Gelingt es den Eltern nicht, das Baby zu verstehen und feinfühlig auf seine Bedürfnisse einzugehen, wird es mit vermehrtem Weinen reagieren. Dieses endet letztendlich in einem fast panischen Zustand und überfordert das Regulationssystems des Säuglings. Es kommt zu einer durch Stress ausgelösten Erregung des sympathischen Nervensystems, welches für Kampf und Flucht verantwortlich ist. Leider hat ein Baby aufgrund seiner körperlichen Unreife noch keine Möglichkeit, aus der Situation zu flüchten, so dass das Gehirn in eine akute Krise gerät und ein Notfallprogramm einschaltet: Die Erregung im Nervensystem führt - wenn sie nicht durch die Hilfe der Bindungsperson durchbrochen wird (auf den Arm nehmen, beruhigen, an die Brust nehmen, schaukeln....) - zu einem Umschalten auf das parasympathische Nervensystem. Dieses verursacht (meist) eine schlaffe Erschöpfung des Kindes - es schläft ein (vgl. ebd., 2010: 36f).
Das ist übrigens auch der Grund, warum "Schlaflernprogramme" a la Jedes Kind kann schlafen lernen so "gut" funktionieren! Eine solche Lösung für eine stressvolle Situation ist zwar überlebenstechnisch wichtig, für eine gesunde emotionale Entwicklung jedoch problematisch, denn innerhalb dieses Notfallprogrammes wird das Gefühl der Angst vom Gehirn abgeschaltet. Noch viele Jahre später kann dies in Stresssituationen zu aufkeimender Panik oder Wut führen, welche nicht durch die äußeren Umstände zu erklären sind. Das Gehirn wird sozusagen durch kleinste Auslöser "erinnert" und reagiert unter Umständen über - Eltern werden wütend. Oft geschieht das zum Beispiel innerhalb der eigenen Mutter- oder Vaterrolle (vgl. ebd., 2010: 37).
Die Bindungspyramide
Bindung geschieht vorwiegend im ersten Lebensjahr, hört dann aber nicht abrupt auf, sondern wird auch in den nächsten Entwicklungsjahren zu anderen Menschen entwickelt. Zunächst aber bindet sich das Kind an eine Hauptperson - in den meisten Fällen ganz klischeehaft die Mutter. Sie kann das Baby am besten beruhigen und wird bei angstvollen oder schmerzhaften Erfahrungen vom Kind bevorzugt.
Dieser Hauptbindungsperson untergeordnet sind andere Bindungsbeziehungen, beispielsweise zum Vater oder der Tagesmutter. Von ihnen lässt sich das Baby zwar durchaus auch beruhigen, wenn die Hauptbindungsperson nicht zur Verfügung steht, es dauert jedoch etwas länger (vgl. ebd., 2010: 24).
Wie entwickelt sich eine sichere Bindung?
Es gibt verschiedende Faktoren, die eine sichere Bindung begünstigen:
- Die Bindungsperson ist feinfühlig. Sie versteht die Signale des Babys richtig und reagiert schnell darauf.
- Die Bindungsperson nimmt Blickkontakt auf. Durch das Anschauen des Gesichtes kann sie die Mimik und Stimmung des Babys ablesen; eine vorsprachliche Verständigung wird eingeleitet. Nehmen Bindungspersonen aufgrund einer Depression beispielsweise keinen Blickkontakt zum Baby auf, wird die Entwicklung der Bindung (zunächst) gestört.
- Die Bindungsperson versteht die körperlichen Signale des Kindes. Sie nimmt Körperkontakt auf, wenn dieser vom Kind gewünscht wird, z. B. streicheln, stillen, massieren, im Arm halten und hört damit auf, wenn das Kind signalisiert, dass es nun genug hat, z. B. durch Wegdrehen des Kopfes oder Körpers bzw. Wegschieben der Hände der Mutter. Beim Kuscheln wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, welches dem Nervensystem hilft, auf Beruhigung und Entspannung umzuschalten.
- Die Bindungsperson spricht mit dem Kind, indem sie dessen Gefühle und Stimmungen verbalisiert. Sie gibt dem Kind die Sicherheit, von ihr verstanden zu werden. Sie spricht nicht, wenn das Baby lautiert, sondern hört zu, und antwortet darauf mit leisen, zugewandten Äußerungen. Ein an das Baby gerichteter Schwall von Worten, die den Alltag beschreiben ("Jetzt schmiert sich Mama eine Stulle, denn es ist Frühstückszeit.") bringt für die Bindung rein gar nichts, da das Kind davon nicht emotional berührt wird. Nur ein Zusammenspiel von Sprache, Blick- und Körperkontakt kommt im emotionalen Zentrum des Gehirns wirklich an! (vgl. ebd., 2010: 29 ff)
Nun klingen diese Punkte ein wenig abstrakt und man fragt sich als Mutter unweigerlich - was heißt denn das nun für mich? Natürlich gucke ich mein Kind an, natürlich reagiere ich auf sein Weinen. Und trotzdem sind nicht alle Kinder sicher gebunden! Was kann ich also genau tun, damit mein Kind sicher an mich gebunden wird?
