Was gehört in die Hausapotheke für Babys und Kinder?

Was gehört in eine Hauapotheke für Babys und Kleinkinder? Nachfolgend findest Du eine Übersicht derjenigen Medikamente und Utensilien, die auf keinen Fall fehlen sollten. 

Brandsalbe 


Für die Versorgung kleinerer Verbrennungen und Verbrühungen ersten Grades, die nicht ärztlich behandelt werden müssen - z. B. Fenistil-Gel® oder Combudoron-Gel® von Weleda. 

Coolpack/Kühlakku 


Bei Prellungen und Beulen ist ein gelgefülltes Coolpack ideal, da es sich den Konturen gut anpasst. Es sollte nicht in den direkten Kontakt mit der Haut kommen sondern mit (Zell)Stoff (Stofftaschentuch oder Küchentuch),  umwickelt werden, um Erfrierungen zu vermeiden. Bei Verbrennungen und Verbrühungen sollte kein Kühlpack verwendet werden, da er zu kalt ist - hier bitte nur mit lauwarmem Wasser kühlen!
 

Elektrolyt-Lösung 


Bei starkem Durchfall und Erbrechen leidet der Mineralstoffhaushalt, es sollten daher Elektrolyte zugeführt werden. Hat man keine Elektrolytlösung zur Hand, kann zur Verbesserung des Mineralstoffhaushaltes, auch folgendes Getränk zusammengemischt werden: 1 Liter dünner Tee mit 7 EL Traubenzucker und ein halber Teelöffel Salz. Die Gemische sollte eiskalt angeboten werden, da sie dann nicht so salzig schmecken und weniger Übelkeit verursachen. Ebenfalls möglich: 80% natriumreiches Mineralwasser und 20% Orangensaft. Ein geeignetes Präparate ist z. B. Oralpädon®.

Entschäumer 


Entschäumer werden in der Regel bei Blähungen angewendet. Sie wirken rein physikalisch, gehen nicht in den Blutkreislauf über und werden unverändert ausgeschieden (weswegen eine Überdosierung nicht möglich ist). Erhältlich sind zum Beispiel Sab Simplex®, Lefax® und Espumisan®. Auch wenn das Kind keine Blähungen hat, sind Entschäumer wichtig für Vergiftungsunfälle mit schäumenden Substanzen - kommt es zur Schaumbildung (um das zu vermeiden zunächst kein Wasser zum trinken geben!), können die Kinder ersticken, wenn sie den Schaum erbrechen und einatmen. In diesen Fällen muss großzügig Entschäumer verabreicht werden (ruhig die halbe bis ganze Flasche).

Fieberthermometer  


Bei Fieber ist ein Thermometer von Vorteil. Die Aussage, dass nur analoge Thermometer verlässliche Ergebnisse liefern, ist mittlerweile überholt - es gibt Ohrthermometer, deren Messgenauigkeit laut Stiftung Warentest "sehr gut" ist. Wir haben das Braun Thermoscan IRT, was ich guten Gewissens empfehlen kann. Die Messung erfolgt innerhalb weniger Sekunden, das Kind muss nicht entkleidet werden und es sind sogar Messungen im Schlaf möglich, ohne dass das Kind aufgeweckt werden muss.

Fieberthermometer

Fiebersaft/-zäpfchen 


Fieber ist ein wichtiger Abwehrmechanismus des Körpers, daher sollte es nur gesenkt werden, wenn es unbedingt erforderlich ist. Zur Fiebersenkung sind zwei verschiedene Wirkstoffe im freien Handel erhältlich: Paracetamol (ab Geburt) und Ibuprofen (ab 6 Monaten). ASS (Aspirin) und Novalgin dürfen keinesfalls verabreicht werden! Die Wirkstoffe sind in Zäpfchen oder Saftform für Kinder erhältlich. Je nach Altersstufe sind die Präparate verschieden hoch dosiert - gelegentlich sollte geprüft werden, ob die vorhandenen Medikamente noch dem aktuellen Alter des Kindes entsprechen.

Die Dosierung erfolgt gewichtsabhängig. Oft liest man, dass die Wirkstoffe auch kombiniert genommen werden können. Das ist grundsätzlich in der Tat möglich, ist aber wirklich nur in extremen Fällen zu empfehlen. Die Präparate sind darauf ausgelegt, dass sie für den angegebenen Zeitraum Schmerzen bekämpfen, daher sollte ihre Wirkung so lange anhalten. In Bezug auf das Fieber ist ein Anstieg zwar vor der nächsten Medikamentengabe möglich, aber wie bereits ausgeführt, sollte Fieber nicht so schnell gesenkt werden. Gerade, wenn das Fieber schnell wieder steigt, sollte man sich fragen, warum es das trotz ausreichender Medikation tut. Offenbar ist der Körper gerade extrem damit beschäftigt, Keime zu bekämpfen - man sollte ihm die Chance dazu lassen!

Hustensaft


Hustensaft ist nicht sinnvoll - warum, darüber habe ich einen gesonderten Artikel geschrieben.

Nasentropfen 


Babys sind Nasenatmer, weswegen ihnen bei Erkältungen verstopfte Nasen besonders zu schaffen machen. Ist die Nase stark verstopft helfen meist nur noch abschwellende Nasentropfen. Es gibt Präparate für Babys (0-1 Jahr) und Kinder (2-6 Jahre). Erhältliche Produkte sind bspw. Otriven®, Olynth® oder Nasivin®.

Bei der Behandlung von Schnupfen ist auch eine isotonische Kochsalzlösung hilfreich. Diese befeuchtet die Schleimhäute, löst den Schleim und unterstützt die Funktion der Flimmerhärchen. Man kann die Kochsalzlösung fertig kaufen, es ist aber relativ unkompliziert, selbst eine solche Lösung herzustellen: auf einen Liter abgekochtes Wasser kommen 9 g Salz. In der Apotheke gibt es Pipettenflaschen - man kann aber auch ältere, ausgespülte Nasentropfenflaschen verwenden. Die Lösung hält sich ca. 48 Stunden im Kühlschrank und sollte dann neu hergestellt werden.

Nasensauger 


War ich früher der Meinung, dass man solchen "Quatsch" nicht brauche, bin ich heute der festen Überzeugung, dass ein Nasensauger in jede Hausapotheke gehört. Allerdings nicht diese kleinen Ballons, sondern ein Sauger, der mit dem Mund oder dem Staubsauger betrieben wird. Man kann sich kaum vorstellen, welche Mengen Schnodder in einem kleinen Baby stecken können - und wie erleichternd das Absaugen für die Kleinen sein kann. Außerdem wirken Nasentropfen deutlich besser, wenn sie in eine vom Schleim befreite Nase getropft werden.

Es sind verschiedene gute Sauger erhältlich, wir haben den AngelVac-Nasensauger®, der wirklich gut funktioniert. Auch über den Nosefrida® (man saugt mit dem Mund über einen Schlauch) habe ich nur Gutes gehört.

Juckreizstiller 


Bei Insektenstichen und leichten Verbrennungen helfen Salben mit  Antihistaminika wie Fenistil® oder Präparate mit Gerbstofflotion. Sie sollten jedoch nicht auf offene Wunden und bei kleinen Kindern nur sehr kleinflächig (Mückenstich) aufgetragen werden.

Kohletabletten 


Für Vergiftungsunfälle ist es sinnvoll, Kohletabletten vorzuhalten. Kohle hat eine sehr große Oberfläche und bindet Giftstoffe sehr schnell. Ebenso wie die Entschäumer wirkt sie rein physikalisch und ist daher auch für Kinder geeignet. Für kleinere Kinder ist Kohlepulver am besten geeignet.

Kümmelzäpfchen 


Babys, die Schwierigkeiten mit der Verdauung haben, reagieren in der Regel gut auf Kümmelzäpfchen (z. B. Carum Carvi von Wala®). Mit dem Kauf kann man jedoch bis nach der Geburt warten - nicht alle Kinder leihen unter den so genannten Dreimonatskoliken.

Pflaster 


Bei der Auswahl sollte man darauf achten, dass die Pflaster leicht ablösbar sind und möglichst wenig die Haut reizen (das beste Kinderpflaster bei Stiftung Warentest war das DermaPlast kids.
 
Außerdem ist eine Pflasterroller für das Fixieren von Kompressen notwendig.

Pinzette 


Eine Pinzette sollte für die Entfernung von Insektenstacheln, Kaktusstacheln oder Splittern vorhanden sein.

Verbandmaterial 


Zum Abdecken von Wunden sollte geeignetes steriles Verbandmaterial in verschiedenen Größen vorhanden sein. Man sollte gelegentlich das Haltbarkeitsdatum überprüfen und abgelaufene Produkte ersetzen.

Wunddesinfektionsmittel 


Glücklicherweise gibt es mittlerweile kinderfreundliche Produkte für die Desinfektion kleinerer Schnitt- und Schürfwunden, die nicht mehr brennen, wie z. B. octenisept®. Wunden müssen großzügig eingesprüht werden - bevor ein Pflaster oder Verband angelegt wird, muss ein bis zwei Minuten gewartet werden, damit die antiseptische Wirkung sich ausreichend entfalten kann.

Wundcreme 


Leider ist Babys Po durch das Windel tragen gelegentlich rot - bei uns hat am besten Multilind-Salbe® und Mirfulan® geholfen. Ebenfalls hilfreich ist Heilwolle.


Zeckenzange/-karte/-haken/-pinzette 


Auch eine Utensil zur Zeckenentfernung sollte nicht fehlen.


© Danielle


Ein weiteres gewünschtestes Wunschkind...



...hat gestern Abend das Licht der Welt erblickt - herzlichen Glückwunsch, liebe Snowqueen zu Deinem süßen, kleinen Sohn!

Snowqueen kuschelt mit ihrem Baby und den zwei stolzen Schwestern ab sofort im Wochenbett und konzentriert sich in den nächsten Tagen und Wochen auf das Kennenlernen.

Wenn es in nächster Zeit vorübergehend auch mal etwas ruhiger auf unserem Blog wird, dann liegt das also am temporären Ein-Frau-Betrieb . Wir freuen uns, wenn Ihr uns treu bleibt!

Ganz liebe Grüße!
Danielle


Zaubersand - Der Praxistest


In den Artikeln mit den Geschenkideen für verschiedene Alterstufen hatte Snowqueen schon kurz über sogenannten "Zaubersand" geschrieben. Es handelt sich dabei um ein relativ neues Produkt, das Buddelvergnügen auch im heimischen Wohnzimmer ermöglichen soll.
 
