Was sind Machtumkehrspiele? Wie können Sie wütenden Vorschulkindern helfen? °FAQ°

Was sind Machtumkehrspiele?


Machtumkehrspiele sind nach Aletha J. Solter alle Aktivitäten, bei denen die Eltern spielerisch übertrieben und lustig vorgeben, schwach, ängstlich, ungeschickt, begriffsstutzig oder sauer zu sein; das Kind dagegen darf sich stark, geschickt und schlau fühlen. Sie sollen, wie ihr Name schon verrät, die "Macht" für einen kurzen Moment umkehren.

Kind auf der Hand des Vaters

Wie kann man Machtumkehrspiele anwenden?


Angewendet werden Machtumkehrspiele am besten dann, wenn Kinder sich gerade in einer angstbesetzten Phase befinden, in der ihre eigene Hilf- oder Machtlosigkeit sie aggressiv macht. Insbesondere ist hier das letzte Jahr - und am stärksten die letzten Wochen - vor der Einschulung zu nennen. Die Kinder sind nicht nur mürrisch, sondern regelrecht herrschsüchtig. Sie explodieren bei kleinstem Missfallen und haben halbstündige Wutanfälle, in denen sie ihre Eltern anschreien, sie würden einfach nichts richtig machen. Selbst liebevoll gemeinte Gesten der Eltern können sie sofort von 0 auf 100 bringen. Wenn das Kind sich so aufführt, kommen die Eltern in diesem Wochen oft ins Zweifeln, ob ihre Art der Erziehung wirklich die Richtige ist. Vielleicht braucht es doch eine stärkere Führung?

"So viel Freude, so viel Wut" - Nora Imlau

Jedes Kind ist auf seine Art und Weise besonders – aber manche sind auf eine sehr spezielle Weise besonders. Es gibt Kinder, bei denen schon in den ersten Lebenswochen und -monaten erkennbar ist, dass sie einfach anders sind – anders als das fröhlich glucksende, zufrieden im Arm liegende, gern und viel schlafende Baby. Stattdessen sind diese Kinder außerordentlich bewegungsfreudig und sensibel und durchleben von Anfang an Emotionen viel heftiger, als ihre Altersgenossen. Während sich die meisten Kinder bei einem Trotzanfall gut trösten lassen und schnell wieder zum Alltag übergehen, bricht für solche "gefühlsstarken" Kinder beim kleinsten Anlass scheinbar die ganze Welt zusammen. Und nicht nur das - sie sind auch kaum zu beruhigen und schaffen es, mehr als eine halbe Stunde lang wütend zu schreien.

Für die Autorin Nora Imlau - selbst Mutter eines gefühlsstarken Kindes - war es beruhigend zu erfahren, dass es in allen Kulturen Kinder mit diesem ganz speziellen Temperament gibt. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, mit Kindern, die Verhaltensweisen zeigen, über die andere verständnislos den Kopf schütteln, war enorm erleichternd für sie. In ihrem neuen Buch „So viel Freude, so viel Wut“ teilt sie ihre persönlichen Erfahrungen und hat viele Ideen und Tipps gesammelt, wie man gefühlsstarke Kinder verstehen und liebevoll begleiten kann.



Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit meiner großen Tochter damals in der Krabbelgruppe saß. Um mich herum schienen alle zufriedene Kinder zu haben. Die meisten schliefen unkompliziert alleine ein und relativ schnell durch, saßen geduldig auf Mamas Schoß und beobachteten alles interessiert und vorsichtig. Legte man sie ab, spielten sie fröhlich vor sich hin. Mein Kind hingegen schien nie richtig zufrieden zu sein. Mein Kind wollte nicht einschlafen, alleine sowieso nicht. Auch nicht spielend rumliegen – nein, es wollte getragen werden, unterhalten werden und wenn es schrie, dann schrie es lange und laut und war in den ersten Monaten kaum zu beruhigen. Jede motorische Entwicklung war mit Ungeduld und Unruhe begleitet, alles schien ihr zu langsam zu gehen. Mein Baby wollte immer mehr, als es konnte und wenn es nicht so funktionierte, wie es sich das vorgestellt hatte, dann wurde es richtig sauer.
zwei Babys, eins glücklich, eins wütend

