Mein Kind petzt - wie soll ich auf Petzen reagieren?

"Mama, der Max hat mich mit Sand beworfen!" 

Petzen irritiert Eltern oft sehr - gilt doch der Verrat von anderen als feige und selbstdarstellerisch. Doch kleine Kinder denken sich meist gar nichts dabei - sie können die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen und wollen lediglich eine Beobachtung mitteilen, Aufmerksamkeit erhalten oder Unterstützung bekommen. 

Warum Kinder petzen


In einer Studie der Universität Potsdam haben die Psychologinnen Elisabeth H. Flitner und Renate Valtin unter anderem untersucht, wie 5- bis 6-Jährige Petzsituationen einschätzen. Ihnen wurde ein Film vorgespielt, in dem ein Mädchen Namens Rosa ihrer Freundin Katja gesteht, dass sie - trotz eines ausdrücklichen Verbots der Eltern - heimlich geraucht hat. Im Film kommt anschließend die Mutter von Katja in das Zimmer und fragt, ob die Mädchen etwas angestellt hätten. Rosas Raucherei wird von Katja verpetzt. Die Mutter reagiert seufzend mit "Aber Katja".  


Erwachsene erkennen sofort, dass die Mutter das Petzen rügt. Die 5-6-jährigen Kinder, die zu dem Film befragt wurden, schätzen die Situation ganz anders ein. Fast alle waren sich sicher, dass die Mutter nicht das Petzen sondern das Rauchen rügte. Einige vermuteten, die Mutter hätte die Namen verwechselt, andere meinten, die Mutter würde denken, dass Katja lügt.  Offenbar empfanden die Kinder Katjas Mitteilung über Rosas Vergehen nicht negativ oder rügenswert.

Erst im Alter von etwa 6 bis 8 Jahren entwickeln Kinder überhaupt ein Bewusstsein für die Eigenschaft des Petzens als "Verrat" und verstanden daher, dass die Mutter auf das Petzen reagierte. Bis dieses Verständnis entwickelt ist, hat es also wenig Sinn, ein Kind für das Petzen zu rügen - denn offenbar kalkulieren Kinder bis zu einem Alter von etwa 6 Jahren die Konsequenz für das andere Kind gar nicht ein (siehe auch unser Artikel zur Empathie). Es geht ihnen also in erster Linie nicht darum, das Fehlverhalten des anderen in den Fokus zu stellen oder auf dessen Bestrafung zu hoffen, sondern vor allem darum, ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Im Kleinkindalter kommen verschiedene Motivationen in Betracht:

"Schau - der Noah wirft mit Sand! Das darf man nicht!" Oft dient das Petzen dazu, Regelsysteme zu prüfen. Lautstark vermeldet werden Handlungen von anderen, von denen das Kind weiß, wenn es sie selbst ausführt, würde das zu einer Strafe/Konsequenz führen. Mit der Mitteilung des Sachverhaltes an Erwachsene will das Kind meist gar nicht erreichen, dass der vermeintliche Übeltäter bestraft wird. Vielmehr überprüft es, ob für das andere Kind nicht auch die selben Regeln gelten, wie für einen selbst. Oder es will signalisieren: Ich habe die Regeln verstanden - das kann ich dadurch beweisen, indem ich das Fehlverhalten anderer entlarve - etwas, das Kinder durchaus mit Stolz erfüllt.

Petzen ist auch eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erlangen. Gerade weil es Erwachsenen so unangenehm aufstößt und sie es als schlechtes Verhalten empfinden, reagieren sie unterbewusst sehr emotional und wortreich auf Petzereien. Sie haben das Gefühl, in solchen Situationen unbedingt Erziehungsarbeit leisten zu müssen - das entgeht einem Kind natürlich nicht. Evolutionär sind Kinder geprägt, möglichst viel Aufmerksamkeit von den sie versorgenden Personen zu erhalten - je mehr eine Bezugsperson in ein Kind investiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich besonders um dessen Überleben (das früher leider deutlich unwahrscheinlicher war, als heute) kümmert. Insbesondere bei Geschwisterrivalität spielt Petzen daher eine große Rolle.

Oft ist Petzen jedoch ein Ausdruck von Hilflosigkeit - das Kind kommt mit einer Situation nicht zurecht und erhofft sich schlicht Unterstützung. 

Wie man mit dem Petzen umgehen sollte


Beim Petzen wird selten gelogen - Studien ergaben, dass die gepetzten Sachverhalte zu etwa 90% der Wahrheit entsprachen. Und auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass Kinder ununterbrochen Petzen - in Wirklichkeit kommen sie im Schnitt nur in jeder 15. Situation, in der ihnen subjektiv Unrecht wiederfährt, zu den Eltern. Dort werden sie in der Regel dafür gerügt - Kinder werden etwa zehnmal (!) häufiger für das Petzen getadelt, als für Lügen. Dabei hat es im Vorschulalter wenig Sinn, das Verhalten unterdrücken zu wollen - "Hör auf zu petzen" ist kontraproduktiv, da sich das Kind keines Fehlverhaltens bewusst ist und sich eigentlich vom Erwachsenen Hilfe erhofft.

Geht es beim Gepetzten um die Einordnung des Verhaltens anderer in Regelsysteme ("Der Kai hat der Katze am Schwanz gezogen") reicht meist ein "Stimmt, das macht man nicht", um das Kind vollkommen zufrieden zu stellen. Gibt das Kind keine Ruhe, kann man es fragen: "Warum sagst Du mir das? Was sollen wir tun?" - oft sind das ganz andere Dinge, als man zunächst vermutet. 

Betrifft der gepetzte Sachverhalt das Kind selbst ("Ich darf nicht mitspielen", "Der hat mein Spielzeug weggenommen", etc.), erwartet es zweifellos Unterstützung seitens der Eltern, die nicht verweigert werden sollte. Hierbei sollte man abwägen, ob und wie stark man interveniert. Ab etwa 3 Jahren kann man von etwa gleichaltrigen Kindern erwarten, dass sie kleinere Konflikte selbst lösen. Leider neigen viele Erwachsene zu übertriebenen Reaktionen - wir haben den tiefen Wunsch, unsere Kinder zu beschützen und möchten jedwedes Leid von ihnen fernhalten, so dass wir insbesondere auf körperliche Beeinträchtigungen durch andere sofort stark regulierend eingreifend reagieren.

Natürlich soll man nicht tatenlos daneben stehen, wenn das eigene Kind in Gefahr läuft, ernsthaft verletzt zu werden - aber es ist nicht immer erforderlich und auch nicht förderlich, beim kleinsten Schubs unter Kindern sofort einzugreifen. Stattdessen empfehlen Psychologen, die Kinder zu bitten, Kleinigkeiten unter sich zu klären. Dies sollte jedoch nicht abwehrend geschehen mit der unterschwelligen Botschaft "Ich will davon nichts wissen". Vielmehr sollte man sich die Klage des Kindes anhören, Verständnis signalisieren und es bestärken die Situation selbst zu lösen. Anfangs kann dem Kind erklärt werden, wie es dabei vorgehen soll: "Sag Anna, dass du das nicht möchtest und dir das weh tut".
 

