Kritik am Baby-led weaning - einfach haarsträubend!

Die DGKJ und die FKE üben Kritik am Baby-led weaning - es bestehe Erstickungsgefahr und die Gefahr einer Mangelernährung wegen fehlender Nährstoffe


Die Deutsche Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hat ihre Empfehlungen für die Ernährung im Säuglingsalter aktualisiert. In einer Pressemitteilung  war vor ein paar Wochen zu lesen: "Dabei wurden auch neue Trends in der Babykost kritisch betrachtet". Aber dazu später mehr - nur so viel: es wird interessant! 

Zunächst einmal möchte ich aber die aktuellen Empfehlungen kurz zusammenfassen. Sie wurden als kurzes Faltblatt und als ausführlicher Artikel aufbereitet. Man fragt sich aber schon ein bisschen, was jetzt eigentlich wirklich so neu ist. Aber lest selbst:
 
Baby isst Melone


Die Empfehlungen zur Ernährung gesunder Säuglinge


Stillen 


Innerhalb von 2 Stunden nach der Geburt soll das Kind angelegt werden und die Brustwarze möglichst selbst finden. Es erfolgt eine nähere Untersuchung des Kindes, wenn es mehr als 7-10% des Geburtsgewichtes abnimmt oder über 7 Tage nicht zunimmt. Danach wird nach Bedarf gestillt. Am besten 4 bis 6 Monate lang ausschließlich - auch kürzeres Stillen oder Teilstillen sind sinnvoll. Ab Beginn der Beikostgabe kann weiter gestillt werden, so lange Mutter und Kind wollen. Es erfolgt keine Zufütterung, sofern keine medizinische Indikation vorliegt.

Säuglingsanfangsnahrung 


Im gesamten ersten Lebensjahr kann Pre- oder 1er-Nahrung gefüttert werden. Folgenahrungen werden erst gegeben, wenn das Kind Beikost erhält - sie sind nicht zwingend notwendig. Liegen allergische Erkrankungen in der Familie vor, kann HA-Nahrung bis zur Beikosteinführung gefüttert werden. Nahrung mit Sojaeiweiß soll nur bei besonderer Indikation verwendet werden. Selbst zubereitete Nahrungen aus Tiermilch dürfen nicht gegeben werden. Der Zusatz von LC-PUFA hat mögliche Vorteile, die Wirkung von Pre- und Probiotika sind nicht erwiesen.

Flaschennahrung muss frisch zubereitet werden, Reste werden verworfen. Flaschen und Sauger sind sorgfältig zu reinigen und trocken aufzubewahren. Auskochen und Sterilisierbäder sind nicht erforderlich. Pulvernahrung wird mit frischem Wasser zubereitet, über Nacht in der Leitung gestandenes Wasser wird nicht verwendet. Wasserfilter sind wegen der Keimbelastung zu vermeiden. Bei einem hohem Nitratgehalt (über 50 mg/l) und Bleileitungen soll auf abgepacktes, besonders gekennzeichnetes Wasser zurück gegriffen werden, das speziell als für die Zubereitung für Säuglinge gekennzeichnet.

Die Nahrung kann mit auf Trinktemperatur erwärmtes oder abgekochtes und auf Trinktemperatur abgekühltes Wasser zubereitet werden. Von der Zubereitung mit kochendem Wasser oder mit Wasser das heißer als 70°C ist, wird abgeraten.

Beikost 


Beikost soll im Alter zwischen 17 Wochen (4 Monate) und 26 Wochen (6 Monate) eingeführt werden. Der individuelle Zeitpunkt ergibt sich durch das Gedeihen und die Essfähigkeit des Kindes. Allergene sollen zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat eingeführt werden (also auch im Alter von 4 bis 6 Monaten). Gluten soll in diesem Zeitraum in kleinen Mengen und möglichst noch während des Stillens gegeben werden. 

Für die Beikost kann diesem Ernährungsschema gefolgt werden. Etwa monatlich wird dabei eine Milchmahlzeit ersetzt. Die erste Mahlzeit sollte aus Gemüse, Kartoffeln und Fleisch/Getreide bestehen. Beikost ist mit dem Löffel zu füttern und soll nicht aus Flasche oder Becher getrunken werden.

Es eigenen sich selbst hergestellte und industriell gefertigte Mahlzeiten. Fett ist in ausreichender Menge und in guter Qualität zuzugeben. Die Verwendung von Honig ist zu vermeiden. Beikost soll abwechslungsreich sein und eine positive Geschmacksprägung des Säuglings fördern. Auf den Zusatz von Salz und Zucker soll verzichtet werden.

Für den Milchbrei können 200 ml Kuhmilch verwendet werden. Als Getränk soll Kuhmilch erst gegen Ende des zweiten Lebensjahres gegeben werden, um nachteilige Wirkungen - bspw. auf die Eisenabsorption - zu vermeiden. Nachdem drei Breimahlzeiten eingeführt wurden, sollen Wasser und ungesüßte Tees angeboten werden. Davor ist Muttermilch/Säuglingsmilch ausreichend.

Alle Säuglinge erhalten 3 mal Vitamin K. Ab der zweiten Lebenswoche wird Vitamin D zugeführt und mit Fluorid kombiniert - in Abhängigkeit vom Gehalt des Trinkwassers. Eine vegetarische Ernährung ist möglich bei sorgfältiger Auswahl der Lebensmittel, eine vegane Ernährung ist abzulehnen.
 
Kind wird mit Brei gefüttert

Einschätzung 


Grundsätzlich gibt es nicht allzu viel Neues zu empfehlen - das meiste wird so seit Jahren in die Welt getragen. Nach wie vor recht starr ist der Plan, in festem Rhythmus Mahlzeiten komplett zu ersetzen. Relativ neu ist die Aussage, dass man Flaschen und Sauger nicht mehr auskochen oder sterilisieren muss - eine gründliche Reinigung reicht aus (darüber hatte ich ja schon im Artikel über Hygiene geschrieben). Bezüglich der Fluoridgabe habe ich vor kurzem darüber geschrieben, warum meiner Ansicht nach die Gabe durch eine Tablette eher nicht empfehlenswert ist - erst recht nicht von Geburt an in Kombination mit Vitamin D. Neu ist meines Wissens auch die Aussage, dass man Wasser für das Pulver von Flaschenmilch nicht mehr kochen muss - man kann auch einfach nur auf Trinktemperatur erwärmtes nehmen.

Die kritische Betrachtung neuer Trends wie Baby-led weaning 


Die da neu kritisch betrachteten Trends sind vegane Ernährung und Baby-led weaning. Es wird festgestellt, dass eine vegetarische Ernährung durchaus möglich ist, man müsse nur besonderes Augenmerk auf die Auswahl der Lebensmittel legen. Das ist nachvollziehbar - worauf genau man dabei achten muss, habe ich in diesem Artikel zusammengefasst. Eine vegane Ernährung von Babys ist laut DGKJ jedoch abzulehnen.
Erstaunt war ich von der Aussage, dass man vom Baby-led weaning explizit abrät. Bei dieser Methode entscheidet das Kind ganz allein, wie schnell es sich abstillt und was es in welchen Mengen verzehrt. Die Nahrung wird nicht als Brei gegeben, sondern in handlichen Stücken, von denen das Baby selbst "abbeißt".

Ich persönlich halte das ja für eine vollkommen artgerechte alternative Ernährungsweise, daher war ich gespannt, was man an dieser denn auszusetzen haben könnte. So las ich verblüfft im ausführlichen Konsensuspapier (S. 533):

"In einer jüngeren Publikation des Forschungsinstitutes für Kinderenährung wurde die vorhandene Datenlage zum Konzept "Baby-led weaning" systematisch erfasst und beurteilt. Hilbig und Mitarbeiter folgern, dass eine konsequente Verfolgung der Selbstfütterung von Beikost mit der Hand zu einer nicht erwünschten verzögerten Einführung erst im Laufe des 2. Lebenshalbjahres führte, mit möglichen Nachteilen für die Allergie- und Zöliakieprävention sowie das kindliche Aspirationsrisiko. Des Weiteren folgern die Autoren, dass die Selbstfütterung von Beikost mit der Hand in der Regel zu geringen verzehrmengen an Beikost und insbesondere einer niedrigen Zufuhr an nährstoffreicher Energiedichte und somit zu erheblichen Risiken für eine angemessene Nährstoffversorgung führt".