Als meine Tochter 10 Monate alt war, bin ich nur haarscharf an einer späten Wochenbettdepression vorbeigeschlittert. Ich fühlte mich als schlechteste Mutter der Welt. Dabei dachte ich immer, ich sei so gut vorbereitet! Hatte so viele Bücher über Erziehung gelesen! Und dann war mein Kind einfach anders, als alle anderen… Woran sollte das sonst liegen, als an mir? Meine Ärztin damals führte ein ernsthaftes Gespräch mit mir. Das Kind sei vollkommen normal, nur eben etwas aktiver und ungeduldiger, als der Durchschnitt. Sie schlug mir vor, eine andere Krabbelgruppe zu besuchen, von der sie wusste, dass sie auch von zwei ähnlich temperamentvollen Kindern regelmäßig besucht wird. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie erleichtert ich war, als ich feststellte, dass es tatsächlich einfach spezielle Temperamente gibt.

Ein solches haben auch gefühlsstarke Kinder. Sie haben ein sehr vielseitiges emotionales Empfinden, bei ihnen ist immer alles „etwas mehr“ – sei es die Begeisterung, der Ehrgeiz, Verzweiflung, Aggression oder Lebensfreude. Gefühle werden immer außerordentlich intensiv empfunden, die kindlichen Reaktionen darauf fallen vergleichsweise heftig aus. Das Gehirn gefühlsstarker Kinder reagiert besonders stark auf den Anstieg von Stresshormonen, was dazu führt, dass im limbischen System sehr schnell heftige Stressreaktionen hervorgerufen werden. Solche Kinder werden oft als schwierig empfunden, als wild, fordernd, anstrengend. Man sagt ihnen Sturheit, Überempfindlichkeit und Weinerlichkeit nach. Sie haben Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle und ihrer Fähigkeit zur Selbstregulation. All diese Zuschreibungen sind immer sehr negativ und sie verdrängen leider, was mit einem solchen besonderen Gefühlsleben auch verbunden ist – eine außerordentliche Kreativität und Leidenschaft, ein enormer Forschungsdrang oder ausgeprägtes Mitgefühl.

Nora Imlau ist es mit ihrem Buch ein Anliegen, dass wir anfangen, diese Kinder mit anderen Augen zu sehen, indem wir uns auf ihre Stärken fokussieren. Dass wir uns innerlich verabschieden, von dem Kind, das wir uns immer erträumt haben und die Aufgabe annehmen, auf spezielle Bedürfnisse zu treffen. Gefühlsstärke ist angeboren, daher ist es aussichtslos, das Naturell eines Kindes ändern zu wollen.

Es gibt einige Eigenschaften, die bei gefühlsstarken Kindern oft gemeinsam zu beobachten sind. So erleben alle, ihre Gefühle besonders intensiv. Sie sind willensstark, ausdauernd und meist so sensibel, dass sie bspw. als Babys ständig aus dem Schlaf hochschrecken oder ständig unzufrieden mit der Kleidung sind, weil diese immer kratzt oder als zu eng empfunden wird. Gefühlsstarke Kinder neigen auch dazu, die Emotionen anderer aufzufangen und zu spiegeln. Schlägt sich bspw. ihr Geschwisterchen das Knie auf, weinen sie herzzerreißend mit. Oft verfügen sie auch über eine besonders ausgeprägte Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Selbst die kleinsten Details werden wahrgenommen, was immer wieder dazu führt, dass diese Kinder sich von Kleinigkeiten schnell ablenken lassen.

Den Kindern fällt es in der Regel auch sehr schwer, wenn Alltagsroutinen nicht planmäßig ablaufen. Wenn sich Abweichungen von den üblichen Strukturen ergeben, kommt es schnell zu Wutausbrüchen und Verzweiflung. Dadurch führen besondere Ereignisse dann oft zum Chaos – Weihnachten in der Familie oder der eigene Geburtstag überfordern so sehr, dass das Kind weinend zusammen bricht. Eltern sind dann oft enttäuscht, dass solche schönen Momente am Ende irgendwie "verdorben" werden. Veränderungen sind grundsätzlich ein Problem für gefühlsstarke Kinder. Sie neigen auch zu einem gewissen Grundpessimismus, da sie sich oft auf Probleme und alles Schwierige und Negative fokussieren.

freundlich lachendes Mädchen

Gefühlsstarke Kinder haben die selben Grundbedürfnisse, wie alle anderen Kinder auch – die Erfüllung mancher ist jedoch besonders wichtig. Das sind neben dem Bedürfnis nach Halt und Orientierung auch das Bedürfnis nach Nähe und Bindung. Solche Kinder wollen auch besonders selbstwirksam sein und weitestgehend autonom Handeln. Auch Wertschätzung und Akzeptanz sind für sie von hoher Bedeutung.