Ab dem Schulalter haben Kinder ein Verständnis dafür, dass Petzen das Verraten von Geheimnissen ist und entwickeln ein Moralsystem diesbezüglich. Bei älteren Kindern empfiehlt der Pädagoge Thomas Gordon beim Petzen aktives Zuhören und Nachhaken. Durch das Zuhören fühlen sich die Kinder angenommen und ernst genommen und haben Gelegenheit, Ängste und Befürchtungen zu äußern. Schimpft man das Kind für das Petzen, wird es sich verschließen und abgewiesen fühlen. Sinnvoller ist es, durch Nachfragen die Motivation zu ergründen. Außerdem verarbeitet das Kind so den Sachverhalt und findet mit Hilfestellung eigene Lösungsansätze, was das Selbstvertrauen stärkt. Allein die Frage "Und was denkst Du, könntest Du nun machen?" regt komplexe Denkprozesse an und fördert die Selbständigkeit.

Ist es offensichtlich, dass das Kind petzt, um andere in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen (meist bei Geschwisterstreitigkeiten), sollte bei Banalitäten darauf hingewiesen werden, dass das Verpetzen von Kleinigkeiten mit der Absicht, dass der andere eine Strafe erhält, kein höfliches Verhalten ist. Man kann das Kind fragen: "Warum sagst Du mir das? Macht es Dir Freude, wenn Dein Geschwisterchen bestraft wird? Warum?" Der Übeltäter sollte in solchen Fällen nicht bestraft werden (zumindest nicht im Beisein des Verräters), da sonst das Ziel des Petzenden erreicht wurde und das zu weiteren ähnlichen Handlungen anregt. Dass er verpetzt wurde, sollte der "Übeltäter" auch nicht erfahren, da dies einerseits Missgunst schürt und andererseits ihn selbst verführt, auch das Geschwisterchen zu verpetzen. 

Manche Dinge müssen und sollen gepetzt werden


Hört ein Kind immer nur "Das will ich gar nicht hören" oder "Petzen ist nicht nett", führt das unter Umständen dazu, dass Kinder sich bei empfundenen Unrecht gar nicht mehr vertrauensvoll an ihre Eltern wenden. Wie oben beschrieben, haben Vorschulkinder kein Unrechtsempfinden in Bezug auf das Petzen - sie können daher nur schwer einordnen, wofür konkret sie gerügt werden. Um das Gerügtwerden zu vermeiden, verschweigen sie unter Umständen daher auch Dinge, die unbedingt ausgesprochen werden sollten - "Lena klettert gerade auf den wackeligen Tisch" würde die Eltern sicher interessieren - und auch Pädophile nutzen die durchgehend negative Assoziation des Petzens aus: "Aber verpetz uns nicht bei Deinen Eltern!"

Daher sollte frühzeitig über eine Klassifizierung von "guten" und "bösen" Geheimnissen gesprochen werden. Kinder sollten ermuntert werden, immer dann unbedingt Bescheid zu geben, wenn nach ihrer Ansicht eine Gefahr besteht. Dabei ist zu beachten, dass Kinder im Vorschulalter Gefahren oft größer einschätzen, als sie tatsächlich sind. Mit ihnen sollte auch vereinbart werden, dass sie - wenn Erwachsene zu ihnen sagen, dass das "auf keinen Fall den Eltern erzählt werden soll" - sie in jedem Falle etwas sagen müssen. Das kann auch durchaus mal mit Onkel/Tante geübt werden.

Statt also immer wieder - weil man das eben so macht - darauf hinzuweisen, wie "böse" das Petzen ist, sollte man besser individuell auf die jeweilige Situation eingehen und nach Lösungen suchen. Das ist zwar etwas zeitaufwändiger - wirkt sich aber langfristig auf das Selbstbewusstsein, die Selbständigkeit und die vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung aus. 

Die Forschungen des Pädagogen Gordon zeigen übrigens: Je einfühlsamer und ausführlicher man sich anfänglich mit den Situationen auseinander setzt, desto schneller nimmt deren Frequenz ab und desto ehrlicher, offener und authentischer werden die Gespräche zwischen Eltern und Kind. 

© Danielle 

Literatur 


Gordon, Thomas.: Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind, Heyne-Verlag

Flitner, Elisabeth; Valtin, Renate: “Kannst du schweigen wie ein Grab?” Über die Bedeutung von Geheimnissen für Kinder, in Valtin, Renate: Mit den Augen der Kinder. Freundschaft, Geheimnisse, Lügen Streit und Strafe 

Bronson, Po: 10 schockierende Wahrheiten über Erziehung: Was eine Stunde Schlaf mit ADS zu tun hat, warum Sie Ihr Kind besser nicht loben sollten und warum besonders gut gemeinte Erziehung keine 'Engel' produziert, Riemann Verlag

Arbeiten während der Elternzeit - lohnt sich das?

[Dieser Artikel ist älter als 10 Jahre und gibt die damalige Rechtslage wieder.] 

Gelegentlich kommt es vor, dass Mütter oder Väter erwägen, während der Elternzeit arbeiten zu gehen. Sei es aus finanziellen Erwägungen oder weil das Elterndasein sie doch nicht ganz so sehr ausfüllt, wie man sich das vorgestellt hatte. In diesem Artikel möchte ich die derrzeitige Rechtslage kurz zusammenfassen.

Taschenrechner und Geld


Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung in der Elternzeit 


Grundsätzlich ist eine Tätigkeit während der Elternzeit in einem Umfang von 30 Wochenstunden möglich. In § 15 Abs. 7 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG) ist geregelt, dass man einen Anspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung (15 bis 30 Stunden) im Unternehmen hat, wenn
 

  • das Unternehmen mehr als 15 Beschäftigte (ohne Auszubildende, Teilzeitkräfte werden nicht nur anteilig gezählt) hat, 
  • die Teilzeittätigkeit mindestens 2 Monate ausgeübt werden soll und 
  • das Arbeitsverhältnis bereits 6 Monate bestanden hat.

Der Arbeitgeber darf eine Teilzeittätigkeit nur ablehnen, wenn "dringende betriebliche Gründe" vorliegen. Für Arbeitgeber ist es vergleichsweise schwierig, nachzuweisen, dass solche Gründe vorliegen. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn eine Teilzeitbeschäftigung den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde (wofür der Arbeitgeber beweispflichtig ist).

Die Gerichte prüfen die Ansprüche wie folgt: 

  • Hat der Arbeitgeber ein bestimmtes Organisationskonzept? 
  • Steht der Beschäftigungswunsch des Arbeitnehmers diesem Konzept entgegen? 
  • Sind die ablehnenden Gründe des Arbeitgebers gewichtig? Ist eine eine wesentliche Beeinträchtigung zu befürchten?

Vater mit Kind am Meer

Wenn z. B. in der eigenen Abteilung/in einem ähnlichen Tätigkeitsfeld im Unternehmen bereits Teilzeitkräfte beschäftigt werden, wird der Arbeitgeber regelmäßig nicht begründen können, warum das bei einem anderen Arbeitnehmer nicht möglich sein sollte. 

