Lobe können die Bedingungslosigkeit unserer Liebe einschränken - warum man lieber wahrnehmen und ermutigen statt loben sollte
Als meine Tochter 4 Jahre alt war, musste sie ein bitteres Antibiotikum nehmen. Am dritten Tag nahm sie die Dosierspritze, prüfte, ob ich genau hinsehe und fragte dann erwartungsvoll: "Mama lobst Du mich, wenn ich das ganz tapfer nehme?" Das war schon das zweite oder dritte Mal, dass sie mich so etwas fragte und das irritierte mich irgendwie zutiefst. Ich lobte sie zu diesem Zeitpunkt vollkommen "intuitiv" in ganz normalem Umfang. Nach meinem Gefühl nicht zu wenig und nicht übertrieben viel. Ihr Verhalten kommentierte ich durchaus häufig wohlwollend - wie es eben die meisten von uns so machen mit "Das hast Du wirklich toll gemacht", "Prima!" oder ähnlich. Lob war für mich bis zu diesem Zeitpunkt ein normales (Erziehungs-)Mittel, mit dem man Verhalten positiv verstärkt. Es diente der Ermutigung und der Bestätigung. Aber warum reichte meinem Kind mein Loben offenbar nicht (mehr) aus? Ich fand es irgendwie sehr seltsam, dass das Loben plötzlich aktiv eingefordert wurde und begann, mich mit dem Thema intensiv auseinander zu setzen. Dieser Schritt ist rückblickend für mich der wichtigste in meiner gesamten Mutterschaft gewesen, da er mir den Blick auf eine ganz andere Art des Elternseins schenkte...
Der Effort-Effekt
Ich las mich also durch verschiedenste Quellen und wollte eigentlich nur die gängigen Erkenntnisse und Empfehlungen zum Thema Loben für unseren Blog zusammenfassen. Dabei stolperte ich zunächst über den sehr interessanten "Effort-Effekt", den die Psychologin Carol Dweck von der Stanford Universität beschrieb.
Sie suchte willkürlich Fünftklässler aus und gab ihnen eine relativ einfache Aufgabe zu lösen. Die Kinder wurden in Gruppen aufgeteilt - eine Gruppe (A) wurde nach dem Lösen der Aufgabe gelobt mit "Du bist wirklich schlau!", die andere Gruppe (B) mit "Du hast dich wirklich angestrengt!" Eigentlich kein großer Unterschied - möchte man meinen. Doch die Rückmeldungen unterschieden sich durchaus - in Gruppe A wurde eine (vermeintliche) Eigenschaft des Kindes gelobt, in Gruppe B wurde allein das Verhalten des Kindes hervorgehoben.
Allen Kindern wurde eine weitere Aufgabe zur Wahl gestellt - sie sollten wählen, ob diese schwerer oder leichter sein sollte, als die vorherige. Die Schüler der Gruppe A wählten überwiegend die leichtere Aufgabe, die Kinder der Gruppe B wählten zu 90% die schwierigere Aufgabe. Offenbar wollten die Kinder, die für ihre Intelligenz gelobt wurden, kein Risiko eingehen, diesen "Status" zu verlieren, während die Kinder, die für ihre Bemühungen Anerkennung bekamen, diese gleich erneut unter Beweis stellen wollten.
In einem anderen Experiment wurde den Kindern nach der Lösung der ersten Aufgabe keine Wahl gelassen - sie bekamen eine sehr schwierige, für sie kaum lösbare Aufgabe. Die Kinder der Gruppe B strengten sich an und versuchten verschiedene Lösungswege. Trotz des Scheiterns gaben sie an, dass ihnen die Suche der Lösung Spaß bereitet hätte. Die Kinder der Gruppe A hingegen zweifelten offenbar durch das Scheitern an ihrer zuvor bescheinigten Intelligenz und gaben die Lösungssuche deutlich schneller und vor allem schlechtgelaunter auf.
Nach der schwierigen Aufgabe bekamen alle Kinder abschließend noch eine weitere, der ersten ähnliche Aufgabe gestellt. Die Kinder der Gruppe B schnitten bei der Lösung 30% besser ab im Vergleich zur ersten Aufgabe, die Kinder der Gruppe A hingegen 20% schlechter - offenbar wirkte sich die zwischenzeitliche Neueinschätzung der eigenen Intelligenz nach dem Scheitern bei der zweiten Aufgabe negativ auf die nachfolgende Aufgabe bei ihnen aus.
