Blähungen, Koliken und Bauchschmerzen bei Babys

Kaum ein Baby leidet nicht unter den berühmt-berüchtigten Blähungen. Oft ist es verhältnismäßig schwierig, herauszufinden, ob das Kind tatsächlich unter Flatulenzen leidet oder nicht viel mehr unter den berüchtigten Dreimonatskoliken, die eigentlich vielmehr eine Regulationsstörung sind. Blähungen und Schreien hängen in beiden Fällen unmittelbar miteinander zusammen, man sollte daher zunächst herausfinden, ob das Baby wirklich wegen Bauchweh schreit oder ob es Bauchweh hat, weil es beim so genannten unspezifischen Schreien so viel Luft verschluckt.

Baby hat Bauschmerzen vo Stillen

Dreimonatskoliken oder Blähungen? 


Für unspezifisches Schreien - also Dreimonatskoliken - spricht:

  • Das Baby schreit vornehmlich in den Abendstunden, am Tag nur vereinzelt.
  • Es findet schlecht in den Schlaf, man hat das Gefühl, dass das Kind ständig übermüdet oder überreizt ist.
  • Es schläft fast nur mit Körperkontakt/Wiegen/Getragenwerden ein.
  • Es beruhigt sich am besten durch rhythmische Bewegungen (Pezziball), im Kinderwagen oder beim Autofahren.

Treffen diese Fakten weitestgehend zu, dann hat Dein Kind vermutlich eher die sogenannten Dreimonatskoliken. In diesem Fall helfen bestimmte Techniken zur Beruhigung des Babys weiter - Dein Kind ist wahrscheinlich überreizt und müde, es benötigt nicht wirklich eine Bauchwehbehandlung.

"Richtige" Blähungen erkennt man vor allem daran:

  • Das Baby schreit gleichmäßig über den Tag verteilt und verstärkt nach den Mahlzeiten.
  • Es zieht die Beine an, streckt sie dann ruckartig weg oder krümmt sich stark.
  • Das Baby ist beim Füttern unruhig; obwohl es noch nicht satt ist, lässt es den Sauger oder die Brust los um wenige Sekunden später wieder hektisch danach zu suchen.
  • Das Kind drückt stark (roter Kopf, schmerzverzerrte Mimik) und versucht die Winde loszuwerden.
  • Nach dem Pupsen ist das Kind vorübergehend ruhig (beim unspezifischen Schreien hingegen wird trotz aller Bemühungen dauerhaft weiter geschrieen). 

Wie kann ich bei der Fütterung Blähungen verringern? 


Es ist grundsätzlich sinnvoll, die Luftmenge, die in den kleinen Magen gerät, zu minimieren. In den meisten Fällen trinken blähungsgeplagte Säuglinge zu hastig und verschlucken dabei zu viel Luft. Schon die Haltung beim Trinken wirkt sich auf die Menge der verschluckten Luft aus - je aufrechter ein Kind bei der Nahrungsaufnahme gehalten wird, desto weniger Luft schluckt es und desto schneller wird es die aufgenommene Luft bereits beim Trinken wieder los. Wichtig ist auch, dass man die Fütterung nicht zu weit hinaus schiebt - ein wirklich hungriges Kind trinkt deutlich hastiger - daher ist das Anbieten von Nahrung bei den ersten Anzeichen von Hunger bei unter Blähungen leidenden Babys oft vorteilhaft. Allein durch das Schreien wegen des Hungers gerät unnötig Luft in den Bauch. 

Bei Stillbabys hilft es, so oft wie möglich in einem reizarmen (abgedunkelten) Raum zu stillen, damit das Kind nicht abgelenkt ist und dadurch ruhiger trinkt. Ist der Milchspendereflex zu stark, sollte die Brust vor dem Stillen etwas ausgestrichen werden, damit das Kind nicht so schnell größere Mengen Milch schlucken muss. Auch ein kritischer Blick auf das Anlegen ist sinnvoll - umschließen die Lippen des Kindes Brustwarze und Vorhof vollständig (ein kleines offenes Dreieck am Mundwinkel ist normal)?

Es ist umstritten, ob sich die Ernährung der Mutter auf Blähungen bei Babys auswirkt - bei mir persönlich war das nie der Fall. Einige Mütter berichten aber, dass ihre Kinder tatsächlich auf Bestandteile ihrer Ernährung reagieren - vor allem auf Zwiebeln, Knoblauch, Hülsenfrüchte und blähendes Gemüse (Kohl, Sellerie, Sauerkraut, Brokkoli). Einige Stillbabys bekommen starke Blähungen, wenn die Mutter Milchprodukte zu sich nimmt. Es ist daher sinnvoll, diese Nahrungsmittel mal ein paar Tage konsequent weg zu lassen und zu schauen, ob sich die Beschwerden bessern.  

Flaschenbabys hilft es oft, wenn ihre Milch auf Basis eines Kümmel- oder Fencheltees angerührt (und nicht geschüttelt!) wird. Das Pulver verteilt sich schneller und leichter, wenn mit einer Gabel gerührt wird. Idealerweise steht die Flasche vor der Verfütterung ein paar Minuten - so platzen die meisten Luftblasen bereits. In die Flasche kann außerdem ein physikalischer Entschäumer (Sab Simplex, Lefax®, Espumisan) getropft werden - er wirkt rein physikalisch auf die Schaumblasen und wird unverändert wieder ausgeschieden - eine Überdosierung ist kaum möglich. Unter Blähungen leidenden Stillbabys hilft ein entblähender Tee oft gut. Manchmal reicht es sogar aus, wenn Mama Fenchel-Kümmel-Anis-Tee (der ja auch die Milchbildung anregt) trinkt, um die Beschwerden zu lindern.

Man sollte die Durchflussgeschwindigkeit des Saugers prüfen - idealerweise ist er immer auf Alter und Nahrung angepasst. Hält man die Flasche schräg, sollten in den ersten 3 Monaten pro Sekunde nicht mehr als ein bis zwei Tropfen heraus kommen. Beim Füttern muss der Sauger immer vollständig mit Milch gefüllt sein, damit nicht unnötig Luft eingesaugt wird. Bewährt hat sich für die besonders hastigen Trinker der Habermann-Sauger von Medela.

Wenn die Kinder zwischendurch bei der Fütterung eine Pause machen oder die Brust gewechselt wird, kann man sie zwischendurch Aufstoßen lassen - das Trinken sollte jedoch dafür nicht absichtlich unterbrochen werden. Am Ende der Mahlzeit sollte dem Kind in jedem Falle versucht werden, ein Bäuerchen zu entlocken - hier ein paar Tipps und Tricks für ein schnelles Aufstoßen:

Es ist sinnvoll, sanft von unten nach oben den Rücken zu klopfen oder ihn kreisförmig zu streicheln. Auch ein sanftes Streicheln der Fontanelle hilft bei vielen Kindern gut. Wenn die Arme des Babys leicht angehoben werden, erweitert sich der Brustraum und die Luft kann leichter entweichen. Tut sich dein Kind schwer, dann versuche mal, die Position zu wechseln, klassischerweise werden Kinder in der Armbeuge mit dem Gesicht über die Schulter gehalten - alternativ kann das Kind auf den Schoß gesetzt und leicht nach vorne gebeugt werden oder es liegt mit dem Bauch über Deinen Schoß - manchen Kinder fällt das Aufstoßen so leichter. Bleibt das Bäuerchen dennoch aus, aber das Kind ist zufrieden, besteht kein weiterer Handlungsbedarf. 

Wenn Vitamin D (am besten übrigens ohne Fluorid) verabreicht wird, kann man versuchen, die Tablette mal für 3-4 Tage weg zu lassen und zu schauen, ob sich das auswirkt - bei vielen wurden die Blähungen tatsächlich sehr viel besser. Einige Kinder reagieren auf das Milcheiweiß als Trägerstoff in den Tabletten - ihnen kann man dann Vitamin D in flüssiger Form geben. Bitte lass das Vitamin D nicht weg - es ist enorm wichtig für die Einlagerung von Kalzium in den Knochen!

Was kann man gegen Blähungen bei Babys und Kleinkindern tun? 


Baby im FliegergriffUm die Luft aus dem Bauch zu bekommen eignet sich der Fliegergriff. Dabei liegt das Kind bäuchlings auf einer Hand das Erwachsenen und wird herumgetragen. Durch den gleichmäßigen Druck auf den Bauch und die Bewegung entweicht die Luft leichter.

Auch eine Bauchmassage tut gut - geeignet sind Windsalbe® oder Bäuchleinöl (z. B. von Weleda) aus der Apotheke. Mit dem Zeigefinger und dem Mittelfinger wird der Bauch mit idealerweise quadratischen Bewegungen im Uhrzeigersinn sanft massiert (quadratisch deshalb, weil der Darm so verläuft). Kreisförmige Bewegungen sind natürlich auch möglich (aber nicht ganz so effektiv) - dann sollte am Nabel begonnen werden und immer größere Kreise gezogen werden. Auch hier ist der Uhrzeigersinn wichtig, da sonst Winde und Darminhalte quasi rückwärts transportiert würden.

