beißt andere Kinder 


Das Ignorieren kann man leider nur in einem bestimmten Alter und unter der Bedingung, dass nur die Eltern gebissen werden bzw. das Baby sich selbst beißt, anwenden. Kommen andere Kinder ins Spiel, muss man ganz anders reagieren.

Das Wichtigste: man muss schneller werden. Wenn man als Elternteil sieht, dass das Baby auf ein anderes Kind zukrabbelt, sollte man sofort hingehen, zwischen ihnen vermitteln und ganz allgemein aufpassen, dass das Baby nicht beißen kann. Besonders brenzlige Zeiten wie Müdigkeit sollten noch erhöhte Aufmerksamkeit bekommen. Es darf ganz einfach nicht mehr dazu kommen, fest zuzubeißen.
 
Große Schwester beißt kleinem Bruder ins Ohr

Diese Art von Erziehung nennt man proaktiv (im Gegensatz zu dem reaktiven Erziehen das wir alle gewohnt sind). Beim proaktiven Erziehen werden potentiell brenzlige Situationen schon vorher durch Mediation und Aufmerksamkeit entschärft. Das bedeutet leider auch, dass man als Mutter oder Vater ununterbrochen im Einsatz ist. Ein netter Plausch mit anderen Müttern bei leckerem Kaffee, während die Kinder gemütlich nebeneinanderher spielen, ist mit einem beißenden Kind leider nicht möglich. Aber diese Phase ist nicht endlos lang.

Mein Kleinkind beißt andere Kinder 


Wenn ein Kleinkind andere Kinder beißt, so geschieht das häufig entweder in einer Verteidigungs-Situation - ein anderes Kind nimmt dem beißenden Kind etwas weg - oder aber "wie aus heiterem Himmel". Besonders diese unvermittelten, scheinbar grundlosen Beißattacken werden von anderen Müttern oder auch Kindergarten-Erzieherinnen als böse eingestuft. Das sind sie nicht. In 98% der Fälle entpuppen sich solche Beißereien schlicht und ergreifend als ein (gesellschaftlich nicht geduldeter) Kommunikationsversuch.

Das Kind geht beispielsweise zu einem anderen Kind, welches gerade mit der Holzeisenbahn spielt, und beißt es "einfach so" in den Arm. Wenn man das Beißen hier sieht, als das, was es ist, nämlich ein Kommunikationsversuch, kann man es gut übersetzen. Es bedeutet einfach nur: "Ich will mit dir spielen!" Da aber Beißen von den anderen Kindern selten positiv bewertet wird, wird es so nie jemanden finden, der mit ihm spielt. Wie traurig muss das für das beißende Kind sein und wie frustrierend. Das Kind denkt wirklich, es fragt "Willst du mit mir spielen?", wenn es ein anderes beißt und wundert sich, warum niemand darauf eingeht.

Die Lösung ist relativ einfach: In einer Situation, in der das Kind auf ein Kind mit Spielzeug zugeht, sollten die Eltern oder die Erzieherin sofort neben ihm sein, es an die Hand nehmen, sich mit ihm vor das andere Kind hinknien, und zu dem Beißerkind sagen: "Ich glaube, du möchtest mit XY spielen, guck mal, so fragt man das freundlich." Sie müssen (zunächst) für das Kind sprechen: "Darf ich mit dir spielen? Die Eisenbahn sieht spannend aus", damit es lernt, adäquat Kontakt aufzunehmen.

Beißt ein Kind, wenn ihm ein anderes Kind etwas wegnehmen will, dann ist das Beißen aus Wut und/oder weil es sprachlich noch nicht so weit ist. Für solche Situationen müssen die Eltern ihm beibringen, laut "Stopp" oder "Nein" zu sagen, am besten mit Gebärde dazu. 

Zusätzlich sollten Methoden, die auf ungefährliche Art und Weise beim Frustabbau helfen und andere nicht verletzen, eingeführt werden. Einen Boxsack boxen, in ein Wutkissen schreien oder beißen, so fest aufstampfen wie man kann. Dreimal tief Luft holen, bis Zehn zählen, ein paar Runden um das Haus rennen oder mit dem Fußball auf ein leeres Tor schießen. Sich selbst zuflüstern "Ganz ruhig!" oder aus der stressigen Situation gehen. Es müssen dem Kind gesellschaftskonforme Verhaltensalternativen aufgezeigt werden, die darüber hinaus gehen, dem Kind immer wieder zu sagen, dass das Beißen den anderen weh tut. Das kann ein so kleines Kind nämlich noch nicht wirklich nachvollziehen, da ihm, aufgrund seines jungen Alters, Empathie fehlt, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. 

Mein Kleinkind beißt sich selbst 


Nicht selten kommt es vor, dass Kinder, die vor lauter Frust nicht wissen, wohin mit ihrer Wut, sich selbst beißen oder mit ihrem Kopf absichtlich auf den Boden schlagen. Diese Art von Autoagression ist normal, wenn auch für die Eltern besonders schwer mit anzusehen.

Es ist nichts anderes, als ein weiteres Wut-Ventil, wenn dem Kind etwas verboten wird, oder es etwas nicht so schafft, wie es gerne möchte. Verbreitet ist auch das sich selbst Beißen aus dem Grund, dass ein anderes Kind, welches größer, stärker oder schneller ist, das (sich beißende) Kind geärgert hat, aber außer Reichweite bleibt. Statt also den unerreichbaren Angreifer zu beißen, greift das Kind auf sich selbst zurück, Hauptsache, es wird die Wut los.

Auch hier liegt die Lösung im Ignorieren. Leider ist es an dieser Stelle für die Eltern besonders schwer, das durchzuhalten. Niemand sieht sein Kind gern verletzt, alle möchten eingreifen und es vor sich selbst schützen. Trotzdem ist wichtig: bitte möglichst ruhig bleiben und versuchen, dem Kind andere Methoden des Stressabbaus  beizubringen. Das Kind in der akuten Krise liebevoll begleiten, ihm also zum Beispiel mit der auch bei uns im Blog beschriebenen Beruhigungs-Methode einen Weg aus dem Wutanfall aufzeigen und dabei trotzdem dem unangemessenen autoagressiven Verhalten keinerlei Aufmerksamkeit schenken.

© Snowqueen