Bindung nach der Geburt
Wenn man davon ausgeht, dass Bindung vorwiegend im ersten Lebensjahr geschieht (sie geht danach noch weiter, das Kind bindet sich nach und nach an verschiedene Personen), ist es gar nicht so schwer, diese zu erreichen: Das Kind wird geboren und der Mutter auf den Bauch gelegt. Waschen, Wiegen und Messen können warten, jetzt sind erstmal Mutter, Vater und Neugeborenes ganz für sich und können sich in Ruhe betrachten. Etwa 20 Minuten nach der Geburt ist der angeborene Saugreflex unserer Kinder am stärksten, wird es gleich angelegt, fördert das die Milchbildung und unterstützt die natürliche Fähigkeit des Kindes.
Nach ca. 50-60 Minuten nach der Geburt befinden sich Neugeborene in einem Zustand der ruhigen Aufmerksamkeit. Sie sind hellwach und nehmen neugierig ihre Umgebung auf. Damit sind sie in der idealen Stimmung für einen ersten Kontakt mit ihren Eltern. Alle betrachten und liebkosen sich ausgiebig, die Eltern flüstern dem Kind zu, wie lang erwartet es schon ist, das Kind guckt ernst und aufmerksam in ihre Gesichter. Danach schlafen die Neugeborenen ein. Diese erste halbe Stunde bis Stunde nach der Geburt bezeichnen Forscher deshalb auch als sensible Phase (vgl. Klaus, Kennell, 1987: 101). Hier werden erste wichtige Grundlagen für eine gute Bindung gelegt, zunächst einmal eher auf Seiten der Eltern, die, wenn sie ebendiese Zeit kurz nach der Geburt bekommen, sich vollständig auf ihr Baby einlassen und annehmen können.
Der weitere Aufbau der Bindung
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Eltern und Kind, die diese sensible Phase aufgrund äußerer Umstände verpasst haben (Adoption, Kaiserschnitt, Krankheit...) keine Chance auf eine sichere Bindung haben. Das wäre wirklich schlimm, ist aber nicht so. Der Mensch ist ein flexibles Wesen, er wäre längst ausgestorben, wenn das der Fall wäre. Aber es kann bedeuten, dass Eltern, die die sensible Phase verpasst haben, erst einmal tendentiell ungeschickter und hilfloser im Ungang mit ihrem Baby sein könnten, stärker Angst haben, es zu zerbrechen und mehr Schwierigkeiten beim Stillen erfahren könnten. Diese leichten "Kontakschwiergkeiten" können überwunden werden und werden es fast immer auch.
Sind die Eltern dann mit dem Kind zuhause, geht der Bindungsaufbau weiter. Ist das Baby wach und ausgeglichen, nimmt die Mutter es automatisch in eine En-Face-Position (Gesicht des Babys auf der selben Höhe, wie das der Mutter, der Abstand beträgt ca. 25cm), beide betrachten sich aufmerksam, ein nonverbaler Dialog entsteht (vgl. ebd. 1987: 80ff). Fängt das Kind an zu weinen, nimmt die Mutter (oder der Vater) es automatisch auf den Arm und bietet das allerwichtigste: Körperkontakt. Das Kind wird gestreichelt, liebkost, gewiegt und umarmt. Das Berühren der Körpervorderseiten von Mutter und Baby ist die Art von Körperkontakt, die ein Baby am besten beruhigt, deshalb nimmt eine Mutter, die selbst sicher gebunden ist, ihr Kind ganz natürlich in eine aufrechte Umarmungsposition. (Stern, 1991: 45) Brust liegt an Brust (am allerbesten nackt), der Kopf des Babys liegt an der Schulter der Mutter, ihre Wangen berühren sich (ebd., 1991: 106). Das zentrale Nervensystem des Babys reagiert prompt - das Kind wird ruhig, da der Körperkontakt es tröstet und ihm Sicherheit verspricht.
Wenn möglich, wird das Kind in den ersten Wochen und Monaten getragen. Auf dem Arm oder im Tragetuch - überall, wo die Mutter ist, möchte das Kind auch sein. Es ist nicht verkehrt, sein Baby abzulegen, vor allem dann, wenn die Mutter das Gefühl hat, sie braucht eine Pause. Ein Kind sollte aber nicht über mehrere Stunden allein im Bettchen, im Ställchen, in der Wippe oder unterm Spielebogen liegen gelassen werden, vor allem nicht in den ersten drei Monaten. Fängt das Kind an, sich mit den eigenen Füßen zu beschäftigen oder gezielt nach Sachen zu greifen, sind Alleinspielphasen sogar wichtig. Man kann dann das Baby sehr wohl auf eine Decke neben sich in die Küche legen. Solange es zufrieden vor sich hin spielt, kann man sich unbesorgt dem Haushalt widmen oder duschen. Fängt das Kind aber an zu weinen, sollte die Mama auf das Bindungssignal ihres Kindes eingehen. Sie nimmt das Kind hoch, spricht leise und liebevoll mit ihm, schaukelt es ein wenig und kuschelt.