Der Test wurde weiter variiert und brachte weitere erstaunliche Unterschiede hervor. Nach der Lösung der ersten Aufgabe wurde den Kindern angeboten, entweder zu erfahren, wie sie im Vergleich mit den anderen Kindern abgeschnitten hatten oder eine Lösungsstrategie für die nächste Aufgabe vorgestellt zu bekommen - Gruppe A entschied sich überwiegend für den Vergleich, Gruppe B für die Lösungsstrategie. Während also die für ihre Intelligenz gelobten Kinder hauptsächlich daran interessiert waren, ihren Intelligenzstatus im Gruppenvergleich zu prüfen, war für die andere Gruppe wesentlich interessanter, wie die nächste Aufgabe besser gelöst werden kann.
Offenbar können sich also schon Nuancen beim Loben nachhaltig auf das Verhalten und die Bemühungen von Kindern auswirken. Wird betont, wie sehr sie sich bemüht haben, motiviert sie das, weil die Bemühung von ihnen aktiv steuerbar ist - während gelobte Eigenschaften eine statische Größe sind, die sie nicht oder nur in geringem Maß beeinflussen können. Das Kind für seine Klugheit zu loben, führt - wie man an den Experimenten von Dweck sieht - scheinbar auch dazu, dass Kinder sich darauf ausruhen: "Ich bin klug, was soll ich mich dann groß anstrengen". Mit Misserfolgen können solche Kinder dann oft schwer umgehen, da sie sie als Unvollkommenheit der eigenen Person empfinden.
Während ich diesen Artikel über das Loben schrieb, drückte mir Snowqueen ein Buch in die Hand und meinte, sie hätte das Buch zwar noch nicht gelesen, aber da würde das Thema Loben etwas ausführlicher behandelt. Es war "Liebe und Eigenständigkeit" von Alfie Kohn. Der Untertitel "Die Kunst bedingungsloser Elternschaft jenseits von Belohnung und Bestrafung" machte mich sehr neugierig - Erziehen ohne Strafen? Wie soll das denn gehen?
Lobe schränken die Bedingungslosigkeit der Liebe ein
Während ich diesen Artikel über das Loben schrieb, drückte mir Snowqueen ein Buch in die Hand und meinte, sie hätte das Buch zwar noch nicht gelesen, aber da würde das Thema Loben etwas ausführlicher behandelt. Es war "Liebe und Eigenständigkeit" von Alfie Kohn. Der Untertitel "Die Kunst bedingungsloser Elternschaft jenseits von Belohnung und Bestrafung" machte mich sehr neugierig - Erziehen ohne Strafen? Wie soll das denn gehen?
Ich begann das Buch zu lesen und war schon nach wenigen Seiten regelrecht erschüttert, weil es meine bisherige Sicht auf das Thema Erziehung plötzlich komplett auf den Kopf stellte und mich viele Tatsachen aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachten lies. Und ich verstand plötzlich, warum mein Kind sich so merkwürdig verhielt. (Hier findest Du eine Leseprobe der ersten 41 Seiten des Buches. In unserem Blog gibt es außerdem eine sehr ausführliche Rezension zum Buch.)
Der Autor Alfie Kohn stellt die Frage, ob es wirklich ausreichend ist, dass wir unsere Kinder von Herzen lieben oder ob es nicht viel mehr entscheidend ist, wie wir sie lieben. Nach seiner Ansicht besteht ein entscheidender Unterschied darin, ob unsere Kinder das Gefühl haben, dass wir sie lieben, für das, was sie tun oder für das, was sie sind. Nun wird jeder Einzelne zurecht einwenden: Selbstverständlich liebe ich mein Kind für das, was es ist und das wird ganz zweifelsfrei auch so sein.
Beobachtet man jedoch mal das eigene Verhalten seinem Kind gegenüber etwas genauer, wird man feststellen, dass diese eigentlich selbstverständliche Tatsache für das Kind tatsächlich leider oft nicht eindeutig erkennbar ist. Auch wenn jedes Elternteil weiß, dass es sein Kind vollkommen bedingungslos liebt - unsere Kinder werden nicht mit dem Wissen geboren! Sie müssen sich dessen immer und immer wieder versichern. Und wodurch gewinnt ein Kind die Gewissheit, dass es geliebt und bedingungslos angenommen wird? Vor allem durch liebevolle Zuwendung, zärtliche Berührungen und durch unserer Worte - diese machen in unserer Gesellschaft den größten Teil der Zuwendungsbekundungen aus.