Nach der Massage und immer mal zwischendurch kann man das Entblähen auch durch "Pupsgymnastik" unterstützen - das Kind ohne Windel strampeln lassen und dabei gelegentlich die kleinen Beine greifen und mit ihnen "Rad fahren". 

Wärme ist ein altbewährtes Hausmittel - gut geeignet sind Kirschkernkissen oder noch besser (weil anschmiegsamer) Traubenkernkissen. Von Wärmeflaschen rate ich ab - zu groß ist die Gefahr des Auslaufens oder einer Verbrühung. Die Temperatur sollte gründlich geprüft werden - manchmal werden die Kissen nicht gleichmäßig (Ober- und Unterseite) erhitzt bzw. neigen dazu, die Wärme erst verzögert zu entfalten (Kirschkerne). Wärme wirkt auch in einem schönen warmen Bad - idealerweise sollte das Baby dabei frei strampeln können.

Grundsätzlich ist es bei Blähungen von Vorteil, die Kinder viel zu tragen - am besten im Tragetuch in der Wickelkreuztrage. Durch die Anspreiz-Hock-Stellung entweicht die Luft sehr gut, Mamas Körperwärme tut ihr übriges.

Eine weitere Möglichkeit, das Bauchweh zu behandeln sind spezielle Zäpfchen - sie entkrampfen und haben eine abführende Wirkung. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch folgende Globuli verabreicht werden können: Chamomilla D6, Calcium Carbonicum Hahnemanni D6 und Calcium phosphoricum D6 - Dosierung bei allen: 5 Globuli alle 2-3 h.

Es wird vermutet, dass die Unreife des Darms schuld an den Blähungen sein könnte - daher ist es sicher auch einen Versuch wert, die Darmflora mit Mutaflor® (enthält das Darmbakterium Escherichia coli Stamm Nissle 1917) oder BiGaia-Tropfen (enthält ein Milchsäurebakterium Lactobacillus reuteri Protectis, das aus der Muttermilch isoliert wurde) aufzubauen - die Erfolge dabei sind recht unterschiedlich - daher bleibt einem nichts weiter übrig, als es auszuprobieren. In der Regel reift der Darm nach etwa 3 Monaten aus und die Blähungen werden deutlich weniger.

Wenn die genannten Maßnahmen keinen Erfolg haben oder die Blähungen sehr quälend sind, dann sollte man das Baby auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit testen lassen. Diese ist in der Regel begleitet von weiteren Symptomen wie Unruhe schon beim Trinken, juckende Quaddeln, Schwellungen und Rötungen der Haut, Ausschläge, häufiges Spucken, Durchfall oder Verstopfung sowie unterdurchschnittliche Zunahme. Der Kinderarzt kann mit Hilfe eines Bluttestes das Vorliegen von Unverträglichkeiten testen.

Hat Euch noch etwas anderes bei Blähungen geholfen? Schreibt uns einen Kommentar, dann können wir das ergänzen und anderen leidgeplagten Müttern hilft vielleicht genau Dein Tipp!

© Danielle

Mein Kind fremdelt - Fremdelphase/Achtmonatsangst

In den ersten Lebensmonaten sind Babys (oft im Gegensatz zu ihren Müttern) relativ flexibel, wenn es darum geht, in wessen Armen sie liegen. Sie lassen sich in der Regel von fast allen Personen füttern, wickeln und trösten. Erst im Alter ab etwa 4 bis 5 Monaten beginnen die Kinder unruhig zu werden, wenn fremde Menschen sie in den Arm nehmen. Das Baby hat gelernt, zwischen "vertraut" und "fremd" zu unterscheiden - ein wichtiger Entwicklungsschritt! Ab etwa 6 Monaten reicht oft schon ein intensiverer Blick fremder Menschen aus, dass Babys ängstlich Schutz bei den vertrauten Eltern suchen. Der Höhepunkt des Fremdelns ist im 8. Monat (weswegen es auch als "Achtmonatsangst" bezeichnet wird) - ganz sensible Babys lassen sich nunmehr ausschließlich von Mama oder Papa betreuen und brechen zum Teil regelrecht in Panik aus, wenn andere Personen mit ihnen in Kontakt treten.


Für Eltern ist diese Reaktion oft unverständlich und auch gelegentlich unangenehm Fremden und vor allem Bekannten und Verwandten gegenüber. Es besteht jedoch kein Grund zur Sorge: es handelt sich dabei um eine vollkommen normale Reaktion sicher gebundener Kinder. Die Zurückhaltung wird mit etwa 15 bis 18 Monaten deutlich weniger und verschwindet meist vollständig im Alter von etwa 2,5 bis 3 Jahren. Die Ausprägung kann sich von Kind zu Kind stark unterscheiden - bei manchen ist das Fremdeln kaum erkennbar, andere hadern sehr lange mit Fremden. Auch das Temperament des Babys hat einen maßgeblichen Einfluss - zurückhaltende, schüchterne Babys fremdeln stärker, als die kontaktfreudigen und aufgeschlossenen Altersgenossen. 

Man sollte sich jedoch dessen bewusst sein, dass man auf das Fremdelverhalten so gut wie keinen Einfluss hat, daher kann es auf keinen Fall als erzieherisches Versagen betrachtet werden. Manche Eltern sorgen sich sogar über das Ausbleiben des Fremdelns - doch kaum ein Baby wächst auf, ohne jemals zu fremdeln. Allerdings ist das Verhalten bei manchen Babys so gering ausgeprägt, dass die Eltern es kaum bemerken.

Warum fremdeln Kinder?


Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für das Fremdeln. Zum einen könnte es eine natürliche Schutzreaktion des Körpers sein, die zeitlich mit dem durchschnittlichen Zeitpunkt der ersten motorischen Fortbewegungsversuche zusammenfällt. Bisher kam das Baby keinen Millimeter vorwärts und sorgte stets dafür, dass es in Mamas und Papas greifbarer Nähe blieb. Mit etwa 8 Monaten setzt der Explorationsdrang ein, das Kind will die Umwelt erforschen, den Raum erkunden und muss sich dafür naturgemäß weiter von der Mutter weg bewegen, als je zuvor. Dadurch begibt es sich jedoch in Gefahr, es muss also über Schutzmechanismen verfügen, die es davor bewahren, zu weit weg zu krabbeln oder gar außerhalb der Sichtweise der Mutter einfach von Fremden weg genommen zu werden. Daher ist es am sichersten, beim Anblick fremder Menschen sofort Alarm zu geben, auf dass Mama sofort herbeieile und das Kind beschütze.

Eine andere Annahme ist, dass die beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten des Babys eine Rolle spielen könnten. Während es mit den engen Bezugspersonen ein vertrautes Kommunikationsmuster entwickelt hat, kann es dieses bei Fremden nicht nutzen. Diese reagieren auf ungewohnte und unerwartete Art und Weise, wodurch das Baby überfordert ist, auch weil es noch keine angemessene Reaktion darauf zeigen kann.

Experimente haben gezeigt, dass Männer am heftigsten angefremdelt werden (bärtige Männer stärker, als rasierte), Frauen lösen weniger heftige Reaktionen aus. Gegenüber Kindern bleiben die meisten Babys gelassen. Es wird daher vermutet, dass Fremdeln auch eine evolutionäre Schutzreaktion vor dem Infantizid (also der Tötung von Kindern) ist. Dieser ist bei den meisten Primaten weit verbreitet - kommen neue männliche Tiere ins Rudel, ist es nicht selten so, dass bis zu 40% der noch gesäugten Kinder getötet werden, um in Hinblick auf knappe Ressourcen die Überlebenschancen des eigenen Nachwuchses zu erhöhen. 

Kann, soll oder muss man etwas gegen das Fremdeln tun? 


Nein - es wird sich früher oder später von selbst verlieren - je mehr man dabei auf das Kind eingeht, desto zügiger kann das gehen. Zwar ist man geneigt, dem Kind immer wieder zu versichern dass "Onkel Heinz doch ganz lieb" sei - beschwichtigen kann man mit der Versicherung jedoch allenfalls Onkel Heinz. Man sollte unbedingt als "sicherer Hafen" für das Kind fungieren - wann immer es Schutz sucht, sollte dieser angeboten werden - auch wenn man vom Verhalten des Kindes genervt ist oder nicht versteht, warum es sich "so anstellt". Je verlässlicher man reagiert, um so sicherer wird sich das Kind fühlen und umso schneller wird die Angst vergehen. Und es ist tatsächlich Angst - kein Schauspiel. Beschwichtigungen führen unter Umständen dazu, dass sich das Kind nicht ernst genommen fühlt oder das Gefühl entsteht "etwas Falsches" zu tun oder zu empfinden, wodurch die Entwicklung eines "falschen Selbst" begünstigt werden kann.

