Jedes Kind ist auf seine Art und Weise besonders – aber
manche sind auf eine sehr
spezielle Weise besonders. Es gibt Kinder, bei
denen schon in den ersten Lebenswochen und -monaten erkennbar ist, dass sie einfach anders sind – anders als das fröhlich
glucksende, zufrieden im Arm liegende, gern und viel schlafende Baby. Stattdessen sind
diese Kinder außerordentlich bewegungsfreudig und sensibel und durchleben von Anfang an Emotionen viel heftiger,
als ihre Altersgenossen. Während sich die meisten Kinder bei
einem
Trotzanfall gut trösten lassen und
schnell wieder zum Alltag übergehen, bricht für solche "gefühlsstarken" Kinder beim
kleinsten Anlass scheinbar die ganze Welt zusammen. Und nicht nur das - sie sind auch kaum zu beruhigen und schaffen es, mehr als eine halbe Stunde lang wütend zu schreien.
Für die Autorin Nora Imlau - selbst Mutter eines gefühlsstarken Kindes - war es beruhigend zu erfahren,
dass es in allen Kulturen Kinder mit diesem ganz speziellen Temperament gibt.
Das Gefühl, nicht alleine zu sein, mit Kindern, die Verhaltensweisen zeigen,
über die andere verständnislos den Kopf schütteln, war enorm erleichternd für sie. In
ihrem neuen Buch
„So viel Freude, so viel Wut“ teilt sie ihre persönlichen
Erfahrungen und hat viele Ideen und Tipps gesammelt, wie man gefühlsstarke
Kinder verstehen und liebevoll begleiten kann.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meiner großen
Tochter damals in der Krabbelgruppe saß. Um mich herum schienen alle zufriedene
Kinder zu haben. Die meisten schliefen unkompliziert alleine ein und relativ
schnell durch, saßen geduldig auf Mamas Schoß und beobachteten alles interessiert und vorsichtig.
Legte man sie ab, spielten sie fröhlich vor sich hin.
Mein Kind hingegen schien
nie richtig zufrieden zu sein.
Mein Kind wollte nicht einschlafen, alleine sowieso nicht. Auch nicht spielend rumliegen
– nein, es wollte getragen werden, unterhalten werden und wenn es schrie,
dann schrie es lange und laut und war in den ersten Monaten kaum zu beruhigen. Jede motorische
Entwicklung war mit Ungeduld und Unruhe begleitet, alles schien ihr zu langsam zu
gehen. Mein Baby wollte immer mehr, als es konnte und wenn es nicht so
funktionierte, wie es sich das vorgestellt hatte, dann wurde es
richtig
sauer.
Als meine Tochter
10 Monate alt war, bin ich nur haarscharf an einer
späten
Wochenbettdepression vorbeigeschlittert. Ich fühlte mich als schlechteste
Mutter der Welt. Dabei dachte ich immer, ich sei so gut vorbereitet! Hatte
so viele Bücher über Erziehung gelesen! Und
dann war mein Kind einfach anders, als alle anderen… Woran sollte das sonst
liegen, als an mir? Meine Ärztin damals führte ein ernsthaftes Gespräch mit
mir. Das Kind sei vollkommen normal, nur eben etwas aktiver und ungeduldiger, als
der Durchschnitt. Sie schlug mir vor, eine andere Krabbelgruppe zu besuchen,
von der sie wusste, dass sie auch von zwei ähnlich temperamentvollen Kindern regelmäßig besucht wird. Ich
kann mich noch so gut daran erinnern, wie erleichtert ich war, als ich feststellte,
dass es tatsächlich einfach
spezielle Temperamente gibt.
Ein solches haben auch gefühlsstarke Kinder. Sie haben ein sehr vielseitiges emotionales Empfinden, bei ihnen ist immer alles „etwas mehr“ – sei es die Begeisterung,
der Ehrgeiz, Verzweiflung, Aggression oder Lebensfreude. Gefühle werden immer außerordentlich intensiv empfunden, die kindlichen Reaktionen darauf fallen vergleichsweise heftig aus. Das Gehirn gefühlsstarker
Kinder reagiert besonders stark auf den Anstieg von Stresshormonen, was dazu
führt, dass im limbischen System sehr schnell heftige Stressreaktionen hervorgerufen werden. Solche
Kinder werden oft als schwierig empfunden, als wild, fordernd, anstrengend. Man
sagt ihnen Sturheit, Überempfindlichkeit und Weinerlichkeit nach. Sie haben
Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle und ihrer Fähigkeit zur
Selbstregulation. All diese Zuschreibungen sind immer sehr negativ und sie
verdrängen leider, was mit einem solchen besonderen Gefühlsleben auch verbunden
ist – eine außerordentliche Kreativität und Leidenschaft, ein enormer
Forschungsdrang oder ausgeprägtes Mitgefühl.
Nora Imlau ist es mit ihrem Buch
ein Anliegen, dass wir anfangen, diese Kinder mit anderen Augen zu sehen, indem
wir uns auf ihre Stärken fokussieren. Dass wir uns innerlich verabschieden, von
dem Kind, das wir uns immer erträumt haben und die Aufgabe annehmen, auf
spezielle Bedürfnisse zu treffen. Gefühlsstärke ist angeboren, daher ist es
aussichtslos, das Naturell eines Kindes ändern zu wollen.
Es gibt einige Eigenschaften, die bei gefühlsstarken Kindern
oft gemeinsam zu beobachten sind. So erleben alle, ihre Gefühle besonders
intensiv. Sie sind willensstark, ausdauernd und meist so sensibel, dass sie
bspw. als Babys ständig aus dem Schlaf hochschrecken oder ständig unzufrieden
mit der Kleidung sind, weil diese immer kratzt oder als zu eng empfunden wird.