Schreien und weinen
Ist das Baby in der abendlichen Schreiphase gefangen, gehen die Eltern auf das Schreien ein. Es ist normal, wenn sich die Eltern bei stundenlangem Schreien verzweifelt fühlen und es kommt häufig vor, dass dadurch Aggressionen hervorgerufen werden - die bindungsstarke Mutter schafft es aber, diese Impulse zu überwinden und für ihr Kind erreichbar zu bleiben. Es ist wichtig, hier noch einmal eindringlich zu betonen, dass Eltern, die von dem Weinen ihres Kindes emotional so gestresst werden, dass sie das Gefühl haben, sie tun ihrem Baby gleich etwas an, wenn es nicht aufhört, zu weinen, dieses am besten an einem sicheren Ort ABLEGEN und aus dem Zimmer gehen, um sich selbst beruhigen zu können. In einer solchen Situation geht das Leben des Kindes eindeutig vor, Bindung hin oder her. Ich bitte aber alle, die diesen Text hier lesen und sich so fühlen, sich Hilfe zu holen.
Das gleiche gilt für nächtliches Weinen. Auch hier gehen Eltern, die eine sichere Bindung aufbauen wollen, immer prompt auf panisches Weinen ein. Am besten schläft das Kind in der Nähe seiner Eltern. Dort wacht es weniger oft auf und alle kommen zumindest in unterbrochenen Phasen zu einer Mütze Schlaf. Schreien lassen, auch in der Nacht, ist übrigens eins der effektivsten Mittel, um eine sichere Bindung zu verhindern (Brisch, 2010: 98f).
Stillen, Füttern und Spielen
Beim Stillen geht die Mutter auf die Signale des Kindes ein. Wenn das Baby Hunger signalisiert (unruhig werden, Fäustchen in den Mund, Kopf suchend hin und her drehen) wird es angelegt bzw. ihm sein Fläschchen gegeben, egal, wie lange die letzte Mahlzeit her war. Ein Stillen/Fläschchen füttern nach Uhr ist einer sicheren Bindung eher abträglich. Eine sicher gebundenen Mutter erkennt schon die ersten Hungersignale - wenn das Baby vor Hunger anfängt zu weinen, hat es mindestens eine halbe Stunde lang schon subtil angedeutet, dass es an die Brust möchte.
Auch beim Füttern der Beikost erkennt die Mutter die Signale des Kindes. Dreht das Kind den Kopf weg oder lässt den Mund geschlossen, sagt es, dass es satt ist oder diesen Brei nicht möchte. Dann wird das Füttern beendet, egal, ob nur ein Löffel gegessen wurde oder ein ganzes Glas. Das Baby entscheidet selbst, wie viel es möchte!
Beim Spielen oder anderer Interaktion erkennt die Mutter Unbehagen oder Überforderung. Dreht das Baby seinen Kopf zu Seite oder starrt Löcher in die Luft, ist es momentan überfordert und möchte seine Ruhe. Diese wird ihm gegeben. Ein Zurückdrehen des Kopfes oder anderes aufmerksamkeitserheischendes Verhalten (z. B. Schnipsen oder Rufen, um das Baby aus seinem Starren herauszulösen) sollte unterlassen werden. Nach bis zu 30 Sekunden kehrt das Baby sowieso aus seiner Ruhepause zurück und kann dann wieder liebevoll angesprochen werden.
Eine sicher gebundene Mutter spricht automatisch verändert mit ihrem Baby. Die Stimme wird angehoben, der Sprechrhythmus wird verlangsamt, der Klang der Worte gleicht einer Art Singsang. Harte Konsonanten werden abgeschwächt und so ganz natürlich den Hörbedürfnissen unserer Säuglinge angepasst. Nicht nur das, Stimmmodulation und -klang der sicher gebundenen Mutter nimmt auch die Stimmung des Babys auf und formuliert diese für es neu ( Stern, 1991: 75). So fühlt sich das Baby akzeptiert und verstanden. Mutter und Kind werfen sich gegenseitig Gurrlaute zu, die Mutter wartet, bis das Kind zuende "gesprochen" hat und antwortet ihrerseits auf die Lautäußerungen. Dieser Dialog gleicht einem Tanz, bei dem Mutter und Kind ganz beieinander sind und den Rest der Welt für einen Augenblick vergessen (vgl. ebd.., 1991: 124). Ein solches Zwiegespräch fördert die sichere Bindung ungemein.