Keinesfalls sollte man als Konfrontationstherapie aus der Motivation heraus "dem Kind zu zeigen, dass nichts Schlimmes passiert" das Baby einfach anderen in den Arm drücken - auch wenn Oma Sabine das noch so sehr einfordert - das würde das Baby heillos überfordern und ängstigen. Wenn möglich, sollte auch darauf verzichtet werden, dass der Angefremdelte immer wieder Kontakt suchend auf das Baby zugeht. Das ist nämlich die häufigste Reaktion angefremdelter Erwachsener - die halten das Benehmen des Kindes unbewusst für einen ärgerlichen Fehler und wollen ihm die Chance geben, den schnell "wieder gut" zu machen. Stattdessen wird sich das Kind schnell bedrängt fühlen und immer heftiger reagieren - was die Oma unter Umständen noch eifriger macht beim Versuch, das Kind endlich zum Lächeln zu bewegen. 

Die Aufgabe der Eltern sollte es sein, diesen Kreislauf zu unterbrechen und klar zu machen, dass das Kind Zeit bekommen sollte, vom sicheren Schoß der Mutter aus von sich aus den Kontakt zu suchen - oft reicht eine kurze Zeit des Beschnupperns aus, damit das Baby Vertrauen fasst und im Laufe des Tages doch noch glücklich glucksend auf dem Schoß der Oma oder des Onkels sitzt. Auch ein interessanter Gegenstand ist zur Kontaktaufnahme geeignet - er kann das Interesse des Baby wecken, sollte jedoch nicht aufgedrängt werden.

In jedem Falle sollte dem angefremdelten Erwachsenen erklärt werden, dass das Baby gerade eine normale, altersgerechte zurückhaltende Phase hat und darum gebeten werden, darauf Rücksicht zu nehmen. Man kann deutlich sagen, dass das Fremdeln keine Ablehnung ist, sondern eine nicht auf die Person sondern die Situation bezogene Angstreaktion.

Schon in dieser frühen Lebensphase ist das grundsätzliche Respektieren der körperlichen Grenzen sinnvoll - schließlich möchte man den Grundstein für ein gesundes Selbstbewusstsein legen und die Fähigkeit fördern, dass Kinder in der Lage sind, andere stets zur Einhaltung der körperlichen Grenzen aufzufordern. Kinder, deren Persönlichkeitssphäre schon als Baby akzeptiert wird, fällt es später leichter, diese auch später bei Unbekannten einzufordern.

Fremdeln lässt sich lediglich etwas abschwächen - wenn das Baby es gewohnt ist, von kleinauf bei verschiedenen Menschen auf dem Arm zu sein und damit schon positive Erfahrungen gesammelt hat, wird es wahrscheinlich weniger ausgeprägt fremdeln, als ein Baby, das wenige soziale Kontakte (zu anderen Erwachsenen) hat. Wenn Mama offen und kontaktfreudig auf andere Menschen zugeht, wird sich das mit großer Wahrscheinlichkeit zum Teil auch auf die Fremdelintensität auswirken.

Vater küsst Baby

Fremdeln ist vor allem auch eine Angst vor der Trennung von Bezugspersonen - man kann kleinere Trennungen mit dem "Guckguck"-Spiel üben - dabei versteckt sich Mama oder Papa hinter einem Tuch und fragt erstaunt "Wo ist die Mama?" oder "Wo ist der Papa?". Nach wenigen Sekunden kommt man dann laut "daaaa!" rufend hinter dem Tuch vor. So lernt das Kind: Selbst wenn ich meine Eltern mal nicht sehen kann, sind sie dennoch da und bald schon wieder zu sehen. 

Die meisten Kinder werden bei diesem Spiel schnell selbst aktiv indem sie das Tuch wegziehen und sich freuen, die Eltern selbst gefunden zu haben. Wenn das Kind krabbelt, kann man beginnen, in der Wohnung Verstecken zu spielen - die meisten Babys haben einen Heidenspaß, Mamas unter dem Tisch oder hinter dem Sofa zu finden. Nach und nach können so die Zeiten, in denen Mama nicht zu sehen ist, auch ausgedehnt werden - so gewöhnt sich das Kind allmählich an kleinere Trennungen - und verknüpft diese positiv mit dem wohligen Gefühl kribbliger Erwartung des Wiedersehens.

Wegen der sich im Fremdelalter entwickelnden Trennungsangst sollte man sich stets verlässlich von seinem Kind verabschieden. Es reizt - gerade in dieser Phase - schnell mal zu verschwinden, um Tränen zu vermeiden, weil das Kind die Trennung nicht (sofort) zu realisieren scheint, während beim Tschüss-Sagen bittere Tränen fließen. Das führt jedoch dazu, dass sich die Kinder nicht mehr sicher sind, ob Mama wirklich dauerhaft verlässlich da ist und sie beginnen, sich ständig rückzuversichern und stark zu klammern, damit Mama nicht mehr unbemerkt verschwindet. Wenn man sich jedes Mal ausdrücklich verabschiedet, wenn man geht, gibt es sicher gelegentlich Tränen, aber für Kinder ist es wichtig, dass sie sich auf ihr Bezugspersonen verlassen können - sobald sie realisieren, dass Mama auch verlässlich wieder kommt, werden die Trennungen leichter.

Der Einfluss des Fremdelns auf den Schlaf 


Oft schlafen Kinder in der Fremdelphase deutlich schlechter, als zuvor. Das Baby begreift allmählich: Der Schlaf trennt mich von meinen Eltern! Trennungen werden von Kindern immer als potentiell gefährlich eingestuft - sie fühlen sich damit extrem unwohl. Die abendliche Trennung etwas vereinfachen kann man mit einem festen Abendritual. Dabei sollte ein ruhiger, täglich gleicher Ablauf entwickelt werden, bei dem sich das Kind mental darauf einstellen kann, dass nun Schlafenszeit ist.

Viele Baby beginnen nun intensiv zu träumen und wachen öfter erschrocken auf, da sie zwischen der Real- und der Traumwelt noch nicht unterscheiden können. Außerdem müssen die für die Babys neuen Ängste des Tages verarbeitet werden - bei vielen Kindern führt auch das zu extrem häufigem Aufwachen in der Nacht. Wenn Dein Baby im Stundentakt aufwacht und sich nur noch durch die Brust/Flasche/Wiegen beruhigen lässt, kann Dir vielleicht die Methode des sanften Ablösens weiter helfen.

Die Veränderung des Schlafverhaltens ist normal und wird sich auch wieder geben - das Sinnvollste ist es, dem Baby zu geben, was es braucht - Nähe und Zuwendung. Schläft es in seinem eigenen Zimmer, bietet es sich an, vorübergehend dort eine Matratze für die Eltern hinzulegen. Am einfachsten übersteht man die Phase jedoch, wenn man mit dem Kind gemeinsam im Familienbett oder wenigstens ins elterliche Schlafzimmer holt, dort kann es sich jederzeit der Anwesenheit der beschützenden Erwachsenen versichern und der Schlaf wird für alle Beteiligten geruhsamer.

Babys sind einfach dafür konzipiert, nicht alleine zu schlafen - ständiges Aufwachen und schauen, ob Mama und/oder Papa da sind, ist ein vollkommen natürliches Verhalten, das sich durch Reife früher oder später ändern wird. Es ist nur eine Phase, es ist nur eine Phase, es ist nur eine Phase! Und verkürzen lässt sie sich, wenn das Urvertrauen des Kindes gestärkt wird, indem man umgehend auf alle seine Bedürfnisse reagiert. Auch wenn das Umfeld in dieser Phase oft meint, man solle das Baby mal schreien lassen, da es nun alt genug sei, ist dies auf keinen Fall zu empfehlen - stell Dir vor, Du stehst im Dschungel, umgeben von Tigern und Hyänen und schreist aufgelöst nach Hilfe - was würdest Du empfinden, wenn Dein Mann kurz vorbei kommt, Dir den Kopf tätschelt, sagt "Beruhige Dich" und dann wieder geht - damit Du Dich selbst regulierst und lernst, allein mit der Situation klar zu kommen? Und wenn er das zwanzig mal gemacht hat, dabei die Abstände immer größer werden und er letztendlich doch immer wieder geht, dann wirst Du auch aufhören, nach ihm zu schreien. Weil Du denkst, dass er Dir ohnehin nicht hilft - aber hast Du denn auch weniger Angst? Schreien lassen funktioniert - aber um welchen Preis?