Wir neigen leider stark dazu, uns unseren Kindern immer dann besonders positiv zuzuwenden, wenn sie entweder einen Entwicklungsschritt getan haben ("Super, Du kannst schon alleine Radfahren!"), eine außergewöhnliche Leistung erbracht haben ("Prima, wie weit Du gesprungen bist!") oder wenn sie sich - nach unseren Maßstäben - besonders gut benehmen ("Toll, dass Du so artig warst!").
Die Kinder fühlen sich in solchen Situationen besonders angenommen und anerkannt. Da dem Lob jedoch immer eine Handlung von ihnen vorausgeht, kann das im Laufe der Zeit dazu führen, dass sie das Gefühl entwickeln, dass die elterliche Liebe nicht wirklich bedingungslos ist. Schließlich wird unterbewusst für sie der Eindruck erweckt, dass irgendwie immer etwas "vollbracht" werden muss, um eine deutlich erkennbare Zuwendung zu erhalten. Im kindlichen Unterbewusstsein entsteht die Verknüpfung: "Aha - wenn ich mich so verhalte, wie Mama es sich wünscht oder ich außergewöhnliche Dinge vollbringe, dann bekomme ich uneingeschränkt Aufmerksamkeit und Zuneigung".
Das Schwierige daran ist, dass grundsätzlich beim Kind der Eindruck entstehen kann, dass man sich die elterliche Zuneigung erst verdienen muss, da sie ja vornehmlich dann gezeigt wird, wenn irgendeine eine Leistung gezeigt wurde - sie also fast immer an eine Bedingung geknüpft ist. Dieses Empfinden wird auch dadurch verstärkt, dass man im Grunde nie Zuwendung zeigt oder sie gar vorsätzlich entzieht, wenn unerwünschtes Verhalten gezeigt wird. Fliegt der Becher mit Saft absichtlich vom Frühstückstisch, ist die elterliche Reaktion in der Regel nicht positiv oder verständnisvoll und ganz sicher nicht liebevoll. Ob man es beabsichtigt oder nicht - das Kind stellt relativ rasch unbewusst die Verbindung her:
Das Schwierige daran ist, dass grundsätzlich beim Kind der Eindruck entstehen kann, dass man sich die elterliche Zuneigung erst verdienen muss, da sie ja vornehmlich dann gezeigt wird, wenn irgendeine eine Leistung gezeigt wurde - sie also fast immer an eine Bedingung geknüpft ist. Dieses Empfinden wird auch dadurch verstärkt, dass man im Grunde nie Zuwendung zeigt oder sie gar vorsätzlich entzieht, wenn unerwünschtes Verhalten gezeigt wird. Fliegt der Becher mit Saft absichtlich vom Frühstückstisch, ist die elterliche Reaktion in der Regel nicht positiv oder verständnisvoll und ganz sicher nicht liebevoll. Ob man es beabsichtigt oder nicht - das Kind stellt relativ rasch unbewusst die Verbindung her:
erwünschtes Verhalten = Lob, Freude, Aufmerksamkeit und Zuneigung
unerwünschtes Verhalten = Tadel, Strafe, Ignoranz und Ablehnung
In vielen Erziehungsratgebern wird sogar geraten, sich diese Erkenntnis zunutze zu machen und aktiv erwünschte Verhaltensweisen mit Lob zu verstärken und nicht erwünschte zu bestrafen (oder zu ignorieren). Das Bestrafen wird mittlerweile auch gerne mit dem Begriff "logische Konsequenz" geschönt - letztendlich ist es dennoch eine Strafe.
Leider ist es tatsächlich möglich, das Verhalten des Kindes zu lenken und zu beeinflussen. Kinder reagieren da nicht anders als Ratten in einer Skinnerbox, die schnell begreifen, welchen Schalter sie drücken müssen, damit ein Leckerli in ihren Futternapf fällt. Lernen durch Verstärkung nennt man das - operante Konditionierung. Konditionierung? Ja - man kann es auch "Steuerung" oder "Manipulation" nennen. Das sind durchaus effektive Methoden - aber sind sie tatsächlich das, was man sich für die Erziehung seiner Kinder wirklich wünscht?