Ich fand die Idee grundsätzlich sehr interessant, da meine Kinder beide sehr gerne im Sandkasten spielen. Der Hersteller verspricht, dass das Produkt absolut ungiftig, bakterienfrei und umweltfreundlich ist. Der Sand besteht aus Sand und Muscheln, ist wasserlöslich und verklebt nicht - durch Formen wird er fest. Sobald er wieder aus der Form gelöst wird, wird er wieder luftig und leicht. Ich konnte mir ganz ehrlich nicht vorstellen, wie das aussehen oder funktionieren soll, also beschloss ich, den Zaubersand einfach mal auszuprobieren.
 
 

Erhältliche Zaubersand-Produkte


In Deutschland sind zwei Startersets erhältlich. Das Set Groß für 39,90 EUR enthält ein Kilogramm Zaubersand, eine aufblasbare Plastikwanne und 11 gemischte Sandförmchen von Spielstabil (tolle Qualität!). Das Set Klein für 19,90 EUR enthält 500 g Sand, eine Eiswaffel und einen Eisportionierer. Außerdem gibt es ein Nachfüllset mit einem Kilogramm Sand für 24,90 EUR. Ich habe zusammen mit meinen Kindern das Starter Groß ausprobiert.

Hier die Bestandteile des Sets Groß:

Set Zaubersand

Wir haben den Sand in das dafür mitgelieferte aufblasbare Becken gefüllt:

Zaubersand in einem Bassin


Der Praxistest

Und dann ging es los. Die Begegnung mit dem Sand war wirklich sehr faszinierend. Wenn man ihn das erste mal anfasst, fühlt er sich wie ein sehr lockerer Kuchenteig an - er zieht auch wie Teig Fäden. Wenn man ihn dann knetet/drückt/rollt, dann bekommt er die Konsistenz von Knete und ist auch ähnlich bearbeitbar.

Wenn man ihn in Formen drückt und stürzt, sieht es aus, wie ein geknetetes Objekt:

Zaubersand in einem Bassin geformt


Man kann das dann auch im Stück hochheben und bearbeiten, da es eine stabile, kompakte Masse ist.

Zaubersand zu Kuchen geformt
 
Sobald man das Objekt jedoch an einer Stelle auseinander bricht, geht die Masse komplett auseinander und man hält etwas in der Hand, das sich wie der fluffigste, luftigste Teig auf der Welt anfühlt und einem zwischen den Händen quasi zerfließt.
 

Zaubersand wird zerbröselt



Zaubersand zerfällt

 
Fluffiger Zaubersand

 
Hier noch ein kurzes Video von der Anwendung:

 

Mein großes Kind (knapp 5 Jahre alt) war hellauf begeistert und total fasziniert - sie hat gleich mehrere Stunden am Stück geformt, geknetet und gebröselt. Am meisten war ich ja auf die (Un-)Krümeligkeit des Sandes gespannt - schließlich soll als reines Indoorprodukt für Spielspaß sorgen. Da der Zaubersand nicht wirklich die Konsistenz von Sand hat, kann er ja nicht wirklich "sandig" krümeln - die Partikel haften immer in größeren Stücken zusammen. Allerdings sind die dann so klein, dass sie beim Spielen doch gerne mal aus dem Becken fallen oder beim Herumtragen von geformten Objekten abbröseln und sich in der Wohnung verteilen. Alles, was so um das Becken herum liegt, kann man relativ schnell wieder einsammeln - wie sich dabei mit eingesammelte Partikel (die sich zumindest bei uns hin und wieder auf dem Fußboden befinden *hüstel*) langfristig auswirken, wird sich zeigen - ich werde auf jeden Fall hier berichten.

Am nächsten Tag entdeckte auch der kleine Bruder den Sand... und trieb mich damit schier in den Wahnsinn. "Nur über dem Becken kneten!", "Pass auf, es krümelt doch alles raus", "Halt, hier geblieben, der Sand bleibt im Becken!" Überall bröselte und krümelte es. Mich persönlich hat immer wieder das Bedürfnis überfallen, ständig die Krümel rund um das Becken einzusammeln - man hat gerade am Anfang irgendwie das Gefühl "Hilfe - bald ist der Sand ja alle, wenn das so weiter geht!" Und so richtig Lust, einen nicht gerade günstigen Nachfüllpack erwerben zu müssen, hat man auch nicht.

Während ein 5-Jähriges Kind es also schafft, den Sand relativ verlustfrei zu bespielen, schwelgt ein Zweijähriger noch in der Annahme, Buddelsand sei grundsätzlich grenzenlos verfügbar, weswegen eine beherzte Schippe in die Umgebung die Menge im Kasten keinesfalls mindere. Aufforderungen zur sparsamen Verwendung prallten ungehört ab. Wenn der Sand an Kleidung gerät, dann bleibt er haften und verschmiert schon mal. Da er sich aber recht gut abklopfen lässt, sind auch breitgetretene Krümelhaufen auf dem Teppich nicht wirklich problematisch - die kann man rückstandslos wegsaugen.

Nachdem mein kleines Kind durchaus eine halbe Stunde begeistert und kreativ spielte, war ich nur noch angestrengt. Nur um das klarzustellen - ich bin kein Putzteufel und habe keine übertriebenen Ansprüche an die Sauberkeit des Fußbodens. Liegt mal ein Krümel länger als eine Stunde, verursacht das keine Schweißausbrüche. Aber der Umgang meines Sohnes mit dem Sand trieb mir die Schweißperlen auf die Stirn. Allmählich machte sich da der Gedanke breit, dass es sooo schlecht ja auch nicht wäre, wenn der Sand irgendwann einfach alle wäre.... Krümelfreies Buddeln bleibt tatsächlich eine Illusion.

Ansonsten ist das Handling wirklich faszinierend und unterhaltsam. Der Sand fühlt sich angenehm an und regt zum Experimentieren und Spielen an. Er hinterlässt einen leichten Film auf der Haut, der sich irgendwie leicht schmierig anfühlt, aber ganz unproblematisch beim Händewaschen ab geht.

Kind spielt mit Zaubersand


Die Aufbewahrung erfolgt übrigens luftig - der Sand darf nicht in einem geschlossenen Gefäß aufbewahrt werden. Direkte Sonneneinstrahlung sollte vermieden werden, was in der Wohnung ja meist unproblematisch ist. Bei Verunreinigungen - bspw. durch Essen oder Getränke - müssen die betroffenen Stellen entfernt werden. Er darf nicht mit anderem Sand gemischt werden, weil seine Eigenschaften sonst verloren gehen.

Ich werde den Artikel immer mal wieder aktualisieren - noch sind die Eindrücke recht frisch - ob der Spielspaß langfristig erhalten bleibt, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Die Kinder sind auf jeden Fall erst mal begeistert.

Nach einem halben Jahr kann ich ergänzend sagen: Der Zaubersand war immer mal wieder interessant - vor allem, wenn wir Spielbesuch hatten. Allerdings wurde er dann im halben Haus verstreut (unabsichtlich). Irgendwann stellte ich ihn in den Garten, weil mich das Gekrümel nervte... dort war seine restliche Lebenszeit sehr kurz:

Wader Wasserstraße mit Zaubersand verschmutzt


© Danielle
 

Fördern, dass Kinder stark, klug und glücklich werden

Wie gemeinsames Spielen, Märchen, Lieder, viel Zeit und Natur Kinder stark, klug und glücklich macht


In einem anderen Artikel hatte ich darüber geschrieben, wie Kinder lernen und dass all die gut gemeinten Förderversuche, auf die wir bisher zurückgegriffen haben, nichts wert sind und im Zweifelsfalle sogar schaden. Dass man sein Kind einfach "machen lassen" soll, weil es dann von selbst in den "Flow" findet und das besser und tiefer, als wir das je künstlich nachstellen könnten. Es gibt aber durchaus Dinge, die man tun kann, um echtes, freudvolles Lernen zu unterstützen:

Gemeinschaftliches Tun/Spielen 


Die Erfahrung, mit jemandem in engster Verbundenheit zu wachsen, haben unsere Kinder bereits im Mutterleib gemacht. Sie ist tief in ihrem Gehirn verankert und bedeutet, dass sie auf die Welt kommen mit der Erwartungshaltung, dass dies jetzt immer so weiter geht: Sie gehen davon aus, in Verbundenheit mit anderen, und doch selbständig, die Welt erkunden zu können (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 106). 

Dabei ist es unabdingbar, dass der Mensch, mit dem sie sich gemeinsam auf dieses Abenteuer einlassen wollen, feinfühlig genug ist, um sie in ihrem eigenen Tempo gehen zu lassen und nicht vorschnell einzugreifen: Oft setzen sich die Väter am Abend gern zusammen mit ihren Kindern auf den Teppich und bauen z. B. Lego-Duplo-Landschaften. Wichtig hierbei ist es eben, als Erwachsener nicht die Führung zu übernehmen, sondern nur den Impulsen des Kindes zu folgen. Baut das Kind des Duplo-Turm etwas schief - dann greift nicht ein. Lasst es machen, lasst es ausprobieren und lernen, was passiert. Der nächste Turm wird gerader, versprochen. Es lernt das aber weniger gut, wenn ihr es in dieser Situation belehrt und sagt: "Guck mal, so wird ein Turm gebaut!" Erst, wenn das Kind konkret um eure Hilfe bittet, könnt ihr Tipps geben. Ihr könnt auch daneben selbstversunken euren eigenen Turm bauen - dort kann das Kind sich dann ganz ohne Druck abgucken, wie es besser geht. 


Im letzten Sommer sah ich auf unserem Wasser-Sand-Spielplatz eine wirklich schöne Situation zwischen einem Papa, seinen zwei Söhnen und seiner Tochter. Sie hatten sich wohl gemeinsam vorgenommen, einen Damm zu bauen, um dahinter eine riesige Sandburg mit Tunneln für Matchboxautos zu errichten. Als ich kam, stand der Damm schon und auch die Sandburg war schon ordentlich groß. Jedes der Kinder war völlig vertieft in eine Aufgabe - und der Vater war der eifrigste Buddler von allen. Brach irgendwo der Damm unter den fließenden Wassermassen zusammen, sprangen alle auf, riefen sich gegenseitig Anweisungen und Ratschläge zu und behoben zusammen den Konstruktionsfehler. 

Ich habe sie dabei bestimmt eine Stunde beobachtet - sie waren alle ununterbrochen hoch konzentriert, halfen sich gegenseitig und waren völlig bei der Sache - obwohl es doch nur ein Spiel war. Dieser Papa, man merkte es schnell, hatte ebenso viel Spaß daran, wie sein Nachwuchs und seine Begeisterung steckte die Kinder an, die sich von ihm bereitwillig auch Konstruktionstipps geben ließen, da er sie nicht "von oben herab" referierte, sondern als "einer von ihnen" - besser kann man das als Elternteil eigentlich nicht machen.