Um es kurz festzuhalten: die Ablehnung von BLW basiert ausschließlich auf einem Artikel von Hilbig, Alexy und Kersting "Beikost: Breimahlzeiten oder Finger Food" und in der Monatsschrift Kinderheilkunde erschien. Es werden folgende Gründe gegen das BLW angeführt:

  1. Fehlende Allergie-/Zöliakieprävention wegen zu spätem Beikoststart
  2. Aspirationsgefahr
  3. zu niedrige Energiezufuhr und Risiken für einen Nährstoffmangel
Ich habe mir diesen Artikel genauer angesehen und war doch sehr überrascht. Schauen wir uns die Punkte und vor allem ihre Begründung doch mal im Einzelnen an:

Fehlende Allergie-/Zöliakieprävention durch Baby-led weaning


Bis zum Jahr 2010 galt in Deutschland die Empfehlung Babys 6 Monate voll zu stillen, so wie die Weltgesundheitsorganisation auch noch immer tut. Diese Empfehlung wurde 2010 geändert - seitdem heißt es, dass der ideale Zeitraum für die Einführung von Beikost und von potentiell allergenen Lebensmittel das Alter zwischen vier und sechs Monaten ist.

Fragt man sich, warum diese Empfehlung eigentlich geändert wurde, würde man doch eigentlich vermuten, dass die Wissenschaft durch Studien zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die frühere Einführung Allergien wirksamer verhindert, als ein Beikoststart erst nach 6 Monaten. Das ist aber gar nicht der Fall - tatsächlich erwiesen ist nach wir vor nur, dass vor allem das Stillen eine protektive Wirkung bei der Allergievermeidung hat. 
 
Statue stillt Kind

Leider wird in Deutschland nur sehr kurz gestillt - mit 4 Monaten werden noch etwa 60 % der Kinder gestillt, bis zum Alter von 6 Monaten sinkt die Quote auf 40-50 %. Also hat man einfach den Beginn der Beikosteinführung nach vorne gezogen, damit möglichst beides noch zusammenfällt. Das wird auch hier vom Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft bestätigt:
"Neuere Daten [...] ergaben, dass im 6. Monat nur noch 52% der Kinder gestillt werden. [...] Würde eine Einführung der Beikost erst ab Beginn des 7. Monats empfohlen, müssten demzufolge knapp die Hälfte der [...] Säuglinge die Zeit bis zum empfohlenen Beikoststart mit Säuglingsmilchnahrung „überbrücken“. Die oben angeführte risikomindernde Maßnahme würde diese Kinder nicht erreichen".
Bei der Allergieprävention kommt es also nicht auf den Zeitpunkt der Beikosteinführung an, sondern darauf, dass gleichzeitig noch gestillt wird. Denn die Muttermilch schützt vor Allergien - im 5. Monat genau so, wie im 8. Monat. Daher ist die (ohnehin nur) vermeintliche spätere Einführung von Beikost durch das BLW im Grunde gar kein Problem - so lange dabei noch gestillt wird (was bei BLW ja üblicherweise der Fall ist). 

Ein Sonderfall ist jedoch Gluten. Aktuell hat eine Untersuchung niederländischer Forscher ergeben, dass der Erstkontakt für die Zöliakieprävention entscheidend ist. Dieser sollte zwischen dem 5. und 7. Lebensmonat erfolgen. Nun - das "Problem" lässt sich ja nun wirklich unkompliziert lösen. Wenn ein 5-monatiges Baby immer mal wieder an einem Brötchen oder einem Keks lutscht, hat man im Grunde schon alles getan, was für die Vorbeugung einer Zöliakie erforderlich ist.

Verwirrt hat mich außerdem die Annahme, dass BLW-Kinder automatisch viel später Beikost bekommen.  Wie heißt es so schön im DGKJ-Papier?
"Hilbig und Mitarbeiter folgern, dass eine konsequente Verfolgung der Selbstfütterung von Beikost mit der Hand zu einer nicht erwünschten verzögerten Einführung erst im Laufe des 2. Lebenshalbjahres führte".
Ein Baby ist jedoch schon mit 3 bis 4 Monaten - rein körperlich - in der Lage, Nahrung zu greifen, zum Mund zu führen und darauf rumzulutschen. Eine Befragung in meinem Lieblingsforum ergab, dass die Babys mit etwa 6 Monaten in der Lage waren, stückige Nahrung zu halten und das auch taten.

Außerdem wird beim BLW - ebenso, wie bei der "normalen" Beikosteinführung - auf die Signale des Babys geachtet. Der Zeitpunkt der Beikostreife ist vom Fütterungsverfahren völlig unabhängig. Es gibt Babys, die wollen im ganzen ersten Lebensjahr nichts anderes als Milch. Es gibt Babys, die können rein gar nichts Stückiges essen und würgen bis ins zweite Lebensjahr. Und es gibt Babys, die hassen Brei und essen nur Fingerfood. All das kann man als Elternteil überhaupt nicht beeinflussen - alle diese Kinder werden essen, was sie möchten, wenn der Zeitpunkt gekommen ist - und nicht, weil ich es innerhalb irgendwelcher bestimmten Zeiträume anbiete.

Im Artikel  "Beikost: Breimahlzeiten oder Finger Food" sind sogar einige (alle?) Studien zum Thema zusammenfasst. Eine davon hat ergeben, dass 56,48 % der BLW-Kinder vor dem 6. Monat (also mit 5 Monaten) schon nach Lebensmitteln griffen. Vor dem 8. Monat (also bevor die Babys 7 Monate alt waren!) aßen bereits 90 % der Babys Fingerfood. Von einer stark verzögerten Beikosteinführung kann also nicht wirklich die Rede sein.

Lustigerweise endet die Pressemitteilung mit den Worten:
"Insgesamt bestätigt die Ernährungskommission in ihrer wissenschaftlichen Publikation die Empfehlung, Säuglinge in den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten ausschließlich zu stillen".

Es wird also kritisiert, dass BLW-Kinder erst im zweiten Lebenshalbjahr mit Allergenen und Gluten in Kontakt kommen, aber man empfiehlt trotzdem generell auch bis 6 Monate ausschließlich zu stillen.

Zu niedrige Energiezufuhr und Risiken für einen Nährstoffmangel durch Baby-led weaning


In der Empfehlung heißt es: "Das Risiko einer verzögerten Einführung nährstoffreicher Lebensmittel mit ausreichender Energiedichte bei konsequenter Verfolgung des Selberessens der Beikost kann somit derzeit nicht ausgeräumt werden".
 
Gemüse und Gewürzmühlen

Das Risiko kann "nicht ausgeräumt" werden? Ja hat es denn mal einer überprüft, ob so ein Risiko besteht? Schließlich essen BLW-Kinder im Grunde das gleiche, wie Breikinder - allenfalls die Konsistenz unterscheidet sich. BLW-Kinder essen zwar durchschnittlich weniger, trinken dafür aber mehr Milch (die ja alle Nährstoffe enthält).

Man müsste doch eigentlich ganz einfach nur ein mal Blutbild bei BLW-Kindern zu machen - da würde man doch dann sehen, ob ein Mangel besteht oder nicht. Und wie kann man eigentlich behaupten, dass überhaupt ein Risiko besteht, wenn man im selben Artikel schreibt:
"Es gibt nur wenige Studien, die die Energie- und Nährstoffzufuhr sowie Wachstum und Gesundheit bei Säuglingen mit BLW untersucht haben. [...] In 2 Studien wurde das Wachstum von Säuglingen mit BLW mit dem Wachstum traditionell gefütterter Säuglinge verglichen: In einer Studie gab es keinen Unterschied im Körpergewicht, in der anderen wurde die Tendenz zu einer erhöhten Inzidenz von Untergewicht beim BLW und von Übergewicht bei traditioneller Fütterung beobachtet. Ob diese Assoziationen kausal sind, kann aus diesen Studien nicht entnommen werden."