Gefühlsstarke Kinder neigen auch dazu, die Emotionen anderer aufzufangen und zu
spiegeln. Schlägt sich bspw. ihr Geschwisterchen das Knie auf, weinen sie
herzzerreißend mit. Oft verfügen sie auch über eine besonders ausgeprägte
Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Selbst die kleinsten Details werden
wahrgenommen, was immer wieder dazu führt, dass diese Kinder sich von Kleinigkeiten
schnell ablenken lassen.
Den Kindern fällt es in der Regel auch sehr schwer, wenn Alltagsroutinen nicht planmäßig ablaufen. Wenn sich Abweichungen von den üblichen Strukturen ergeben, kommt
es schnell zu Wutausbrüchen und Verzweiflung. Dadurch führen besondere
Ereignisse dann oft zum Chaos – Weihnachten in der Familie oder der eigene
Geburtstag überfordern so sehr, dass das Kind weinend zusammen bricht. Eltern sind dann oft enttäuscht, dass solche schönen Momente am Ende irgendwie "verdorben" werden. Veränderungen sind grundsätzlich ein Problem für gefühlsstarke Kinder. Sie
neigen auch zu einem gewissen Grundpessimismus, da sie sich oft auf Probleme
und alles Schwierige und Negative fokussieren.
Gefühlsstarke Kinder haben die selben Grundbedürfnisse, wie
alle anderen Kinder auch – die Erfüllung mancher ist jedoch besonders wichtig. Das
sind neben dem Bedürfnis nach Halt und Orientierung auch das Bedürfnis nach
Nähe und Bindung. Solche Kinder wollen auch besonders selbstwirksam sein und weitestgehend autonom Handeln.
Auch Wertschätzung und Akzeptanz sind für sie von hoher Bedeutung.
Um die intensiven Emotionen gut begleiten zu können, ist es
erforderlich, sich mit dem Temperament des Kindes und auch dem eigenen
Gefühlsleben auseinander zu setzen. Je nach Konstellation können manche
Verhaltensweisen besonders günstig sein. Um mit den Gefühlen gut
umzugehen zu können, ist es zunächst wichtig, dass Kinder lernen, sie konkret zu benennen
und dass jedes Gefühl auch gefühlt werden darf.
Ebenso wichtig ist es,
Stressfaktoren möglichst früh zu erkennen, so dass man die Chance hat, sie zu
regulieren, bevor die Emotionen überkochen. Es gibt verschiedene Faktoren,
die langfristig Einfluss auf den Stresslevel gefühlsstarker Kinder haben. Nora
geht in ihrem Buch ausführlich darauf ein, ebenso wie auf die verschiedenen
Herausforderungen, die sich im Alltag mit den herausfordernden Kindern stellen.
Klassische Problemfelder sind das Schlafen, das Essen und Kleidung. Aber auch
Abschiede, Trennungen, ungewohnte Situationen können im Zusammenleben mit gefühlsstarken
Kindern außerordentlich schwierig sein. Ein besonderes Problemfeld ist häufig der Umgang mit anderen Kindern. Durch die Heftigkeit der Gefühle ist die Fähigkeit
zur Selbstregulation sehr eingeschränkt. Infolgedessen hauen gefühlsstarke Kinder vergleichsweise
schnell, was natürlich vermehrt zu Konflikten führen kann.
Das Buch "So viel Freude, so viel Wut" befasst sich auch mit den Schwierigkeiten
gefühlsstarker Kinder im Kindergarten oder in der Schule. Hier gibt es bei der
Wahl der Einrichtung einiges zu bedenken. So sollte beispielsweise die Eingewöhnung auf die
speziellen Bedürfnisse des Kindes eingehen, da hier langfristig eine gute Basis
für die Betreuung geschaffen wird. Thematisiert wird außerdem, wie man Geschwisterkonflikte
mit sehr emotionalen Kindern begleiten kann. Gerade in Familien mit einem gefühlsstarken Kind kommt es
schnell zu der Situation, dass sich das andere Kind immer wieder zurück gesetzt
fühlt.
Fazit

Dieses Buch wird für Eltern, die ein gefühlsstarkes Kind
haben, sowohl ein Augenöffner als auch eine große Erleichterung sein. Es enthält
zahlreiche Denkanstöße, Ideen und praktische Tipps, die den Familienalltag mit Sicherheit
bereichern werden. Ich liebe Noras Schreibstil - warm, mitfühlend und kompetent begleitet sie durch ein Thema, zu dem es bisher kaum bedürfnisorientierte Literatur gibt. Vollkommen verdient ist es mittlerweile ein Spiegel-Bestseller.
Wenn ihr Euer Kind als gefühlsstark wiedererkennt, kann ich
Euch das Lesen dieses tollen Buches nur wärmstens empfehlen. Wenn ihr das über
diesen Link tut,
unterstützt ihr uns gleichzeitig dabei, weil wir dann eine kleine Provision
bekommen (natürlich ohne Mehrkosten für Euch). Wir freuen uns aber natürlich
auch sehr, wenn ihr den stationären Buchhandel unterstützt und das Buch vor Ort
im Laden erwerben wollt.
Weitere wunderbare und lesenswerte Bücher von Nora Imlau sind übrigens
"Das Geheimnis zufriedener Babys" und
"Schlaf gut Baby" (über die ich an anderer Stelle hier im Blog schon schrieb).
© Danielle