Lob macht abhängig
Kinder lieben es durchaus sehr, gelobt zu werden - im Belohnungszentrum des Gehirns schütten die Nervenzellen nach einem Lob das Glückshormon Dopamin sowie körpereigene Opiate und Oxytocin aus - diese sorgen für Entspannung, Glücksgefühle und Lebensfreude. Sie machen aber auch süchtig (siehe dazu auch die weiterführenden Links unter dem Artikel), kein Wunder also, dass meine Tochter immer mehr Lob wollte.
Menschen sehnen sich nach Anerkennung, sie wollen dazu gehören und wahrgenommen werden - all dies drücken wir durch Lobe aus. Allerdings gibt es verschiedene Arten zu loben - ehrliche und manipulative Lobe. Wirklich glücklich machen uns nur die ehrlichen, von Herzen kommenden Lobe . Wir freuen uns ja alle über eine ernst gemeintes "Gut gemacht" von unserem Arbeitgeber oder ein "Das hast Du super lecker gekocht!" von unserem Partner. Manipulative Lobe hingegen ärgern uns - wer merkt, dass er vom anderen gelobt wird, weil er ein bestimmtes Ziel erreichen will, ist verärgert.
Ehrliches Lob ist für uns Erwachsene Ermunterung und positives Feedback und grämen uns nicht allzu sehr, wenn es mal ausbleibt, weil wir wissen, dass wir dennoch geliebt werden. Unsere Kinder verfügen über dieses Wissen nicht. Sie zweifeln sehr viel schneller nach einem lauteren Wort oder einer unwirschen Geste, ob wir sie noch lieben. Ich habe schon öfter auf dem Spielplatz ein verzweifeltes "Mama, hast Du mich noch lieb?" gehört, nachdem ein Kind ausgeschimpft wurde.
Wie häufig wirst Du eigentlich von Deinem Chef gelobt? Wie oft von Deinem Partner? Wir Erwachsenen loben uns in der Regel eher selten, aber wenn, dann in der Regel ehrlich und von Herzen. Deswegen freuen wir uns darüber auch so sehr und es macht das Loben für uns wertvoll. Wie aber würde sich Lob anfühlen, wenn plötzlich ganz, ganz viele unserer Handlungen lobend kommentiert würden? "Schatz, Du hast die Wäsche aber heute schnell aufgehängt!", "Wie die Fenster glänzen - wirklich toll geputzt!" und "Das Gute-Nacht-Lied hast Du aber wunderschön gesungen!". Wie würde sich das anfühlen? Wie wertvoll ist ein Lob, wenn man davon zehn bis zwanzig am Tag bekommt? Wie viel Freude würde einem Lob bereiten, wenn es im Alltag dauerhaft präsent ist?
Wenn wir unser eigenes Lobverhalten mal ganz selbstkritisch analysieren, werden wir feststellen, dass ein Großteil der Lobe, die wir unseren Kindern gegenüber aussprechen nicht nur reine Freude ausdrückt, sondern das Verhalten des Kindes - ebenso wie Strafen - in eine für uns erstrebenswerte Richtung lenken soll. Mach den Selbstversuch - zähle mal einen Tag lang ganz bewusst mit, wie oft Du Dein Kind lobst - zähle auch alle "super", "toll" und "prima" mit - auch das sind kleine Lobe. Frage Dich bei jedem Lob in den nächsten Tagen, was die dahinter steckende Motivation war. Willst Du (wirklich) nur Freude teilen oder (auch) das Verhalten verstärken?
Die meisten Eltern werden feststellen, dass sie sehr viel häufiger loben, als sie annehmen und auch, dass es ganz oft mit der Absicht geschieht das Verhalten des Kindes in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.