Untergewicht kann man nicht pauschal gleichsetzen mit Unterernährung oder Nährstoffmangel. Die Kinder wiegen schlicht weniger, als die Breikinder. Bezüglich der Nährstoffe stellt man im Artikel ganz klar fest: 
"Vergleichende Studien zum Versorgungsstatus von Eisen oder anderen möglicherweise kritischen Nährstoffen im Beikostalter wie Jod oder Zink liegen nicht vor".
Es gibt also tatsächlich nicht eine einzige Studie, die einen Mangel bei BLW-Kindern festgestellt hat. Wie man trotzdem auf einen vermeintlichen Nährstoffmangel kommt, wird wie folgt erklärt:  
 "Dagegen zeigen Berechnungen unter realistischen Annahmen, dass bei ausschließlichem Stillen im 2. Lebenshalbjahr die Versorgung mit Nährstoffen defizitär wird, in der Reihenfolge Eisen, Vitamin B6, Zink, Phosphor, Magnesium und Kalzium und schließlich auch die Energieversorgung".
Die Autoren argumentieren also, dass beim BLW ein Nährstoffmangel zu erwarten ist, weil das bei ausschließlichem Stillen schließlich auch möglich ist. Wie soll das denn gehen? Beim BLW wird ja nun gar nicht "ausschließlich gestillt". Es wird einfach nur unverarbeitetere stückige Kost statt Brei angeboten - die kann kaum weniger Nährstoffe enthalten, als Brei - und schon gar nicht als solcher, der monatelang im Gläschen haltbar gemacht wurde. 

Dann gab es noch das Argument der "niedrigen Zufuhr an nährstoffreicher Energiedichte". Schauen wir doch mal in den Abstract der Quelle, auf die bei dem obigen Zitat zum Vollstillen im 2. Lebenshalbjahr verwiesen wird:
"If a mother nurses on demand and is well nourished, her milk supply probably can keep pace with her infant's energy needs for considerably longer than 6 months".

Die Milch einer Mutter, die sich gut ernährt, kann also wahrscheinlich mit dem steigenden Energiebedarf das Kindes mithalten.

Aspirationsgefahr beim Baby-led weaning 


Der weiterer Punkt, der dazu führte, dass vom DGKJ vom Baby-led weaning abgeraten wird, ist die Aspirationsgefahr. Das verwunderte mich - denn liest man das Fazit des Artikels, auf dem diese Empfehlung basiert, heißt es: 

"Beikost als Fingerfood und traditionelle Breieinführung schließen einander nicht aus".

Besteht denn nun eine gefährliche Aspirationsgefahr oder nicht? Wenn ja, dann muss man doch vom Verzehr jedweder stückiger Kost generell abraten und kann nicht sagen, beides ergänzt sich doch prima - oder? 
In dem Artikel heißt es zur Aspirationsgefahr weiter:
"Ein Vorbehalt des BLW ist das Risiko, feste Stücke zu aspirieren (z. B. Wurzelgemüse). In einer qualitativen Studie mit 20 Müttern berichteten 30% von einer oder mehreren Episoden, in denen sich das Kind verschluckt hatte. Allerdings hatten die Säuglinge in diesen Fällen auch ohne Eingreifen der Eltern die Speisen ausgehustet".
Es wird also generell vom BLW abgeraten, weil bei einer  Studie (?) mit 20 (!) Müttern insgesamt 6 (!) Mütter angegeben haben, dass sich das Kind an der Nahrung verschluckt (!) habe? Was wäre denn gewesen, wenn man mal zum Vergleich Mütter von Breibabys befragt hätte - wie viele von denen haben sich schon mal am Brei verschluckt? Ich möchte wetten, dass es mehr als 30 % waren! Denn an Babybrei verschluckt man sich viel schneller, da bei stückiger Kost der Würgereiz, der zu große und unpassende Stücke umgehend aus dem Mund befördert, bei Kindern noch recht weit vorne in der Mundhöhle ausgelöst wird. Saugen sie den Brei vom Löffel, landet viel schneller etwas in der Luftröhre, als bei BLW. Das Heraushusten ist eine natürliche Reaktion des Körpers, das bei jeder Fütterungsmethode am Anfang auftritt. Eine Erstickungsgefahr besteht vor allem bei runden, die Luftröhre komplett verschließenden Nahrungsmitteln wie Nüssen und Weintrauben - das weiß man aber, wenn man BLW praktiziert. 

Nachtrag: Nun gibt es auch eine vernünftige Studie zum Thema, die belegte, dass die Häufigkeit des Verschluckens von der Nahrungskonsistenz unabhängig ist.

Jetzt wird es interessant: Lauter seltsame Zusammenhänge 


Ich fasse nochmal kurz zusammen:
Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin überarbeitet ihre Empfehlungen zur Ernährung gesunder Säuglinge. Im Zuge dessen wird festgestellt, dass der neue Trend des Baby-led weaning kritisch zu betrachten ist. Es wird auf den Artikel "Beikost in Form von Breimahlzeiten oder Fingerfood" verwiesen und

"weiterhin die Anwendung des Ernährungsplanes für das 1. Lebensjahr mit Verwendung von Breien" 

empfohlen. Warum dieser Artikel bei der Empfehlung der DGKJ berücksichtigt wurde, erklärt sich bei der Betrachtung der Autoren beider Werke - in beiden hat Prof. Dr. Mathilde Kersting mitgewirkt.

Neben Frau Dr. Kersting haben an dem Artikel auch Annett Hilbig und Ute Alexy mitgewschrieben. Die beiden letzteren haben ganz frisch ein Buch publiziert: Die beste Ernährung fürs Baby und Kleinkind: Alle Basics - Fingerfood - Allergieprävention. Da scheint "Fingerfood" nun ein durchaus positiv besetztes Thema zu sein. Auf Basis des Artikels der beiden wird offiziell vom BLW abgeraten, in ihrem Buch ist es aber Bestandteil? 
 
Aber die Autoren haben auch noch etwas gemeinsam - Annett Hilbig und Mathilde Kersting sind für das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) tätig. FKE? Das waren doch die mit der peinlichen "Stillkinder brauchen unbedingt fleischhaltige Gläschenkost"-Geschichte. Hier schnell die Kurzfassung: Mit einer Pressemeldung verkündete das FKE, eine seiner Studien habe folgendes ergeben:

"Mütter, die ihre Kinder voll stillen, sollten nach vier bis spätestens sechs Monaten damit beginnen, eisenreiche Breinahrung zuzufüttern. Ansonsten droht ein möglicherweise gefährlicher Eisenmangel".
 
Tatsächlich sollte diese Studie eigentlich untersuchen, ob es in Bezug auf die Eisenversorgung einen Unterschied macht, ob man Flaschen- und Stillkindern Fleischgläser mit 8 oder 1mit 2 % Fleischanteil gibt. Die Studie ergab, dass es völlig egal ist, wie viel Fleisch in einem Glas ist - ein Unterschied bei der Eisenversorgung konnte nicht festgestellt werden. Total blöd für den damaligen Auftraggeber - die CMA - ihres Zeichens Vermarkter landwirtschaftlicher Produkte. Denen hätte es sehr gut gefallen, wenn sie mehr Fleisch an die Gläschenhersteller verkaufen könnten. Um die Studie dann doch noch gewinnbringend zu vermarkten, hat man die Eisenspiegel der gestillten Kinder und der Flaschenkinder verglichen und festgestellt, dass er sich unterscheidet. Was nun aber gar nicht verwunderlich ist, da den Flaschennahrungen in wirklich rauen Mengen Eisen zugefügt wird (zehn mal mehr, als Muttermilch enthält!). Daraus nun aber zu schlussfolgern, dass Stillkinder unterversorgt sind und nun dringend Fleischgläser verzehren müssen, ist mehr als abenteuerlich. Und das wurde tatsächlich genau so in der Pressemitteilung geschrieben:
"Dabei sollten Eltern möglichst zu fleischreichen Gläschen greifen."