© Danielle


Wie Kinder lernen, ihre Impulse zu kontrollieren

Mara ist fast drei Jahre alt und schon eine große Schwester. Ihr kleiner Bruder Emil robbt seit kurzem durch die Wohnung und hat entdeckt, dass Mara viele tolle Spielsachen besitzt. Seitdem hat Maras und Emils Mama keine ruhige Minute mehr. Ständig muss sie Emil vor der großen Schwester schützen, die ungehemmt und schnell zuhaut, wenn Emil an ihre Sachen geht. So auch heute. "Mara, wie oft soll ich es dir noch sagen? Du sollst mich rufen, wenn Emil zu deinen Sachen robbt. Ich komme dann und helfe dir, sie ihm wegzunehmen. Du sollst ihn nicht hauen! Hauen ist verboten!" Mara nickt verständig. Doch keine Minute später - die Mutter ist wieder in der Küche - heult Emil erneut auf. Mara hat ihm in die Hand gebissen, weil er ihr Kuscheltier nicht loslassen wollte.... Die Mutter ist verzweifelt. Was kann sie denn tun, damit Mara sich besser beherrschen lernt? Wie stärkt man die Impulskontrolle unserer Kinder?
 
Zwei Kinder streiten sich um einen Ball
 

Was ist Impulskontrolle? 


Impulskontrolle bedeutet, eine affektiv gelenkte, spontane Aktion (den Impuls) kurz vor der Ausführung zu stoppen (Kontrolle) und erst einmal über deren Sinnhaftigkeit nachzudenken. Sie ist ein großer Meilenstein in der Entwicklung eines Kindes und wird erst spät mit ca. 5-7 Jahren vollständig entwickelt, da sie eng mit der Sprachentwicklung und dem Empathievermögen zusammenhängt. Frühstens im Alter von 2-3 Jahren können erste kleinere Erfolge verbucht werden, wenn die Eltern vorher schon gute Grundlagen gelegt haben. Erst nach und nach wird es unseren also Kindern möglich, sich selbst zu bremsen und große Emotionen nicht über motorische Prozesse abzuleiten. 

Wozu brauchen Kinder Impulskontrolle? 


Bei unseren Kleinkindern passieren Denken und Handeln oft fast gleichzeitig. Da wird eben aus Wut der Freund angespuckt, aus Frust der Bausteinturm umgeworfen oder sich an einer viel befahrenen Straße von der Hand der Eltern losgerissen, weil auf der anderen Seite die Oma wartet. Es wird der Mutter spontan die Arme um den Hals geworfen und "Ich liebe dich, meine Mama!" gerufen. Impulsives Verhalten ist auch, wenn meine Tochter wie der Blitz aufspringt und "Pipi kommt!" rufend zum Badezimmer rennt, nur um dann ganz kurz vorher umzuschwenken und sich in aller Ruhe zu mir zu gesellen, um mir zu erzählen, dass es Himbeeren im Kindergarten gab. "Pipi kommt!" ist völlig vergessen...

Dass unsere Kinder eine innere Kontrollinstanz brauchen, versteht sich von selbst. Wer sich stoppen kann, bevor er jemanden anderes haut oder zuerst darüber nachdenkt, ob es günstig ist, an dieser Stelle die Straße zu überqueren, überlebt nicht nur länger, er eckt in unserer Gesellschaft auch weniger oft an. Nicht nur das. In den 60er Jahren wurde in den USA ein Experiment zur Selbstkontrolle von Vierjährigen durchgeführt. Versuchsleiter war der US-Psychologe Walter Mischel. Es wurde vor den Kindern ein Marshmallow auf den Tisch gelegt und ihnen gesagt, dass sie einen zweiten erhielten, wenn sie den ersten solange nicht aufessen würden, bis die Versuchsleiterin zurückkäme. Sie hatten aber die Wahl. Sie durften auch den ersten Marshmallow sofort essen, dann bekamen sie eben keinen zweiten. In den 80er Jahren suchte der Forscher die Kinder erneut auf und stellte fest: je länger die Kinder im ursprünglichen Experiment gewartet hatten, desto kompetenter wurden sie als Heranwachsende in schulischen und sozialen Bereichen beschrieben. Sie waren besser in der Lage mit Frustration und Stress umzugehen und Versuchungen zu widerstehen. Tendenziell zeigten sie sogar höhere schulische Leistungsfähigkeit - völlig unabhängig von ihrer Intelligenz. Die Sofortesser hingegen wurden von ihren Lehrern und Eltern als emotional instabiler, wechselhaft und weniger entschlossen beschrieben. Scheinbar ist die Fähigkeit zum Warten auf den Belohnungsaufschub nicht nur ein Indiz für Willensstärke, sondern auch eine Erfolgseigenschaft. Doch ist sie nur angeboren oder kann sie auch erworben werden?

 

Ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle angeboren oder kann sie auch erworben werden?


Dieser Frage ging die Kognitionsforscherin Celeste Kidd  nach. Sie erweiterte 2012 das ursprüngliche Experiment um eine weitere Komponente. Den Kindern im Alter von 3 - 5 Jahren wurden zunächst Buntstifte gegeben, um ein Bild malen zu können. Sie konnten diese gleich benutzen oder zwei Minuten warten, bis ein Erwachsener mit einer großen Auswahl neuer Stifte käme. Als nächstes wurden ihnen Aufkleber hingelegt. Auch hier konnten sie selbst entscheiden: Sofort benutzen oder auf den Erwachsenen mit einer größeren Auswahl schönerer Aufkleber warten. 

Das neue Element im Test war dieses: die Kinder waren in zwei Gruppen eingeteilt. In der ersten Gruppe kam der Erwachsene zuverlässig zurück und brachte das Versprochene. In der zweiten Gruppe kam er zwar auch zu der vereinbarten Zeit zurück, musste die Kinder jedoch enttäuschen mit der Aussage, die Stifte oder Aufkleber seien doch alle. Die Kinder mussten sich dann mit den Utensilien zufrieden geben, die sie zuvor bekommen hatten.  

Im letzten Schritt wurde wiederum allen Kindern ein Marshmallow hingelegt. Sie hatten die Wahl, zu warten, bis der Erwachsene mit einem zweiten zurückkäme oder den ersten sofort zu essen. Das Ergebnis wird nicht überraschen. In der „Unzuverlässig“-Gruppe war die Süßigkeit bereits nach durchschnittlich drei Minuten verzehrt, nur eines der vierzehn Kinder hielt die vollen 15 Minuten durch. In der „Zuverlässig“-Gruppe dagegen lag die Wartezeit im Schnitt bei 12 Minuten. Insgesamt neun der vierzehn Kinder warteten die gesamte Viertelstunde. Wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Wartezeit im Marshmallow-Test der 60er Jahre 6 Minuten war, sieht man, dass eine zuverlässige Umgebung die Bedürfnisaufschubfähigkeit der Kinder verdoppelte, eine unzuverlässige Umgebung jedoch halbierte!
„Auf Belohnung warten zu können spiegelt nicht nur die Fähigkeit eines Kindes zur Selbstkontrolle, es zeigt auch seinen Glauben an den praktischen Sinn des Wartens“, berichtet Celeste Kidd, Hauptautorin der Studie. „Das Aufschieben einer Belohnung ist nur dann eine vernünftige Entscheidung“, so die Kognitionsforscherin an der University of Rochester, „wenn das Kind glaubt, dass es nach akzeptabler Wartezeit tatsächlich ein zweites Marshmallow bekommt.“ (Celeste Kidd, Holly Palmeri, Richard N. Aslin. Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability. Cognition, 2012).
 

Wie kann ich mein Kind dabei unterstützen, Selbstkontrolle zu erreichen? 


Impulskontrolle entwickelt sich eigentlich im Laufe der Zeit von selbst. Bis zum dritten Lebensjahr entwickelt sich im Kind eine Art Kontrollinstanz. Der innere Gegenspieler (Antagonist) dämpft den Wunschantreiber (Agonist) und steuert so das Bedürfnis auf natürliche Weise. Voraussetzung für die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub ist jedoch das Zeitverständnis als kognitive Leistung und die Fähigkeit, die eigenen Intention und die des Gegenübers gleichzeitig zu betrachten (Empathie). Dann gelingt Impulskontrolle durch die willkürliche Aufmerksamkeitslenkung (das Kind denkt ganz gezielt an etwas anderes als den Marshmallow) und durch willkürliche Beeinflussung von Emotionssymptomen (z. B. durch verbale Selbstanweisungen "Ich lasse ihn liegen!").  Man kann seine Kinder aber darin unterstützen, ihr ganzes Potential an Selbstkontrolle und Bedürfnisaufschub zu entfalten. 



Die Anfänge: Geduldsübungen 


Alter: 1-2 Jahre  


Möchte man seinen Kleinkindern beibringen, eine kurze Zeit abzuwarten, bietet es sich an, mit ihnen kurze Geduldübungen durchzuführen. Möchte das Kind beispielsweise gern ein Brötchen haben, nimmt man das Brötchen und setzt dazu an, es ihm zu geben. Kurz vorher hält man inne, so als ob einem etwas Wichtiges eingefallen sei. Man sagt: "Warte kurz!", dreht sich eine Sekunde um, tut etwas (irgendwas), dreht sich dann wieder zu dem Kind und gibt ihm das Brötchen mit den anerkennenden Worten: "Du hast gewartet!" Durch die schnelle Belohnung seiner Geduld merkt das Kind, dass Warten nicht so schlimm ist und dass es danach trotzdem bekommt, was es möchte (Karp, 2010, 168ff). 