Schafft man es, die Balance zu halten zwischen Mitspielen und "Lehren", wenn man es also ganz den Impulsen des Kindes folgt und sich selbst zurücknimmt, dann macht man seinem Nachwuchs das beste Geschenk aller Zeiten: Mit jemandem aufs Engste verbunden zu sein und sich gleichzeitig frei und autonom mit all seinen Fähigkeiten und Interessen in das gemeinsame Tun einzubringen. In diesem Zustand der geteilten Aufmerksamkeit ("shared Attention") werden die wichtigsten Grundbedürfnisse unserer Kinder gestillt. Wenn sie das oft erleben dürfen, sind sie viel eher bereit, ihre eigenen Wünsche kurzzeitig zurückzustellen und auf die anderen zu achten, sie anzuspornen, damit das gemeinsame Wer gelingt (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 107). Dies wiederum sind wichtige Grundsteine für die Ausbildung vom Empathie und Impulskontrolle - Dinge, die in unserer Gesellschaft mehr und mehr verloren gehen, jedoch eigentlich die Voraussetzung für eine funktionsfähige Gruppe sind, in der die Menschen glücklich und zufrieden leben. 

Märchen vorlesen 


Märchen beflügeln die Phantasie, erweitern den Sprachschatz, befähigen, sich in andere hineinzuversetzen und Gefühle nachzuerleben und lassen das Kind still sitzen und aufmerksam zuhören (vgl. ebd: 2012, 102). Das Erzählen von Geschichten ist die höchste Form des Unterrichtens, denn Lernen gelingt nur dann richtig, wenn die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert sind und das Gehörte "unter die Haut" geht (vgl. ebd: 2012, 103). Dabei ist es wichtig, dass die Eltern selbst Spaß an der Geschichte haben, denn unsere Kinder merken schnell, wenn Interesse nur vorgeheuchelt oder gespielt ist. Sind die Eltern richtig dabei, entsteht von ganz allein eine Atmosphäre, die gleichzeitig entspannt und doch spannend ist. Die Geschichte sollte dem Alter angepasst sein. Sie muss ein wenig aufregend sein, doch darf sie nicht zu starke Angst machen. Am besten sind Geschichten, in denen kleine Helden Gefahren bestehen, ihre eigene Angst überwinden und über sich selbst hinauswachsen, um am Ende das Böse zu bezwingen, denn unsere Kinder identifizieren sich mit ihren Bücherfreunden und ziehen aus deren Abenteuern Motivation und Ermutigung (vgl. ebd: 2012, 103).
"Der Held startet nicht etwa mit breiten Schultern ins Leben, sondern als Däumling, als letztgeborener, belächelter, schwächster oder gar behinderter Sohn. Oder als ein von der Stiefmutter unterdrücktes Mädchen. Zu Helden (oder Heldinnen) werden die Figuren nicht durch angeborene Superkräfte, sondern durch innere Entwicklung. Durch Prüfungen, die sie allein nicht bestehen können, sondern für die sie Beistand brauchen - von guten Geistern, von Tieren mit magischen Kräften, von geknechteten Wesen aus der Unterwelt, von weisen Frauen. Die Helden bekommen Flügel verliehen, indem sich bei ihnen innerlich etwas tut - indem sie sich als Menschen entfalten. Dann erst erscheint der Held als Sieger (und bekommt am Ende natürlich die die Prinzessin bzw. den Prinzen). Da schimmert noch ein anderes Thema durch: Entwicklung gegen Widerstände Resillienz" (Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 144f).

Vater liest vor
Dass Märchen unsere Kinder ängstigen könnten, spricht nicht gegen sie. Es spricht eher dafür, dass es wichtig ist, dass sie von vertrauten Menschen erzählt werden. Wichtig ist auch die Art des Vorlesens - die Eltern sollten die Geschichte stimmlich formen, sie müssen ängstlich klingen, oder mutig, traurig und begeistert. Ein enger Kontakt zum Kind ist unabdingbar - guckt eure Kinder immer wieder an, haltet inne, achtet darauf, ob sie gedanklich noch bei euch sind. Gerald Hüther findet:
"Dieser enge Kontakt und die Erfahrung, dass Vater und Mutter mitfiebern, machen Märchen aus hirnbiologischer Sicht zum Besten, was wir unseren Kindern bieten können. Die Welt braucht Geschichten, und Kinder erst recht" (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 103f).

Lieder singen


Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich erinnere mich bei meiner Grundschulzeit besonders gern an das gemeinsame Singen mit meinen Mitschülern. Meine erste Klassenlehrerin hatte es zum Ritual gemacht, dass wir jeden Morgen zu Beginn der ersten Unterrichtsstunde als Klasse ein Lied singen und ich verbinde diese Erinnerungen mit einem besonders glücklichen, emotional befreiten Gemütszustand. Es war schön, Teil der Gemeinschaft zu sein und zu hören, wie wir miteinander harmonierten. Der schlechteste Schüler der Klasse hatte dabei die schönste und klarste Stimme - für ihn bedeutete dieser Tagesbeginn mehr als für uns anderen zusammen - er kam nur zur Schule, um diesen Moment zu erleben, denn der Rest des Tages nagte heftig an seinem Selbstbewusstsein.

Singen aktiviert emotionale Zentren im Gehirn - es werden "Glückshormone" ausgeschüttet, die uns entspannen lassen und dafür verantwortlich sind, neuronale Bahnen im Gehirn zu festigen. Gemeinsames Singen macht also schlau und glücklich. Es
"[...] führt darüber hinaus zu sozialen Resonanzphänomenen. Die Erfahrung von "sozialer Resonanz" ist eine der wichtigsten Ressourcen für die spätere Bereitschaft, gemeinsam mit anderen Menschen nach Lösungen für schwierige Probleme zu suchen. Gemeinsames Singen fördert die Fähigkeit, sich auf andere einzustimmen, und schafft so die Grundlage für den Erwerb sozialer Kompetenzen wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Selbstdisziplin und Verantwortungsgefühl. Beim Singen kommt es  zu sehr komplexen Rückkopplungen zwischen erinnerten Mustern wie Melodie, Tempo und Takt und dem zum Singen erforderlichen Aufbau sensomotorischer Muster zwischen der Wahrnehmung und der Tonbildung. Singen ist ein ideales Training für Selbstreferenz, Selbstkontrolle, Selbststeuerung und Selbstkorrektur" (vgl. Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 105).

Zeit lassen


Achtsamkeit ist eine Tugend, die wir Erwachsenen längst abgelegt und vergessen haben. Kinder dagegen sind noch achtsam. Sie sehen vieles, über das wir Großen bereits achtlos hinweggucken und sind dabei weder voreingenommen noch abgelenkt. Sie sehen noch den Marienkäfer auf dem Blatt, wenn wir sie einfach nur schnell von A nach B bugsieren wollen, sie bleiben stehen und wollen ihn genau beobachten. Sie leben im Moment - es ist ihnen völlig egal, dass wir zu spät zu unserem Termin kommen, denn der Marienkäfer ist für diesen kurzen achtsamen Augenblick das Wichtigste auf der ganzen Welt. Für den, der mit Kinderaugen durch die Stadt zu spaziert, wird das Leben reicher und in seinem Gehirn bilden sich komplexe Vernetzungen heraus, die nur in einem solchen "Flow" in dieser Art entstehen können. 

Lasst euren Kindern Zeit! Oft drängen wir sie nur aus eigener Bequemlichkeit. Uns ist kalt, uns tun die Füße weh, wir würden gern zuhause einen Tee trinken oder auf Toilette gehen. Doch wenn man sich einmal vor Augen hält, wegen welcher Trivialitäten wir unseren Kindern ihre Achtsamkeit aberziehen und sie vom genussvollen Lernen abhalten, merkt man, wie egoistisch und zerstörerisch man handelt. Ist es wert, eine Stunde früher zuhause zu sein, wenn der eigene Nachwuchs diese Stunde hätte nutzen können, um Nervenbahnen zu vernetzen und vertiefen? Nichts, was wir ihnen zuhause an Bildung und Förderung bieten können, reicht auch nur ansatzweise an das heran, was sie sich auf dem Nachhauseweg  zum Lernen gesucht hätten. Das Kind sucht sich seine Aufgaben selbst - wenn wir es lassen.

Kind betrachtet etwas am Boden

Eine meiner Töchter hatte sich letztens am Morgen kurz vor Losgehen zum Kindergarten in den Kopf gesetzt, den Reißverschluss ihrer Jacke selbst zumachen zu wollen. Meine andere Tochter war bereits vollständig angezogen und hüpfte draußen auf der Treppe herum. Auch ich war schon fertig und fing an zu schwitzen. Ich gab ihr zunächst kurz die Möglichkeit, es zu probieren, doch nach ein paar gescheiterten Versuchen hatte ich den dringenden Impuls, ihr die Arbeit abzunehmen, denn dann wäre es so viel schneller gegangen. Ganz bewusst atmete ich jedoch tief ein- und aus, und ließ sie machen. Es war nicht dringend, dass wir nun in dieser Minute los kamen und meine andere Tochter war auf der Treppe ganz glücklich - es sprach also eigentlich gar nichts dagegen, der Reißverschluss-Eroberin die Zeit zu lassen, die sie brauchte. Trotzdem kostete es mich einige Kraft, nicht einzugreifen, einfach, weil ich das so viel besser konnte als sie!

Belohnt wurde ich nicht einmal fünf Minuten später. Sie hatte es geschafft! Und sie grinste mich glücklich und selbstbewusst zugleich an und rannte zu ihrer Schwester, um dieser zu erzählen, dass sie ihre Jacke ganz allein zugemacht hätte.

Herbert Renz Polster schreibt zum Thema "Zeit lassen":
"Wer sich jemals mit wirklich komplizierten Dingen beschäftigt hat, wird sich noch gut daran erinnern können, dass ihm das nur gelingen kann, wenn er sich dafür Zeit, möglichst viel Zeit, genommen hat. Nichts, was schwierig ist, lässt sich unter Termindruck, in Hektik und mit einer Deadline vor Augen zuwege bringen. Der Aufbau einer Freundschaft nicht, der Bau eines Musikinstruments nicht, die Gründung eines Unternehmens nicht, erst recht nicht ein für alle bereicherndes Zusammenleben in der Familie. [...] Unter Zeitdruck entsteht nichts, was außergewöhnlich, was auch noch später, nach vielen Jahren, wertvoll ist. Unter Zeitdruck bringt man nur schnell verwertbare, kurzlebige Ergebnisse und Produkte zustande [...]. In der Warenproduktion nennt man das Massenproduktion oder gar Ausschuss. Für das, was in Elternhäusern, Kindergärten und Schulen aus Kindern und Jugendlichen wird, weil wir uns nicht genügend Zeit nehmen, haben wir noch keine passende Bezeichnung. Aber wir ahnen, dass es nicht gut sein kann, wenn Kinder sich bei der Vorbereitung aufs spätere Leben beeilen sollen" (Renz-Polster, H., Hüther, G.: 2013, 90).
Es ist durchaus möglich, ein Kind so gezielt zu fördern, dass es schneller laufen oder sprechen lernt, als andere Kinder. Das bedeutet aber nicht, dass es dadurch ein "besseres" Gehirn bekommt. Komplexe Vernetzungen finden im Gehirn nur dann statt, wenn wir den Kindern einfach möglichst komplexe Erfahrungsräume zur Verfügung zu stellen, in denen es nicht auf ganz spezielles Wissen und Fertigkeiten ankommt, sondern die viele Sinne und Fähigkeiten ansprechen (vgl. ebd.:2013, 92). 