Als ich mein Lobverhalten begann kritisch zu überdenken, stellte ich fest, dass ich tatsächlich öfter lobte, um Verhalten zu verstärken: "Wie ordentlich Dein Zimmer aussieht!" (bitte räume unbedingt künftig weiter so fleißig auf). "Oma hat sich gefreut, dass Du ihr so nett 'Tschüß' gesagt hast!" (bitte sei weiter immer höflich zu allen). "Prima, wie das mit dem Zähne putzen klappt!" (hoffentlich bleibt das übliche Theater weiterhin aus). Andere Lobe waren so banal und nebensächlich, dass ich mich fast schämte - warum habe ich beim 12. Bügelperlenbild immer noch: "Das hast Du toll gemacht!" gesagt? Ich beschloss, künftig ohne sinnlose und manipulierende Lobe auszukommen.
Wenn ich anderen erzähle, dass ich meine Kinder nicht mehr (sinnlos) lobe, denken viele, dass das bedeutet, dass ich mich ihnen gar nicht mehr positiv zuwende. Das ist natürlich nicht der Fall. Ich werde gefragt: "Soll ich etwa stumm daneben stehen, wenn mein Kind seine ersten Schritte tut und vollkommen emotionslos bleiben?" Nein! Natürlich nicht! Man kann und darf begeistert sein, sich freuen, das Kind herzen und jubeln. Sich freuen und sagen "Wow! Das hast Du großartig gemacht! Du kannst Laufen!" Das ist ein riesiger Entwicklungsschritt, wenn man sich von Herzen freut und stolz ist, dann soll das gezeigt werden - das ist ehrlich und authentisch - kein manipulierendes Lob. Man kann und soll sich mit dem Kind unbedingt mitfreuen - echte Freude über neue Entwicklungsschritte und außergewöhnliche Leistungen sind absolut berechtigt.
Was tun statt Loben?
Als ich mein Lobverhalten begann kritisch zu überdenken, stellte ich fest, dass ich tatsächlich öfter lobte, um Verhalten zu verstärken: "Wie ordentlich Dein Zimmer aussieht!" (bitte räume unbedingt künftig weiter so fleißig auf). "Oma hat sich gefreut, dass Du ihr so nett 'Tschüß' gesagt hast!" (bitte sei weiter immer höflich zu allen). "Prima, wie das mit dem Zähne putzen klappt!" (hoffentlich bleibt das übliche Theater weiterhin aus). Andere Lobe waren so banal und nebensächlich, dass ich mich fast schämte - warum habe ich beim 12. Bügelperlenbild immer noch: "Das hast Du toll gemacht!" gesagt? Ich beschloss, künftig ohne sinnlose und manipulierende Lobe auszukommen.
Wenn ich anderen erzähle, dass ich meine Kinder nicht mehr (sinnlos) lobe, denken viele, dass das bedeutet, dass ich mich ihnen gar nicht mehr positiv zuwende. Das ist natürlich nicht der Fall. Ich werde gefragt: "Soll ich etwa stumm daneben stehen, wenn mein Kind seine ersten Schritte tut und vollkommen emotionslos bleiben?" Nein! Natürlich nicht! Man kann und darf begeistert sein, sich freuen, das Kind herzen und jubeln. Sich freuen und sagen "Wow! Das hast Du großartig gemacht! Du kannst Laufen!" Das ist ein riesiger Entwicklungsschritt, wenn man sich von Herzen freut und stolz ist, dann soll das gezeigt werden - das ist ehrlich und authentisch - kein manipulierendes Lob. Man kann und soll sich mit dem Kind unbedingt mitfreuen - echte Freude über neue Entwicklungsschritte und außergewöhnliche Leistungen sind absolut berechtigt.
Es geht vielmehr um die Vermeidung von manipulativem Lob und Lob aus der Gießkanne. Letzteres macht z. B. meine Schwiegermutter. Den ganzen Tag hört mein Kind "Prima! Toll gemacht! Klasse!" - für wirklich jeden Pups - das macht mich wahnsinnig! Hinweise wie: "Das Kind ist doch kein Hund!" werden da rigoros ignoriert. Ich will kein Gießkannenlob mehr, denn Kinder wollen gar nicht belobhudelt, sondern einfach nur gesehen werden. Jedes belanglose Lob degradiert durch seine Häufigkeit die echten und angebrachten Lobe - diese werden immer wertlosen. Probiere doch einfach mal aus, auf das nächste "Schau mal Mama!" mit "Ich sehe Dich!" zu reagieren, statt die Situation mit einem "toll", "super" oder "prima" zu bewerten. Du wirst sehen - das reicht Deinem Kind vollkommen aus - es ist glücklich, wenn Du es wahrnimmst.