Wenn kein tatsächlicher Bedarf an der Arbeitskraft besteht (bspw. weil eine Elternzeitvertretung eingestellt wurde), kann der Wunsch des Arbeitnehmers abgelehnt werden - es ist jedoch vorher zu prüfen, ob der Arbeitnehmer anders im Unternehmen eingesetzt werden kann oder andere Arbeitnehmer ggf. ihre Arbeitszeit verkürzen würden. Je größer das Unternehmen ist, desto schwieriger wird es nachzuweisen, dass ein Mitarbeiter in Elternzeit nicht beschäftigt werden kann. Der Arbeitgeber muss also durchaus Anstrengungen unternehmen, dem Wunsch nachzukommen - sei es durch Umorganisation oder Neuverteilung der Arbeitszeit. Die reine Erhöhung seines koordinierungs- Planungs- oder Verwaltungsaufwandes kann der Arbeitgeber nicht als dringenden Grund anführen - ihm ist dies in bestimmtem Umfang zuzumuten.

Der Wunsch nach einer Teilzeittätigkeit muss 7 Wochen vor Beginn schriftlich mitgeteilt werden. Das Schreiben muss den gewünschten Beschäftigungsbeginn und Wochenstundenumfang beinhalten. Wenn der Arbeitgeber ablehnen will, muss er dies innerhalb von 4 Wochen schriftlich begründen. Stimmt der Arbeitgeber nicht oder nicht rechtzeitig zu, kann Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben werden. Diese ist dann immer erfolgreich, wenn der Arbeitgeber nicht reagiert hat - selbst wenn er im Nachhinein "dringende betriebliche Gründe" anführen würde, ist dies nicht mehr relevant - er kann sich nur auf die Gründe in seiner Ablehnung berufen. Hat er nicht abgelehnt, kann er sich auf nichts berufen. 

Wie wird Arbeiten in der Elternzeit auf das Elterngeld angerechnet 


Wenn man im Laufe des ersten Lebensjahres des Kindes eine Tätigkeit aufnimmt, dann wird das Elterngeld anteilig gekürzt. Leider lohnt sich in den meisten Fällen die Arbeitstätigkeit finanziell nicht. Dies zeigen folgende Beispielrechnungen:

Bei einem durchschnittlichen Nettogehalt in den letzten 12 Monaten (bei 40 Wochenstunden) von 1.000 EUR ergibt sich ein Elterngeld von 670 EUR. Wenn man nun in 20 Wochenstunden 500 EUR dazu verdient, dann liegt der Verdienstausfall nur noch bei 500 EUR (1.000 EUR - 500 EUR) - auf dieser Grundlage wird dann das Elterngeld neu berechnet - statt der 1.000 EUR sind nunmehr also 500 EUR die Bemessungsgrundlage - das Elterngeld beträgt nun nur noch 335 EUR. Zwar hat man effektiv mehr in der Tasche (500 EUR Verdienst + 335 EUR = 835 EUR statt 670 EUR) - aber für die 165 EUR mehr ist man im Schnitt 86,5 Stunden arbeiten gegangen - das macht einen Stundenlohn von 1,91 EUR - ob es sich dafür lohnt, Zeit im ersten Lebensjahr seines Kindes zu verpassen?

Bei 2.000 EUR Nettoverdienst beträgt das Elterngeld 1.300 EUR - arbeitet man hier bspw. für 10 Stunden pro Woche und verdient 500 EUR dazu, würde das Elterngeld auf 975 EUR gekürzt - macht 175 EUR mehr auf dem Konto - der Stundenlohn wäre allerdings schon höher mit 4,04 EUR - im Vergleich zum bisherigen Verdienst von 11,54 EUR ist es aber dennoch erschreckend wenig.

Ab dem ersten Geburtstag kann man (im Rahmen der 30 Stunden) so viel dazu verdienen, wie man möchte - auch wenn man für das Elterngeld einen Auszahlungszeitraum von 24 Monaten ausgewählt hat.

Soll man lieber Teilzeit arbeiten oder Teilzeit in Elternzeit? 


Gelegentlich stellt sich die Frage, ob es sinnvoller ist, Teilzeit in der Elternzeit zu arbeiten oder generell einen Teilzeitvertrag abzuschließen. Bei der Entscheidung ist zu beachten, dass in der Elternzeit ein erhöhter Kündigungsschutz besteht. Allerdings ist die Tätigkeit auf 30 Wochenstunden begrenzt - bei 35 Wochenstunden ist es beispielsweise zwingend erforderlich, die Elternzeit zu beenden. Eine Beschäftigung im Rahmen der Elternzeit hat auch den Vorteil, dass nach Ablauf derselben ein Anspruch auf den ursprünglichen (Vollzeit-)Vertrag besteht - wohingegen bei einem Teilzeitvertrag kein Anspruch auf Aufstockung der Stunden besteht.

In Bezug auf die Rente ist es egal, ob man die Elternzeit fortführt oder beendet und eine Teilzeittätigkeit aufnimmt, da einem bei beiden Varianten für die ersten drei Jahre nach der Geburt pro Jahr das Durchschnittseinkommen für die Rente (also ein "Entgeltpunkt") fiktiv gutgeschrieben wird und jeder weitere Verdienst bis zur Höchstgrenze von 1,8 Punkten addiert wird.

© Danielle

Babys ablegen, weinen lassen, allein (ein)schlafen

Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern - Teil 1 


Über kein Thema wird in Foren und im Real Life heftiger diskutiert als über die Frage, was nun besser ist: Erziehung nach Bauchgefühl oder Erziehung nach Ratgebern. Auf der einen Seite stehen die, die sagen: "Ich lese keine Ratgeber. Ich habe einen guten Instinkt dafür, was meinen Kindern gut tut. Und wenn ich mal nicht weiter weiß, dann frage ich meine eigene Mutter. Die hat mich schließlich auch gut hinbekommen!" Auf der anderen Seite stehen die, die anmerken, dass es nie verkehrt ist, sich in einem Thema weiterzubilden. Schließlich gibt es heute kaum noch die Großfamilien,  wo alle unter einem Dach wohnen und in der man schon als Kind ganz nebenbei gelehrt bekommt, wie man mit Babys und jüngeren Geschwistern umgeht.

 

Was ist denn dieses Bauchgefühl eigentlich? Wo kommt es her? 


Bauchgefühl, auch Intuition genannt, ist eine Erkenntnis, die einem schnell, ohne den Umweg über den langsamen Verstand, "eingegeben" wird. Das geht aber nur, wenn sich das Gehirn vorher intensiv mit der Sache auseinander gesetzt hat. Diese kognitive Auseinandersetzung müssen wir gar nicht bemerken - als wir selbst Babys und Kleinkinder waren, wurden wir und unsere Geschwister von unseren Eltern umsorgt. Das allein schon genügt, um einen Basisschatz an Wissen um den Umgang mit Babys zu erlangen. Dieser ist dann im Laufe unseres Heranwachsens in das Zentrum des Gehirns gerutscht, das für das "Unbewusste" zuständig ist. Kommen wir nun in eine Situation, die für uns scheinbar neu ist - mit dem eigenen Baby ist sie es ja - arbeitet sich manchmal so ein kleines Fünkchen Wissen aus dem Unterbewusstsein hoch - und wir haben ein "Bauchgefühl".