Man dehnt dann die Wartezeit immer weiter aus. Zuerst eine Sekunde, dann fünf, zehn, dreißig, sechzig Sekunden. So stärkt man die Selbstkontrolle des Kindes in winzigen, gut aushaltbaren Schritten. Anwenden kann man diese Geduldübungen in jeder Situation über den Tag verteilt. Es ist nur wichtig, dass das Kind etwas bestimmtes möchte, auf das es dann warten soll. Hat es zum Beispiel keine Lust zum Windelwechsel, wäre es absurd, hier eine Geduldübung durchzuführen (vgl ebd., 2010, 168ff).   

Es ist auch wichtig, dass dem Elternteil "wirklich" (also gespielt wirklich) etwas dazwischen kommt, bevor es den heißersehnten Keks herausrückt. Es ist also kontrakproduktiv, "Warte!" zu sagen und dann nichts zu tun, sondern mit erhobenen Zeigefinger vor dem Kind zu stehen, bevor man nach fünf Sekunden den Wunsch erfüllt. Eine solche Vorgehensweise ist eher frustrierend, da das Kind schnell sieht, dass das Objekt der Begierde absichtlich vorenthalten wird. Es wird dann wütend, weil hier das Machtverhältnis zwischen Erwachsenem und Kind ausgenutzt wird. Das wäre so, als würde der Arzt, bei dem man wegen akuten Rückenschmerzen sitzt, mit dem Schmerzmittel vor unserer Nase wedeln und sagen: "Ich möchte, dass sie die Schmerzen noch kurz aushalten. Warum? Weil ich es kann." Sagt der Arzt aber: "Ich möchte, dass sie die Schmerzen noch kurz aushalten. Ich muss kurz im Computer nachgucken, ob diese Dosis wirklich für sie geeignet ist", wartet man gern noch ein paar Sekunden.  Es ist realistisch, bei diesen Übungen maximal eine Minute Wartezeit von einem Kleinkind zu fordern (vgl ebd., 2010, 168ff).

 

Alter: 2-3 Jahre  


Auch mit älteren Kleinkindern können diese Übungen weiterhin durchgeführt werden. Auch hier wird die Wartezeit Schritt für Schritt ausgedehnt. Man kann nun eine zeitliche Begrenzung durch eine Eieruhr einführen: "Wenn die Eieruhr klingelt, kommt Mama schnell zurück. Dann lese ich mit dir das Buch. Jetzt muss ich schnell noch Papa was sagen, bevor er zur Arbeit losgeht" (vgl. Karp., 2010, 171f). Ich persönlich schwöre übrigens auf den Time Timer, da dieser am Ende der Zeit nicht nur klingelt, sondern den Ablauf der Zeit durch das kontinuierliche Dünnerwerden der roten Zeitscheibe für das Kind visuell verständlich macht. Man kann auf ihm aber keine Sekunden einstellen, nur Minuten.

Es reicht für den Anfang wirklich ein einfacher Küchenwecker oder eine Sanduhr. Ich nutze den Time Timer aber auch in  vielen anderen Situationen (z. B. um meinen Kindern die morgendliche Spielzeit eindeutig zu begrenzen - als Signal, wann wir uns für den Kindergarten anziehen müssen), daher hat sich für mich seine Anschaffung eindeutig gelohnt.Zunächst stellt man den Wecker nur auf 20 Sekunden ein. Es ist wichtig, wirklich sofort zurückzukommen, wenn er klingelt, nur dann kann das Kind lernen, sich auf das Versprechen der Erwachsenen zu verlassen. Nach dem Wiederkommen gibt man dem Kind, was es möchte und spiegelt in anerkennendem Ton: "Du hast abgewartet!" Man kann die Wartezeit dann allmählich auf zwei bis drei Minuten erhöhen. Es ist schön, wenn man das Kind ab und zu überrascht, indem man den Wecker nur auf 20 Sekunden einstellt - es wird dann denken, die Minute ist schnell vergangen - oder auch nach einer besonders langen Wartezeit ihm zwei Objekte der Begierde zu geben (zwei Bücher lesen z. B.). Das motiviert das Kind und verknüpft das Durchstehen der Wartezeit mit einem positiven Gefühl (vgl. ebd., 2010, 171f).

Der nächste Schritt: Umlenken des Affektes 


Alter: 2- 4 Jahre  


Um auch die Selbstkontrolle in Bezug auf affektive Handlungen wie Hauen oder Spucken zu üben, kann man mit dem Kind ab dem Alter von 2 - 2 1/2 Jahren Methoden zur motorischen Entlastung des Affektes einüben. Das Kind lernt dabei, den Impuls umzulenken auf eine gesellschaftlich akzeptable Alternative. Anstatt ihren Bruder Emil zu hauen, könnte Mara beispielsweise die "Stopp-Hand" ausführen und gleichzeitg laut "Stopp! Lass das sein!" rufen. Maras Mama müsste dann sehr schnell kommen, um Maras angemessenes Verhalten wahrzunehmen und zu verhindern, dass sie eben doch noch haut. Denn die Umlenkung eines Impulses wirkt erstmal nur kurzfristig für wenige Sekunden. Die positive Verstärkung der gewaltfreien Lösung wirkt nachhaltiger und wird Mara helfen, sich öfter "unter Kontrolle" zu halten.  

Es ist übrigens zuviel von Mara verlangt, die Situation ohne motorische Entlastung durchzustehen, also die Mutter nur zu rufen. Es dauert lange, bis Emotion nicht mehr in Motorik umgesetzt werden muss. Bei manchem Erwachsenen ist das sogar noch bis ins hohe Alter zu erkennen - wenn jemand zum Beispiel mit der Faust auf den Tisch haut.
 
Ich habe die Stopp-Hand mit meinen Töchtern eingeübt mit dem Buch "Jakob ruft Stopp! Lass mich in Ruhe!" Es klappt bei uns nicht immer. Manchmal sind sie einfach noch zu aufgeregt und hauen oder spucken dann im Affekt doch. Aber da die Erzieherinnen im Kindergarten eingeweiht sind und an einem Strang mit uns ziehen, gibt es immer mal Situationen, in denen es eben doch klappt. Dann bekommen meine Töchter für ihr angemessenes Verhalten eine positive Rückmeldung. Ich schimpfe nicht, wenn sie im Affekt hauen, weiß ich doch, dass sie in dem Moment nicht anders handeln können.

Beim Losreißen von der Hand im Straßenverkehr ist übrigens keine bessere Lösung in Sicht, als als Erwachsener schnell zu sein. Reißt sich das Kind los, muss man hinterher und das Kind aufhalten, bevor es auf der Straße ist. Es gibt einfach keine ungefährliche motorische Alternative, auf die sich das Kleinkind umlenken kann. Natürlich kann man auf Leinen-Rucksäcke oder In-den-Buggy-setzen zurückgreifen und sollte es auch, wenn man weiß, dass man nicht schnell genug hinterherkommt. Hier geht die Sicherheit vor. 

Die hohe Kunst: Impulskontrolle durch verbale Problemlösestrategien 


Kinder entwickeln Impulskontrolle unter anderem in einem Prozess, der verbale Mediation beinhaltet (Vygotsky, 1962) .Verbale Mediation meint die Fähigkeit, laut zu denken, um das eigene Verhalten zu steuern. 
  

Alter: 2-3 Jahre  


Kinder beginnen zu sprechen und beschreiben ihre Tätigkeiten zunehmend in Selbstgesprächen. Meine Töchter sagen zum Beispiel beim Spielen mit ihren Puppen zu niemandem im Besonderen: "Ich lege die Puppe hier hin. Braucht eine neue Windel. Warte, ich hole eine neue Windel. Die alte Windel muss ab. Schwer. Schaff nicht!" Problemlösen verläuft in diesem Alter gewöhnlich noch nonverbal auf der motorischen Ebene. Die Kinder nehmen sich einfach, was sie brauchen, ohne danach zu fragen oder Rücksicht auf andere zu nehmen (vgl. Luria, 1961).  

Alter: 3-4 Jahre  


Unsere Kinder beginnen, ihr eigenes Verhalten durch Selbstanweisungen zu regulieren. Sagen die Eltern eines Vierjährigen zum Beispiel, dass er zum Abendbrot kommen soll, sagt er zunächst vielleicht zu sich selbst: "Wasch die Hände! Mach das Wasser aus! Hände abtrocknen!" und antwortet dann möglicherweise seinen Eltern: "Ich habe die Hände gewaschen, wir können jetzt essen." Beim Problemlösen beginnen die Kinder nun, Bitten oder Forderungen zu formulieren: "Lass mich mal probieren." "Kann ich damit spielen?". Sie erkennen immer besser, was angemessenes Verhalten in unterschiedlichen Situationen ist und bemühen sich, es einzuhalten  (vgl. ebd., 1961). Das klappt nicht immer.  