Unterschwellig manipulative Lobe habe ich mittlerweile vollständig durch Wahrnehmen und Mitfreuen ersetzt. Ganz ohne Wertung. Das ist ein durchaus kleiner - aber in meinen Augen entscheidender - Unterschied. Stellen wir uns eine Situation auf dem Spielplatz vor. Ein Kind erklimmt zum ersten Mal mühsam eine Klettergerüst. Es erreicht stolz den obersten Teil des Kletterobjekts und strahlt: "Mama! Schau doch mal!" Es gibt verschiedene Reaktionsmöglichkeiten (dem Kind jeweils begeistert zugerufen):
"Super, das hast Du aber toll gemacht! Wie gut Du schon klettern kannst!"
"Huhu! Ich sehe Dich! Du bist bis ganz nach oben geklettert! Du hast es geschafft!"
Das ist doch eigentlich das Gleiche? Tatsächlich - oberflächlich gesehen ist es das Selbe - positives Feedback. Bei der ersten Variante wird das Kind jedoch bewertet ("toll gemacht" "gut"), in der zweiten nicht. Bei dieser werden ausschließlich Beobachtungen - keine Einschätzungen - geäußert. Das Kind wird nur Wahrgenommen. Und es wird sich mitgefreut.
Es geht beim Ansatz nicht mehr manipulativ zu loben überhaupt nicht darum, keine Anerkennung mehr auszudrücken, sondern vor allem darum die mit einem Lob meist verbundene Wertung weg zu lassen. "Das hast Du super gemacht!", "Das gefällt mir sehr!" und selbst ein simples "Toll!" sind Bewertungen einer vollbrachten Leistung. Ich signalisiere, dass mir gefällt, was getan wurde. Wenn mein Kind mir beim Tischdecken hilft und ich sage: "Das hast Du toll gemacht!", dann ist das eine Bewertung ("Aha, Mama gefällt was ich getan habe"). Das kann jedoch auch zu dem Effekt führen, dass das Kind nicht mehr allein aus der Lust am Helfen (intrinsische Motivation) handelt, sondern deshalb, weil es dafür gelobt werden will (extrinsische Motivation). Dem Kind würde ein "Danke, dass Du mir geholfen hast" völlig ausreichen..
Eine Studie von Joan Grusec an der Universität von Toronto hat übrigens ergeben, dass das häufige Loben der Großzügigkeit dazu führt, dass Kinder weniger großzügig werden. Nach jedem Lob für Teilen oder Helfen interessierten sich die Kinder weniger dafür. Sie handelten nicht mehr aus einem inneren Bedürfnis sondern sahen das Helfen oder Teilen als Mittel zum Zweck, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Eine Studie von Joan Grusec an der Universität von Toronto hat übrigens ergeben, dass das häufige Loben der Großzügigkeit dazu führt, dass Kinder weniger großzügig werden. Nach jedem Lob für Teilen oder Helfen interessierten sich die Kinder weniger dafür. Sie handelten nicht mehr aus einem inneren Bedürfnis sondern sahen das Helfen oder Teilen als Mittel zum Zweck, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Und darum geht es Kindern vorrangig: um die Wahrnehmung ihrer Person - nicht um die Bewertung ihrer Handlungsweisen. Wenn sie tatsächlich bewertet werden wollen, werden sie es auch einfordern. Wenn Kinder von Anfang an gewohnt sind, dass Mama immer beurteilt, was sie sieht, werden sie sich schnell daran gewöhnen. Und es setzt sie unter Leistungsdruck - denn sie fürchten durchaus, dass sie nicht gut genug sein könnten und unser Wohlwollen dann schwindet. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich unser eigener Wissens- und Erfahrungshorizont über Jahrzehnte aufgebaut und geformt hat. Ein kleines Kind denkt und fühlt ganz anders als wir - es ist sich unserer Liebe eben nicht ohne weiteres sicher.
Wird ein Kind wahrgenommen statt wertend gelobt, wird es das Gefühl, Leistungen vollbringen zu müssen, um Zuneigung zu erhalten, vermutlich nicht entwickeln. Vielmehr wird es vornehmlich aus einer inneren Motivation heraus handeln und sich von Leistungen unabhängig angenommen und geliebt fühlen. Und es wird sich nicht fragen, was passiert, wenn es mal keine "tollen Leistungen" vollbringt.