Intution ist demnach kein 6. Sinn, sondern ein unbewusstes Zugreifen auf Erfahrungen der eigenen Kindheit. Wenn wir also nach Bauchgefühl handeln, erziehen wir im Prinzip unbewusst genau so, wie unsere Großeltern und Eltern erzogen haben. Ich hatte schon in meinem Artikel über Bindung geschrieben, dass diese Tatsache schön ist, wenn man selbst eine feinfühlige, empathisch reagierende Mutter hatte, die all unsere Signale zeitnah und richtig entschlüsseln konnte und unsere Bedürfnisse liebevoll befriedigt hat. Ist man jedoch in Deutschland aufgewachsen und die Großeltern entstammen einer Generation, die ab 1933 ihre Kinder bekamen, ist es vielleicht nicht schlecht, sein eigenes Bauchgefühl nochmal zu überdenken... 

Die Erziehung unserer Großeltern 


Unsere Urgroßeltern und Großeltern (je nachdem, wann ihr geboren seid) hatten es schwer. Sie wurden in einer Zeit Eltern, in der die oberste Priorität darin bestand, dem Führer gesunde, starke Söhne zu schenken.
"Wir erleben [...] heute einen groß angelegten Feldzug unserer Staatsführung mit, in dem das gesunde Erbgut und das rassisch Wertvolle zäh verteidigt werden gegen alles Krankhafte und Niedergehende, das unter der Herrschaft eines falsch verstandenen Freiheitsbegriffes zu überwuchern drohte. Jedem Volksgenossen müssen die Augen geöffnet werden für die Bedeutung der richtigen Gattenwahl auch nach gesundheitlichen und rassischen Gesichtspunkten. Auf diese Weise wird der Boden vorbereitet für das Heranwachsen eines gesunden, geistig und körperlich wertvollen neuen Geschlechts."  (Haarer, 1939: 7).
Dieses Zitat ist dem nationalsozialistischen Erziehungsratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" entnommen, welches auch nach 1945 (in Sprache bereinigt, die Praktiken der neuen Zeit etwas angepasst) bis in die 80er Jahre hinein unter dem Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" ganzen Generationen an Müttern Tipps zum Umgang mit dem Baby und Kleinkind gab.

Die Erziehungsideale des Dritten Reiches waren, das Kind "früh abzuhärten". Gefühle galten als Verzärtelung, deutsche Jungen und Mädchen weinten nicht, sie fürchteten sich nicht, sondern zeigten Mut, Stärke und Unerschrockenheit, bis hin zur Selbstaufgabe für das Volk. Um das zu erreichen, musste die Erziehung des Kindes laut Haarer (der Autorin von "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind") unmittelbar nach der Geburt beginnen. 

Das Baby so oft wie möglich ablegen

 

Großeltern 


Liest man in "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind", wird man feststellen, dass im Dritten Reich das gesunde Neugeborene gleich nach der Abnabelung in ein Tuch gehüllt und erst einmal zur Seite gelegt wird. Erst nach 24 Stunden wird es der Mutter zum ersten Mal zum Stillen gereicht. In diesen 24 Stunden soll es möglichst allein in einem Raum bleiben, wobei es natürlich zwischenzeitlich gewaschen, gewickelt und angezogen wurde. Auch später, wenn Mutter und Kind zuhause sind, rät Haarer vehement dazu, Mutter und Kind getrennt unterzubringen, damit der Mutter "unnötige Beunruhigungen" erspart werden (das Horchen auf jede noch so kleine Lebensäußerung des Neugeborenen) und dem Kind, wie sie sagt, zu ersparen, von "allzuvielen Menschen hochgenommen und geräuschvoll begutachtet zu werden" (vgl. Haarer, 1939: 109). 

Außerdem, fügt sie hinzu, sei die räumliche Trennung von Mutter und Kind von außerordentlichem erzieherischen Vorteil.
"Am besten ist das Kind in einem eigenen Zimmer untergebracht, in dem es dann auch allein bleibt. [...] Besonders im Winter, wenn nur ein beheizter Raum zur Verfügung steht, läßt es sich aber nicht vermeiden, daß es zusammen mit der übrigen Familie untergebracht wird. [...] Von vornherein mache sich die ganze Familie zum Grundsatz, sich nie ohne Anlaß mit dem Kinde abzugeben. Das tägliche Bad, das regelmäßige Stillen, das Wickeln des Kindes bieten Gelegenheit genug, sich mit ihm zu befassen [...]" (Haarer, 1938, S. 165).

 

Eltern


Dass Neugeborene nach der Geburt von der Mutter getrennt und erst einmal gewaschen, gewogen und gemessen wurden, ist auch in den 70er Jahren nahezu gang und gäbe gewesen, ja, sogar bis in die 80er Jahre lassen sich diese Praktiken in einigen Kliniken nachverfolgen. Auch das sogenannte Rooming-In, also die Praxis, dass das Baby bei der Mutter und nicht hinter dickem Glas in einem Säuglingszimmer liegt, wurde erst 1969 in einem Münchener Krankenhaus eingeführt. Leider bedeutet aber nicht, dass sich die Praxis des Rooming-In danach schlagartig verbreitet hätte. Meine Eltern - ich wurde 1976 geboren - versichern mir glaubhaft, dass das auch zu meiner Geburt eher eine Ausnahme war. Wenn überhaupt, wurde das Teil-Rooming-In praktiziert: Die Mutter bekam das Kind von 9.30 bis 19.00 aufs Zimmer gebracht, in der Nacht schlief es im Säuglingszimmer und wurde dort mit Glukose gefüttert. In Kliniken, die kein Rooming-In hatten, wurden die Neugeborenen ihren Müttern alle 4 Stunden aufs Zimmer zum Stillen gebracht. Zeitzeugen berichten, dass ein großer Wagen mit den kleinen Menschlein dann zur rechten Zeit durch den Gang geschoben wurde und diese der jeweiligen Mutter für 20 Minuten in den Arm gedrückt.

Auch das Ablegen des neugeborenen Babys war für unsere Eltern normal. In den meisten Fällen lagen wir irgendwo rum - im Bettchen, im Kinderwagen, im Stubenwagen, im Ställchen. Immerhin wurde uns in den meisten Fällen nicht mehr die Tür vor der Nase zu gemacht, wie es unsere Eltern (und teilweise die Großeltern) als Babys noch oft erleiden mussten. Wir durften in den Zimmern sein, in denen auch die Familie war. Wir mögen nicht die meiste Zeit auf dem Arm oder Körper unserer Eltern gewohnt haben, aber wir fristeten auch kein einsames Leben mehr im abgedunkelten, ruhigen Nebenraum. Nur zum Schlafen wurden wir selbstverständlich ins Kinderzimmer gebracht.

Bei Haarer klingt das 1973 so:
"Es ist aber andererseits verkehrt, [...] das Baby allzusehr zu isolieren. [...] In Famlien, die eine sehr kleine Wohnung haben und wo das Baby deshalb Tag und Nacht "dabei" ist, da pflegen Kinder oft zufriedener zu sein. Schon das ganz kleine Baby hat offenbar ein Gefühl dafür, ob es in der Nähe der Großen sein darf oder ob es abgeschoben wird" (Haarer, 1973: 145f).

 

Wir


Heutzutage würden den Krankenhäusern verständlicherweise die Patientinnen weglaufen, wenn nicht ganz selbstverständlich das Rooming-In angeboten werden würde. Nach der Geburt wird in den allermeisten Fällen der Mutter und dem neugeborenen Erdenbürger eine gute Stunde Kennenlernzeit im Kreißsaal gegeben, bevor das Kind vermessen und gewogen wird. Das ist auch wichtig, denn nach den Säuglingsforschern Klaus und Kennel sind Neugeborene etwa 60 Minuten lang nach ihrer Geburt in einem Zustand der sogenannten "ruhigen Aufmerksamkeit". Das Baby ist hellwach, seine Augen sind geöffnet und es beobachtet seine Umgebung und seine Eltern mit großer Konzentration. Danach fällt es in einen drei- bis vierstündigen Schlaf (Klaus/ Kennel, 1987:101).