Wenn wir sie diese Erfahrungsräume in ihrem eigenen Tempo erobern lassen und ihnen nicht vorgeben, was sie lernen sollen. Wie sagt man so schön? Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.... Das gilt nicht nur für dreijährige Welteneroberer, sondern insbesondere auch für noch jüngere Kinder. Wir Eltern - nicht alle, aber doch viele von uns - haben irgendwie eine innere Hast, die uns hoffen lässt, unsere Babys mögen möglichst schnell selbständig werden. Sie sollen ohne Hilfe einschlafen können, deshalb "trainieren" wir sie mit Schlaflernprogrammen. Sie möglichst früh sitzen, möglichst früh Beikost essen, möglichst früh krabbeln und laufen, damit sie .... tja, warum wollen wir das eigentlich? Warum ist uns das so wichtig, dass wir unsere Kinder ständig miteinander vergleichen und uns und sie damit noch stärker unter Druck setzen? Ich kann diese Frage nicht beantworten - aber ich erinnere mich, dass ich ebenso in diesem "schneller - höher - weiter"-Wahn gefangen war, als meine Töchter noch Babys waren....

In der ungezähmten Natur spielen lassen


Ich habe nun schon mehrmals erwähnt, dass unsere Kinder draußen in der Natur besonders leicht lernen und Glücksgefühle erleben, die in keinem künstlich angelegten Erfahrungsraum auch nur annähernd so empfunden werden. Das liegt natürlich in unserer Evolutionsgeschichte begründet - den größten Teil der menschlichen Entwicklung haben wir draußen in der Natur verbracht und  nicht in den Höhlen und Zelten, die unsere Vorfahren sich als Behausung suchten.

Mädchen auf einer Wiese

So ist es ganz und gar nicht verwunderlich, dass es unsere Kinder nach draußen zieht, dorthin, wo sie sich überwinden und beweisen können. Wenn sie sich den dort vorgefundenen Gefahren in ihrem eigenen Tempo stellen, lernen unsere Kinder, ihren Körper und seine Leistung ganz genau einzuschätzen und die Gefahr, der sie sich im Spiel stellen, daran anzupassen. 

Entwicklungspsychologin Ellen Sander hat herausgefunden, dass sich alle Kinder dieser Erde dabei immer wieder von sechs großen "Feldern" in den Bann ziehen lassen: 1. große Höhen, 2. große Geschwindigkeiten, 3. verstecken und unbekanntes Terrain erkunden, 4. Toben und Raufen, 5. Gefahrenstellen (Nähe zu Abhängen, Wasser, Feuer), 6. gefährliche Gegenstände (Stöcker, Steine, selbstgemachte Messer, Speere etc.).
"Das Spiel in diesem "Risikobereich" folgt dabei einem ganz bestimmten Drehbuch: Die Kinder haben den meisten Spaß bei jenen Aktivitäten, die gerade unterhalb ihrer Angstschwelle liegen! Dieser Belohnungsmotor drängt, nein: zwingt die Kinder förmlich immer wieder hin zu dieser Kribbelzone - und weil sie dort immer neue Kompetenzen aufbauen, wird die Angstdecke nach und nach angehoben. Die Kinder begehen bei ihren Abenteuern also immer wieder eine Gratwanderung: das Hochgefühl auf der einen Seite (Ich hab's geschafft!), die Furcht auf der anderen (Schaffe ich das?). Nur so gewinnen sie Sicherheit, nur so wachsen sie langsam über sich hinaus. Und dieses eskalierende Spielverhalten ist gleichzeitig ihr größter Schutz - sie nehmen die nächste Höhe ja nur in Angriff, wenn sie das etwas niedrigere Mäuerchen geschafft haben" (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 180ff).
Heutzutage - und ich nehme mich dabei gar nicht aus - haben Eltern aber so viel Angst um ihren Nachwuchs, dass Kinder keine Risiken mehr eingehen dürfen. Hier in meinem Kiez, mitten in Berlin, spielen selbst Fünfjährige noch auf einem eingezäunten Spielplatz, während 30 Eltern auf den Bänken ringsherum sitzen und ein wachsames Auge werfen (und nebenbei am Handy spielen). 

Ich selbst kann mir auch nicht wirklich vorstellen, meine fast vierjährigen Mädchen völlig "frei" zu lassen. Ich habe einfach höllisch Angst, dass ihnen etwas passiert. Dabei war ich selbst mit 5 Jahren schon allein draußen, bin in Gummistiefeln auf verdammt hohe Bäume geklettert (Der einzige Hinweis meines Vaters dazu war: "Immer drei deiner Extremitäten am Baum lassen, während eine Hand oder ein Bein weitersteigt"), habe mit Freunden im Gebüsch mithilfe von Glasscheiben und der Sonne kleine Feuer entzündet und am Tümpel nach Fischen und versunkenen Schätzen geangelt. Bis auf ewig zerschrammte Knie und blaue Flecken ist mir nie etwas passiert. 

Trotzdem bekomme ich jetzt als Mutter schon die Krise, wenn meine Töchter mit Stöckern in der Hand Fange spielen wollen. "Was da alles passieren kann!", schreit mein Gehirn, "einmal hingefallen, schon ist ein Auge ausgestochen!".... Seufz. Doch genau das oben beschriebene "Ausprobier-Programm" schützt unsere Kinder eigentlich vor Schäden - wenn sie die Möglichkeit bekommen, zu handeln und zu üben. Nur so haben sie Erfolgserlebnisse und erleben sich selbst als kompetente Gestalter ihrer Zukunft, nur so lernen sie ihren Körper und seine Grenzen perfekt kennen.

Allerdings gibt es eine kleine, jedoch wichtige Ausnahme: Kinder können mit natürlichen Gefahren sehr gut umgehen, doch bei manchen modernen, künstlichen Gefahren greift das evolutionsbiologische Schutzprogramm nicht: Steckdosen, Chemikalien, offene Fenster, Autos - vor dieser Art Gefahr müssen wir Eltern sehr wohl schützen!

Doch die Natur kann noch mehr. Nicht nur Motorik und Geschicklichkeit kann mit ihrer Hilfe "gefördert" werden, nein, auch Geduld und Beharrlichkeit werden immer wieder auf die Probe gestellt. Beim Angeln z. B. muss das Kind leise abwarten, bis ein Fisch den Köder entdeckt - es darf die Angel auch nicht zu schnell aus dem Wasser reißen, wenn die Pose wackelt, sondern sich noch ein paar Sekunden zurückhalten, um dem Fisch Gelegenheit zu geben, wirklich anzubeißen. Und trotzdem wird es nicht jedes Mal gewinnen - manchmal entwischt der Fisch trotz aller Geschicklichkeit und Hingabe.

In der Natur wächst nichts auf Knopfdruck. Ein Samenkorn, das gestern in die Erde gelegt wurde, ist heute noch lange nicht aufgekeimt, wie meine Töchter gerade feststellen mussten. Wir haben am Wochenende in unserem kleinen Garten ein paar Blumensamen gesät - doch bisher ist auf unserem Beet noch nichts passiert. Vielleicht haben die Vögel alles weggepickt? Vielleicht ist es nachts noch zu kalt draußen? Vielleicht dauert es aber einfach noch ein bisschen, bis die ersten Keimblätter zu sehen sind. Und auch auf die leckeren Äpfel und Kirschen werden sie noch warten müssen. Und selbst wenn die Äpfel dann hängen - sie müssen noch ein wenig hängen bleiben, denn die Süße darin braucht ihre Zeit, um sich zu entwickeln.... 
 
Kind spielt an einem Bach

In einer altersheterogenen Kindergruppe spielen lassen 


Es ist eine allgemein anerkannte Weisheit, dass Kinder andere Kinder brauchen, um glücklich zu sein. Vor allem das Alter "3 Jahre" gilt dabei irgendwie als Meilenstein. Selbst Eltern, die ihr Kind nicht in eine Kinderkrippe geben wollen, sagen, dass mit 3 Jahren aber sehr wohl der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der Nachwuchs nun in den Kindergarten soll. Meist wird dies begründet mit den Worten "um die Sozialkompetenz zu schulen". Interessant finde ich, dass es schon in den Anfängen der Menschheitsgeschichte tatsächlich das etwa dreijährige Kind war, welches ziemlich abrupt die Sicherheit des mütterlichen Schoßes verlor und sich einer altersgemischten Kindergruppe anschließen musste, da zu diesem Zeitpunkt meist ein neues Geschwisterchen geboren wurde, welches nun die Muttermilch und (fast) ungeteilte Aufmerksamkeit der Mama bekam.

Tatsächlich ist so eine altersgemischte Gruppe für Kinder das Beste, was ihnen passieren kann. Da treffen lauter Individuen aufeinander, deren verschiedene Perspektiven auf die (Spiel-)Situation unter einen Hut gebracht werden müssen. Eine bessere Schulung von Empathie und Perspektivenwechsel gibt es gar nicht. Doch der Weg dahin läuft leider nicht über schönes, harmonisches Miteinander-Spielen! Das mögen nur wir harmoniebedürftigen Erwachsenen. Vielmehr müssen Kinder dazu streiten, sich vertragen, sich lieben, sich hassen - oft in fünfminütigem Wechsel. Wenn man da als Großer nicht eingreift, können Kinder lernen, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten, Emotionen zu sortieren, Konflikte zu regeln, zu verzeihen, den anderen zu verstehen, Regeln einzuhalten oder eigene Grenzen zu setzen.