Um die intensiven Emotionen gut begleiten zu können, ist es erforderlich, sich mit dem Temperament des Kindes und auch dem eigenen Gefühlsleben auseinander zu setzen. Je nach Konstellation können manche Verhaltensweisen besonders günstig sein. Um mit den Gefühlen gut umzugehen zu können, ist es zunächst wichtig, dass Kinder lernen, sie konkret zu benennen und dass jedes Gefühl auch gefühlt werden darf.

Ebenso wichtig ist es, Stressfaktoren möglichst früh zu erkennen, so dass man die Chance hat, sie zu regulieren, bevor die Emotionen überkochen. Es gibt verschiedene Faktoren, die langfristig Einfluss auf den Stresslevel gefühlsstarker Kinder haben. Nora geht in ihrem Buch ausführlich darauf ein, ebenso wie auf die verschiedenen Herausforderungen, die sich im Alltag mit den herausfordernden Kindern stellen. Klassische Problemfelder sind das Schlafen, das Essen und Kleidung. Aber auch Abschiede, Trennungen, ungewohnte Situationen können im Zusammenleben mit gefühlsstarken Kindern außerordentlich schwierig sein. Ein besonderes Problemfeld ist häufig der Umgang mit anderen Kindern. Durch die Heftigkeit der Gefühle ist die Fähigkeit zur Selbstregulation sehr eingeschränkt. Infolgedessen hauen gefühlsstarke Kinder vergleichsweise schnell, was natürlich vermehrt zu Konflikten führen kann.

Das Buch "So viel Freude, so viel Wut" befasst sich auch mit den Schwierigkeiten gefühlsstarker Kinder im Kindergarten oder in der Schule. Hier gibt es bei der Wahl der Einrichtung einiges zu bedenken. So sollte beispielsweise die Eingewöhnung auf die speziellen Bedürfnisse des Kindes eingehen, da hier langfristig eine gute Basis für die Betreuung geschaffen wird. Thematisiert wird außerdem, wie man Geschwisterkonflikte mit sehr emotionalen Kindern begleiten kann. Gerade in Familien mit einem gefühlsstarken Kind kommt es schnell zu der Situation, dass sich das andere Kind immer wieder zurück gesetzt fühlt.

Fazit


Dieses Buch wird für Eltern, die ein gefühlsstarkes Kind haben, sowohl ein Augenöffner als auch eine große Erleichterung sein. Es enthält zahlreiche Denkanstöße, Ideen und praktische Tipps, die den Familienalltag mit Sicherheit bereichern werden. Ich liebe Noras Schreibstil - warm, mitfühlend und kompetent begleitet sie durch ein Thema, zu dem es bisher kaum bedürfnisorientierte Literatur gibt. Vollkommen verdient ist es mittlerweile ein Spiegel-Bestseller.

Wenn ihr Euer Kind als gefühlsstark wiedererkennt, kann ich Euch das Lesen dieses tollen Buches nur wärmstens empfehlen. Wenn ihr das über diesen Link tut, unterstützt ihr uns gleichzeitig dabei, weil wir dann eine kleine Provision bekommen (natürlich ohne Mehrkosten für Euch). Wir freuen uns aber natürlich auch sehr, wenn ihr den stationären Buchhandel unterstützt und das Buch vor Ort im Laden erwerben wollt.

Weitere wunderbare und lesenswerte Bücher von Nora Imlau sind übrigens "Das Geheimnis zufriedener Babys" und "Schlaf gut Baby" (über die ich an anderer Stelle hier im Blog schon schrieb).

© Danielle

Bedürfnisorientierte Begleitung hyperaktiver Kleinkinder - Teil 3 Hilfe zur Eigenregulation

Gastartikel von Lea Ibell

In den vorherigen Teilen dieser Reihe über die bedürfnisorientierte Begleitung von hyperaktiven Kindern schrieb unsere Gastautorin Lea Ibell, Mutter eines Kindes mit ADHS, über  Freiraum(überforderung) und Grenzen(übertretung) und spezielle Bedürfnisse von hyperaktiven Kindern und deren Befriedigung. Heute soll es um die Unterstützung der Eigenregulation von Kindern mit ADHS gehen.