Kinder verlernen leider sehr schnell, sich am Ergebnis oder auch einfach nur am Handeln zu erfreuen. Sie haben sich oft schon vollkommen daran gewöhnt, dass ständig ihre Leistungen bewertet werden - auch ungefragt. Sie beginnen dann auch häufig, diese Bewertung aktiv einzufordern - z. B. durch die einfache Frage "(Wie) gefällt dir das?" Sie scheinen aktiv nach Bestätigung zu suchen. Das ständige Feedback geben und Rückversichern stört übrigens auch langfristig das Lernen und den Flow.
Über das Thema ist in Foren schon oft diskutiert worden. "Das Kind muss doch lernen, was es tun soll - dafür braucht es meine Bewertung!" wird unter anderem geschrieben. Nur dafür muss man ja nicht unbedingt wertend loben. "Super, dass Du den Tisch so schön aufgeräumt hast - ich freue mich darüber!" ist manipulatives Loben - schließlich will ich nichts anderes erreichen, als dass künftig wieder motiviert aufgeräumt wird. Freudig zu sagen "Ich sehe, dass Du Dein Zimmer aufgeräumt hast!" signalisiert ebenso gut, dass das Verhalten positiv aufgenommen wird - ohne unterschwellig zu suggerieren, dass künftig auch eine Leistung erbracht werden muss, damit ich mich freue.
Einwände gegen das Nichtloben
Über das Thema ist in Foren schon oft diskutiert worden. "Das Kind muss doch lernen, was es tun soll - dafür braucht es meine Bewertung!" wird unter anderem geschrieben. Nur dafür muss man ja nicht unbedingt wertend loben. "Super, dass Du den Tisch so schön aufgeräumt hast - ich freue mich darüber!" ist manipulatives Loben - schließlich will ich nichts anderes erreichen, als dass künftig wieder motiviert aufgeräumt wird. Freudig zu sagen "Ich sehe, dass Du Dein Zimmer aufgeräumt hast!" signalisiert ebenso gut, dass das Verhalten positiv aufgenommen wird - ohne unterschwellig zu suggerieren, dass künftig auch eine Leistung erbracht werden muss, damit ich mich freue.
Der nächste Einwand lautet häufig, dass doch Beeinflussung per se nun nichts Schlimmes sei. Es ist doch auch eigentlich Aufgabe der Eltern, den Kindern Werte, Benehmen und Moral zu vermitteln. Die Frage, die sich dabei stellt ist, ob es der richtige Weg ist, diese Beeinflussung unterbewusst und manipulierend zu gestalten. Wie würdest Du Dich fühlen, wenn Du zufällig heraus bekommen würdest, dass Dein Partner die Ergebnisse Deiner Kochkünste eigentlich nur ziemlich mittelmäßig schmecken, er Dich aber ganz oft ausgiebig lobt, weil er auf keinen Fall selber kochen will? Dein Mann würde so etwas Gemeines gar nicht machen? Warum machen wir so etwas aber mit unseren Kindern? Und - letztendlich entwickelt sich das Wertesystem, das Benehmen und die Moral doch viel mehr durch aktives Vorleben, als durchs Erziehen.
Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass viel Loben das Selbstwertgefühl steigert - aber wenn man genauer darüber nachdenkt, erkennt man, dass tatsächlich das Gegenteil der Fall ist. Wie will man ein gesundes Selbstwertgefühl und Freude, an dem, was man tut, entwickeln, wenn die eigenen Leistungen unablässig fremd bewertet werden? Wenn man immer nur von anderen hört, ob man gut (genug) ist? Und was empfindet ein Kind, das sein Bild eigentlich im Stillen als nicht gelungen betrachtet, das dann gießkannenartig hört "Toll gemacht!"? Es wird verwirrt sein und denken, dass die eigene Einschätzung falsch ist - wie soll es da selbstkritisch werden?