Warum eigentlich explizit zu "fleischreichen Gläsern"? Zudem das fleischhaltigste Glas auf dem Markt nur 0,4864 mg Eisen enthält - das sind gerade mal 6 % des Tagesbedarfes. Müsste eine seriöse Empfehlung nicht vielmehr sein: "Füttern sie generell eisenreiche Kost"? Die Empfehlung ist auch deshalb vollkommen absurd, weil die Kinder in der Ursprungsstudie ja mit den Fleischgläsern gefüttert wurden und trotzdem niedrigere Eisenspiegel hatten, als die Flaschenkinder.

Was mir auch ganz und gar unverständlich wäre: Die Muttermilch hat sich in hunderttausenden von Jahren perfekt an die Bedürfnisse der Babys angepasst. Sie enthält alle Nährstoffe in genau den Mengen, die erforderlich sind. Warum sollte das nun ausgerechnet beim Eisen anders sein? Und man kann ganz sicher davon ausgehen: In den letzten mindestens 199.500 Jahren des homo sapiens konnten es sich Mütter nicht leisten, Kinder möglichst schnell und effektiv abzustillen. Beikost war da wirklich noch Beikost und nicht - wie heute - Anstattkost. Da wurde deutlich mehr und deutlich länger gestillt - und offenbar hat der Eisengehalt der Muttermilch völlig ausgereicht. Tatsächlich war bis zu dieser Studie ein Eisenmangel bei Stillkindern gar nicht bekannt.

Dass Studien gerne mal das ergeben, was dem Geldgeber am besten in den Kram passt, ist leider keine Seltenheit. Hier kann man lesen, dass eine Untersuchung ergab, dass Stillen angeblich nun doch keinen langfristigen Einfluss auf das spätere Gewicht habe... Geldgeber waren die Nestlé Nutrition Institute.

Ach ja - und Leiterin der FKE-Eisen-Studie war übrigens Mathilde Kersting, eben jene Frau Kersting, deren Artikel nun dazu geführt hat, dass von offizieller Seite von einer Ernährungsform abgeraten, bei der man eben nicht zu Gläsern greift. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Besonders bizarr - Frau Dr. Kersting ist auch Mitglied der Nationalen Stillkommission – eine Institution, die eigentlich die Aufgabe hat, das Stillen zu fördern und nicht den Gläschenabsatz.

Mann schaut in ein Mikroskop
 
Das FKE gibt sich gerne den Anschein einer unabhängigen Institution, die das Wohl unserer Kinder im Auge hat. Seit der Geschichte mit dem Eisenmangel bin ich doch sehr skeptisch geworden. Und je mehr ich recherchierte, umso mehr wunderte ich mich. Wenn ein Institut Gelder von Dritten bekommt, möchte ich die Unabhängigkeit doch in Frage stellen. Erst Recht, wenn eine Institution, die sich mit der gesunden Ernährung von Kindern befasst, Gelder oder Produktspenden von der Firma Hipp und Nestlé entgegen nimmt. Die seltsame Eisenstudie wurde freundlicherweise von Hipp unterstützt, indem die Gläser zur Verfügung gestellt wurden. Wie praktisch, dass das Ergebnis den Gläschenproduzenten genau recht kam. 

In der Empfehlung der DGKJ steht auf der letzten Seite, dass nur 4 der 10 Autoren keine Interessenskonflikte bezüglich des Themas haben - alle anderen geben an, dass sie die eine oder andere vergütete Tätigkeit für Firmen wie Hipp und Nestlé durchgeführt haben.

Und auch ein Blick auf die Ausstellerliste der DGKJ-Jahrestagung 2014 ist sehr interessant: neben Hipp und Humana findet man auch Milupa und Nestlé. Da fließen lukrative Standgebühren - auf der FSA-Liste kann man nachlesen, dass die Standgebühren zwischen 2.220 und 14.800 EUR betragen - mir wurde geschrieben, dass die Nahrungsmittelhersteller nicht die kleinen Stände haben. Und zusätzlich (!) fließen auch noch Sponsorengelder - wieder von Hipp und Milupa und Nestlé... Aber auch bei anderen DGKJ-Veranstaltungen lässt sich Hipp nicht lumpen - hier sind es mal 1.800 EUR von Hipp für ein Repetitorium, hier sind Hipp, Nestlé und Milupa "Silbersponsor", usw. usf.

Noch ein kleiner Exkurs zum Schluss: Wie gut sich das FKE bei der Ernährung auskennt, beweist es mit einem selbst entwickelten optimiX-Gütesiegel. Dieses Siegel - so verkündet das FKE hier vollmundig:
  • beruht auf einem wissenschaftlich begründeten Präventionskonzept
  • trägt zu einer Verbesserung der Kinderernährung bei und steht für 
  • optimierte Speisen der Gemeinschaftsverpflegung, z. B. Mittagsmahlzeiten, Pausensnacks
  • optimierte Nahrungsprodukte des Handels, z.B. Fertigmahlzeiten, Tiefkühl- oder Kühlprodukte und schafft
  • Transparenz und Sicherheit und
  • einen erleichterten Zugang zu gesunden Nahrungsprodukten für Kinder.

Nach der Einführung im Jahr 2009 wurde auch sogleich ein geeigneter Kandidat für das Siegel gefunden -  ausgezeichnet wurde das Produkt "Fruchtzwerge". Das FKE sagt dazu allen Ernstes, dass ein Fruchtzwerg doch Teil einer ausgewogenen Zwischenmahlzeit ist - wenn man den Snack zusammen mit einem kleinen Roggenbrötchen mit Butter, einem Stück Gurke, einem halben Apfel und einem Glas Wasser verzehrt.
Schaut man sich mal die Geldgeber des optimix-Projektes an, finden sich dort Namen wie Hipp und die Metrogroup. Mitglied der Metrogroup ist übrigens auch Danone. Die, die fleißig Fruchtzwerge produzieren. Danone gab nach einem Entrüstungssturm im Jahr 2011 übrigens hier bekannt, dass sie das Siegel nicht mehr verwenden wollen. Weil "das Forschungsinstitut für Kinderernährung GmbH (FKE), das das Siegel vergibt, derzeit über die weitere Kommunikationsweise des Siegels und dessen Ausrichtung berät". Aha.

Ich frage mich: Wie sehr kann man offiziellen Empfehlungen eigentlich noch vertrauen? Wie kann es sein, dass ein eigentlich unabhängiges Forschungsinstitut Gelder von Hipp und Danone bekommt, "Gütesiegel" an Produkte der Geldgeber verteilt und Studien erstellt, von denen Gläschenproduzenten profitieren? Und um allem die Krone aufzusetzen, wird jetzt mit völlig abstruser Argumentation vom BLW abgeraten. Für mich persönlich ein Skandal!

© Danielle

Quellen 


http://www.dge.de/modules.php?name=News&file=article&sid=844




Du Pupskackawurst – über die scheiß Schimpfwortphase

Kinder lieben Schimpfwörter, die Schimpfwörterphase fordert Eltern extrem heraus

 
Bei der Erziehung meiner Kinder bin ich ja eigentlich relativ entspannt. Das Leben mit Kindern hält viele aufregende, nervige und anstrengende Momente bereit, die sich aber mit einer guten Portion Gelassenheit in der Regel gut ertragen lassen. Aber manchmal... manchmal ist auch meine Geduld am Ende!

Irgendwann in unserem Garten – ein Dialog zwischen meiner Tochter (5) und meinem Sohn (2):

Sie: (ermutigend)  „Los Du Pups! Das schafft du schon!“
Er:   (empört)        „Bin ich nicht Pups!“
Sie: (kichernd)      „Bist Du wohl, Du Kackawurst!“
Er:   (empörter)     „Bin ich auch nicht Wurst!“
Sie: (kichernd)      „Klar scheiße Wurst!“
Er:   (kräht)            „Cheise? Cheise! Cheise!“
Sie:  (empört)        „Scheiße sagt man nicht! Du Pupskackawurst“

Aaaaaarrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrgggggggggggggggggggggghhhhhhhhhhhhhhhhhhh!

Kothaufen
 
Wochenlang war hier der "Pups" los. Lieder wurden abgewandelt - von „Alle meine Pupse“ bis hin zu „Fuchs du hast den Pups gestohlen“. Fast jedes entsprechende körperliche Ereignis wurde vom Kleinen stolz vermeldet mit „Hab ich gepupst!“. Die Große rülpste absichtlich in ohrenbetäubender Lautstärke und beide Kinder lachten sich darüber kringelig. 