Kinder in einem afrikanischen Dorf

Zudem erleben sich Kinder in altersgemischten Gruppen über eine Zeit hinweg in unterschiedlichen Rollen. Die Kleinsten, die am Anfang oft betüdelt werden, bleiben nicht immer die Kleinsten, wenn neue Dreijährige hinzustoßen. Der große Bruder, der zuhause möglicherweise der Bestimmer ist, muss sich in der Kindergruppe vielleicht einem anderen beugen, der mehr zu sagen hat. Auch wenn größere Kinder aus der Gruppe ausscheiden, weil sie vielleicht schulpflichtig geworden sind, werden Rollen frei. Vielleicht gab es ein besonders mütterliches Mädchen, welches nun weg ist, und deren Position nun von einem neuen Kind aufgenommen werden kann.
" Je mehr Blickwinkel, Perspektiven und Modelle das Kind in dieser Phase kennenlernt, desto reicher wird seine Innenwelt" (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 144).
Doch die altersgemischte Gruppe hat noch weitere Vorteile: Die großen Kinder bieten den kleineren eine Art Schutzprogramm. Sie liefern im gemeinsamen Spiel nicht nur die Ideen und den sprachlichen Input, sondern auch sicherheitsrelevante Verbote.  
"So ist aus Beobachtungen bekannt, dass in gemischtaltrigen Gruppen oft Sicherheitsregeln gelten, die die Kleinen in gewisser Weise vor ihrem eigenen Ehrgeiz schützen. Ein bestimmter als gefährlich bekannter Baum oder ein schwer zu erkletternder Ast etwa gilt für die Kleinen als tabu. Umgekehrt weiß man, dass in den heute in der westlichen Sozialisation bevorzugten gleichaltrigen Spielgruppen leicht eine Art Dampfdrucktopf-Dynamik entsteht. So zeigen etwa gerade die 4- und 5- jährigen Kinder (Jungs mehr als Mädchen), wenn sie unter sich spielen, ein starkes Konkurrenzverhalten - jeder will der Größte, Beste und der Schnellste sein... Dabei spornen sich die Kinder nicht unbedingt zu einem adäquaten Risikoverhalten an, im Gegenteil: Sie treiben sich eher höher auf die Bäume..."  (vgl. Renz- Polster, H., Hüther, G., 2013: 183 ).
Das alles funktioniert natürlich eigentlich nur, wenn die Kindergruppe unter sich spielt, und nicht unbedingt unter der Aufsicht von Erwachsenen. Sobald wir da sind und aufpassen, werden Konflikte nicht mehr selbständig geregelt - mindestens ein weinendes Kind steht doch immer bei uns und ruft: "Der ... hat mich geschubst!". So gehen die letzten beiden "Förder"-Punkte, die ich hier thematisiert habe, eigentlich nur Hand in Hand: Altersheterogene Kindergruppen spielen draußen, erleben Abenteuer und bezwingen gemeinsam (angepasste) Gefahren. Ich wurde 1976 geboren, in meiner Kindheit war das noch so - wann hat sich das nur so sehr gewandelt? Und wie kommen wir dahin zurück?

© Snowqueen

Quellen

Gesunde Kinder müssen nicht gezielt gefördert werden

Die beste Förderung für Babys und Kinder? Fördern ist vollkommen unnötig - sie brauchen für ihre freie Entfaltung vor allem wenig formendem Einfluss


Kein frischgebackenes Elternteil kann sich davon wirklich frei machen, sein Kind optimal für auf die Zukunft vorbereiten zu wollen. Verstärkt wird dieser Wunsch durch die Gesellschaft, die einem suggeriert, dass das ach so wichtige, weit offene Lernfenster von der Geburt bis zum Alter von 3 Jahren effizient genutzt werden muss, um dem eigenen Nachwuchs den vielleicht alles entscheidenden Vorteil auf dem späteren Arbeitsmarkt zu verschaffen. Und so besuchen Eltern - ich spreche mich selbst nicht frei davon - verschiedene Babykurse, melden die Kinder in Fremdsprachen-Kindergärten an, laden Apps für Kleinkinder herunter und üben bei der Krankengymnastik eifrig das Drehen auf den Bauch. Immer mehr Eltern haben das Gefühl, ihren Kindern auf die ein oder andere Weise "helfen" zu müssen. So trainieren sie - immer mit den wirklich besten Absichten - Sitzen, Laufen, Sprechen, Zählen...


Doch dieser Sichtweise auf das Kind liegt eine latente Einstellung zugrunde, unsere Kinder seien im Grunde inkompetent und fehlerhaft. Weil sie so defizitär sind, müssen wir Eltern eingreifen und den kleinen Menschen optimieren, bis er in unsere Gesellschaft passt. Dabei gehen "Förderung" und "Erziehung" Hand in Hand. Wir tun alles, damit unsere Kinder zu angepassten Mitgliedern unserer Welt werden. Nur - müssen wir das?

Wie wir Menschen lernen - ein neurologischer Grundkurs


Anders als früher angenommen, haben Wissenschaftler herausgefunden, dass das menschliche Gehirn nichts völlig Neues lernen kann - es kann immer nur etwas Neues hinzulernen, indem das Neue mit etwas verbunden wird, das schon vorhanden ist, also das bereits vorher erlernt worden ist (vgl. Hüther, G., Krens, I: 2009, 79). Das klingt, wie ich finde, völlig abstrus. Wie soll das denn gehen? Wir kommen nackt und neu auf die Welt - und können und sollen schon ab diesem Zeitpunkt nur durch Anknüpfen an unser Vorwissen hinzulernen?

Dazu müssen wir uns erst einmal angucken, wie Lernen an sich im Gehirn vonstatten geht. Gerald Hüther, Deutschlands renommierter Hirnforscher, schreibt:
"Immer dann, wenn über die Sinnesorgane eine neue Wahrnehmung zum Gehirn weitergeleitet wird, entsteht dort ein für diese Wahrnehmung charakteristisches Erregungsmuster, also ein bestimmtes "Geflimmer" der dabei erregten synaptischen Verbindungen. Dieses Geflimmer erzeugt im Gehirn eine gewisse Unruhe und stört die dort bis dahin "routinemäßig" ablaufenden Prozesse. Erst durch die so entstandene "Störung" wird man auf die neue Wahrnehmung aufmerksam und versucht, sie irgendwie einzuordnen. Im Gehirn wird jetzt intensiv nach einem bereits vorhandenen, durch frühere Erfahrung entstandenen und entsprechend gebahnten Verschaltungsmuster gesucht, dessen Erregungsmuster ("Erinnerungsbild") irgendwie zu dem durch die neue Wahrnehmung entstandenen Erregungsmuster ("Wahrnehmungsbild") passt. Kann ein altes Muster aktiviert werden, das mit dem neuen völlig identisch ist, so wird die neue Wahrnehmung als bereits bekannt eingeordnet und "routinemäßig" beantwortet. In diesem Fall hat man überhaupt nichts hinzugelernt. Lässt sich trotz intensiver Bemühungen kein bereits vorhandenes Erinnerungsmuster aktivieren, das irgendwie zu dem neuen Wahrnehmungsmuster passt, wird die neue Wahrnehmung als völliger Unsinn behandelt und es wird so getan, als sei überhaupt nichts passiert. Interessant wird es nur dann, wenn irgendein bereits vorhandenes Erinnerungsmuster aktiviert werden kann, das zumindest teilweise zu dem neuen Wahrnehmungsmuster passt. Dann wird das alte innere Bild so lange geöffnet, erweitert und umgeformt, bis das neue Wahrnehmungsbild irgendwie in dieses Erinnerungsbild eingefügt werden kann. In einem solchen Fall hat man etwas Neues hinzugelernt. Die bis dahin herrschende innere Unruhe löst sich plötzlich auf, alles passt wieder, man sagt "Aha!" und freut sich" (Hüther, G., Krens, I,: 2009, 79f).
Doch woher sollen eigentlich all die alten Erinnerungsmuster kommen, an die so ein frisch entbundenes Menschlein sein erstes Lernen anknüpft? Es wird vermutet, dass unsere Kinder bereits im Mutterleib anfangen, Erfahrungen zu sammeln. Schon in der frühsten Schwangerschaft beginnt z. B. der Embryo, erste unkoordinierte Zuckungen mit seinen Armen und Beinen auszuführen. Diese sind natürlich noch nicht willentlich gesteuert, sondern werden unbewusst durch das Zusammenziehen von Muskeln ausgelöst. 
 
Schwangerschaftsbauch und Ultraschallfoto

Im Verlauf des weiteren Wachstums nehmen die vom Gehirn und Rückenmark ausgehenden Nervenzellfortsätze Kontakt auf zu den unwillkürlich zuckenden Muskeln - eine Verbindung entsteht, die einerseits ermöglicht, dass nun die Muskeln durch die Nervenzellen zu Kontraktionen angeregt werden können, andererseits die Muskeln ihren Dehnungszustand an das Rückenmark und Gehirn rückmelden können. Es bilden sich erste wichtige Verbindungen zwischen den für die Bewegungskoordination zuständigen Zentren, die die Grundlage für das Erlernen willkürlicher Bewegungen bieten. Je öfter diese Verbindungen aktiviert werden, desto stabiler werden die Verschaltungsmuster - es findet Lernen durch Nutzung und Übung statt und die Bewegungsabläufe können im Laufe der Zeit immer koordinierter ausgeführt werden  (vgl. Hüther, G., Krens, I.: 2009, 86ff). Am Ende dieses langwierigen Lernprozesses steht dann z. B. der Moment, in dem der Embryo seinen Daumen in den Mund führt, um lustvoll daran zu saugen....

Auch für andere Bereiche des menschlichen Körpers (z. B. die Arbeit der inneren Organe) werden erste einfache Regelkreise angelegt. Nach und nach  werden sie von aussprossenden Nervenzellfortsätzen miteinander verbunden und stimmen sich aufeinander ab. Komplexere, übergeordnete neuronale Netzwerke bilden sich und übernehmen die Aufgabe, andere Regelkreise zu koordinieren und regulieren... Alles, wirklich alles, was uns Menschen ausmacht, wird auf diese Art und Weise im Körper angelegt, während wir glücklich im Fruchtwasser umherschwimmen,  und immer geschieht das durch einen Lernprozess der beteiligten Agenten, welcher Schritt für Schritt wechselseitig ausgebaut wird (vgl. ebd., 2009: 86ff).

Die erste Kontaktaufnahme zwischen Mutter und Kind geschieht durch Hormone, und zwar schon in den allerersten Lebensstunden. Wird die Eizelle vom Spermium befruchtet, sind es die mütterlichen Hormone, die ihr erlauben, es sich in der Gebärmutter gemütlich zu machen. Es entsteht schon zu diesem Zeitpunkt ein unablässiger Austausch zwischen dem zukünftigen neuen Erdenbürger und seiner Mama. Auch das Kind hat dabei schon ein Mitspracherecht - durch die von der Plazenta ausgehenden Hormone, wird der mütterliche Körper darüber in Kenntnis gesetzt, was das Kind zu diesem Zeitpunkt gerade braucht. Nur, wenn diese Kommunikation reibungslos funktioniert, bleibt die Schwangerschaft intakt. Später kommt zur Kommunikation mittels Hormonen noch andere Kanäle für den Austausch hinzu. Über die Nabelschnur beispielsweise werden dem Kind nicht nur Nahrungsstoffe und Sauerstoff zugeführt, sondern auch Informationen über seine Mutter, z. B. was sie gerne isst oder ob sie gerade besonders glücklich ist bzw. unter Stress steht.