Auch das Anlegen an die Brust wird in dieser Zeit unterstützt. Etwa 20 Minuten nach der Geburt ist der uns angeborene Saugreflex am stärksten ausgeprägt. Wird ein Kind in dieser Zeit angelegt, ist der erste Grundstein für eine gute Stillbeziehung schon gelegt. Natürlich können Kinder, die durch eine Notsituation nicht in dieser Zeit an die Brust kommen, trotzdem kleine Stillexperten werden, doch der Weg dorthin ist zumindest am Anfang etwas steiniger (vgl. Klaus/Kennel, 1987: 101).

Mutter und Kind stellen sich also in dieser sensiblen halb- bis einstündigen Phase mit jeder Faser ihres Körpers aufeinander ein und verschmelzen, wie es die Natur vorgesehen hat, quasi zu einer Einheit.

Diese Einheit wird auch durch das Tragen des Kindes - im Gegensatz zum Ablegen - gestärkt. Dass der Mensch von Natur aus ein Tragling ist, hat sich in der heutigen Müttergeneration bereits herumgesprochen. Der Begriff "Tragling" wurde 1970 von dem Biologen B. Hassenstein geprägt, als er feststellte, dass Primatenjunge weder den bis dato definierten Typen "Nestflüchter" noch "Nesthocker" zuzuordnen waren.
"Ihr allgemeiner Entwicklungsstand entspricht dem des Nestflüchters [...] ihr Beinskelett ist jedoch so beschaffen, dass die Handflächen, ebenso die Fußsohlen (anders als bei den Lauftieren) in der Normalhaltung einander zugekehrt sind, so dass Finger und Zehen ins Fell des tragenden Elterntieres greifen können." (Hassenstein,1992).
Aktiv mit Händen und Füßen am Körper anklammern kann sich der menschliche Säugling nicht, es gibt jedoch Reflexe, Verhaltensweisen und anatomische Besonderheiten, die laut Autorin Evelin Kirkilionis die aktive Beteiligung des Säuglings am Tragen aufzeigen (Kirkilionis, 1999). Die kleinen Füße unserer neugeborenen Kinder sind leicht nach innen geneigt. Bei Berührung drehen sie reflexartig die Fußsohle nach innen und krümmen die Zehen, als wollte das Baby mit seinen Füssen zugreifen. 

Der Palm-Reflex der Hände ermöglicht ein aktives Anklammern und ist so stark, dass ein Neugeborenes sein eigenes Gewicht halten kann, wenn es sich an eine Wäscheleine klammert. Sobald ein Baby von seinen Eltern hochgenommen wird, zieht es seine Beine reflexartig in stark angehockter und abgespreizter Haltung an – es erwartet, auf der Hüfte getragen zu werden. Die Schienbeinknochen eines Babys weisen im ersten Lebensjahr eine Neigung von durchschnittlich 18,5° auf. Diese O-Bein Krümmung verliert sich erst im Laufalter und deutet ebenfalls auf ein Festklammern am elterlichen Körper hin (Manns/Schrader, 1995). 

Die unreife Hüfte des Neugeborenen kann optimal nachreifen, wenn das Kind getragen wird: Die Oberschenkel stehen beim Tragen auf der Hüfte bei 90° bis 110° Anhockung und 45° Spreizung - in genau diesem Winkel haben Hüftpfanne und Oberschenkelkopf die bestmögliche Stellung für eine Nachreifung zueinander. Interessanterweise begibt sich ein Säugling in ebendiese Stellung, um möglichst entspannt zu liegen: 100° Anhockung und 40° Spreizung. Daraus folgt, dass ein Kind auf der Hüfte getragen nicht nur die medizinisch optimalste Haltung für seine Hüfte hat, es nimmt gleichzeitig die für es entspannteste Haltung ein (Manns/Schrader, 1995).


Anders als Nestflüchtige und Nesthocker beginnen Traglinge bei Verlust des Körperkontaktes zur Mutter zu weinen (Hilsberg, 1985) und beruhigen sich erst, wenn sie wieder hochgenommen werden (oder das Tragen durch schaukeln in einer Federwiege simuliert wird). Nestflüchter brauchen zu ihrer Beruhigung nur Sichtkontakt zur Mutter, Nesthocker werden sogar über längere Zeit von ihren Eltern allein gelassen und verhalten sich in dieser Zeit absolut still, um nicht von Feinden gefunden und gefressen zu werden. Daraus folgt, dass es für unsere Kinder sowohl emotional beruhigend, als auch körperlich entspannend und medizinisch optimal ist, viel getragen zu werden. Sie schlafen fester und länger, wenn sie an uns kleben (oder auf uns drauf liegen) und die Mutter- Kind bzw. Vater- Kind-Bindung wird nach und nach gefestigt. 

Der Vorsicht halber weise ich hier noch einmal explizit darauf hin, dass auch Traglinge durchaus abgelegt werden dürfen. Dann nämlich, wenn sie auf dem Bauch oder Rücken ihre eigenen motorischen Erfahrungen machen wollen und auch dann, wenn die Eltern körperlich zu geschafft sind, sie noch eine Minute weiter zu halten. Die Anschaffung eines Tragetuches (z. B. von Didymos oder Hoppediz)  oder oder einer anderen Tragehilfe  (Mei Tai, Emeibaby oder Bondolino) hilft enorm, ebenso wie eine regelmäßige Massage! 

Weinen lassen 


Großeltern


Aus uralter Zeit verfolgt uns der Mythos "Schreien kräftigt die Lungen". Schon 1891 zitiert Kübler im "Buch der Mütter" den berühmten Arzt Hufeland, Schreien sei für Kinder eine
"höchst wohltätige und notwendige Sache. Es [...] belebt den Blutumlauf und bewirkt gleichförmigere Verteilung der Säfte, es befördert Verdauuung und die ganze Ernährung des Körpers, es zerteilt Stockungen und Anhäufungen im Unterleibe und befördert alle Absonderungen, insbesondere die so wichtige Ausdünstung der Haut" (vgl. Kübler, 1891).
Das Trösten des Kindes, so schreibt er weiter, könne dazu führen, dass es 
"eine weniger starke Brust bekommt, als es außerdem haben würde und dass sich leichter [...] krankhafte Erzeugnisse darin bilden" (vgl. ebd., 1891).
Auch in Zeiten des Nationalsozialismus darf das Weinen des Babys, sofern klar ist, dass es satt, trocken und nicht zu kalt oder warm angezogen ist, nicht "bekämpft" werden. Haarer schreibt:
[....] dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszuheben, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt und gefahren wird - und der kleine aber unerbittliche Haustyrann ist fertig. (Haarer, 1939: 170).