Es wird ebenso häufig angemerkt, dass Lob in der Gesellschaft weit verbreitet ist - sei es in der Kita, in der Schule oder durch die Oma, ein Leben ohne Lobe wäre gar nicht denkbar, deswegen könne man als Eltern doch nicht als einzige nicht loben. Mal davon abgesehen, dass ich mein Kind genauso viel "wahrnehmen" wie "loben" kann und es dabei im Grunde keinen bewussten Unterschied bemerkt, ist der entscheidende Punkt dabei: es geht hier um die Bedingungslosigkeit der elterlichen Liebe, nicht die der Lehrer, Erzieher oder Verwandten. Ich als Mutter möchte, dass mein Kind mit dem Gefühl aufwächst ohne jedwede Einschränkung von mir von Herzen geliebt zu werden. Es soll niemals daran zweifeln, dass ich ihm immer uneingeschränkt zugeneigt sein werde und es soll nie das Gefühl haben, dass es meine Liebe verdienen muss oder dafür besondere Leistungen erbringen. Und diese Überlegungen spielen in der Beziehung zu anderen Menschen überhaupt keine Rolle.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Bei diesem Artikel geht es nicht darum, gar nicht mehr zu loben - ehrliche, nicht manipulative Freude von Herzen soll unbedingt immer ausgedrückt werden - nur idealerweise nicht an Bedingungen geknüpft. Ein Kind, das ohne Wertung positiv auf- und angenommen wird, freut sich genauso sehr, wie ein Kind, das gelobt wird.
Meine persönlichen Erfahrungen ohne Lobe
Zugegeben - anfangs fiel es durchaus schwer, sich von den bisherigen Verhaltensmustern zu befreien. In unserer Gesellschaft ist das inflationäre Loben stark verbreitet - auf einem belebten Spielplatz kann man sich recht schnell ein eindrucksvolles Bild davon machen.
Ich habe vor etwa sechs Jahren mit dem (wertenden) Loben aufgehört und bewusst wertfrei wahrgenommen oder Beobachtungen wiedergegeben. Interessanterweise wurde ab diesem Zeitpunkt auch keinerlei Bewertung mehr aktiv eingefordert. Mein Kind hatte sich offenbar durch das rein intuitive Loben in normalem Umfang von mir daran gewöhnt, dass es bei vielen Tätigkeiten bewertet wird. Blieb die Bewertung in Situationen aus, in denen sie eigentlich eine erwartet hätte, forderte sie sie also damals ein.
Nachdem ich ausschließlich wahrnahm, habe ich nach einer Weile beobachtet, dass sie viele Dinge viel mehr für sich machte und selbst bewertete und insgesamt zufriedener und ausgeglichener wirkte. Ich kann natürlich nicht sagen, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt - aber ich kann für mich feststellen, dass sich unser Zusammenleben verbessert hat und das Wahrnehmen-statt-Loben ganz sicher keine negativen Auswirkungen hatte. Nach allem, was ich darüber gelesen habe und nach meinen eigenen Erfahrungen, bin ich sicher, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, wie man ein Kind wahrnimmt. Ich kann jeden nur Ermutigen, es einfach mal wertfrei auszuprobieren!
Nachdem ich ausschließlich wahrnahm, habe ich nach einer Weile beobachtet, dass sie viele Dinge viel mehr für sich machte und selbst bewertete und insgesamt zufriedener und ausgeglichener wirkte. Ich kann natürlich nicht sagen, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt - aber ich kann für mich feststellen, dass sich unser Zusammenleben verbessert hat und das Wahrnehmen-statt-Loben ganz sicher keine negativen Auswirkungen hatte. Nach allem, was ich darüber gelesen habe und nach meinen eigenen Erfahrungen, bin ich sicher, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, wie man ein Kind wahrnimmt. Ich kann jeden nur Ermutigen, es einfach mal wertfrei auszuprobieren!
Durch das Nicht-Loben bin ich als konsequente Fortführung des Gedankens auf die bindungs- und beziehungsorientierte Elternschaft gestoßen - eine sehr intuitive Art der Erziehung, bei der das Kind bedürfnisgerecht umsorgt und unangemessenem Verhalten auf gewaltfreie Weise ohne Strafen begegnet wird. So hatte ich mir im Grunde das Zusammenleben in unserer Familien immer gewünscht und vorgestellt, doch die Gesellschaft zeichnet ein ganz anderes Bild vom Umgang mit Kindern. Mittlerweile habe ich mich von diesen gesellschaftlichen Einflüssen quasi "befreit" und erziehe meine Kinder als gleichwertige (nicht gleichberechtigte) Familienmitglieder, etwas, das ich mich anfangs nicht getraut habe.
© Danielle