Beginnen die Sinnesorgane des Embryos mit ihrer Arbeit, geht das intrauterine Informationssammlung in die nächste Runde. Nun kann es auch über diese Kanäle mehr über seine Mama erfahren. Es kann sie riechen, schmecken, hören und teilt alle ihre Gefühle, so dass es bestens dafür ausgerüstet ist, auch nach der Geburt mit ihr sofort in Beziehung zu treten. Denn es kennt ja ihre Stimme schon, es weiß, wie sie schmeckt und riecht und von diesem sicheren Hafen aus kann es die neuen Reize, die auf es einströmen leichter verarbeiten. Die leichten Bewegungen, die es im Fruchtwasser machte, fühlen sich auf der Erde plötzlich viel schwerer an - trotzdem sind die neuronalen Bahnen dafür bereits angelegt. Es kann also die neue Art der Bewegung lernen, indem es an die Informationen aus der Zeit im Mutterleib anknüpft. Die Welt da draußen hört sich viel lauter an und ist viel heller als im Mutterleib. Trotzdem kann es die Erregung darüber überwinden, denn es hat ähnliche Erfahrungen schon in der Gebärmutter gemacht.

So ist unser Gehirn also perfekt dafür ausgerüstet, immer hinzuzulernen - solange es im richtigen Tempo und in der richtigen Reihenfolge angesprochen wird. Der Mensch lernt vom ersten Moment an - und hört bis zu seinem Tod nie wieder damit auf.

Kind spielt mit Seifenblasen

Go with the Flow, Baby 


Wie ich oben bereits angedeutet habe, entsteht, wenn das Gehirn auf etwas Neues stößt, eine unspezifische Erregung oder Unruhe, die sich zunächst auf den ganzen Körper ausbreitet und für uns Menschen in gewisser Weise unangenehm ist. Gut erkennbar ist dieser Zustand in den sogenannten Entwicklungssprüngen, in denen unsere Kinder tage- und wochenlang unleidlich quengeln und weinen. Sie wissen nicht, was mit ihnen passiert und registrieren nur die körperlichen Symptome, die sie ganz und gar nicht lustig finden. 

Aber auch auf kleinerer Ebene entsteht dieser Unruhezustand - jeden Tag immer dann, wenn der Mensch etwas Neues entdeckt. Das Gehirn versucht in solchen Momenten mit aller Macht, Ruhe einkehren zu lassen. Der Erregungszustand wird so weit eingekesselt, dass nun ein Abgleich des neuen Erregungsmusters mit den bereits abgelegten Erinnerungsmustern vorgenommen werden kann. Ist es möglich, ein altes Erinnerungsbild so zu aktivieren, dass sich der neue Reiz daran irgendwie anknüpfen lässt, löst sich die innere Anspannung auf. Eine Welle der Entspannung rollt über das Gehirn hinweg und erreicht bestimmte Nervenzellen, deren Enden nun wiederum Botenstoffe aussenden. Endogenen Opiate, Endorphine und Enkephaline verstärken das angenehme, befriedigende Gefühl, das den Menschen erfasst, während gleichzeitig Dopamin, Noradrenalin, Endorphine und Vasopressin die neuen, erweiterten Nervenzellverbindungen, die durch das erweiterte Erregungsmuster entstanden sind, bahnen und festigen (vgl. Hüther, G., Krens, I: 2009, 92f). Diesen Zustand nennt man "Flow" - Kinder geraten tagtäglich etwa 20-50 mal in dieses Glücksgefühl. Für sie ist alles noch neu und wert, entdeckt zu werden - die Welt geht ihnen Buchstäblich "unter die Haut".

Man kann ziemlich gut erkennen, wenn ein Kind im "Flow" ist - es hat die Welt um sich herum in dem Moment völlig vergessen und hört auch nicht mehr wirklich, wenn man es anspricht. Ein Baby betrachtet vielleicht minutenlang fasziniert seine Faust, ein Junge spielt versunken mit seinen Autos auf dem Spielteppich, zwei Mädchen graben mit hochroten Wangen ein Riesenloch im Buddelkasten aus, ein Kleinkind lässt einen Gegenstand nach dem anderen von seinem Hochstuhl aus fallen und guckt interessiert hinterher... Auch, wenn ein Kind hundert mal den Lichtschalter an- und ausschaltet oder den Wasserhahn auf- und zudreht, befindet es sich wahrscheinlich im Flow.

Fast alle Handlungen, die wir Erwachsenen gemeinhin als "Unfug" bezeichnen, sind meist weder böse gemeint, noch so unnütz, wie unser Blick darauf vermuten lässt. Wenn eure Kinder innerhalb von 5 Minuten eurer Abwesenheit das Bad mit Rasierschaum einschmieren und dabei einen Heidenspaß haben, wenn sie alle Slipeinlagen aus der Schublade nehmen und sie auf den Badewannenrand kleben, damit das "böse Krokodil nicht raus kann", wenn sie Sand aus den Blumenkübeln schaufeln, weil sie doch Bauarbeiter sind oder die Mehlpackung auf dem Küchenboden ausschütten, tja, dann folgen sie nur ihrem biologischen Code der Neugier und Fantasie. Sie gehen mit dem Flow! Man könnte dann schimpfen, ja. Muss man aber nicht...

Eine meiner Töchter hat sich mit 3 Jahren einmal unsere Feuchttücherbox stibitzt und dann eine halbe Ewigkeit konzentriert kopfüber im Kinderzimmer gestanden, um sich die Tücher um die Beine zu knoten. Das Knoten hat sie sich in diesem Moment übrigens selbst beigebracht. Pro Tuch hat sie sicher fünf Minuten gefummelt, ehe alles fest saß, manche Tücher fielen dann auch wieder ab. Doch sie blieb ruhig und begann von vorn - es hatte sie einfach "gepackt". Seitdem knotet sie übrigens wie eine Weltmeisterin, alles und jeder wird festgeknotet. Manchmal muss ich am morgen einen Zehnfachknoten aus meinen Schnürsenkeln fummeln, bevor ich zur Arbeit losgehen kann! Doch, doch... ich bin stolz auf sie ;-).

Kind knotet sich Feuchttücher ums Bein

Ab und zu geraten auch wir Erwachsenen noch in den "Flow"
"[...] etwa, wenn wir ein spannendes Buch lesen, oft auch beim Betrachten alter Fotos, vielleicht sogar beim Kochen und Backen oder - wenn wir ein Instrument beherrschen - beim Musizieren. Man vergisst in solchen Momenten die Zeit, erlebt sich im eigenen Tun im Hier und Jetzt, ohne diese ständigen Gedanken an das, was alles war und was noch auf uns zukommt. Man verschmilzt förmlich mit dem, was man tut. Es ist ein Zustand höchster Präsenz und innerer Verbundenheit" (vgl. Renz-Polster, H., Hüther, G., 2013: 71).
Ganz besonders einfach fallen Kinder draußen in der Natur in den Zustand des Glücksgefühls. Deshalb dauert der eigentlich zehnminütige Weg vom Kindergarten nach Hause auch fast zwei Stunden, wenn man das Kind in seinem Tempo gehen lässt. Jeder Grashalm muss beguckt werden, Gänseblümchen gepflückt und aufgereiht, eine Bank muss zehn Mal bestiegen werden und die Blätter vom letzten Herbst gesammelt.... Lässt man sein Kind das alles tun, ohne zu drängeln, zu nörgeln oder es ununterbrochen anzusprechen, dann versinkt es auf diesem Spaziergang glücklich in einem Flow nach dem anderen. Es bilden sich in jenen Momenten unendlich viele neue neuronale Verbindungen - das Kind wird buchstäblich spielerisch schlauer und wir haben es "gefördert", ohne groß etwas dafür tun zu müssen.
"[Das Kind] macht eine beglückende Erfahrung mit sich selbst, mit seiner eigenen Lust am selbständigen Entdecken und Gestalten. Und diese Lust, die es dabei erfährt, wird tief im Gehirn verankert. Kinder, die so etwas erleben dürfen, sind glücklich, nicht, weil sie eine besondere Leistung erbracht haben und von anderen dafür Lob und Anerkennung bekommen, sondern, weil sie sich selbst in ihrer eigenen Lust am Tätig- und Lebendigsein erfahren" (vgl. ebd., 2013: 72).
Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal genervt seid, weil euer Kind so "bummelt". Es bummelt nicht, es lernt. Freiwillig und mit größter Leichtigkeit.

Wie Lernen erfolgreich unterbunden werden kann


Auf der anderen Seite ist es verdammt einfach, den Flow eines Kindes zu unterbrechen, weil wir Erwachsenen finden, es gehört sich nicht, am Lichtschalter zu spielen oder es ist zu kalt draußen, um eine Stunde in den Büschen herumzukriechen und kleine Steinchen zu sammeln. Oft ist es auch Unwissenheit oder schlechtes Timing, die Erwachsene die Konzentration der Kinder unterbrechen lässt. 

Meine Mutter - weltbeste Oma meiner Kinder - meint es zum Beispiel oft besonders gut und unterbricht gerade diese wichtigen Ruhephasen ihrer Enkelinnen, um ihnen ein neu gekauftes Spielzeug zu zeigen oder zu fragen, ob sie jetzt Joghurt essen wollen. Statt abzuwarten, bis ihre Enkelinnen von selbst aus der Versunkenheit herauskommen - das dauert meist keine fünf Minuten - will sie ihre Ideen einfach sofort loswerden und merkt dabei nicht, wie viel Potential sie damit vergeudet. Der Joghurt schmeckt auch in fünf Minuten noch gut, aber das Unterbrechen des Flows bedeutet, das Kind aus einer wichtigen Konzentrationsphase herauszureißen und seine eigentlich gut fokussierte Aufmerksamkeit auf etwas anderes, für das Kind Belangloseres zu lenken. Langfristig wird so eben die Konzentrationsfähigkeit des Kindes klein gehalten. Wer immer dann unterbrochen wird, wenn er sich gerade auf etwas konzentriert, verlernt das Fokussieren auf einen Gegenstand bald. Und dann wundern sich alle, warum das Kind von Aufgabe zu Aufgabe fliegt und nirgendwo richtig ankommt....