Schreiendes Baby
Ein Kind, auf dessen Weinen nicht reagiert wird, macht unausweichlich die Erfahrung, dass es nichts selbst bewegen kann, dass es vollkommen verlassen ist. Wie im Artikel über Bindung schon erklärt, startet das Gehirn in einer solchen Situation sein Notfall-Programm: die Erregung im Nervensystem führt zu einem Umschalten auf das parasympathische Nervensystem. Dieses verursacht eine schlaffe Erschöpfung des Kindes - es wird ruhig und schläft ein (vgl. Brisch, 2010: 36f). Bei Haarer klingt das so:
"Das Kind wird nach Möglichkeit an einen stillen Ort abgeschoben, wo es allein bleibt, und erst zur nächsten Mahlzeit wieder vorgenommen. Häufig kommt es nur auf einige wenige Kraftproben zwischen Mutter und Kind an - es sind die ersten! - und das Problem ist gelöst" (ebd., 1939: 170).
Problematisch wird es laut Haarer nur dann, wenn es in der Familie Frauen älterer Generation gibt:
"Sie [....] können kein Kind schreien hören, ohne sich sofort darauf zu stürzen. Sie sind stets von neuem empört über die "herzlose, moderne Mutter", die nach Erfüllung aller ihrer Pflichten in Ernährung und Pflege des Kindes [ ...] sich von ihrem Kind nicht tyrannisieren läßt. Nicht entschieden genug kann in dieser Hinsicht vor falscher Nachgiebigkeit gewarnt werden. Sie ist ganz unnütz, verzieht das Kind und raubt der Mutter Zeit und Kraft" (ebd., 1939: 170).

Eltern


Dreißig Jahre später schreibt dieselbe Autorin im gleichen Buch schon etwas abgemildeter:
"Daher möchten wir als erstes raten, mit dem ganz kleinen Baby nicht allzu streng umzugehen und sich nicht allzu starr an gewisse Regeln zu halten. Freilich darf man das Baby nicht bei jedem Piepser gleich aus dem Bett nehmen, herumtragen, wiegen und auf dem Schoß halten. Auf diese Weise - sie war zur Zeit unserer Urgroßmütter üblich! - erzieht man sich nur einen kleinen Haustyrannen. Nein, Sie müssen jetzt Ihren mütterlichen Instinkt und Ihren gesunden Menschenverstand zur Hilfe nehmen und einen Mittelweg finden zwischen den oft allzu strengen Lehrern der Säuglingspflege und dem, was das Kind ganz offenkundig braucht" (Haarer, 1973: 144).
Lag es an den fehlenden mütterlichen Instinkten oder dem fehlenden gesunden Menschenverstand? Fakt ist, dass die meisten von uns, die wir in den 70er Jahren geboren wurden, von unseren Eltern viel zu oft und lange schreien gelassen wurden. Auf Familienfeiern übertreffen sich zuweilen die Geschichten unserer Elterngeneration, wer es wo und wie lange besonders gut ausgehalten hat, sein Kind schreien zu hören, bis es aufgibt. Da berichtet der Großvater eines jetzt fünfjährigen Enkels seiner verdutzten Tochter: "Als wir damals aus dem Krankenhaus kamen, haben wir dich ins Kinderzinmer ins Bettchen gelegt und ich habe die Tür abgeschlossen und den Schlüssel versteckt. Deine Mutter hätte es sonst nicht ausgehalten und wäre zu dir reingerannt, so doll hast du geschrien." Andere erzählen, dass sie immer durchs Schlüsselloch geguckt hätten, ob es dem Baby "gut" geht. Solange es satt, trocken und fieberfrei gewesen sein, hätte es doch keinen Grund gegeben, dem Weinen nachzugeben.

Auch bei Haarer findet man unter der Kapitelüberschrift "Das Baby schreit" viele Gründe, warum ein Baby schreien könnte. "Naß? Schmutzig? Hunger? Durst? Schmerzen? Licht/Unruhe? Zu warm? Zu kalt? Wund?" (vgl. Haarer, 1973:144ff). Dass es vielleicht nach der Nähe der Eltern Sehnsucht haben könnte, bedenkt sie nicht. Den Müttern wird suggeriert, dass es einen körperlichen Grund für das Weinen geben muss. Sie werden dazu angehalten, durch Auschlussverfahren herauszufinden, was es sein könnte. Als letzter Ausweg, wenn das Kind trotz aller Pflege weiterschreit, wird der Nuckel angeboten.
"Wenn es auch nicht gerade modern ist - aber hin und wieder greift man eben doch zum Schnuller. [..] Der Schnuller stoppt in vielen Fällen das Schreien sofort" (ebd., 1973: 148).
Was zu tun ist, wenn der Nuckel das Weinen eben doch nicht stillt, überlässt Haarer der Phantasie ihrer Leser. Immerhin forderte sie nicht mehr explizit dazu auf, in einem solchen Fall "hart zu werden". Leider lasen zu viele Eltern zwischen den Zeilen oder hatten, wie im Eingangsabsatz beschrieben, ein "Bauchgefühl", das auf ihrer eigenen Erziehung als Baby beruhte. 

Wir


Heute wissen wir es besser. Die wenigsten Mütter und Väter lassen ihre Kinder heute noch absichtlich und über einen längeren Zeitraum allein weinen. Schreien signalisiert immer ein unerfülltes Grundbedürfnis, in den meisten Fällen ist das der Wunsch nach Nähe zu den Eltern!

Dass auch hungrige Babys weinen, ist sicher allen klar. Was viele aber nicht wissen ist, dass das Baby zunächst gut 30 Minuten lang mithilfe von Nahsignalen seine Bedürfnisse ausdrückt. Interpretieren die Eltern sein Räkeln und Knarzeln nicht richtig ("Hallo, ich habe Hunger!", "Hallo, ich fühle mich allein und brauche Körperkontakt!"), denkt das Baby insinktiv, dass es allein gelassen wurde und brüllt mit maximaler Lautstärke los. Viele Eltern sind irritiert, dass dies so plötzlich geschieht (eben weil sie die Nahsignale nicht erkannt haben), aber rein evolutionsbiologisch ist nichts anderes sinnvoll: Nimmt das Baby an, dass die Mutter weit weg sein muss, weil sie sich bis jetzt nicht um es gekümmert hat, muss es all seine Resourcen einsetzen, sie zurückzurufen. Da das Weinen in jedem Fall Fressfeinde anlockt, egal, ob das Baby nur mittelstark oder besonders laut weint, und es sich somit in Lebensgefahr begibt, muss das Kind gleich alles geben, damit seine Mutter es hört, egal, wie weit weg sie ist (vgl. Renz-Polster, 2011: 150f).

Neben Schmerzen (Blähungen, Verspannungen, Blockaden) ist auch die Überreizung des Kindes eine der Hauptursachen von schier unstillbarem Schreien. In so einem Fall ist es eher kontraproduktiv, wie von Haarer vorgeschlagen, nacheinander zu überprüfen, ob das Kind hungrig, müde, nass, wund etc. ist, denn je mehr Reizen das Kind in einer solchen Situation ausgesetzt ist, desto lauter weint es.

Nasse Windeln sind übrigens - wie ein Forschungsteam untersuchte - weitaus weniger oft Grund zum Weinen, als Eltern mithin annehmen. In dem Test wurden Eltern gebeten, ihren Kindern die nasse Windel gleich wieder anzulegen. Diese Kinder weinten danach nicht stärker als solche, die eine frische Windel bekamen. Wichtiger als das Trockenlegen scheint also die elterliche Interaktion und Zuwendung zu sein (vgl. ebd., 2011: 152). 