Ich denke, es ist jedem klar, dass ich hier gerade das Bild einer idealen Mutter gezeichnet habe. Kein Mensch schafft es, immer und überall gelassen und feinfühlig auf sein Kind einzugehen. Es ist auch nicht so, dass eine einzige "schlechte" Reaktion der Eltern zu einer Bindungsstörung führen. Es ist von der Natur eingerichtet, dass ein Baby, das nach Bindung sucht, auch mit Rückschlägen fertig wird. Sonst wären automatisch alle Zweit- und Drittgeborenen unsicher gebunden, da es bei mehreren Kindern natürlich vorkommt, dass eins davon abwarten muss, wenn das andere gerade gewickelt oder zu Bett gebracht wird. Dem ist nicht so! Es schadet der Bindung nicht, wenn ein Kind kurze Zeit allein weinen muss, weil die Mutter gerade nicht kommen kann. Wichtig ist einfach der Versuch, auf das Kind angemessen zu reagieren und die Bedürfnisse korrekt zu entschlüsseln (vgl. ebd, 2010: 93). Dass das nicht immer möglich ist, dürfte jedem verständlich sein. Es ist wichtig, dass das Kind nicht absichtlich weinen gelassen wird, um die elterlichen Wünsche durchzusetzen ("Lass es schreien, es muss lernen, dass es dich nicht tyrannisieren darf!") Insgesamt kommt es darauf an, die Menge der feinfühligen Reaktionen größer zu halten, als die der unangemessenen Reaktionen. Wer sein Kind nicht absichtlich schreien lässt, ist da schonmal auf einem guten Weg....
Wozu braucht ein Kind eine sichere Bindung?
Dass das Bedürfnis nach Bindung für ein Kind ebenso bedeutsam ist, wie die Nahrungsaufnahme und das beständige Erforschen seiner Umwelt, wurde im einführenden Absatz dieses Artikels schon angedeutet. Neuste Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass eine sichere Bindung ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von Beziehungsfähigkeit ist. Grundlegende Muster für das Verhalten innerhalb von Beziehungen werden somit in den ersten entscheidenden Lebensjahren gelegt.
Das bedeutet zwar nicht, dass ein Kind, welches einen frühkindlichen Beziehungsabbruch seitens der Eltern erleiden musste, nie in der Lage sein wird, eine stabile Beziehung im Erwachsenenalter aufzubauen, aber man kann davon ausgehen, dass dies diesem Kind weitaus schwerer fallen wird, als einem Kind, das beim Heranwachsen auf einen verlässlichen emotionalen Hafen zurückgreifen konnte. Bindung ist keine Prägung - sie kann, mit viel Mühe auf allen beteiligten Seiten auch später noch aufgebaut werden, um eine gesunde emotionale Entwicklung zu durchlaufen.
Auch beim Lernen spielt eine sichere Bindung eine große Rolle. Ein Kind, das in einer neuen Situation Angst hat und ohne Bindungsperson auskommen muss (zum Beispiel bei der Eingewöhnung im Kindergarten), kann keine neuen Informationen aufnehmen. Durch den entstandenen Stress sind die Funktionsfähigkeit des Gedächtnisses und der Konzentration eingeschränkt. Das Kind ist in einer solchen Situation eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, seine Bindungsperson zu suchen, um das angstvolle Gefühl loszuwerden. Platz für Bildungsangebote ist zu diesem Zeitpunkt nicht im Gehirn. Erst wenn die Mutter als Hauptbindungsperson wieder da ist, kann das Kind beruhigt den Raum erkunden. Es ist demnach absolut notwendig, dass das Kind auch eine Bindung zu der Erzieherin aufbaut, um trotz der Abwesenheit der Hauptbindungsperson in der Lage zu sein, Neues zu erlernen. Da so ein Bindungsaufbau einige Zeit dauert, sollte die Eingewöhnung zeitlich großzügig geplant werden (vgl. Brisch, 2010: 27ff).
Als weiterer Vorteil einer guten Bindung sei angeführt, dass Kinder, die als Babys eine sichere Bindung aufgebaut haben, im späteren Leben auf Belastungen psychisch weitaus stabiler reagieren, als unsicher gebundene. Sie haben schon in jungem Alter gelernt, Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Da Babys noch nicht in der Lage sind, sich in Stresssituationen selbst ausreichend zu beruhigen, sind sie zunächst einmal auf Fremdregulierung angewiesen. Zusammen mit der Hauptbindungsperson werden angstvolle Begebenheiten überwunden. Durch zärtliche Berührungen, gewiegt werden, Blickkontakt und beruhigende Worte lernt das Kind ganz automatisch Techniken zur Stressbewältigung und seine Fähigkeit zur Selbstregulation wächst (vgl. ebd, 2010: 38).
Welche Arten von Bindung gibt es?
Der Begriff "sichere Bindung" geistert bereits durch den allgemeinen Sprachgebrauch der Mamas und Papas in Foren und Spielgruppen. Meist ist sich jedoch keiner so richtig sicher, was sichere Bindung eigentlich genau bedeutet. Und gibt es noch andere Bindungsarten?
Ja, die gibt es. Man kann sie am Ende des ersten Lebensjahres sehr gut erkennen und unterscheiden, wenn ein Kind in diesem Alter kurz bei einer fremden Person gelassen wird und die Mutter geht weg. Ich möchte jedoch, bevor ich sie aufzeige, nochmal betonen, dass die meisten unserer Babys sicher gebunden sind. Heutzutage gibt es nur noch wenige Eltern, die ihre Kinder in den Schlaf schreien lassen oder an seinen Bedürfnissen vorbei handeln, indem sie beispielsweise Trennungen ohne sanfte Vorbereitung durchführen.