Alter: 5-7 Jahre  


Ab diesem Alter beginnen Kinder, Informationen kognitiv zu verarbeiten, anstatt assoziativ auf Ereignisse zu reagieren. Erst nach dieser Umstrukturierung im Gehirn können sie impulsive Reaktionen durch gedankliche innere Prozesse zurückhalten! Das Problemlösen ändert sich vom lauten zum inneren Sprechen. Ein Sechsjähriger schafft es demnach bereits, sich vorher zu überlegen, was passiert, wenn er dem anderen Kind etwas wegnimmt. Seine Gedanken könnten so klingen: "Wenn ich es einfach wegnehme, wird er bestimmt sauer auch mich. Ich frage ihn besser vorher, ob er es mir borgt." Unter Stressbedigungen kann das laute, problemlösende Sprechen in diesem Alter jedoch wieder hervortreten, um eigenes Verhalten zu steuern (vgl. ebd., 1961).  

Alter: 8-11 Jahre  


Ab diesem Alter läuft die sprachliche Mediation nahezu vollständig innerlich ab. Das Problemlösen wird wechselseitig und zielt auf die Zufriedenheit beider Beteiligten. Es ist aber noch so, dass einer von beiden dominiert. Häufigste angewandte problemlösende Strategien sind das Überreden ("Los komm, lass uns das machen. Das wird bestimmt aufregend"), Verhandeln ("Wenn ich mit deinem Skateboard fahren darf, kannst du auf meinem Fahrrad fahren") und das Abwechseln ("Erst du, dann ich!") (vgl. ebd., 1961).
 

Alter: 12 Jahre und älter  


In der Pubertät wird das Problemlösen kooperativer und orientiert sich an gemeinsamen Bedürfnissen und dem Interesse an stabilen persönlichen Beziehungen (vgl. ebd., 1961). 

Folgt man nun diesem Entwicklungsmodell, wird schnell klar, dass unsere Kinder erst ab der 1. Klasse der Schule wirklich in der Lage sind, ihr impulsives Verhalten nahezu vollständig zu kontrollieren. Dieser Entwicklungsschritt passiert im Allgemeinen von selbst. Um Probleme mit anderen jedoch in gesellschaftlich akzeptabler Weise zu lösen, können Eltern ihren Kindern bei dem Erlernen von Problemlösestrategien ein wenig unter die Arrme greifen. Möchte das Kind zum Beispiel etwas haben, das ihm nicht gehört, könnte man es nach folgenden Schritten anleiten, zu überlegen, welche Lösung für sein Problem am besten funktionieren könnte (Spivack, Shure, 1982; Petermann, Petermann, 1994).

  • Frage dich: Was genau ist das Problem?
  • Überlege: Welche Lösungen gibt es?
  • Frage dich bei jeder Lösung: Ist sie ungefährlich? Wie fühlen sich die anderen? Ist sie fair? Wird sie funktionieren?
  • Entscheide dich für eine Lösung und probiere sie aus.
  • Funktioniert die Lösung? Wenn nicht, was kannst du jetzt tun?
 
Ein Beispiel: 
 
  • "Ich habe meinen Kleber vergssen, brauche ihn aber für eine Aufgabe im Unterricht."
  • "1. Ich könnte meine Banknachbarin fragen, die hat Kleber dabei. 2. Ich könnte mir den Kleber von meiner Banknachbarin nehmen ohne zu fragen. 3. Ich könnte mich umdrehen und zu meinem Freund rufen, ob er mir seinen Kleber borgt."
  • Lösung 1: "Sie ist nicht gefährlich. Die Nachbarin fühlt sich gut. Ja, sie ist für alle fair, weil ich höflich gefragt habe. Sie wird vielleicht funktionieren, sie könnte ja oder auch nein sagen." Lösung 2: "Sie ist nicht gefährlich. Die Nachbarin fühlt sich vermutlich schlecht, weil ich ihr etwas weggenommen habe. Nein, das ist nicht fair ihr gegenüber. Ich hätte zwar den Kleber, aber auch einen Streit am Hals." Lösung 3: "Sie ist nicht gefährlich. Wenn ich in die Klasse rufe, fühlen sich die anderen gestört und die Lehrerin schimpft mit mir. Sie ist nicht fair den anderen gegenüber. Ja, sie könnte funktionieren. Mein Freund gibt mir sicher den Kleber, aber ich habe Ärger mit der Lehrerin."
  • "Ich denke, ich frage erstmal meine Nachbarin, vielleicht sagt sie ja."
  • "Sie hat funktioniert. Wenn sie "Nein" gesagt hätte, hätte ich die Lösung mit meinen Freund probiert."

 

Zusammenfassung


Impulsives Verhalten ist im Kleinkindalter und darüber hinaus völlig normal und reguliert sich im Allgemeinen mit den Jahren selbst. Es ist möglich, unseren Kindern durch Geduldübungen und durch Umlenkung der Motorik zu helfen, ihre Impulse für ein paar wenige Sekunden zu kontrollieren. Dieses "Training" wirkt sich insgesamt positiv auf die Entwicklung der Kinder aus. Es ist sinnlos, ein Kind für sein impulsives Verhalten zu schimpfen oder es gar zu bestrafen - es kann in diesem Moment nicht anders reagieren. Durch Schimpfen oder Strafen wird es nicht dazu angeregt, dieses Verhalten langfristig zu ändern.

© Snowqueen 
 

Quellen 


Karp, H. (2010) Das glücklichste Kleinkind der Welt. München: Goldmann 

Cleste Kidd, Holly Palmeri, Richard N. Aslin. (2012) Rational snacking: Young children’s decision-making on the marshmallow task is moderated by beliefs about environmental reliability. in: Cognition Luria, A. (1961). The role of speech in the regulation of normal and abnormal behaviors. New York

Liberight Petermann, F., Petermann, U. (1994). Training mit sozial unsicheren Kindern. Weinheim: Beltz Spivack, 

G, Shure, M.B. (1974). Social adjustment of young children, a cognitive approach to solving real-life problems. San Francisco: 

Jossey-Bass Vygotsky, L. S. (1962). Thought and Language. New York: Wiley

Welche Federwiege ist die beste?

Lohnt sich eine Federwiege überhaupt?


Wenn ich überlege, welche Dinge mir am meisten das Leben vereinfachten, als meine Kinder noch sehr klein waren, waren vor allem zwei Dinge absolut unverzichtbar: Ein spezielles Tuch zum Pucken (wie den SwaddleMe) und unsere Federwiege. Im folgenden möchte ich ein paar Tipps zur Verwendung von Federwiegen zusammenfassen und einen Überblick der momentan im Handel erhältlichen Produkte geben, um die Entscheidungsfindung für Dich zu vereinfachen.

Falls Du momentan noch überlegst, ob Du wirklich so viel Geld investieren willst, kann ich nur empfehlen: KAUF! Ich kenne keinen, der den Kauf bereut hat. 95 % der Babys lieben es, in die Wiege zu liegen - die Eltern der übrigen 5% konnten die Wiegen zu einem guten Preis wiederverkaufen (und hatten das gute Gefühl, wenigstens alles versucht zu haben ;-).

Es gibt einen Test, wie man vor der Anschaffung herausfinden kann, ob das Kind die Federwiege voraussichtlich mögen wird: Man nimmt eine Decke, legt das Kind darauf und zwei Erwachsene nehmen jeweils zwei Eckzipfel der Decke in eine Hand und heben die Decke hoch. Dann beginnt man gleichmäßig im Sekundentakt gemeinsam die Decke auf und ab zu schwingen. Mag das Kind diese Bewegung, wird es die Federwiege höchstwahrscheinlich lieben! Versuch das einfach mal, wenn Dein Baby gerade wieder scheinbar untröstlich schreit.

Wie funktionieren Federwiegen? 


Federwiegen schwingen im Rhythmus des mütterlichen Herzens (ca. 60 bis 70 Mal in der Minute) mit einer horizontalen Bewegung (das erinnert die Babys an mütterliche Laufbewegungen) und beruhigen Babys oft wie von Zauberhand. Insbesondere bei Schreikindern können erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Da Schreikinder oft unter Übermüdung leiden kann man durch den Einsatz einer Federwiege die Schlafdauer erhöhen und den Einschlafprozess verkürzen. Nicht wenige Eltern sagen über Federwiegen, dass sie ihnen quasi "das Leben gerettet hätten".