Mich nervte das! So richtig. Und wahrscheinlich war ich selber schuld. Im Grunde weiß ich ja, dass das eine vollkommen normale Phase ist, die fast ausnahmslos jedes Kind hat. Mir ist bewusst, dass das Faszinierende an der Fäkalsprache nicht die Worte selbst sind, sondern die Reaktion der Mitmenschen. Auf solche Worte reagiert nämlich jeder, absolut jeder. Andere Kinder mit verstohlenem Gekicher, Erwachsene mit Irritation und einem empörten "Das sagt man aber nicht!!" Und es ist natürlich extrem interessant, Wörter gefunden zu haben, mit denen man so vollkommen verlässlich Reaktionen hervorrufen kann. 

Plötzlich merkt das Kind: es hat Macht! Körperlich sind Kinder ja immer den Erwachsenen unterlegen – werden sie genommen und irgendwo hingetragen, können Sie sich nicht wirklich wehren. Aber Worte lassen sich nicht unterdrücken – was will Mama schon machen, wenn ich ohne Unterlass „Pups“ und „Kacka“ von mir gebe? Es ist doch auch sooo spannend, was sie dann macht! Und was passiert eigentlich, wenn ich es mal so richtig übertreibe?

Mein erster Gedanke war: Ignorieren. Wenn die erhoffte Reaktion ausbleibt, dann wird das Verhalten doch eigentlich schnell uninteressant. In der ersten rebellischen kleinkindlichen „Ich-lege-meine-Füße-so-lange-auf-den-Tisch-bis-endlich-einer-was-sagt“-Phase (die so zwischen 2 und 2,5 Jahren auftritt) habe ich bei meiner Tochter noch den Fehler gemacht, das Verhalten "aberziehen" zu wollen. Stoisch nahm ich immer wieder ihre Füße vom Tisch und sagte freundlich: "Lass das - Füße gehören nicht auf den Tisch!" Nach dem 73. Mal war ich dann nicht mehr ganz so stoisch und ganz so freundlich und es machte ihr natürlich immer mehr Spaß. War sicher unterhaltsam, Mama dabei zu beobachten, wie sie darum ringt, zu entscheiden, wie sie reagiert. Je aufgebrachter ich war, desto lustiger und interessanter wurde es. Und ich war aufgebracht - sah ich doch meine erzieherischen Felle gerade gnadenlos davon schwimmen! Schnell die Fachliteratur konsultiert und es mit radikaler Ignoranz der Füße auf dem Tisch probiert. Das führte dann verblüffend schnell zur umgehenden Einstellung des Verhaltens wegen nun fehlender Unterhaltsamkeit (und anstrengend war es sowieso). Hat also wirklich prima geklappt, das mit dem Ignorieren unerwünschten Verhaltens.

Also habe ich das auch bei den Schimpfwörtern versucht. Die ersten Pupskackas verhallten vollkommen unkommentiert. Ich freute mich ob meiner vermeintlich erneut erfolgreichen Strategie – aber nicht sehr lange. Denn: meiner Tochter war trotzdem klar, dass sie etwas gefunden hat, das eigentlich immer verlässlich zu Reaktionen führt. In der Kita wurde nämlich darauf reagiert. Also hat sie das Bemühen, die Wörter zu Hause im Sprachgebrauch unterzubringen, heftig verstärkt. Kann doch nicht sein, dass die ganze Welt sich empört und Mama nicht? Da meine Tochter wirklich hartnäckig ist, hat sie es irgendwann geschafft: Ich bin in die Falle getappt. Und in dieser Sekunde hatte ich verloren.
 
Aber ganz ehrlich - irgendwann reißt der Geduldsfaden einfach und so reagierte ich eben doch irgendwann mit einem genervten "Lass das doch mal - das macht man nicht!" Wenn mein Kind trotz größtem Ignorierbemühen zum zehnten Mal in einer halben Stunde herzhaft laut neben mir rülpst, dann macht mich das wirklich mürbe. Vor allem wenn der kleine Bruder kichernd daneben sitzt. Vor meinen Augen tauchen Visionen auf: ein süßer, kleiner, unschuldiger Zweijähriger läuft laut rülpsend und "Scheiße" rufend über den Kita-Spielplatz... das animiert doch auch die anderen Kinder - in dem Alter wird schließlich jeder Unfug nachgemacht. Irgendwann liegen alle lachend, rülpsend und pupsend am Boden. Und die Augen der Kita-Erzieher werden allesamt auf mich gerichtet sein und ich kann die Gedanken förmlich lesen: "DIE! DIE ist schuld! DIE erzieht ihre Kinder nicht richtig! Furchtbar!"

Ein etwas vertiefteres Nachdenken bringt zutage, dass mich im Grunde nur das stört. Dass andere Menschen denken könnten, dass die Erziehung meiner Kinder grundsätzlich misslungen wäre. Was Menschen über mich denken, ist mir nicht allzu wichtig, aber dass jemand meine Kinder für blöde Gören halten könnte - und vor allem: ihnen das vielleicht noch sagt -  der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Ich weiß ja, wie die heutige Erziehung noch immer davon geprägt ist, dass von Kindern erwartet wird "artig" zu sein. Und dass sie gefälligst "hören" soll - nur dann gilt sie gemeinhin als gelungen. Dieses Weltbild bestätigte mir erst neulich ein Elternfragebogen, den ich für eine Reihenuntersuchung ausfüllen musste. Dort wurden - 2014 (!!!) - tatsächlich folgende Fragen gestellt:

Mein Kind:

Fragebogen zur Entwicklung

Ich habe übrigens mit meinem Weltbild geantwortet:

Fragebogen zur Entwicklung

Mir persönlich würde es nichts ausmachen, wenn jemand wegen der Schimpfworte zu mir sagt: "Die sind aber unerzogen" - ich würde antworten mit: "Nö - eher selbstbestimmt". Das würde den Gesprächspartner hoffentlich so sehr verwirren, dass eine Chance auf ein abruptes Ende besteht. Aber die ältere Generation neigt ja leider dazu, direkt die Kinder anzusprechen und selbst mit drastischen Worten erzieherisch tätig zu werden. Das würde ich meinen Kindern einfach gerne ersparen. Zudem sie im Grunde ganz liebe und zauberhafte Kinder sind – und genau das sollen sie doch durch den blöden Pupskram bitte nicht verschleiern! 

Ja - das ist leider so ein bisschen meine Achilles-Ferse - die kleine nagende Angst, nicht "gut genug" zu erziehen und die beschrieenen Winterhoff´schen Tyrannen zu produzieren - es fällt mir wahnsinnig schwer, mich davon zu lösen. Im Grunde sagt mein angelesenes Bauchgefühl, dass mein Weg völlig in Ordnung ist, aber in solchen Phasen schleichen sich trotzdem manchmal ganz fiese kleine Zweifel ein. Müsste man nicht mal ordentlich auf den Tisch hauen?

Muss man wahrscheinlich nicht - es gibt ja noch ein paar Dinge, die man vorher versuchen kann. Mit Ignorieren komme ich nicht weiter. Einfach auch, weil es nicht ausreicht, wenn ich das mache - wer fluchend die Straße lang geht, der bekommt seine Reaktionen garantiert - dann eben von anderen Mitmenschen. Und auch die anderen Kinder kichern ja immer wieder fleißig mit - gefangen zwischen Belustigung, Bewunderung und Faszination.