Wer also meint, sein Kind in den Beschreibungen der anderen Bindungsarten wiederzufinden, sollte noch einmal ganz genau den Absatz lesen, in dem beschrieben wird, wie eine sichere Bindung aufgebaut wird - wer das so macht, kann eigentlich nur ein sicher gebundenes Kind haben. Vermutlich verhält es sich eher so, wie beim googeln von Krankheitssymptomen: man findet immer irgendeine schwerwiegende, tödliche Krankheit, die mit den eigenen Symptomen konform geht, dabei hat man meist nur einen simplen Infekt.
Sichere Bindung
Ein sicher gebundenes Kind reagiert auf die Trennung von der Hauptbindungsperson mit akutem Stress, welcher sich durch Weinen oder Wüten bemerkbar macht. Das Kind versucht aktiv, wieder zur Bindungsperson zu kommen. Es läuft oder krabbelt hinterher, klammert sich fest oder ruft laut nach Mutter oder Vater. Wird es mit der Bindungsperson wieder vereint, möchte es gern tröstend auf den Arm genommen werden, es kuschelt sich ein und beruhigt sich relativ schnell. Nach der Beruhigung ist es emotional so stabil, dass es im Beisein der Bindungsperson zurückkehrt zum Spiel, ein Körperkontakt ist dann nicht mehr nötig (vgl. ebd, 2010: 40f).
Wie eine sichere Bindung entsteht, habe ich schon im oberen Teil des Artikels beschrieben. Mir ist wichtig, zu betonen, dass es normal ist, wenn Eltern die Signale des Kindes nicht immer richtig entschlüsseln können. Allein schon das Bemühen um ein Verstehen und die einhergehende gefühlsmäßige Zuwendung wird vom Kind positiv wahrgenommen. Es merkt, dass seine Bindungspersonen emotional verfügbar sind und es nicht in angstvollen Situationen allein lassen.
Unsicher-vermeidende Bindung
Ein unsicher-vermeidend gebundenes Kind reagiert auf die Trennung von seiner Hauptbindungsperson mit nur wenig oder gar keinem Weinen und Anklammern. Es scheint, als ob es die Trennung nicht registriert, ja, es wirkt nach außen sogar zufrieden und autonom agierend. Es kann problemlos bei verschiedenen Betreuungspersonen abgegeben werden und braucht keine langen Eingewöhnungszeiten.
Kommt die Hauptbindungsperson zurück, wird sie von einem unsicher-vermeidend gebundenen Kind nicht begrüßt. Trotzdem es sie gesehen hat, spielt es weiter, dreht sich vielleicht sogar von ihr weg. Es zeigt keine Freude, keine Erregung, möchte nicht auf den Arm genommen werden (vgl. ebd, 2010: 43) .
Das Kind hat innerhalb des ersten Lebensjahres gelernt, dass es, wenn es Angst verspürt und weint, von seiner Bindungsperson dafür eher zurückgewiesen wird. Seine Eltern möchten es nicht verwöhnen, es soll mit Stress allein zurechtkommen - schließlich muss es das im späteren Leben auch. Sie vermeiden es daher, Weinen mit Körperkontakt zu beantworten. Wenn überhaupt, wird das Weinen sprachlich begleitet (vgl. ebd, 2010: 44).
Die Kinder lernen, ihre Bedürfnisse nach Nähe und Zuwendung in angstvollen Situationen zu unterdrücken, weil es nur, wenn es den Wünschen der Eltern nach funktioniert, einen positiven Kontakt mit der Bindungsperson aufrecht erhalten kann. Die Mutter wendet sich dem Kind dann zu, wenn es brav ist und leise, also versucht das Kind, sich so gut es geht selbst zu regulieren. Solche Kinder zeigen weitaus häufiger als sicher gebundene Kinder Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen und Schlafstörungen, da der erlebte und unterdrückte Stress nicht einfach verschwindet. Er sucht sich einen anderen Weg raus aus dem Körper (vgl. ebd, 2010: 44f).
Eltern mit unsicher-vermeidend gebundenen Kindern haben oftmals selbst in ihrer Kindheit erlebt, dass sie in stressvollen Situationen nicht getröstet wurden. Ihre Eltern (also die jetztigen Großeltern) gaben ihnen stattdessen Antworten wie: "Das ist doch nicht so schlimm! Reiß dich mal zusammen! Ein Junge weint nicht! Selber schuld, wenn du da lang läufst! Wer nicht hören will, muss fühlen!". Oder sie mussten es lange aushalten, in der Nacht alleine zu sein und zu weinen, vielleicht wurde sogar mit ihnen geschimpft, weil sie in dieser Situation immer wieder nach ihren Eltern riefen. So haben diese Eltern sehr früh gelernt, Bindungssignale nicht mit Trost und Schutz, sondern mit Ignorieren, Bagatellisieren, Abweisung und Schuldvorwürfen zu beantworten und geben dies nun (unbewusst) an ihr eigenes Kind weiter. Warum unsere Eltern und Großeltern so reagieren erkläre ich übrigens in der Artikelreihe "Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern" (vgl. ebd, 2010: 46).