Allein Einschlafen lassen / In den Schlaf schreien lassen


Großeltern 


Nach allem, was ich bereits über die Erziehung im Dritten Reich geschrieben habe, ist es sicher nicht verwunderlich, dass den damaligen Müttern auch beim Thema Schlafen zur Brachialmethode geraten wurde. Nicht nur, dass das Neugeborene selbstverständlich allein im eigenen Bett und im eigenen Zimmer schläft, es soll natürlich auch nicht gestillt und nicht hochgenommen werden.
"Bei großen kräftigen Kindern sei der Mutter abermals der Rat gegeben: Schreien lassen! Jeder Säugling soll von Anfang an nachts allein sein. Nun macht ja Kindergeschrei vor Türen und Mauern nicht halt. Die Eltern müssen dann eben alle Willenskraft zusammennehmen und, nachdem das Kind gut versorgt wurde, sich die Nacht über nicht sehen lassen. Nach wenigen Nächten, vielfach schon der ersten, hat das Kind begriffen, daß ihm sein Schreien nichts nützt, und ist still" (vgl. Haarer, 1939: 171).
Schreit das Kind in der Nacht trotzdem und die "deutsche Mutter" vermutet, dass es Hunger hat, soll sie dem Kind Tee oder Fruchtsaft anbieten, möglichst aber nicht die 8-stündige Stillpause unterbrechen, die die Brust laut Haarer zur Regeneration braucht. Allerdings warnt sie eindringlich davor, dass bei Gabe von Tee und Schnuller die Gefahr besteht, dass sich das Kind daran gewöhnt und immer wieder danach verlangt (vgl.ebd., 1939: 171). Einzig und allein bei kleinen, zarten Kindern, die schlecht zunehmen und nachts hartnäckig schreien, erlaubt die Autorin eine Ausnahme:
"[...] ein Ausweg, der immer hilft: Auch nachts einmal stillen! Dies ist wohl etwas angreifend für die Mutter. Immerhin ist es aber weniger aufreibend, als stundenlang wach zu liegen und seinen Säugling schreien zu hören. Auch hier besteht die Gefahr der Gewöhnung [...]" (ebd., 1939: 171).

 

Eltern

 
In "Die Mutter und ihr erstes Kind" der 70er Jahre schreibt Haarer fast nichts über das "Schlafen". Ich habe das Buch von hinten bis vorn gelesen und nur ein paar wenige Textstellen gefunden, in denen sie auf das Thema näher eingeht. Das finde ich ganz und gar verwunderlich - schliefen die Babys in den 70er/80er Jahren etwa unproblematisch durch?
Haarer erklärt:
"Das Neugeborene verschläft von 24 Stunden ungefähr 15 - 16 Stunden. Diese Schlafenszeit bringt es in kleinen Abschnitten von etwa 3 bis 4 Stunden hinter sich. Auch in der Zwischenzeit ist es oft nicht richtig wach, es dämmert vor sich hin. [...] Schlafen und Wachen [ist] abhängig von den Mahlzeiten. Wenn das Baby getrunken hat und satt ist, schläft es ein (vgl. Haarrer, 1973, 143f)" und
"Die Schlafenszeit ihres Babys nimmt gegen Ende des ersten Lebensjahres auf etwa 11 Stunden ab. [...] Die meisten Kinder machen ein kurzes Vormittagschläfchen und einen ausgiebigen Mittagschlaf. Die Nachtruhe sollte in den späteren Monaten kein Problem mehr sein" (vgl. Haarer, 1973: 237).
Was Mütter tun können, wenn die Nachtruhe eben doch zum Problem wird, darüber schweigt sie sich aus. Wenn der Nuckel als Einschlafhilfe versagt, was taten die Eltern der 70er Jahre? 

Sie haben uns schreien lassen, das wurde mir von verschiedenen Müttern unserer Elterngeneration berichtet, und zwar so lange, bis wir verstummten und einschliefen. Offenbar scheint das tatsächlich zeitlich nicht mehr ganz so lange gewesen sein, denn wenn schon am Tag das Weinen nicht immer prompt beantwortet wurde, weil das Kind ja satt, trocken und eigentlich zu frieden sein müsste und nur alle vier Stunden Hunger haben durfte, wird möglichwerweise die Anstregung, in der Nacht um Hilfe zu rufen, nur wenige Male gemacht worden sein. Insofern wird die Erinnerung unserer Eltern, dass wir damals nicht solchen "Terz" gemacht haben, wie die Kinder heutzutage, richtig sein. Wir haben nicht lange geschrien und wir schliefen auch schon früh durch. Es blieb uns auch nichts anderes übrig. 


Haarers Tipp, das Baby auf dem Bauch schlafen zu lassen, hatte sicherlich einen positiven Einfluss auf unser nächtliches Durchschlafen, denn auch wenn es heute nicht mehr den SIDS - Sicherheitsstandards entspricht, ist es doch die Position, in denen Babys am liebsten und am entspanntesten Schlafen.
"Sehr empfohlen wird die Bauchlage! Sie ist günstig für die Atmung, gesund für die Wirbelsäule und sie kräftigt die Muskeln. [...]. Natürlich darf das Kind auch auf dem Rücken liegen, aber nicht dauernd, sonst wird der Hinterkopf flach. [...] Orthopäden und Kinderärzte sind heute davon überzeugt, daß unsere Kinder in ihrem Bettchen von Anfang an auf dem Bauch liegen sollten" (Haarer, 1973: 140f).
Interessant ist ein kurzer Abschnitt über eine Vorrichtung namens "Haltegurt",  die eigentlich dazu dient, das Kind vor dem Rausfallen aus dem Kinderwagen zu schützen:
"Mit dem Haltegurt kann man ein lebhaftes Kind vor dem Einschlafen in seinem Bettchen zum Stilliegen bringen" (Haarer, 1973: 236).
Offenbar ist es beim "größeren Baby" (Überschrift des Kapitels) doch nicht so ganz einfach, es zum Schlafen zu bringen, dafür muss man es dann schon anbinden... 

Wir


Ich wünschte, ich könnte mit ruhigem Gewissen schreiben, dass die heutige Müttergeneration ihre Kinder nicht mehr in den Schlaf weinen lässt, doch allein schon eine kurze Umfrage in einer Krabbel-Gruppe reicht aus, um das Gegenteil zu beweisen. Leider sind viele Mütter noch der irrigen Annahme, ein Kind müsse so schnell wie möglich durchschlafen, und wenn es das nicht von allein schafft, diese Fähigkeit "erlernen". 