Also dachte ich mir, ich probiere es mal mit einem in Foren gerne gegebenen Tipp, nämlich Schimpfwörter quasi "lokal" zu begrenzen. Verbotenes ist megainteressant – eingeschränkt Erlaubtes vielleicht nicht mehr allzu sehr. Man nennt das fachlich Symptomverschreibung - eine Methode der paradoxen Intervention. Es geht dabei darum, das Kind zum unerwünschten Verhalten aktiv zu ermuntern, es aber an eine bestimmte Bedingung zu knüpfen.  
"Ziel dieser Strategie ist es, durch die Verschreibung die Funktion des problematischen Verhaltens den Systemmitgliedern in seiner Paradoxie bewusst zu machen" (Wikipedia). 
Also gab es die Ansage: „Auf der Toilette können Schimpfwörter gesagt werden, so viele ihr möchtet“. Im Grunde eine clevere Idee. Fiel also ein Schimpfwort, forderte ich sie auf, auf die Toilette zu gehen und dort weiter zu machen. Und was passierte? Es kam regelmäßig ein „Ach, ich bin eh gerade fertig - vielen Dank!“ Zwar war dann auch tatsächlich erst mal Ruhe – aber eben nicht dauerhaft. Nach einer halben Stunde ging es fröhlich weiter. Aber: Es gibt Eltern, die damit tatsächlich Erfolge erzielt haben - daher ist es durchaus einen Versuch wert. Meine Kinder sind sich als Systemmitglieder offensichtlich leider nicht der Paradoxie bewusst geworden...

Plötzlich kam ein enthusiastisches „GEIL!“ ins Haus. Auweia – als nächstes wird dann „Alter“ mitgebracht, oder wie? Nee – „geil“ find ich total ungeil und ich sage empört ganz impulsiv: „Sowas sagen doch nur die dummen Kinder!“ Und: "Das ist kein schönes Wort". Hm – ich habe "geil" nie wieder gehört. Liegt es an dem, was ich gesagt habe. Vielleicht war meine Reaktion auch so authentisch, dass meine Kinder erkannten, dass da wirklich meine Grenze war? Oder war das Wort einfach doch nicht so spannend oder war das nur eine Anwendungspause? Vielleicht ist der Verweis auf die Dummheit die ultimative Lösung? Aber es fühlt sich für mich absolut nicht richtig an, andere Kinder als „dumm“ zu bezeichnen, wenn sie das gleiche Verhalten zeigen, wie die meinen… auch wenn es (zufällig?) wirksam war, ist das für mich keine wirkliche Alternative.

Kinder machen Quatsch miteinander
 
Also doch noch mal zurück zur Ausgangsstrategie. Schließlich habe ich inzwischen erkannt, dass mein wirkliches Problem ist, dass andere schlechtes über meine Kinder denken könnten. Das lässt sich ja lösen - indem ich mich etwas entspanne und die anderen reden lasse. Also beginne ich wieder damit, alle Rülpse, Pupse und Schimpfwörter renitent zu ignorieren. Ich lehne mich zurück und sage mir: "Habe ich herrlich normale Kinder!" Altersgerecht entwickelt ganz offenbar.

Und wenn sich jemand über die Schimpfwörter aufregt, werde ich ihn einfach in eine kleine Fachsimpelei verstricken... "Ja - erstaunlich - oder? Leider hat bei uns die paradoxe Intervention durch Symptomverschreibung nicht zu Abhilfe geführt. 

Also werden sie - wie jeder andere Erwachsene auch - das Wort "scheiße" wohl tatsächlich in den dauerhaften Wortschatz übernehmen. Das ist aber nicht so schlimm, unser typisch deutsches Fluchen ist ja im Grunde harmlos. Das ist nämlich geprägt durch die Fäkalsprache - im Rest Europas wird eher sexuell geflucht. Bei uns sind Dinge vornehmlich kacke und scheiße. Während wir uns "beschissen" fühlen, erklärt der Holländer lieber "Ik voel me klotig" ("Ich fühl mich hodig"). Das hat ja auch Vorteile! Ausdrücke aus dem Fäkal-Sortiment sind weitestgehend geschlechtsneutral und nicht weiblichkeitsabwertend. Während der Engländer also auch sein Auto "bitch" (Hure) nennt und damit Damen verunglimpft, ist der Deutsche mit seine Scheißkarre doch wesentlich neutraler."

Na da lob ich mir doch den harmlosen "Pups"!"

© Danielle

Quellen


Tandemstillen - ein Erfahrungsbericht

Über das gleichzeitige Stillen von mehreren Kindern

 
Der Begriff "Tandemstillen" bezeichnet das Stillen von zwei (oder mehr) gleich oder unterschiedlich alten Geschwistern. Laetizia hat für unseren Blog einen Erfahrungsbericht darüber geschrieben - herzlichen Dank dafür! 

Wie kam es bei uns zum Tandemstillen? 


Ich wollte gerne so lange stillen, bis mein Sohn sich von selbst abstillt bzw. wir zumindest in beiderseitigem Einvernehmen abstillen können. Da dies bis zur Geburt seines Brüderchens (trotz der Schwangerschaft, in der sich ja viele Kinder abstillen) noch nicht der Fall war, stille ich nun also seitdem beide Kinder (9 Monate und 2,5 Jahre).

Vor der Geburt abzustillen, kam aus mehreren Gründen für mich nicht in Frage:
Mein Sohn war "erst" 13 Monate alt, als ich wieder schwanger wurde. Da er noch nie ein großer Esser gewesen war und Brei ganz verschmäht hatte, war sein Hauptnahrungsmittel damals immer noch die Muttermilch. Durch Baby-led weaning war es so, dass er durchaus gerne alles probierte, aber wirklich nennenswerte Mengen waren das nicht. Es reichte zwar, dass er bei Papa und in der Krippe mehrere Stunden ohne meine Milch auskam, aber danach wurde ordentlich aufgeholt, d. h. sehr viel und oft gestillt.

Die Krippe war ein weiterer Grund, warum ein Abstillen kaum möglich war: Als Ausgleich zu dieser (vollkommen unproblematischen) Loslösung von mir schien mein Sohn das Stillen und die damit verbundene Nähe umso mehr zu brauchen. Gerade nachts nuckelte er teilweise ununterbrochen. Da ich damals einer sehr anstrengenden Arbeit nachging, war ich froh, ungestört schlafen zu können (ich kann während des nächtlichen Stillens einfach weiterschlafen), und wollte das keinesfalls aufgeben. Also war auch meine Bequemlichkeit ein Grund, nicht abzustillen.
 
Stillbild Tandemstillen mit Puppen

Natürlich weiß ich nicht, ob das Stillen dafür (mit)ursächlich war, aber mein Sohn war und ist extrem gesund. Gerade in dem damaligen Winter, als ich wieder schwanger wurde, dem ersten Krippenwinter meines Sohnes, war ich so froh und dankbar, dass er eigentlich nie krank war und wenn, dann einfach nach einem Tag Dauerstillen wieder gesund wurde, denn Fehltage auf der Arbeit waren damals für mich sehr schwer zu kompensieren.
 
Alles in allem war und ist mein Sohn ein sehr neugieriges, offenes, aktives Kerlchen, der mit allen Sinnen die Welt eroberte. Dazu brauchte er einen sicheren Hafen, und das bot ich ihm, ganz besonders auch durch das Stillen, das wohl den perfekten Ausgleich zu seinen Abenteuern darstellte.

Ein Einschränken des Stillens oder gar ein Abstillen gegen seinen Willen wäre zu jedem Zeitpunkt ein Drama gewesen. Ein großes Drama. Ein aus meiner Sicht vermeidbares Drama. Ein Drama, das er nicht verdient hatte, weil er in allen anderen Belangen so selbstständig, so schnell, so weit, so freiheitsliebend, kooperativ, liebe- und verständnisvoll war. Ich hätte es nie übers Herz gebracht, ihm das Stillen zu nehmen, weil es ihm offensichtlich so gut tat, und er es eindeutig zu brauchen schien.

Ich hatte zudem die Befürchtung, dass er quasi schon unter dem Geschwisterchen leiden müsste, bevor dieses überhaupt auf der Welt war. Es sollte ihm nichts wegnehmen, schon gar nicht seine geliebte Mamamilch. Ich hatte auch Sorge, dass mein Sohn diese Verknüpfung "Ich darf nicht mehr, weil das Baby nun gestillt wird" herstellt, denn er hatte und hat ein (für Kleinkinder ja nicht ganz untypisch) extrem gutes Gedächtnis. Je näher also der Geburtstermin rückte, desto klarer wurde, dass ein Abstillen nun nicht mehr möglich sein würde, da er diese Verknüpfung unweigerlich herstellen würde. Eifersucht und Wut auf das Baby wären vorprogrammiert gewesen. Außerdem wurde mir klar, dass er, spätestens wenn das Baby da wäre, auch wieder trinken wollen würde, weil er sich einfach noch daran erinnern hätte können, das selbst getan zu haben. Daher hätte ein Abstillen am Ende der Schwangerschaft wenig "gebracht", es wäre so oder so zum Tandemstillen gekommen. 