Kind betrachtet Blume auf einer Wiese
 
Ebenfalls ungünstig ist es, ein Kind immer darin zu unterbrechen, einen Gegenstand auf seine Weise zu untersuchen. Bekommt es stattdessen von den Erwachsenen erklärt, wie man "richtig" mit diesem Gegenstand hantiert, vergeht dem Kind bald die Entdeckerfreude - auch dann gerät es nicht mehr in das Glücksgefühl des "Flows" und echtes Lernen wird unterbunden:
"Ein zusammengeknülltes Stück Papier ist eben nur so lange interessant, wie ein Kind noch nicht weiß, was es ist. Solange es noch intensiv untersucht, auseinandergefaltet, zerrissen und zerkaut werden kann, um herauszufinden, wie es beschaffen ist. Später wird dann auch spannend, wofür dieses Stück Papier verwendet werden kann. Normalerweise würde diese spielerische Erkundung der Welt immer weiter gehen. Aber allzu oft wird dieser Prozess von jemandem behindert, der genau zu wissen glaubt, was man zum Beispiel mit einem zusammengeknüllten Stück Papier anfangen sollte. Der es dann in den Papierkorb wirft und dem Kind erklärt, dort gehöre es hin. Damit ist der Spaß erst einmal vorbei. Das Kind befördert fortan nun vielleicht alle Papierschnipsel in den Papierkorb und freut sich bestenfalls noch darüber, dass es Vater und Mutter damit eine Freude machen kann. Und es merkt sich, dass Papier in einen Korb gehört. Weil sich die Eltern so freuen: prima gemacht! [...] Irgendwann ist das Kind dann so gut erzogen und belehrt worden, dass es weiß und sich gemerkt hat, was wir Erwachsenen für wichtig halten. Es funktioniert nun immer besser, aber es freut sich immer weniger über all das, was es selbst und ganz allein entdecken kann" (Hüther, G., Hauser, U.: 2012, 49f). 
Daher ist mein Appell an alle, die ihre Kinder gerne "fördern" möchten: Lasst sie ihre Umwelt selbst untersuchen. Haltet euch zurück mit Belehrungen darüber, wie die Welt funktioniert. Ein Kind lernt früh genug, dass sich Buddelsand nicht als Nahrung eignet, lasst es also zu, dass dieser zunächst einmal im Mund landet. Sand zu essen ist nicht lebensgefährlich (vorausgesetzt, es gibt dort keine Zigarettenstummel und Glasstückchen) - er kommt postwendend mit der nächsten vollen Windel wieder raus. 

Auch beim Essen am Mittagstisch solltet ihr euren Kindern die Möglichkeit geben, alles genau zu untersuchen. Dazu gehört eine Menge matschen mit Essen und ja - das wiederum ergibt viel Aufräumarbeit für die Eltern. Aber ist es das nicht wert? Das Essenserlebnis sollte als sinnlich erlebt werden dürfen - alle Sinne sollten angesprochen sein. Ich hatte in einem anderen Artikel schon geschrieben, dass ich meine Kinder abends wild habe matschen lassen - irgendwann hörten sie von selbst damit auf, da sie ihre Neugier über die Beschaffenheit und Textur des Essens ausreichend hatten befriedigen können.

Kind spielt im Matsch

Beibringen, wie z. B. gesellschaftskonformes Buddeln funktioniert (ohne den Sand zu essen, ohne den Sand zu werfen) könnt ihr euren Kindern dann, wenn sie selbst das Medium soweit untersuchen durften, dass sie alles darüber selbständig entdeckt haben. Wie er sich anfühlt, wie er schmeckt, welche Flugeigenschaften er hat, wie er durch die Hand rieselt, wie er außerhalb des Sandkasten auf dem Rasen verstreut aussieht.... Sind diese Experimente abgeschlossen, dann könnt ihr anfangen, zu erklären, was man mit den untersuchten Dingen eigentlich so macht...

Auch gut gemeinte Hilfestellungen, die wir unseren Kindern heute von Anfang an angedeihen lassen, verhindern echtes Lernen eher, als dass sie fördern. Schon den Allerkleinsten wird heute ganz selbstverständlich all das aus dem Weg geräumt, das in den Augen der Eltern zu Frustration führen könnte. Und so kommt es, dass ein Baby, das versucht, sich auf den Rücken zu drehen, von seinen Eltern sanft gestützt wird, damit es schnell klappt. Oder aber das Baby liegt auf dem Bauch und ningelt und nörgelt, weil es nicht genau weiß, wie es sich zurückdrehen soll - kaum ein Elternteil hält diese Situation noch aus. Fast alle eilen herbei und nehmen das Kind entweder hoch oder "trainieren" mit ihm gemeinsam die von der Physiotherapeutin vorgeschlagenen Bewegungsabläufe, damit das Kind ein Gefühl dafür bekommt, wie das Drehen vom Bauch auf den Rücken abläuft. Ich selbst habe lange Zeit das Köpfchen meiner Tochter gestützt, wenn sie sich auf den Rücken drehte, weil ich nicht ausgehalten habe, dass ihr Kopf auf unser Laminat aufkommt und sie vielleicht Schmerzen erleiden muss. Dass ich ihr dabei die Chance genommen habe, nach ein- zwei schmerzhaften Versuchen zu erkennen, dass es besser ist, den Kopf beim Drehen oben zu halten, wusste ich noch nicht. So blieb sie lange in diesem Punkt abhängig von mir.

Gerne werden Babys auch hingesetzt, bevor sie selbst dazu in der Lage sind, damit sie die Hände frei haben zum Spielen und nicht mehr frustriert weinen müssen, weil sie merken, dass die Kraft in den Rückenmuskeln noch nicht ausreicht, um sich mit nur einer Hand zu stützen und mit der anderen Hand ein Spielzeug zu greifen. Und auch, wenn die Babys beim Sitzen zunächst noch in sich zusammensacken - nach ein paar Tagen schaffen sie es meist, aufrecht zu sitzen und sind dann auch glücklich. Genauso wie die Eltern, die nun nicht mehr das stundenlange Nörgeln der Kinder ertragen müssen. Doch ist das wirkliche Hilfe? Nehmen wir unseren Kindern nicht eher etwas weg, wenn wir ihnen so "helfen"? Auf jeden Fall!

Ich habe oben schon beschrieben, welche Glücksgefühle im Gehirn ausgelöst werden, wenn das Gehirn vor einem Problem stand und es dann in irgendeiner Weise selbständig lösen konnte. Ein wahres Feuerwerk an Hormonen wird ausgeschüttet, der Körper und Geist fühlt sich wohl, der Mensch ist glücklich und wächst über sich hinaus in dem Bewusstsein, etwas geschafft zu haben. Diese Hormonausschüttung ist so gewaltig, dass ein Mensch gerne mehr davon erleben würde - und das bedeutet, dass er keine Angst vor neuen Herausforderungen entwickelt, sondern sie sich sogar wünscht und mit Freude an die Lösung des Problems herangeht.

Gemeinerweise werden diese Glückshormone nur dann ausgeschüttet, wenn etwas ganz selbständig erarbeitet wurde. Eine Unterstützung beim Drehen, Sitzen, Knoten binden, Treppen steigen etc. vermindert die Ausschüttung gewaltig - die Kinder geraten nicht mehr in den Flow, sondern in Abhängigkeit vom Helfer. Denn einerseits verlieren sie durch den Verlust des Hormon-Feuerwerks die Lust daran, Neues zu entdecken (das Gehirn wurde ja nicht "belohnt"), andererseits verinnerlichen sie mit jeder auch noch so gut gemeinten Hilfestellung seitens der Großen, dass sie in irgendeiner Weise bedürftig sind - sie bekommen einfach zu oft gezeigt, dass die Erwachsenen nicht damit rechnen, dass sie es aus eigenem Antrieb schaffen. Sie verlieren dann möglicherweise das Bewusstsein dafür und den Wunsch, über sich selbst hinauswachsen zu können. Ich habe heute morgen allen ernstes ein dreijähriges Kind auf einem Laufrad gesehen, an dessen Hinterrad Stützräder montiert waren! An einem Laufrad! Welche Information zieht das Kind aus dieser elterlichen Geste wohl? 

Baby dreht sich

Gleichzeitig wird durch das Aus-dem-Weg-räumen möglicher Hindernisse auch noch die  Frustrationstoleranz niedrig gehalten. Wenn ein Kind von Anfang an nie um etwas kämpfen musste, sich nie durchbeißen durfte durch eine unangenehme Situation - wie soll es dann später mit den viel größeren Frustrationen des Alltags in Schule oder Beruf adäquat umgehen? Klar ist es nervig, wenn das eigene Baby ningelnd auf dem Bauch liegt und hilflos mit Armen und Beinen fuchtelt. Aber aus dieser Mini-Frustration erwächst nun einmal der Wunsch, sich daraus selbst zu befreien und z. B. auf den Rücken zurückzudrehen. 

Natürlich gibt es auch hier Grenzen. Wenn das Kind allzu lang geningelt hat und anfängt, in Bauchlage herzergreifend zu weinen, sollte man es als Elternteil hochnehmen und trösten. Aber das bedeutet nicht, dem Baby diese Situation das nächste Mal vorbeugend vorzuenthalten! Wie oft lese ich in Foren: "Mein Kind mag die Bauchlage nicht, deshalb liegt es meist auf dem Rücken oder in der Wippe...". Natürlich mag ein Baby die Bauchlage anfänglich nicht. Sie ist unbequem und bedeutet Arbeit. Sie ist ungewohnt und bereitet im Gehirn die Art von Chaos, die eine Unruhe und ein Unwohlgefühl im Körper auslösen. Aber... sie bietet eben auch die Chance, neue Bewegungen einzuüben und das Chaos im Kopf selbständig in geordnete Bahnen zu lenken, neue neuronale Verbindungen zu bilden und zu festigen, ein Feuerwerk an Glücksgefühlen zu erleben und sich letzten Endes über seine Selbstwirksamkeit zu freuen.

Voraussetzungen für echtes Lernen - von Wurzeln und Flügeln 


Wenn man Lehrer und Berufs-Ausbilder fragt, was der heutigen Jugend vor allem fehlt und daher bei der frühen Förderung besonders bedacht werden sollte, dann fallen meist die Begriffe "Durchhaltevermögen", "Impulskontrolle" und "Frustrationstoleranz". Ich kann das als Lehrerin durchaus bestätigen. Die Generationen an Schülern, die heute vor mir sitzen, schaffen es selten, sich auch dann hinter ein Thema zu klemmen, wenn es ihnen nicht sonderlichen Spaß macht. Sie erwarten Erfolge viel schneller, als diese normalerweise auftauchen und sind frustriert und brechen Aufgaben ab, wenn ihnen nicht sofort gelingt, diese zu lösen. Gibt es irgendwo ein Problem, kommt meist Streit auf, nicht selten benutzen meine Schüler dabei Fäuste, statt Worte. Das gilt nicht für alle - aber die Tendenz ist steigend. Die Eltern dieser Kinder sind oft verzweifelt, wenn sie mit mir sprechen - was kann man nur tun, damit das eigene Kind nicht so schnell aufgibt oder ausrastet?