Immerhin wird heute nicht mehr einfach nur brutal "durchschreien" gelassen, aber das ist auch schon der einzige positive Punkt des Ganzen. Heute wird Schreien gelassen, unterbrochen mit kurzen Zuwendungszeiten. Weint das Kind, warten die Eltern eine vorgegebene Anzahl von Minuten ab, um dann ins Zimmer des Kindes zu gehen, es ohne Hochnehmen im Bettchen kurzzeitig beruhigen, um dann wieder einfach so aus dem Zimmer zu verschwinden. Da das Weinen mit der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol einhergeht, funktioniert Trösten eigentlich nur durch direkten Körperkontakt (möglichst viel Haut an Haut), wie schon in unserem Artikel zur Bindung dargestellt wurde. Ein Beruhigen durch die Gitterstäbe hinweg, allein mit Worten oder Streicheln ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und reicht nicht aus, den Stresslevel im Inneren des Kindes zu verringern. Im Prinzip hilft man seinem Kind damit rein gar nicht - ob man es nun allein durchschreien lässt, wie unsere Großmütter und Mütter es taten, oder es auf moderne Art "dosiert" schreien läßt mit kurzen Hoffnungsschimmern, wenn die Eltern doch noch durch die Zimmertür kommen, und erneuter Frustration, wenn diese dann trotzdem nicht ausreichend auf das Weinen eingehen und schon nach kurzer Zeit wieder gehen, ist eigentlich gehupft wie gesprungen. Barbarisch sind beide Methoden.

Es gibt übrigens bis heute keine kontollierte Studie über die Nebenwirkungen des "dosierten Schreienlassen", und zwar deshalb, weil die Durchführung ethisch nicht vertretbar wäre (vgl. Lüpold, 2010: 3)! Um so schlimmer, dass noch immer Kinderärzte, Hebammen und Schreiambulanzen (!) diese Methoden den verunsicherten und übermüdeten Eltern ans Herz legen. Gerade sie sollten doch wissen, dass aus wissenschaftlicher Perspektive die Anwendung von "Schlaftrainings", die auf Schreien lassen beruhen, ethisch und moralisch nicht vertretbar ist. Langjährige Forschungen auf dem Gebiet der Bindungstheorie und der Hirnforschung belegen eindrücklich, dass Methoden a la Ferber und Co der hirnorganischen und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern sowie dem Aufbau einer guten Eltern-Kind-Beziehung und dem Urvertrauen schaden (vgl., ebd., 2010: 4).

Dr. phil. hist. Franz Renggli, Psychoanalytiker und Familien- und Babytherapeut schreibt:
"Ein Schlaftraining ist eine Methode, bei der jegliche Gefühle zugeschüttet werden. Dies hat immense Auswirkungen auf das zukünftige emotionale Empfinden eines Menschen und wird in allen seinen zwischenmenschlichen Beziehungen auf ganz problematische Weise wieder zum Vorschein kommen" (vgl. Lüpold, 2009: 128).
Prof. Dr. Gerald Hüther, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universität Göttingen und Mannheim erklärt, welche neurologischen Prozesse bei einem Schlaftraining ablaufen:
"Selbstverständlich ist es [die Ferbermethode, d.V.] für ein Kleinkind nicht nur eine Belastung, sondern eine tiefe und nachhaltige Erschütterung seines Vertrauens zu sich selbst (sein Schreien hilft nicht) und zu seiner Bezugsperson (sie kommt nicht, wenn ich sie brauche). Man kann natürlich Kinder darauf konditionieren, sich damit abzufinden. Und natürlich werden durch diese Erfahrung die dabei aktivierten Verschaltungsmuster im Gehirn gebahnt und stabilisiert. Auf diese Weise werden sie in brutaler Weise auf die traurige Realität unserer gegenwärtigen Beziehungskultur vorbereitet, sie sind dann auch "hirntechnisch" optimal an das angepasst, was sie erwartet" (vgl. Lüpold, 2010: 8).
Glücklicherweise weiß die Mehrzahl der heutigen Mütter, dass (dosiertes) Schreienlassen als Einschlaftraining nicht probat ist. Stattdessen schlafen mehr und mehr Babys wieder im Familienbett und werden auch dort nach Bedarf gestillt, wobei diese Tatsache interessanterweise von vielen Familien vor anderen geheim gehalten wird und diese dann erleichtert sind, wenn sie hören, dass auch die Kinder der Freunde noch im elterlichen Bett nächtigen und an der Brust hängen.

Ich denke, heute sollte erlaubt sein, was der individuellen Familie am besten tut. Schläft das Kind ohne Probleme friedlich in seinem eigenen Bettchen ein, halte ich es nicht für verwerflich, es dort schlafen zu lassen. Sind alle Familienmitglieder zufrieden damit, bunt gemischt in einem Bett zu nächtigen, spricht ebenfalls nichts dagegen. Ich persönlich finde es wichtig, sich an die SIDS-Präventions-Richtlinien zu halten, d. h. z. B. das Kind im ersten Lebensjahr im Elternschlafzimmer schlafen zu lassen. Darüber hinaus sollte jeder selbst entscheiden, was ihm und seinem Kind gut tut. Nur das Schreien lassen, das sollten Eltern tunlichst vermeiden. 

Fazit 


Sieht man sich Ratgeber wie "Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind" oder auch "Jedes Kind kann schlafen lernen" und deren fatale Auswirkungen auf die kindliche Psyche an, scheint es erst mal tatsächlich so zu sein, dass die "Erziehung-nach-Bauchgefühl"-Mütter mit ihren Argumentationen im Recht sind. Wie ich aber mit diesem Artikel dargestellt habe, bezieht sich unser Bauchgefühl maßgeblich darauf, was wir selbst und die Generationen vor uns an Erziehung erlebt haben und dann muss man sich tatsächlich fragen, ob es so klug ist, die neusten Forschungsergebnisse aus Büchern und wissenschaftlichen Artikeln außen vor zu lassen und sich nur auf sich selbst und die eigene Mutter als Beratungsinstanz zu verlassen. Auch Hebammen und Kinderärzte geben mitunter antiquierte Weisheiten zum Umgang mit Kindern weiter und so kommt es, dass immer noch Eltern Angst davor haben, ihr Baby "zu verwöhnen" oder sich einen "Tyrannen heranzuziehen", obwohl doch schon seit Jahren bewiesen ist, dass man Babys im ersten Lebensjahr nicht verziehen kann. 

Unsere Großeltern und Eltern wollten übrigens ebenfalls nur das Beste für ihre eigenen Kinder und haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie wollten, wie wir, alles richtig machen im Umgang mit ihrem Baby und haben sich auf die verlassen, die es vermeintlich besser wissen: Kinderärzte, Hebammen, Erziehungsratgeber. Autorin Chamberlain vermutet hinter den Ratschlägen der NS-Diktatur eine gewollte Störung der Bindung zwischen Mutter und Baby, in der Hoffnung, das erste wirkliche Bindungs- und Dazugehörigkeitsgefühl entstünde in der Hitlerjugend (vgl. Chamberlain, 2010) und wenn man sich ansieht, welche massiven Störungen diese Art der Erziehung tatsächlich hervorgebracht hat, kann ich ihren Argumenten durchaus folgen.

Ich komme zu dem Schluss, dass es klug ist, weder ausschließlich nach Bauchgefühl, noch nach Ratgeber zu erziehen, sondern in erster Linie immer den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und nachzuhaken, wo denn das vermeintlich ungebührliche kindliche Verhalten seinen Ursprung hat und ob es nicht vielleicht aus Sicht des Kindes entwicklungsbiologisch sinnvoll ist, sich so zu benehmen.

In Teil 2 der Serie "Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern" werde ich auf das Stillen nach der Uhr eingehen. Teil 3 wird sich um die Einführung der Beikost drehen.

© Snowqueen 

Literatur




Hassenstein (1992): Der menschliche Säugling - Nesthocker oder Tragling

Kübler M.S (1891). Das Buch der Mütter. Leipzig: Abel und Müller