Hinweis: Wenn du dein Kind aus dem Kindergarten abholst und es kommt nicht freudig auf dich zugerannt, sondern dreht sich um und will weiterspielen oder weint bei deinem Anblick sogar los, bedeutet das nicht, dass dein Kind unsicher-vermeidend gebunden ist! Es bedeutet nur, dass es den Kindergarten mag und weiterspielen will. Denn ob ein Kind unsicher-vermeidend gebunden ist, erkennt man nur in dem oben schon erwähnten Fremden-Setting, also, wenn das einjährige Kind zum Spielen bei einem Fremden gelassen wird. Ein Setting im Kindergarten ist etwas völlig anderes, da das Kind sich dort geborgen fühlt, da es ja zu seinen Erzieherinnen bereits Bindungen aufgebaut hat.
Unsicher-ambivalente Bindung
Ein unsicher-ambivalent gebundenes Kind reagiert auf die Trennung von seiner Hauptbindungsperson mit sehr deutlichen Stresssignalen. Es ruft und weint sehr laut und läuft seiner Mutter hinterher. Es ist in dieser Phase nicht zu unterscheiden von einem sicher gebundenen Kind. Kommt die Bindungsperson zurück, zeigt sich jedoch der Unterschied: Nimmt die Mutter das Kind tröstend auf dem Arm, dauert es sehr lange, bis es sich beruhigt. Es zeigt einerseits den Wunsch nach Nähe und klammert, andererseits signalisiert es, dass es von der Mutter wegmöchte. Es sendet widersprüchliche Signale, was für die Mutter sehr anstrengend ist, denn das endet meist in einer Art Tanz aus auf den Arm wollen und wieder runtergelassen werden wollen.
Dieses Verhalten legen unsicher-ambivalent gebundene Kinder deshalb an den Tag, weil sie von ihrer Bindungsperson häufig widerspüchliche Botschaften erhalten. Die Mutter nimmt das Kind zwar liebevoll auf den Arm, wenn es nach einer Stresssituation zu ihr kommt, sagt aber dabei immer wieder: "Nun ist aber gut. So schlimm war es nicht." Dann tröstet sie ihr Kind weiter mit den Worten: "Alles ist gut, ich bin ja da." und sendet so widersprüchliche Doppelbotschaften. Das Problem dabei ist, dass das Kind nie genau weiß, wann und in welcher Weise die Mutter reagieren wird. Manchmal reagiert sie mit Zuwendung, manchmal mit Zurückweisung, manchmal mit beidem gleichzeitig. Beruhigt die Mutter es auf dem Arm, wird das Bindungsbedürfnis befriedigt, spricht sie aber gleichzeitig Vorwürfe aus ("Ich hab doch gesagt, du sollst aufpassen!"), wird das Bindungsbedürfnis wieder aktiviert und das Kind weint erneut los. Dieses Hin und Her erklärt, warum unsicher-ambivalent gebundene Kinder so lange zur Beruhigung brauchen (vgl. ebd, 2010: 48f).

In der Regel zeigen unsicher-ambivalent gebundene Kinder weniger Explorationsverhalten als andere, weil sie von ihren Bindungspersonen nicht so dazu ermutigt werden. Die Mutter betont die Gefahren eines Erkundungsverhaltens stärker, als den Nutzen, weil sie selbst Angst hat, dass dem Kind etwas passiert. Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Strecken, die diese Kinder sich von der Mutter entfernen viel kürzer sind, als bei bindungssicheren Kindern. Sie haben schon bis zum Ende des ersten Lebensjahres gelernt, dass, wenn etwas schief geht und sie sich weh tun, zwar von ihren Bindungspersonen getröstet, gleichzeitig aber für sein forsches Erkunden ausgeschimpft werden. Sie können nicht damit rechnen, eindeutig und unmissverständlich getröstet zu werden. Das Kind stellt sich demnach auf die Ängste seiner Mutter ein und erkundet weniger. Es bleibt in ihrer Nähe sitzen und gibt vor, nicht daran interessiert zu sein, seine Umwelt zu erkunden (vgl. ebd, 2010: 51f).
Desorganisierte Bindung
Ein desorganisiert gebundenes Kind reagiert auf die Trennung von seiner Hauptbindungsperson mit Weinen und Protest, bei der Rückkehr ebendieser zeigt es jedoch auffällige, sehr widersprüchliche Verhaltensweisen. Es läuft freudig auf die Mutter zu, bleibt dann aber vielleicht plötzlich stehen und erstarrt, oder dreht sich sogar um und läuft weg. Oft werden auch bestimmte Bewegungsmuster, zum Beispiel Handkreisen wiederholt, manchmal wirken die Kinder für kurze Momente wie weggetreten.
Desorganisiert gebundene Kinder haben zumeist Eltern, die mit einem unverarbeiteten Trauma belastet sind. Zumeist sind sie zwar emotional zugewandt, sie beschützen und versorgen ihr Kind liebevoll. In Momenten jedoch, in denen die negativen Gefühle des unverarbeiteten Traumas getriggert werden, können die Eltern nicht feinfühlig auf das Kind reagieren. Sie wirken in diesen Situationen eher bedrohlich und beängstigend, das Kind schwankt also immer zwischen Sicherheit und Angst hin und her. Desorganisierte Bindungsmuster sind mit einem großen Risiko einer psychischen Erkrankung verbunden, es ist daher unabdingbar, dass die Eltern für sich und für ihr Kind psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen (vgl. ebd, 2010: 57ff).