Wenn das Kind schon in der Schule ist, wird das sehr schwierig. Die Ausbildung der Grundlagen der Kompetenzen Durchhaltevermögen, Impulskontrolle und Frustrationstoleranz beginnt sehr viel früher.

Autoren wie Michael Winterhoff oder Annette Kast-Zahn wollen uns in ihren Büchern weismachen, dass unsere Kinder diese Eigenschaften aufgrund der vorherrschenden "lockeren Erziehung" abhanden gekommen sind. Frustrationstoleranz, Selbstkontrolle und "Durchbeißen" seien das positive Resultat einer disziplinierenden Erziehung in der frühen Kindheit. Indem wir ihnen schon von Anfang an ein hohes Maß an Selbstregulation abverlangen, sie also z. B. selbst einschlafen lernen müssen oder Eltern nicht sofort reagieren, wenn sie sich mit Weinen melden, würde sich durch die "dosierte" Frustrationserfahrung die Frustrationsschwelle der Kinder ganz von selbst anheben. Das klingt für eine Laien auf diesem Gebiet sicherlich einleuchtend, was auch erklärt, warum diese grässlichen Bücher immer noch so oft gekauft werden.

Fakt ist jedoch, dass sich diese Annahme überhaupt nicht deckt mit dem, was Hirnforscher heute über den Aufbau von innerer Stärke, Durchhaltevermögen, Widerstandskraft und Frustrationstoleranz wissen. Sie fallen nicht einfach vom Himmel, man kann sie den Kindern auch nicht "anerziehen" - das Kind muss von Anfang an hineinwachsen in eine Welt aus vielen eigenständigen Erfahrungen und der Verlässlichkeit seitens seiner Bindungspersonen. Eigentlich gilt immer noch, was Johann Wolfgang von Goethe seinerzeit so schön formulierte: "Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel."

Mutter küsst Kind

Wurzeln entstehen durch eine sichere Bindung. Kinder können sich nur dem Lernen öffnen, wenn sie genügend gut gebunden sind. Das muss nicht unbedingt die Bindung an die Mutter sein - auch Vater, Großeltern, Erzieher oder Lehrer kommen dafür in Frage. Durch eine gute Bindung kann ein Kind tiefe Wurzeln schlagen, so dass es auch dem größten Gegenwind trotzen und Nährstoffe aufnehmen kann. Erst, wenn die Wurzeln fest in der Erde verankert sind, wachsen dem Kind Flügel - es bewegt sich immer weiter von seinen Bindungspersonen weg und erobert  die Welt. Es kommt immer wieder zurück zu seinem sicheren Hafen - wenn es Angst hat, oder sich weh getan hat, um ein wenig Pause zu machen oder seine Freude über ein geglücktes Abenteuer zu teilen. Doch das sicher gebundene Kind zieht es immer wieder hinaus, um Dinge zu entdecken, auszuprobieren und seine Selbstwirksamkeit zu genießen. Die verlässlichen Bindungserfahrungen ("Wenn ich rufe, kommt Mama und hört mir zu.") bilden sozusagen eine Rüstung, die dem Kind die Möglichkeit gibt, ins Abenteuer zu ziehen,sich "da draußen" zu bewähren und mit Rückschlägen fertig zu werden. In der Sprache der Bindungsforscher nennt man dieses Weggehen, Zurückkommen und wieder Weggehen "vollständiger Sicherheitskreis":
"Bindungssichere Kinder [...] signalisieren der Mutter: Ich brauche dich für meine Erkundung, gib auf mich acht, hilf mir, genieße mit mir, wie toll ich klettern oder mich auf die Erkundung von neuen Dingen stürzen kann. Wenn es mir aber schlecht geht und ich Stress habe, Angst bekomme, dann heiße mich willkommen und schütze mich. Tröste mich und nimm mich in die Arme und hilf mir, mit meinen Gefühlen zurechtzukommen. Sicher gebundene Kinder "kreisen" hin und her zwischen der sicheren Basis und ihren Erkundungsausflügen. Sie können auf diese Weise immer mehr für sich entdecken und erfreuen sich daran, was die Welt alles zu bieten hat" (vgl. Brisch, K.-H., 2010: 1459).
Nur mit dem sicheren Hafen im Hintergrund kann ein Kind die Welt selbständig erkunden und sich nach und nach immer schwierigeren Aufgaben stellen. Und nur, wenn es seine Angst mit und ohne Hilfe der Eltern überwindet - wenn es sich also als selbstwirksam und selbstbestimmt erlebt - dann bilden sich ganz automatisch die von uns gewünschten Charaktereigenschaften wie Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein. Guckt euch eure Kinder auf dem Spielplatz genau an: Zunächst hüpfen sie vielleicht aus einer geringen Höhe von der Kletterleiter in den Sand, doch wenn das gelingt, werden sie immer höher klettern und auch von dort springen. Vielleicht können sie sich bei der höchsten Stufe dann noch nicht überwinden, doch am nächsten Tag, oder übernächsten, oder in der nächsten Woche werden sie sich wieder daran versuchen, so lange, bis sie es geschafft haben - und da trainieren sie eindeutig das Durchhalten bei einer bestimmten (selbst gesuchten) Aufgabe, das Aushalten des Frustes, es nicht sofort zu schaffen, sie trainieren ihre Motorik und das Einschätzen ihrer eigenen Kräfte.

Auch Geduld und Selbstkontrolle werden auf diese Weise gestärkt. Um die für diese Selbstdisziplin erforderlichen Verschaltungen im Gehirn herausbilden zu können, nützt es rein gar nichts, wenn ein Kind von außen (den Eltern, Lehrern etc.) diszipliniert wird und beispielsweise jedes Mal, wenn es seine Schwester im Affekt gehauen oder gebissen hat, auf die "stille Treppe" muss o. ä.. Es entstehen dann bestenfalls Verschaltungen, die ermöglichen, den Disziplinierungsmaßnahmen zu entgehen. Das Kind lernt, zu befolgen, was ihm gesagt wurde. Es wird die Schwester vermutlich nicht mehr hauen oder es nur so heimlich tun, dass die Eltern es nicht bemerken oder beweisen können. Das ist aber keine Selbstdisziplin, sondern Gehorsam (vgl. Renz-Polster, H., Hüther, G., 2013: 167)! Die Vertreter der schwarzen Pädagogik Ende des 19. Jahrhunderts setzten sehr stark auf diese Art von disziplinierender Erziehung. Ohne Frage zogen sie ungewöhnlich gehorsame Kinder auf. Leider setzte bei den dann erwachsen gewordenen Kindern kein Denkprozess ein - sie blieben ihr Leben lang ungewöhnlich gehorsam und befolgten z. B. als Aufseher in Konzentrationslagern brav die Anweisungen der Oberen.

Nein, Selbstdisziplin erlernt das Kind nur dann, wenn es sie als erfolgsversprechende Strategie für sich selbst entdeckt:
"Um diese Metakompetenzen zu erwerben, deren es zur Selbstdisziplin bedarf, und um die dafür zuständigen Vernetzungen im Frontalhirn herauszubilden, müsste ein Kind die Erfahrung machen, dass es, wenn es sich etwas vorgenommen hat, gut und hilfreich, ja sogar wunderbar ist, wenn es dabei bei der Sache bleibt, nicht jedem Impuls folgt und sich nicht von Fehlschlägen und Misserfolgen entmutigen lässt. Wenn es also geduldig ist. Wenn es anders als mit Geduld gar nicht ans Ziel kommt und deshalb auch nichts zustande bringt. Es müsste also, statt diszipliniert zu werden, den Nutzen von Disziplin, von Selbstdisziplin, bei sich selbst erfahren. Dann würde es sich auch selbst darüber freuen können, dass es so geduldig gewartet und so tapfer bei der Sache geblieben ist. Und nur dann würden in seinem Gehirn auch die tiefer liegenden für diese Freude zuständigen emotionalen Bereiche mit aktiviert. Und nur wenn die dort liegenden Nervenzellen erregt werden, schütten sie an den Enden ihrer langen Fortsätze auch diese besonderen neuroplastischen Botenstoffe aus, die wie Dünger auf die für die Impulskontrolle und die Frustrationstoleranz zuständigen Nervenzellenschaltungen im Frontalhirn wirken" (vgl. Renz-Polster, H., Hüther, G., 2013: 168).
Von außen betrachtet sind Gehorsam und Selbstdisziplin sehr ähnlich. Für die Eltern eines hauenden Geschwisterkindes ist es ziemlich egal, ob es nun zu schlagen aufhört, weil es "auf die Eltern hört", oder weil es selbst gelernt hat, seine Impulse unter Kontrolle zu halten. Hauptsache, es gibt bei Streit im Kinderzimmer keine handgreiflichen Auseinandersetzungen mehr. Der Unterschied zeigt sich erst später. Während ein Kind, das Selbstdisziplin besitzt, diese in allen Situationen des Lebens unabhängig von anderen anwenden kann und auch bei ungeliebten Aufgaben in der Schule dabei bleibt, bedarf es bei von außen trainierten braven Kindern immer einer Autoritätsperson, einer drohenden Strafe oder auch von Lehrern oder Eltern ausgesprochenes Lob, um die Disziplin zu aktivieren. Fällt die Autoritätsperson weg, z. B. weil der Sohn dem Vater nun kräftemäßig überlegen ist oder das Strafsitzen auf der stillen Treppe seinen Schrecken und das Lob seinen Anreiz verloren hat, bricht das Kind schnell aus seinem Bravsein aus und macht das, was es will oder verweigert das, was es nicht will. In einem totalitären Schreckenssystem wie dem Dritten Reich mag das selten passiert sein (weil die staatlichen Strafen schrecklich waren), in einer Demokratie wie der unseren ist dieses Erziehungsmodell, wie bereits an der heutigen Generation der Schulkinder erkennbar, zum Scheitern verurteilt.

Förderung von echtem Lernen - können wir Eltern denn gar nichts tun? 


Ich kann mir vorstellen, dass es frustrierend für Eltern ist, hier zu lesen, dass all die gut gemeinten Förderversuche, auf die sie bisher zurückgegriffen haben, nichts wert sind und im Zweifelsfalle sogar schaden. Dass man sein Kind einfach "machen lassen" soll, weil es dann von selbst in den "Flow" findet und das besser und tiefer, als wir das je künstlich nachstellen könnten. Das ging mir genau so -  doch ich habe eine gute Nachricht. Es gibt sehr wohl Dinge, die man tun kann, um echtes, freudvolles Lernen zu unterstützen

© Snowqueen


Quellen 


Brisch, K.-H., SAFE - Sichere Ausbildung für Eltern, 2010