Wie läuft das Tandemstillen bei uns ab? 


Auch wenn ich die ganze Schwangerschaft über Milch hatte und sie meinem Sohn auch sehr schmeckte (beides ist nicht selbstverständlich, bei vielen Frauen wird die Milch deutlich weniger oder bleibt sogar ganz aus, wobei manche Kinder dann trocken weiternuckeln und andere sich dann abstillen oder abgestillt werden, weil dieses Trockennuckeln unangenehm ist, oder aber die Kinder verschmähen die Milch irgendwann und stillen sich ab), änderte sich sein Stillverhalten während der 9 Monate altersgemäß sehr. Irgendwann mit ca. 17 Monaten schlief er plötzlich durch (eine sehr spannende Entwicklung, wie oben geschrieben stillte er davor ja teilweise ununterbrochen nachts), somit fiel da sehr viel weg. Auch tagsüber reduzierte sich über den Sommer und die vielen außerhäuslichen Aktivitäten das Stillen sehr, so dass er irgendwann nur noch zum Einschlafen gestillt wurde. Und auch da wurde sein Bedürfnis immer geringer, so dass mit ein wenig Nachhelfen ein Abstillen ab der 37. Schwangerschaftswoche möglich gewesen wäre (weil ich mir eben sicher war, dass er nach der Geburt weitertrinken wollen würde, habe ich da nichts forciert).

Während der Schwangerschaft habe ich meinen Großen darauf vorbereitet, dass das Baby sehr oft Mamamilch trinken wird. Da es noch keine Zähnchen habe, könne es noch nichts anderes essen und müsse ständig trinken. Wenn ein Baby irgendwo weinte, habe ich meinen Großen darauf aufmerksam gemacht und ihm erklärt, dass das Baby nun sicher gleich Mamamilch bekäme. Mein Großer verinnerlichte das sofort, und es war später auch wirklich nie eine Diskussion, ob er Kleine nun trinken "dürfe" oder nicht. Nein, ich wurde sogar sofort gerufen oder geholt, wenn der Kleine nur eine Miene verzog, und mir wurde befohlen: "Mama, er braucht unbedingt Mamamilch! Komm schnell!"

Als der kleine Bruder auf die Welt kam, wurde mein Großer, damals 22 Monate alt, also maximal 2 Mal am Tag gestillt, an manchen Tagen sogar gar nicht. Ich habe dann ambulant entbunden, kam mit dem Brüderchen nach Hause und die Liebe war riesig. Der Bruder wurde geherzt, betüddelt, besungen, bestaunt, und als er das Gesicht verzog, geschah sofort das oben genannte: "Mamaaaa, schau doch, er hat Hunger! Er braucht Mamamilch!"

In den ersten Tagen wollte mein Großer dann meist auch trinken, wenn der Kleine trank. Das Tolle an so großen Stillkindern ist ja, dass sie so selbstständig und mobil sind und aus nahezu jeder Position trinken können. Somit muss man sich wirklich nicht verrenken, um beide gleichzeitig anzulegen. Ich setzte mich bequem hin, half dem Kleinen beim Trinken und der Große bediente sich quasi selbst, indem er irgendwie auf mir oder um mich herum saß, lag, stand, hockte. Ja, das sah sicher oft komisch aus. Aber es war bequem und wunderschön für uns 3! 
 
Ich habe versucht, darauf zu achten, dass der Kleine immer die ersten Schlucke an beiden Brüsten bekommt, wegen des Kolostrums. Da ich aber bereits nach wenigen Stunden reife Milch hatte, wurde das sehr schnell hinfällig und beide tranken einfach dort, wo gerade frei war. Später entwickelte es sich so, dass die beiden oft unabhängig voneinander trinken. Der Kleine wird oft gestillt, wenn er im Tragetuch vor meinem Bauch ist, oder auch einfach mal so, ohne dass der Bruder auch möchte. Auf der anderen Seite liegt der Kleine oft auch fröhlich glucksend herum und der Große kommt auf die Idee, jetzt plötzlich Mamamilch zu wollen.

Viele Tandemstillmütter finden das unterschiedliche Saugverhalten unangenehm und stillen nicht beide Kinder gleichzeitig. Außerdem kommen viele Frauen am besten damit zurecht, jedem Kind eine Brust "zuzuteilen". Beides war bei mir nicht der Fall. Ich stille mal nur den Kleinen, mal nur den Großen, mal beide gleichzeitig, und wechsle die Brüste munter durch. 
 
Stillbild Tandemstillen mit Playmobilpuppen



Hürden beim Tandemstillen


Ja, es gibt Momente, da frage ich mich, ob das alles eine gute Idee war. Wobei ich letztendlich sagen muss, dass das, was ich nun im Folgenden erzähle, wenig mit Tandemstillen an sich zu tun hat, sondern eher mit Langzeitstillen. Die auftauchenden Probleme haben auch viele lange stillenden Mütter, die "nur" ein Kleinkind stillen. Beim Tandemstillen ist es vielleicht etwas schwerer, die persönliche Grenze zu ziehen, weil man immer noch im Kopf hat, man möchte das große Kind nicht benachteiligen, keine Eifersucht schüren etc. Die Balance zu finden zwischen den Bedürfnissen aller drei Beteiligten ist wohl etwas schwieriger.

Für mich ist es manchmal schwer, zu akzeptieren, wie oft und viel mein Großer trinken will, und dass er da schwer ein "Nein" akzeptieren kann. Das liegt aber sicher an mir, weil ich aus den oben genannten Gründen ambivalent bin. Denn an die wenigen festen Regeln, die wir haben, hält er sich prima. Als er nach der Geburt z. B. auf dem Spielplatz nicht mehr spielen, sondern nur stillen wollte, führte ich die Regel ein: "Nur noch zu Hause!". Unterwegs fragt er also gar nicht mehr. Wenn doch etwas sein sollte, weswegen er unbedingt Mamamilch möchte (seeehr müde oder/und wehgetan), schlägt er von selbst vor, nach Hause zu gehen. Aber zu Hause, da ist ein "Nein, gerade geht es nicht!" sehr schwer durchzusetzen. Das macht mich schon manches Mal traurig, auch wenn mir klar ist, dass er einfach spürt, dass es mir meistens nicht mit letzter Konsequenz ernst ist bzw. ich eben doch selbst zwiegespalten bin, inwieweit mein "Nein" jetzt gerechtfertigt ist.

Außerdem findet er oft kein Ende, und wenn ich ihn bitte, nun aufzuhören, passiert das manchmal nicht sofort. Das verletzt mich irgendwie, weil ich dem blöden Gedanken aufsitze: "Mann, jetzt hab ich ihm doch was gegeben, und er ist so undankbar und hört dann nicht auf, wenn ich ihn drum bitte!" Ich weiß, dass ich da zu viel verlange von meinem Großen.
Das Hauptproblem, das ich habe, ist morgens: Mein Großer fing wieder an, morgens trinken zu wollen, und dieses morgens wurde immer früher. Leider schlief er dabei oder danach aber nicht mehr ein und beendete somit die Nacht um 5, dann 4, dann 3, und weckte somit auch mich, und oft das Baby, das nur in meinem Arm schlafen konnte. 

Wenn ich aber die Mamamilch verweigerte, war das Geschrei groß (und das kenne ich sonst absolut nicht von ihm!), und er weckte das Baby damit erst Recht. Ich haderte lange mit mir. Egal, welche Maßnahme wir ergriffen, es wurde nicht richtig besser. Wir probierten, dass sich der Papa nachts um ihn kümmerte. Aber mein Kind, das sonst keinerlei Trotzanfälle zeigt, wurde unermesslich wütend und verzweifelt. Wir führten ein Lichtsignal ein, dass ihm zeigen sollte, ab wann er wieder trinken könne. Auch das half nicht. Letztendlich habe ich es ausgesessen, ihn in den Morgenstunden einfach dauerstillen lassen (wobei ich inzwischen leider nicht mehr schlafen kann, weil ich ja immer von 2 Kindern umgeben bin und dann sehr unbequem liege) und ihm stets erklärt, dass ich nachts schlafen muss und warum. Inzwischen fragt er nachts nicht mehr danach, wacht aber immer noch deutlich früher auf, als früher. Spätestens um 6 Uhr, meistens eher zwischen 5 und 6 Uhr ist für ihn die Nacht vorbei und er fragt nach seiner Mamamilch und das, obwohl er frühestens um 21 Uhr, oft deutlich später, eingeschlafen ist (Nein, dieses Kind scheint keinen Schlaf zu brauchen, uff!)