Eine Federwiege besteht aus folgenden Komponenten: einer Schwungfeder, einer Befestigung (Türklammer oder Deckenhaken) und einer Liegegelegenheit für das Baby (Netz mit Korb, Kinderwagentasche, Kiste oder Hängematte). Ab dem Krabbelalter sollte eine Federwiege, in der die Kinder nicht festgeschnallt werden können, nicht mehr verwendet werden.

Welche Federwiegen kann man erwerben?


Die günstigste Variante


Die günstigste Variante ist eine schwingende Hängematte. Dazu benötigt man zunächst einen Deckenhaken mit Dübel. Dieser ist auch erforderlich, wenn man die Wiege an mehreren Orten aufhängen will (bspw. im Wohn- und Schlafzimmer). Preiswert ist beispielsweise das Set
Amazonas Jumbino  für etwa 8 EUR.

Außerdem ist eine Schwungfeder erforderlich  - die derzeit günstigste Variante ist die La Siesta Stahlfeder für ca. 8 EUR. Günstige Hängematten sind die Amazonas Kangoo oder die Amazonas Kaya Natura für ca. 60 EUR. Etwas mehr kosten die Hängematte Hangnest Noah (75 EUR), YoYo (90 EUR) und die La Siesta Yayita (80 EUR).

Hat man bereits eine passende Liegegelegenheit im Haus (möglich sind bspw. auch ein Umzugskarton oder eine Kiste), bieten sich die Basissets aus aus Feder, Deckenhaken und Netz an - angeboten werden die Schlummerli (Preis ca. 65 EUR) oder die Lullababy (Preis ca. 60 EUR). Wir hatten anfangs eine Babybadewanne (siehe Bild unten), danach eine Holzkiste von Ikea (die danach als Spielzeugkiste weiter verwendet wurde) und am Ende eine  Versand-Pappkiste mit einer Seitenlänge von 80 cm.


Baby in einer Federwiege

Will man die Wiege nicht an der Decke anbringen, muss man separat eine Türklammer erwerben. 

ACHTUNG!
 
Die Federwiegen sind hauptsächlich für die Aufhängung an einer Decke konzipiert - die Verwendung in einem Türrahmen mit einer Türklammer setzt voraus, dass die Feder kurz genug ist (oder der Türrahmen hoch genug)! Dies trifft meines Wissens nur auf die NONOMO-Feder und die Feder der Wombagee (Länge 26 cm) zu. Bei der Wombagee lässt sich die Wiege durch verstellbare Seitenwände zusätzlich kürzen, weshalb sie für die Verwendung an Türrahmen gut geeignet ist. Auch Lullababy hat jetzt reagiert und eine kürzere Feder auf den Markt gebracht - beim Kauf sollte man dann schauen, ob das Set die alte (lange) oder neue (mit 26 cm kürzere) Feder enthält. Alle anderen Federn sind mit 40-45 cm bei normaler Türhöhe zu lang!

Gesamtpakete 


Je nach Bedürfnis kann man ein Paket erwerben - diese Pakete enthalten eine Deckenbefestigung, eine Feder und eine Hängematte oder einen Korb oder eine Hängematte und einen Korb. Letzteres ist praktisch, wenn man die Wiege an verschiedene Stellen hängen möchte (tagsüber im Wohnzimmer mit Hängematte, nachts im Schlafzimmer mit Korb).

Eine Federwiege selber nähen 


Mit etwas Zeit und Begabung kann man eine Federwiege auch selber nähen. Annika von Häwelmäuse hat ein E-Book verfasst, das Schritt für Schritt erklärt, wie ihr eine eigene Federwiege näht. Das Buch enthält natürlich auch eine Materialliste. Ihr könnt es hier für nur 5 EUR herunterladen.



© Danielle

Leiden Stillkinder wirklich unter Eisenmangel? Eine kritische Betrachtung der Studie

Im Jahr 2010 geisterte eine Meldung durch die Medien, deren Inhalt sich mittlerweile leider hartnäckig festgesetzt hat und auch von Ärzten immer wieder falsch wiedergegeben wird. Eine Studie hätte ergeben, dass Stillkindern ein gefährlicher Eisenmangel droht und daher frühzeitig mit Eisen angereicherte Nahrung (vorzugsweise Gläschen mit Fleisch) brauchen. Hier die Pressemitteilung des Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE): 
"Mütter, die ihre Kinder voll stillen, sollten nach vier bis spätestens sechs Monaten damit beginnen, eisenreiche Breinahrung zuzufüttern. Ansonsten droht ein möglicherweise gefährlicher Eisenmangel. Das zeigt eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE), das der Universität Bonn angegliedert ist. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Clinical Nutrition online erschienen (doi: 10.1016/j.clnu.2010.05.002).

Die FKE-Forscher hatten insgesamt 76 Säuglinge untersucht. Zwei Drittel von ihnen waren bis zum vierten Monat voll gestillt worden. Der Rest hatte bereits ab dem dritten Monat ausschließlich Fertigmilch aus Milchpulver erhalten. Diese enthält mehr als zehnmal soviel Eisen wie Muttermilch. Allerdings verfügen Neugeborene über Eisenreserven in der Leber. Die Studiendaten bestätigen, dass diese Reserven auch bei vollem Stillen in aller Regel bis zum Ende des vierten Lebensmonats ausreichen: Nur drei Kinder aus der Stillgruppe hatten zu diesem Zeitpunkt einen leichten Eisenmangel.

In beiden Gruppen begannen die Eltern nach dem vierten Monat damit, fleischhaltige Breinahrung zuzufüttern. Fleisch ist eine gute Eisenquelle. Da diese Umstellung immer sukzessive erfolgt, nahmen die Kinder aus der Stillgruppe allerdings auch im zweiten Lebenshalbjahr weniger Eisen auf als die Flaschenmilch-Säuglinge. Diese Ernährungsunterschiede schlugen sich auch im Blutbild nieder: Im Alter von sieben Monaten hatten zehn Stillkinder ein Eisendefizit, in der Flaschenmilch-Gruppe dagegen keines. Nach zehn Monaten sahen die Zahlen ähnlich aus.

Eisen ist ein zentraler Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, der für den Sauerstofftransport zuständig ist. "Vor allem für die Entwicklung des Gehirns ist eine ausreichende Sauerstoffversorgung wichtig", sagt Studienleiterin Mathilde Kersting. "Deshalb sollten Eltern auf eine gute Eisenzufuhr achten." Das ändere nichts daran, dass Muttermilch in den ersten Lebensmonaten die beste Nahrungsquelle sei. "Wir raten aber, allerspätestens nach einem halben Jahr mit dem Zufüttern zu beginnen und die Zahl der Stillmahlzeiten sukzessive zu reduzieren." Dabei sollten Eltern möglichst zu fleischreichen Gläschen greifen."

Schaut man sie die Studie mal etwas genauer an, ist man doch sehr erstaunt. Denn sie sollte ursprünglich eigentlich untersuchen, ob für die Eisenversorgung der Babys ein Fleischgehalt von 8% in einem Gläschen ausreicht oder ob - wie von deutschen Kinderärzten empfohlen - lieber 12% Fleisch pro Glas enthalten sein sollten. Diese Fragestellung verwundert etwas, wenn man einfach mal nachrechnet:

Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) liegt der Tagesbedarf an Eisen bei einem Baby zwischen 4 und 12 Monaten bei 8 mg. Wenn ein Glas Babynahrung die üblichen 8% Fleisch enthält, dann sind das bei einem 190-g-Glas genau 15,2 g Fleisch. Rindfleisch enthält von allen Fleischsorten am meisten Eisen - pro 100 g genau 2,1 mg Eisen. Die 15,2 g Rindfleisch im Glas haben insgesamt nur magere 0,3192 mg Eisen. Erhöht man den Fleischgehalt auf 12%, dann enthielte das Fleisch im Glas nun 0,4788 mg Eisen. 

Die Studie überprüfte also, ob sich die Erhöhung des Fleischanteils und die damit verbundene Erhöhung des Eisengehaltes um 0,2432 mg positiv auf den Eisenhaushalt von Kindern auswirkt. Wohlgemerkt - eine Erhöhung um 2 Prozentpunkte von 4 % des Tagesbedarfes an Eisen auf 6 % des Tagesbedarfs an Eisen - wenn das Glas das vergleichsweise eisenhaltige Rind enthält. Bei einem Gläschen mit Huhn würde die Steigerung des Fleischanteils sogar nur 0,66 Prozentpunkte betragen.  

Die Studie hat dann (nicht ganz so überraschend) ergeben, dass es vollkommen egal ist, ob 8 % oder 12% Fleisch  pro Glas enthalten sind - ein signifikanter Unterschied konnte  bei den Kinder, die die unterschiedlichen Mengen zu sich nahmen, nicht festgestellt werden.