Oft wissen Kinder mit ADHS genau, wie sie handeln wollen/sollen, benötigen aber eine „Umsetzungshilfe“ als Gefahrenschutz, Reizfilter und Korrektiv, denn sie...


Müdigkeit, Krankheit, Stress und Frustrationen verstärken ihre regulatorischen Schwierigkeiten. Die Eigenregulationsfähigkeit nimmt im Laufe der Zeit zu. Allerdings wird unregulierte Emotion mit zunehmender Kraft auch immer gefährlicher.

Bedürfnisorientierte Begleitung hyperaktiver Kleinkinder - Teil 2 Bedürfnisse und Bedürfnisbefriedigung

Gastartikel von Lea Ibell

Im ersten Teil des Artikels über den bedürfnisorientierten Umgang mit hyperaktiven Kindern ging es um Freiraum(überforderung) und Grenzen(übertretung). Im 2. Teil schreibt Lea Ibell, Mutter eines Kindes mit ADHS, über spezielle Bedürfnisse von hyperaktiven Kindern und deren Befriedigung.Aus einer bedürfnisorientierten Perspektive ist es wichtig, die echten Bedürfnisse hyperaktiver Kinder und ihre „andere Sicht auf die Welt“ (an) zu erkennen. Nur so kann auch beim Kind Verständnis und echte Einsicht bewirkt werden.

Hindernisse bei der Bedürfnisbefriedigung


Im Alltag werden die Bedürfnisse hyperaktiver Kleinkinder oft erst spät oder gar nicht befriedigt. Diese Behauptung erscheint paradox, weil die Kinder meist schlecht warten können und sich ihre Wünsche schnell und sofort zu erfüllen suchen. Doch zahlreiche Faktoren wirken sich ungünstig aus:

Kind auf Mauer am See

Bedürfnisorientierte Begleitung hyperaktiver Kleinkinder - Teil 1 Freiraum(überforderung) und Grenzen(übertretung)

Gastartikel von Lea Ibell

Für unsere Familie war die Diagnose unseres Sohnes eine hilfreiche Erkenntnis, um einen verständnisvollen Umgang zu entwickeln. Der Text soll eine Anregung sein, sich frühzeitig mit der „Besonderheit ADHS“ [1] zu beschäftigen und bedürfnisorientiert darauf zu reagieren. Der Text steht unter einer freien Lizenz (CC BY).

Hyperaktive [2] Kinder fallen oft schon früh auf: Sie sind unruhiger, schneller, lauter und unvorsichtiger als gleichaltrige Kleinkinder. Anderen Eltern kann man den Familienalltag schwer verständlich machen. Das gilt auch für das frustrierende Gefühl, weder mit liebevollen Erklärungen, noch mit Warnungen, Ermahnungen oder Konsequenzen auf das kindliche Verhalten Einfluss nehmen zu können, was für Eltern auch eine elementare Erfahrung mangelnder Selbstwirksamkeit darstellt. Hyperaktive Kleinkinder verhalten sich in solch einer Frequenz und Geschwindigkeit unberechenbar, dass man dauernd an (und über) seine eigenen Grenzen gelangt. Der Alltag ist geprägt von ständigem Reagierenmüssen.

Die besten Bücher über Kinder und Erziehung

Erziehungsratgeber die wirklich hilfreich, empfehlenswert und lesenswert sind


Das Thema Erziehungsratgeber (ich nenne sie eigentlich viel lieber "Bücher über Kinder") spaltet die deutsche Elternschaft in drei Lager:
  1. diejenigen, die sie völlig überflüssig finden und sagen: ich erziehe rein nach Bauchgefühl,
  2. diejenigen, die sagen, dass sie eigentlich keine brauchen, aber bei speziellen Problemen durchaus mal gezielt dazu nachlesen und
  3. diejenigen, die sehr gerne welche lesen.
Es wird keine Überraschung sein, dass ich der dritten Gruppe angehöre. Geplant war das eigentlich anders - ich war anfänglich davon ausgegangen, dass ich das mit dem Kinderhaben ganz locker hinbekomme und ich war fest entschlossen, einfach auf mein Bauchgefühl zu hören. Wie das kolossal schief ging und warum ich recht schnell begann, verschiedene Bücher zu lesen, das habe ich im Artikel über das Bauchgefühl ausführlich erzählt.