Ich weiß, dass es schlimmer sein könnte. Viele Kleinkinder verlangen nachts viel häufiger nach Milch. Es ist toll, dass mein Großer verstanden hat, dass das nachts nicht geht, und sich mit Kuscheln zufrieden gibt.

Was aus meinen Schilderungen vielleicht hervorgeht, ist, dass er eine Beschränkung des Stillens kaum akzeptieren kann. Und mir fällt es ebenfalls schwer, ihn da zu beschränken. Es ist so, dass mein Großer das Stillen als Ventil seiner (unbewussten) Eifersucht entdeckt hat. Es gibt ihm die Sicherheit und Bestätigung, auch weiterhin und trotz Brüderchens so viel Mama zu bekommen, wie er braucht. Deswegen führt eine Einschränkung des Stillens zu Verzweiflung. Und dieses Wissen wiederum macht es schwierig für mich, meine eigene Grenze, die bei einer solch intimen Angelegenheit nun mal da ist, durchzusetzen. Mein Großer ist eigentlich sehr zugänglich für rationale Erklärungen, wir können meist Kompromisse schließen und es wird hier selten laut. Ich komme ohne Schimpfen, Strafen, Konsequenzen, Wenn-Dann, etc. aus, weil wir eine Ebene gefunden haben, auf der gut miteinander auskommen und Konflikte konstruktiv gemeinsam lösen können. Nur beim Stillen gelingt das leider nicht immer.

Ich glaube, wir sind da manchmal ein einem Strudel: Er will immer mehr, ich will immer weniger. Wir fühlen uns beide durch den anderen in einem Grundrecht beschränkt. Das ist doof! Dennoch: Diese Situationen sind belastend, aber selten, und kommen inzwischen so gut wie gar nicht mehr vor. Für mich überwiegen deutlich 

Die Vorteile des Tandemstillens


(man verzeihe mir die sehr persönliche, pauschalisierende Darstellung) 

Für die Mama


Keine wunden Brustwarzen, kein schmerzhafter Milcheinschuss, kein anstrengendes Clusterfeeding, weil die Milchbildung immer angeregt wird und ich zumindest immer genug Milch produziere. Kein Milchstau, weil immer genug potenzielle Abnehmer da ;-) (Wobei das nicht so sein muss, eine tandemstillende Freundin hat da weniger Glück). Viele Pausen im Alltag, wenn beide selig stillen und ich kurz ausruhen kann. Unendliche Glücksmomente durch die doppelte Oxytocinausschüttung. Immer eine Möglichkeit, beide Kinder zu beruhigen: zwei weinende Kinder kenne ich nicht. 

Für das Baby 


Sofort Milch da, immer genug Milch da, eine entspannte Mama, die sich nicht zweiteilen muss, eine ganz besondere Geschwisterbeziehung, Nähe zu Mama und Bruder, keinen eifersüchtigen, sondern äußerst aufmerksamen und liebevollen großen Bruder. 

Für den großen Bruder 


Zunächst einmal all die Vorteile, die langes Stillen hat. Nun speziell auf das Tandemstillen gesehen, möchte ich folgende Aspekte weiter ausführen: 

Mein Sohn hat durch den Bruder nichts hergeben müssen, aber viel gewonnen: Er bekommt nun viel mehr seiner geliebten Mamamilch als vorher. 

Und er bekommt sehr, sehr viel Aufmerksamkeit von einer gefühlsduseligen Mama. Oxytocin ist ja das Liebeshormon, das dafür sorgen soll, dass die Bindung der Mutter zum Kind stark und stabil wird und die Mutter alles tun wird, um das Überleben des Babys zu sichern. Durch das Oxytocin, das beim Stillen ausgeschüttet wird, verliebt man sich umso mehr in sein Baby. Da ich nun beide stille und eben auch direkt nach der Geburt gestillt habe, hatte ich zum Einen sehr viel Oxytocinausschüttung, zum Anderen wirkte das auch auf den Großen. Ich war und bin unendlich verliebt in meinen Großen, und wollte auch nach der Geburt jede Sekunde mit ihm verbringen. Das Baby bekam meine Nähe in meinem Arm, auf meinem Schoß oder vor allem im Tragetuch, aber der Große bekam alle Aufmerksamkeit, die ich nur geben konnte. Ich spielte, malte, kochte, kuschelte, stillte, las vor, machte Unternehmungen mit ihm, so viel ich nur konnte. Er hat durch das Brüderchen nichts an "Mamazeit" eingebüßt. Nein, er bekam eher mehr als vorher. 

Ich weiß, dass es vielen Müttern schwer fällt, beiden Kindern gerecht zu werden, und das ist auch eine große Herausforderung. Mir wurde das leichter gemacht durch das Stillen und die dadurch mit hervorgerufenen Gefühle. Oft reagieren die älteren Kinder auf die nun begrenzte Aufmerksamkeit mit Provokation, "Trotzen", der Suche und dem Kampf umelterliche Aufmerksamkeit. Mein Großer brauchte das eigentlich nicht, und tat es auch nicht. Dadurch, dass er auch immer "durfte", wenn er wollte, und das bei der Sache, die für ihn eine der wichtigsten überhaupt ist, fühlte er sich nicht zurückgesetzt.

Mein Großer bekommt so viel Mama, dass er sehr gut damit leben kann, wenn ich mich doch mal exklusiv um den kleinen Bruder kümmern muss. Ich werde sogar dazu aufgefordert.

Ich weiß natürlich nicht, ob das alles am Stillen liegt. Nein, ganz sicher gibt es da gaaaanz viele wichtige Komponenten. Den Charakter der Kinder und den Altersabstand z. B. Ich habe außerdem bestimmt einfach sehr viel Glück. Und es gibt ja auch viele Geschwisterpaare, bei denenes keine Eifersucht gibt, und auch keine Verhaltensänderung gegenüber den Eltern, sondern wo alles harmonisch abläuft, obwohl die Mutter nicht tandemstillt.

Das Tandemstillen ist also sicher nur ein kleiner Baustein im Gefüge. Aber, und das sage ich nicht ganz ohne Stolz, hätte ich mir das Leben mit zwei kleinen Kindern nicht so schön, erfüllt, reibungslos und harmonisch vorgestellt, wie es ist. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass sich meine zwei so abgöttisch lieben, gegenseitig anhimmeln. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass sich der Große so hingebungsvoll um den Kleinen kümmert und so frei von jeglicher Aggression ihm gegenüber ist. Wenn das Tandemstillen also nur einen kleinen Teil dazu beigetragen hat, dann hat es sich schon mehr als gelohnt. Wir genießen es alle zumindest sehr!
 
Stillbild Tandemstillen mit Puppen
 
Aber, und ich hoffe sehr, dass das aus meinem hormongeschwängerten Geschreibsel hervorgegangen ist, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Es tauchen auch Schwierigkeiten auf. Tandemstillen ist etwas, was verständlicherweise nur für ganz wenige Menschen überhaupt und nur theoretisch in Frage kommt. Und noch weniger kommen in die Lage, zu überlegen, das auch praktisch umzusetzen (denn dazu muss ja das ältere Kind erstmal lange genug gestillt werden, dann muss man "rechtzeitig" wieder schwanger werden, dann müssen es Mutter und Kind wollen, etc. etc. etc.).
 
Rückblickend, nach fast 9 Monaten Tandemstillerfahrung, würde ich diesen Familien raten: Überlegt es euch gut, aber wenn ihr euch dazu entschließt, genießt es! Es gibt für mich persönlich nichts Ergreiferendes!

© Laetizia