Bindungsstörungen
Bindungsstörungen entstehen, wenn Babys schon im ersten Lebensjahr verschiedene Formen von Gewalt wie emotionale Vernachlässigung, Schläge, verbale Kränkungen, häufige abrupte Trennungen, sexuelle Übergriffe oder auch Gewalt zwischen den Eltern erfahren (vgl ebd., 2010: 61).
Undifferenzierte Bindungsstörung
Wächst ein Kind emotional vernachlässigt auf, d. h. hat es keine Bindungsperson, die sich auf es einlässt, seine Signale entschlüsselt und darauf reagiert, werden die Wachstumshormone sowie die Hormone, die im Gehirn Verbindungen zwischen den Nervenzellen herstellen nicht ausreichend gebildet. Die Säuglinge und Kleinkinder sind meist kleiner und haben einen geringeren Kopfumfang
Sie nehmen mit jedem Fremden distanzlos Körperkontakt auf, gehen mit ihm mit und nennen ihn bisweilen sogar sofort "Mama" oder "Papa". Sie suchen bei allen verfügbaren Personen Schutz und Nähe, es kann in diesem Fall aber nicht von einer Bindungsbeziehung gesprochen werden, da die Wahl beliebig ist.
Intensive Spieltherapie ist nötig, damit ein Kind das Muster einer undifferenzierter Bindungsstörung zugunsten eines spezifischeren Bindungsmusters aufgibt. Man erkennt diesen Wandel daran, dass Trennungssituationen für die (Adoptiv-/Pflege-)Mutter anstrengender werden. Das Kind läuft nicht mehr einfach so sorglos in den Kindergartenraum hinein, sondern fängt an, gegen die Trennung zu protestieren. Das sollte als großes Lob an die Mutter angesehen werden, denn es zeigt auf, dass das Kind emotional heilt (vgl. ebd., 2010: 61f).
Bindungsstörung mit Hemmung des Bindungsverhaltens
Kinder, die durch ihre Bindungsperson körperliche oder seelische Gewalt erfahren haben, können in angstvollen Situationen nicht auf diese zurückgreifen, um sich durch Körperkontakt mit ihr wieder zu beruhigen. In angstvollen Situationen stehen sie laut weinend vor ihrer Mutter oder ihrem Vater und werden von diesen entweder ignoriert oder für diese "Ruhestörung" gezüchtigt. Sie haben ein großes Problem - einerseits haben sie massive Angst vor ihrer Bindungsperson, andererseits gibt es keine andere Person in ihrer Nähe, als die, die sie bedroht. Sie binden sich daher in ihrer Not in pathologischer Art und Weise an den Täter. Auch hier ist intensive psychologische Beratung und Therapie dringend angezeigt - für Kind und Eltern (vgl. ebd., 2010: 63ff).
Bindung in der Autonomiephase
Das Trotzalter - besser Autonomiephase genannt - ist die Zeit, in der sich das Kind von seiner Hauptbindungsperson lösen möchte und muss, um zu einem selbstbewussten, eigenständigen kleinen Menschlein heranzuwachsen. Dieses Loslösen ist verbunden mit sehr viel Stress und Geschrei auf allen Seiten. Schön ist das sicher nicht. Aber notwendig. Viele Eltern fragen sich, warum die Kinder vorwiegend bei ihnen trotzen und nicht zum Beispiel bei den Erzieherinnen im Kindergarten oder bei Oma und Opa. Die Erklärung ist simpel: Weil die Kinder im Sinne der Bindungspyramide zuallerrst an ihre Eltern gebunden sind - und sich eben von diesen auch lösen müssen!
Ein sicher gebundenes Kind traut sich, zu trotzen, weil es weiß, dass es von seinen Eltern mit all seinen Facetten angenommen wird. Unsicher gebundene Kinder wiederum lassen die Trotzphase sogar oftmals aus...

Wenn ein Kind "bockt", "fordert" oder "außer Kontrolle" ist, sollten Eltern verstehen lernen, dass dieses Verhalten nicht darauf abzielt, sie absichtlich zu ärgern. Es bedeutet nur, dass das Kind damit überfordert ist, seine Gefühle in diesem Moment selbst zu regulieren. Es sagt: "Bitte hilf mir, diese überwältigenden Gefühle auszuhalten. Bleibe mit mir in Kontakt und zeige mir einen Weg heraus aus der Wutspirale. Ich schaffe das alleine nicht, bitte komm und hilf mir durch Begleitung und Körperkontakt, meiner Gefühle wieder Herr zu werden!" (Brisch, 2010: 148). Das ist wichtig zu wissen, da uns die Stimmen unserer Eltern und Großeltern gerne einflüstern, dass uns unsere Kinder mit solchem Verhalten manipulieren oder mit Absicht terrorisieren wollen. Aber wenn ein Kind eine Grenze aufgezeigt bekommt und "Nein!" hört, ist es doch nur zu verständlich, dass darauf zunächst ein deutlicher Ausdruck der Frustration kommt? Es ist einfach enttäuschend, seinen Forschungsdrang und momentanen Wunsch nicht ausleben zu können und es ist nicht leicht, gesetzte Grenzen zu akzeptieren (vgl. ebd. 2010: 148).