Irgendjemand muss sich aber gedacht haben, dass man trotzdem noch etwas Positives für die Fleischindustrie raus holen könnte. Ein Teil der Studie wurde später noch mal gesondert veröffentlicht - nunmehr wurde der Schwerpunkt auf den Unterschied des Eisenspiegels zwischen Stillkindern und Flaschenkindern gelegt. "Überraschenderweise" wurde festgestellt, dass der Eisenspiegel der Stillkinder signifikant niedriger ist, als der von Flaschenkindern. Das ist jedoch vollkommen logisch, da Muttermilch nur 0,058 mg Eisen pro 100 ml enthält - Pre-Milch aber 0,5 mg - also die 10-fache Menge. In Flaschenmilch ist das Eisen gezielt überdosiert, weil der Körper es - im Gegensatz zur Muttermilch - nur zu einem geringen Teil absorbiert

Da man nicht genau weiß, wieviel nun tatsächlich im Körper ankommt, handelt man also nach dem Motto "viel hilft viel". Vor diesem Hintergrund ist es also nicht erstaunlich, wenn Flaschenkinder den höheren Eisenspiegel im Blut haben - daraus nun zu schließen, dass Stillkinder unterversorgt sind, ist doch sehr abenteuerlich. Für mich stellt sich auch die Frage, warum die Menschheit bisher so gut überlebt hat, wenn die Muttermilch tatsächlich den gravierenden Mangel hätte, zu wenig Eisen zu enthalten. Alle anderen Nährstoffe sind genau in der richtigen Konzentration enthalten - nur ausgerechnet beim Eisengehalt soll das anders sein?
 
 Stillen, Baby, Junge, Kleinkind, Mutterschaft, Frau

Als nächstes frage ich mich: Wenn das Rindfleisch im Glas am meisten Eisen enthält - wie viel Eisen ist denn überhaupt insgesamt enthalten? Ich habe mir von Hipp mal eine Liste mit den Angaben schicken lassen: die Gemüse-Fleisch Gläser enthalten zwischen 0,57 und maximal 1,71 mg Eisen - im Schnitt sind es 1,14 mg. In den Getreide-Obstbreien sind durchschnittlich 0,76 mg Eisen enthalten. In Milch-Getreide-Gläsern sind 0,57 mg - die Milch-Getreide-Breie zum Anrühren enthalten immerhin 1,5 mg pro Portion mit 200 g. 

Wenn ich also pro Tag drei Hauptmahlzeiten aus dem Glas füttere, komme ich auf durchschnittlich 2,5 bis 3,5 mg Eisen. Pre-Nahrung enthält 0,5 mg Eisen je 100 ml - wenn ich von etwa zwei zusätzlichen Flaschen mit je 200 ml Milch (Pre) am Tag ausgehe, schafft man es damit auch nur, weitere 2 mg Eisen zu sich zu nehmen - macht also einen Gesamteisenverzehr am Tag von 4,5 bis 5,5 mg Eisen - was noch weit von den empfohlenen 8 mg entfernt ist. Auf meine Nachfrage, warum Hipp (anders als Bebivita) seinen Produkten kein Eisen zusetzt, erhielt ich die Antwort:
"Wir sehen die Notwendigkeit der Eisenanreicherung nicht, da unser Ernährungsplan Babys optimal mit allen notwendigen Nährstoffen versorgt. Das zeigt die Jahrzehnte lange Erfahrung. Sonst würden mehr Babys mit Eisenmangel in Deutschland auffallen. Das ist aber nicht der Fall."
Das klingt einleuchtend - in der Tat ist bis zum Zeitpunkt der Studie tatsächlich keinem aufgefallen, dass Stillkinder verstärkt unter bedenklichem Eisenmangel leiden könnten. Seit Tausenden von Jahren haben sie also offenbar doch recht gut damit gelebt.

Am abenteuerlichsten finde ich, dass man zu dem Ergebnis kam, zu empfehlen, dass Stillkinder möglichst ab dem 4. Monat - aber allerspätestens ab dem 6. Monat - Fleischgläser bekommen sollten. Die Studie war doch wie folgt aufgebaut: Stillkinder und Flaschenkinder bekamen ab dem 4. bzw 6. Monat bis zum 10. Monat jeden Mittag ein Gläschen - die einen mit 8% Fleisch, die anderen mit 12% Fleisch (übrigens freundlicherweise bereitgestellt von Hipp und Alete). Wir erinnern uns: es gab keinen Unterschied. Nur - wenn die Stillkinder NACH dem monatelangen Verzehr von Fleischgläsern unter einem "Eisendefizit" (tatsächlich waren es nur etwas niedrigere Hämoglobinwerte ohne irgendwelchen körperlichen Symptome) litten - wie kann das Studienergebnis dann sein, dass man unbedingt Fleischgläser füttern soll

Der angebliche "Mangel" entstand doch TROTZ der Gläser. Verwirrend - oder? Vor allem: FleischGLÄSER. Warum lautet die Empfehlung explizit (siehe oben der letzte Satz der offiziellen FKE-Pressemitteilung): "Fleischgläser"? Wäre es nicht sinnvoller, als Ergebnis zu präsentieren, dass Fleischgläser ungeeignet sind und man besser (mit höherem Fleischanteil) selbst kocht? Oder gar - ganz abenteuerlich - einfach Hirse füttert? Ein Milchbrei (200 ml Pre + 25 g Getreidebrei) mit Hirse (wenn man nicht gerade HIPP nimmt - denn die "verfeinern" ihren Hirsebrei mit Reis und Mais, so dass nur noch 39% Hirse enthalten sind) hat einen Eisengehalt von - man halte sich wirklich fest: 3,25 mg Eisen. Mit 2er-Milch (die besser ist, als ihr Ruf) angerührt sogar 4,25 g - mehr als der HALBE Tagesbedarf! In einer Mahlzeit! Unbedingt sollte man etwas Vitamin C-haltiges Obst oder Saft (Orangensaft) dazu geben, da so die Eisenaufnahme um das zwei- bis dreifache verbessert wird (die Bioverfügbarkeit pflanzlichen Eisens ist nicht so hoch, wie das von Eisen tierischen Ursprungs). Da Milch die Eisenaufnahme verschlechtert, ist es eher sinnvoll, den Getreide-Obst-Brei als den Getreide-Milch-Brei mit der Hirse anzurühren. 


Hat denn etwa gar keiner Interesse daran, den Hirse-Absatz zu erhöhen? Offenbar nicht - warum, das wird klar, wenn man sich mal die Geldgeber der Studie anschaut. Das war nämlich die CMA - die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (mittlerweile aufgelöst) - die hat doch immer so schön das Fleisch (und auch die Milch) unserer Bauern vermarktet... scheinbar sollte da also der Fleischabsatz mal ordentlich angekurbelt werden (die Gewinnspanne ist ja auch deutlich höher als bei ein paar Hirsekörnern).

Ärgerlicherweise kommt dann ja aber heraus, dass man selbst mit 50% mehr Fleisch im Glas auch keine bessere Eisenversorgung erreicht. Da muss doch aber noch irgendetwas für die Fleischindustrie zu machen sein!? Also versucht man durch diese Pressemitteilung wenigstens dafür zu sorgen, dass die Stillmütter verunsichert sind und wegen des zu erwartenden Eisenmangels nicht an der WHO-Empfehlung des 6-Monate-Vollstillens festhalten. Stattdessen sollen sie lieber früher als später Fleischgläser füttern - auch wenn die Forschung ergab, dass diese den vermeintlichen Eisenmangel gar nicht beheben.
Dass das FKE auch noch andere Possen auf Lager hat, bewiesen sie 2014, als es auf Grundlage wirklich schlecht recherchierter Fakten vom Baby-led weaning abriet.

Die Zeitungen druckten damals das Märchen des Eisenmangels ganz fix und vollkommen unreflektiert ab - seitdem hält sich der Irrglaube hartnäckig, dass Stillkinder wegen der Gefahr eines Eisenmangels unbedingt frühzeitig zugefüttert werden müssen. Was bei den Pressemitteilungen des FKE auch sehr gerne verschwiegen wurde: Von den 53 Kinder der Studie hatten gerade mal 4 Kinder eine Tendenz in Richtung einer Eisenmangelanämie - das ist jedoch noch kein Eisenmangel. 

Natürlich gibt es auch Stillbabys, die wirklich an einem Eisenmangel leiden. Typische Zeiche dafür sind die Blässe von Haut und Schleimhaut durch die Blutarmut, Mattigkeit, Appetitlosigkeit und eine erhöhte Infektanfälligkeit. Besteht der Verdacht, dass ein Baby unter einem Eisenmangel leidet, kann ein Arzt Blut abnehmen und verschiedene Werte bestimmen. Liegt tatsächlich ein Eisenmangel vor, wird er ein Eisenpräparat verschreiben und keinen Fleischbrei empfehlen.

Es ist jedenfalls nicht nötig, die Beikosteinführung wegen der Angst vor einem Mangel nach vorne zu ziehen, ohne dass das Baby wirklich Anzeichen für die Beikostreife zeigt.

© Danielle