Viele Eltern reagieren bei einem Trotz- oder Wutanfall gleich: Das Kind wird mit seiner Wut allein gelassen. Es soll sich "ausbocken", am besten in seinem eigenen Zimmer, man kommt ja sowieso mit Worten nicht durch den dichten Nebel, den das Kind in einer solchen Situation umgibt. In den Arm genommen wollen werden die Kinder auch nicht, sie stoßen ihre Eltern immer weg.
Ich kann verstehen, wenn Eltern sagen, dass sie bei Wutanfällen so reagieren. Es ist bei vielen Eltern so, dass sie ihr wütendes Kind selbst aufregt und sie die Emotionen selbst schlecht aushalten können. Ich habe ja schon in meinem Artikel "Warum uns unsere Kinder manchmal so wütend machen" beschrieben, dass es mir oft genauso geht. Dass ich gerne weggehen möchte, wenn eins meiner Kinder trotzt, dass ich meine Ruhe will und es schlecht ertragen kann, dann selbst von Gefühlen wie Angst, Wut und Trauer übermannt zu werden. Es ist aber wichtig, die Geister der Vergangenheit zu überwinden und dem eigenen Kind solche Beziehungsabbrüche zu ersparen!
Es ist schon seltsam: Wenn unsere Kinder hinfallen, dann nehmen wir sie ganz selbstverständlich in den Arm, um den Schmerz wegzutrösten. Wenn unsere Kinder sich laut schreiend hinter unseren Beinen verstecken, weil ein großer Hund vorbeiläuft, nehmen wir ihre Ängste ernst, beugen uns zu ihnen herunter und zeigen ihnen vieleicht sogar, wie man diese Angst überwinden kann. Wenn unsere Kinder nachts aufwachen und weinen, nehmen wir sie natürlich mit in unser Bett, um die Panik durch den Albtraum durch Körperkontakt zu verringern. Aber in einem Wutanfall, in dem unsere Kinder all diese Gefühle auf einmal erleben müssen - Wut, Trauer, Enttäuschung, Angst, Selbstzweifel - da lassen wir sie allein? Warum?
Weil wir nicht wissen, wie wir reagieren sollen. Niemand hat es uns je gezeigt. Viele von uns wurden selbst ins Zimmer geschickt und musste da mit ihrer Wut selbst klar kommen. Es ist natürlich richtig, dass es schwierig ist, ein in Krise befindliches Gehirn mit Worten zu erreichen und ja, häufig wollen Kinder während eines Wutanfalls nicht in den Arm genommen werden. Es ist aber durchaus möglich, dem Kind auch während eines Wutanfalls zugewandt zu bleiben und es durch Worte zu beruhigen. Ich finde, man sollte es zumindest versuchen. So fördern wir weiterhin eine gute Bindung und stärken unsere Kinder.
Weitergabe von Bindungserfahrungen
Selbst erfahrene Bindungsmuster werden in der Regel von Generation zu Generation weitergetragen. Das ist schön und richtig im Falle einer sicheren Bindung, problematisch aber bei anderen Arten von Bindung oder sogar Bindungsstörungen. Man kann seine eigenen Bindungsmuster "überschreiben" und ein feinfühliges Eingehen auf die eigenen Kinder erlernen. Das bedeutet aber, dass man sich mit seiner eigenen Bindungsgeschichte intensiv auseinandersetzt. Bringt man traumatische Kindheitserfahrungen mit in die Mutter- und Vaterrolle, sollten diese frühzeitig, möglichst schon in der Schwangerschaft, durch professionelle Hilfe bewusst gemacht und verarbeitet werden (Brisch, 2010: 65f).
Das Programm "SAFE - Sichere Ausbildung für Eltern" hat sich zum Ziel gesetzt, Eltern schon mit Beginn der Schwangerschaft und durch das erste anstrengende Jahr der Elternschaft hindurch zu unterstützen. Kurse findet man im Internet, z. B. hier: SAFE.
Wer sich zuhause intensiver mit dem Thema Bindung auseinandersetzen möchte, dem sei dieses Buch von Karl-Heinz Brisch empfohlen. Dieser Blog-Artikel beruht fast ausschließlich auf dem Buch von Karl Heinz Brisch, alle von mir referierten Inhalte sind darin wiederzufinden. Weiterhin referiert wurde aus den Büchern Klaus, M.-H., Kennell, J.-H. (1987): Mutter-Kind-Bindung. Über die Folgen einer frühen Trennung - München (dtv) und Stern, D.-N. (1991): Tagebuch eines Babys. Was ein Kind sieht, spürt, fühlt und denkt. München (Piper), 3. Auflage. Referierte Stellen wurden im Text gekennzeichnet.
© Snowqueen